Bad Orb (Hessen)

Datei:Kurhessen Kr Gelnhausen.png – WikipediaMain-Kinzig-Kreis Karte Bad Orb ist ein Kurort mit derzeit ca. 11.000 Einwohnern im hessischen Main-Kinzig-Kreis - ca. 40 Kilometer nordöstlich von Hanau/Main gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Main-Kinzig-Kreis', aus: ortsdienst.de/hessen/main-kinzig-kreis).

 

Erste urkundliche Hinweise auf jüdisches Leben in Orb finden sich in der ersten Hälfte des 14.Jahrhunderts. Zu dieser Zeit waren allerdings nur sehr wenige Familien hier ansässig; sie sollen den Verfolgungen während der Pestjahre zum Opfer gefallen sein. Im 15.Jahrhundert lebten unter dem Schutz der Grafen von Hanau einige Juden hier, die ihren Lebensunterhalt u.a. mit dem Geldhandel bestritten. Eine neuzeitliche kleine Gemeinde etablierte sich vermutlich zu Beginn des 18.Jahrhunderts. Ihre Mitglieder betrieben in Orb vor allem Textil- und Eisenhandel; den Salzhandel betrieben sie nicht, da der Salzverkauf an Juden in Frankfurt verpachtet worden war.

Um 1870 richtete die hiesige Judenschaft ihre neue Synagoge - in einem schon bestehenden zweigeschossigen Gebäude - am Solplatz ein. Im Keller befand sich das Ritualbad. Der von der Gemeinde angestellte Religionslehrer übte auch das Amt des Schächters und Vorbeters aus; allgemein war die Besetzung der Lehrerstelle einem steten Wechsel unterworfen.

                Stellenanzeigen von 1878 bzw. 1885

                weitere Stellenangebote aus den Jahren 1909 und 1925:

                         

Im Jahre 1725 erhielt die Gemeinde von der Kommune ein Grundstück außerhalb der Stadtmauer am Obertor zur Anlegung eines Friedhofs. In den 1830er Jahren wurde dieses Begräbnisareal aus sanitären Gründen geschlossen; etwa zeitgleich trat die jüdische Gemeinde Orb dem Friedhofsverband von Aufenau bei. Über viele Jahrzehnte hinweg wurden nun verstorbene Juden aus Bad Orb auf diesem jüdischen Sammelfriedhof in Aufenau beerdigt; erst ab 1932 (!) besaß die Gemeinde am Ort einen eigenen Begräbnisplatz an der Rhönstraße. 

                                Die kleine Kultusgemeinde unterstand dem Bezirksrabbinat Aschaffenburg.

Juden in (Bad) Orb:

         --- 1801 ..........................   8 jüdische Familien,

    --- 1817 ..........................  14     “       “    ,

    --- 1830 ..........................  87 Juden,

    --- 1871 ..........................  73   “  (ca. 2% d. Bevölk.),

    --- 1885 ..........................  76   “  ,

    --- 1895 ..........................  75   “  ,

    --- 1905 ..........................  86   “  ,

    --- 1925 ..........................  64   “  ,

    --- 1933 ...................... ca.  80   “  ,

    --- 1938 ...................... ca.  20   “  ,

    --- 1939 ..........................  keine.

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die Jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 2, S. 187

 

            https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20329/Bad%20Orb%20FrfIsrFambl%2028061907.jpg

Werbeanzeigen aus dem Jahre 1901/1907:  Hotel Adler  und  Pension Reis 

Jüdischen Kurgästen wurde ein Aufenthalt in Bad Orb empfohlen, wie aus einem Bericht der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 18. Mai 1933 hervorgeht:

"Bad Orb, die Perle des Spessart. ... Was für den jüdischen Kurgast als Plus hinzukommt, das ist die Tatsache, daß sich in Bad und Stadt Orb eine wohlorganisierte jüdische Gemeinde befindet, die mit ihrer schönen Synagoge, in der täglich Gottesdienst in alter frommer Weise abgehalten wird, wie mit all ihren anderen jüdischen Einrichtungen ihm alle von Haus aus gewohnten jüdischen Lebensmöglichkeiten bietet. Sodann aber findet er im Hotel Adler ein wahrhaft gastliches Heim, in dem ihm alles in höchstem Maße geboten wird, was er zu seiner Erholung braucht: Ruhe, vortreffliche Verpflegung, aufmerksame Bedienung, bei Preisen, die sich der Zeit möglichst anpassen. 
Das Orbtal und das Bad insbesondere bilden eine wahre Ruheinsel jenseits allen politischen Getriebes. ..."

Anm.: In der offiziellen Werbebroschüre der Kurstadt war bereits im Sommer 1933 zu lesen: „Juden sind unerwünscht“.

Durch Ab- und Auswanderung bereits in den ersten Jahren der NS-Diktatur verringerte sich die Zahl der Gemeindemitglieder deutlich, so dass bald keine funktionsfähige Gemeinde mehr bestand. Eine Folge war, dass das Synagogengebäude am Solplatz noch vor der „Kristallnacht“ an eine nichtjüdische Familie verkauft wurde. Die Kultgegenstände wurden - wie es dem religiösen Brauch entsprach - auf dem kleinen Friedhof vergraben.

Nach dem Novemberpogrom wurden die letzten jüdischen Bewohner Bad Orbs zwangsweise nach Frankfurt/M. umgesiedelt; von hier aus wurden die meisten von ihnen später deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sollen 29 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort ansässig gewesene Juden aus Bad Orb Opfer der NS-Gewaltherrschaft geworden sein (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/bad_orb_synagoge.htm).

 

In den Nachkriegsjahren bestand in Bad Orb/Gelnhausen eine kleine DP-Gemeinde, die sich maximal aus 55 Personen zusammensetzte; ihre Auflösung erfolgte zu Beginn des Jahres 1951.

Das ehemalige Synagogengebäude am Solplatz - zu einem Wohn- und Geschäftshaus umgebaut - ist als solches bis heute erhalten. Diesem gegenüber erinnert ein Gedenkstein mit –tafel:

     http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20197/Bad%20Orb%20Synagoge%20171.jpg Gedenktafel (Abb. J. Hahn, 2009)

undefinedEhem. Synagogengebäude (Aufn. Milseburg, 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Heute erinnert in Bad Orb die Dr.-Weinberg-Straße an den Arzt, der als einer der letzten jüdischen Einwohner zwangsweise ausgewiesen wurde.

Die erste Verlegung von sog. „Stolpersteinen“ erfolgte Ende 2012; in den Folgejahren kamen weitere hinzu.

                            drei „Stolpersteine“ in der Hauptstraße (Aufn. 2013) 

Auf dem nur wenige Jahre genutzten jüdischen Friedhof an der Rhönstraße in Bad Orb sind elf Grabsteine erhalten.

 http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20389/Bad%20Orb%20Friedhof%20IMG_6803.jpg

Jüdischer Friedhof in Bad Orb (Aufn. Reinhard Hauke, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0  und  J. Hahn, 2015)

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 187/188

Jürgen Ackermann, Von der jüdischen Gemeinde Bad Orb, in: "Mitteilungsblatt - Beiträge zur Heimatgeschichte", 13. Jg. Heft 5/1988, S. 170 - 185

Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Hessen I: Regierungsbezirk Darmstadt, VAS-Verlag, Frankfurt/M. 1995, S. 197

Germania Judaica, Band III/2, Tübingen 1995, S. 1077

Bad Orb, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Thea Altaras, Synagogen und jüdische Rituelle Tauchbäder in Hessen - Was geschah seit 1945? 2. Aufl., Königstein i. T. 2007, S. 326 f.

Helga Koch/Jochen Löber, Jüdisches Leben in Bad Orb. Auf Spurensuche, Verlag Orbensien 2009

Elsbeth Ziegler (Red.), Es ist eine Verbeugung vor den Opfern, in: "Gelnhäuser Neue Zeitung“ vom 12.11.2011

Erste Verlegung Stolpersteine in Bad Orb (Flyer), Bad Orb 2012

Elsbeth Ziegler, Schicksale, die nicht vergessen werden, in: „Gelnhäuser Neue Zeitung“ vom 18.2.2014

N.N. (Red.), Sechs weitere Stolpersteine für Bad Orb, in: "Gelnhäuser Tageblatt" vom 29.11. 2014

Erinnern an das Ungeheuerliche – Pogromnacht. Bad Orber Bürger erinnern an Demütigung und Vertreibung jüdischer Einwohner, in: „Gelnhäuser Tageblatt“ vom 25.10.2016

N.N. (Red.), Stolpersteinverlegung in Bad Orb, in: „Main-Echo“ vom 9.11.2017

Elsbeth Ziegler (Red.), Das Schicksal der Familie Seliger, in: „Gelnhäuser Neue Zeitung“ vom 9.1.2018