Bautzen (Sachsen)
Bautzen a.d. Spree ist eine Große Kreisstadt mit derzeit ca. 38.000 Einwohnern im östlichen Landesteil Sachsens westlich von Görlitz bzw. östlich von Dresden gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Bautzen', aus: ortsdienst.de/sachsen/bautzen).
Um 1360/1370 schienen in Bautzen erstmals Juden gelebt zu haben. Nach vorübergehender Vertreibung (um 1380) kamen wenige Jahre später erneut jüdische Familien hierher. Eine Urkunde des Landvogtes der Oberlausitz vom 2.Juli 1383 garantierte ihnen Sicherheit und Rechte; darin hieß es: „ ... Der Landvogt hat den Juden Elegaste, der ein Kammerknecht des böhmischen Königs ist, mit Schwiegersöhnen, Kindern und deren Ehefrauen, mit Hausgesinde, Rabbinern, Glöckner, Schreiber und Sängern, so viele davon nötig sind, unter seinen Schutz und Schirm in die Stadt Bautzen aufgenommen. Er gelobt, daß er diese alle getreulich beschirmen und beschützen wird vor jedermann gegen unrechte Gewalt. Den Juden wird der Besuch der Synagoge und das Singen darin ungehindert gestattet. Im Falle einer Anklage können die Juden nur durch das übereinstimmende Zeugnis von vier Christen und vier Juden überführt werden. Sie können ihre Häuser frei verkaufen, an wen sie wollen.” (ins Hochdeutsche übertragen)
In den 1430er Jahren folgte eine neuerliche Verfolgung, die mit einem blutigen Pogrom endete. Seit ca. 1450 durften sich Juden nicht mehr in der Oberlausitz niederlassen. Erst im 16.Jahrhundert sollen dann wieder Juden kurzzeitig in Bautzen gelebt haben; sie wurden aber, mit dem Vorwurf, sie hätten zur „Münzverschlechterung“ beigetragen, bald wieder ausgewiesen.
Bautzen um 1850 (aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Mit der sich 1868 in Sachsen vollziehenden rechtlichen Gleichstellung aller Religionen ließen sich nun auch Juden in Bautzen dauerhaft nieder. Die Gründung der neuzeitlichen "Israelitischen Religionsgemeinde" erfolgte im Jahre 1894. Gottesdienste wurden in einer Privatwohnung, an Feiertagen in dem Raume eines Hotels abgehalten. Später richtete man in einem Haus in der Töpferstraße einen ständigen Betraum ein.
Eine eigene Begräbnisstätte wurde erst um 1900 am Nordrand der Stadt - in der Nähe des katholischen Friedhofs - angelegt. Zur Synagogengemeinde gehörten auch die Juden aus Bischofswerda und Kamenz.
Juden in Bautzen:
--- um 1830 ........................ eine jüdische Familie,
--- 1872 ........................... 14 Juden,
--- 1890 ........................... 50 “ ,
--- 1895 ........................... 60 “ ,
--- 1905 ........................... 65 “ ,* * incl. Kamenz u. Bischofswerda
--- 1910 ........................... 47 “ ,
--- 1925 ........................ ca. 100 “ ,
--- 1933 ........................... 73 “ ,** ** andere Angabe: 103 Pers.
--- 1938 ........................... 45 “ ,
--- 1939 ....................... ca. 30 “ .
Angaben aus: Helmut Eschwege, Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR, Band II, S. 567 f.
Steinstraße - hist. Aufn. um 1900 und Marktplatz in Bautzen - hist. Aufn. um 1910 (beide Abb. aus: wikipedia.org, CCO)
Vor der NS-Machtübernahme lebten in Bautzen etwa 100 jüdische Bürger. Sie waren von Gesellschaft und Öffentlichkeit anerkannt und verdienten ihren Lebensunterhalt fast ausschließlich als kleine Kaufleute und Handwerker.
Während des Novemberpogroms von 1938 wurden die Geschäfte jüdischer Besitzer verwüstet, die Bewohner aus ihren Wohnungen geholt, mehrere Stunden durch die Stadt getrieben und einer johlenden Menge zur Schau gestellt. Die gedemütigten Juden wurden zudem mit Steinen beworfen und bespuckt. In letzter Minute unterblieb der Versuch, sie von einer Brücke in die Spree herunterzustürzen. In der Zwischenzeit hatte man ihre Wohnungen geplündert und den Gottesdienstraum in der Töpferstraße verwüstet. Die Polizei war angewiesen worden, sich zurückzuhalten und schritt auch nicht ein. Unmittelbar nach diesen Ereignissen mussten die meisten jüdischen Bewohner Bautzen verlassen; von Dresden aus verfrachtete man die Männer anschließend ins KZ Buchenwald. Die „Arisierung“ jüdischen Besitzes - forciert durch den NSDAP-Kreisleiter Martin - war das Ende des jüdischen Geschäftslebens in der Stadt.
Nur wenige Juden blieben in Bautzen zurück. Wem die Emigration nicht mehr gelang, der wurde 1941/1942 deportiert. Nachweislich wurden mehr als 50 aus Bautzen stammende bzw. hier längere Zeit ansässig gewesene Juden Opfer der NS-Gewaltherrschaft.
Im Frühjahr 1949 fand vor dem Landgericht in Bautzen ein Prozess statt, bei dem einige Aktivisten der antisemitischen „Aktionen“ angeklagt waren. Das Gericht verurteilte die neun Angeklagten zu relativ langen Freiheitsstrafen.
Auf dem israelitischen Friedhof in Bautzen in der Muskauer Straße sind ca. 20 Grabsteine zu finden.
Jüdischer Friedhof (Aufn. Bernd Gross, 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Auf dem Gelände wurde 1950 eine Gedenkanlage für die ca. 200 hier beerdigten KZ-Häftlinge eines Außenlagers des KZ Groß-Rosen eingeweiht. Unter den bei dem Todesmarsch Umgekommenen befanden sich auch 43 Juden.
Auf Beschluss des Bautzener Stadtrats (2007) wurden in den Gehwegen der Stadt sog. „Stolpersteine“ verlegt; derzeit findet man im Stadtgebiet mehr als 30 messingfarbene Steinquader (Stand 2024), die an Opfer der NS-Gewaltherrschaft erinnern.
einige "Stolpersteine" in Bautzen (Aufn. Bernd Gross, 2018, aus: wikipedia.org, CCO)
In Wittichenau – ca. 30 Kilometer nördlich von Bautzen – erinnern fünf sog. „Stolpersteine“ an Angehörige der jüdischen Familie Neufeld, die im Zuge der sog. „Polen-Aktion (Okt. 1938) deportiert und später ermordet wurden.
verlegt in der Hosker Straße (Aufn. Bernd Gross, 2018, aus: wikipedia.org, CCO)
In Bischofswerda – ca. 20 Kilometer südwestlich von Bautzen – wurden 2015 drei sog. „Stolpersteine“ im Gehweg der Bischofstraße eingelassen, die an Angehörige der jüdischen Familie Hoffmann erinnern
Aufn. B. Gross, 2018, aus: wikipedia.org, CCO
Auch im sächsischen Neustadt – ca. 30 Kilometer südwestlich von Bautzen – wird seit 2021 mit „Stolpersteinen“ an drei ehemalige jüdische Einwohner erinnert, die in der Kleinstadt gelebt haben. Die Initiative für die Verlegung der messingfarbenen Steinquader ging von zwei Schülerinnen des Goethe-Gymnasiums Sebnitz zurück.
2022 wurden zwei sog. „Stolpersteine“ vor dem Altmarkt in Löbau (ca. 20 Kilometer südöstlich von Bautzen) verlegt, die an das Ehepaar Helene und Adolf Grünewald - sie hatten im Ort ein Schuhgeschäft betrieben - erinnern sollen.
verlegt am Altmarkt, Aufn. DJB 2023, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0
Weitere Informationen:
Erich Lodni, Die Bautzener Kristallnacht 1938, in: "Kulturschau", No. 11/1963, S. 2/3
Helmut Eschwege, Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR, Dresden 1990, Band II, S. 567 f.
Zeugnisse jüdischer Kultur - Erinnerungsstätten in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, Tourist Verlag GmbH, Berlin 1992, S. 215 - 217
Juden in Sachsen - Ihr Leben und Leiden, Hrg. Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Dresden e.V., Evangelische Verlagsanstalt Leipzig 1994, S. 9
M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 243/244
H.E.Kaulfürst/A.Bockholt, Die letzten Zeugen Moses - Jüdisches Leben in Bautzen - aufgezeichnet aus der Erinnerung von Zeitgenossen, in: Juden in der Oberlausitz, Lusatia Historie, Lusatia-Verlag, Bautzen 1998, S. 134 ff.
Roland Baier, Vom Leben jüdischer Menschen in Bautzen, in: "Zwischen Wesenitz und Löbauer Wasser - Heimatblätter im Landkreis Bautzen", 3/1998, S. 53 - 62
Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus - Eine Dokumentation II, Hrg. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1999, S. 623 f.
Klaus Hesse/Philipp Springer, Vor aller Augen - Fotodokumente des nationalsozialistischen Terrors in der Provinz, Klartext Verlag, Essen 2002, S. 111
Katrin Griebel/Roman Koenig, Juden in Bautzen. Zwischen Duldung und Verfolgung, in: Stadtarchiv Bautzen (Hrg.), Von Budissin nach Bautzen. Beiträge zur Geschichte der Stadt Bautzen, Bautzen 2002, S. 134 - 145
Hagen Schulz (Red.), Sieben Stunden durch Bautzen getrieben, in: „Sächsische Zeitung“ vom 10.11.2007
Sonderausstellung „Zuhause in Bautzen – Leben und Schicksal Bautzener Juden 1871 – 1945“, Museum Bautzen, Nov. 2008 – Jan. 2009
Hagen Schulz, Integration, Ausgrenzung, Verfolgung. Zur Geschichte des jüdischen Lebens in Bautzen, in: "Lausitzer Almanach: Erlebtes und Sehenswertes", 4/2009, S. 133 - 139
Bautzen – Jüdischer Friedhof. Bilderserie von Brigitte Drinkmann, 2009 (in: friedhof-ansichten.de)
Jüdischer Friedhof Bautzen, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Aufnahmen)
Stolpersteine in Bautzen, online abrufbar unter: bautzen.de
Auflistung der in Bautzen verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Bautzen
Carmen Schumann (Red.), Gedenken an den Stolpersteinen, in: „Sächsische Zeitung“ vom 11.7.2017
Auflistung der in Wittichenau verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Wittichenau
Auflistung der in Bischofswerde verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Bischofswerda
Janis Müller (Red.), Drei neue Stolpersteine für Bautzen, in: radiiolausitz.de vom 2.12.2019
Anja Weber (Red.), Jetzt hat auch Neustadt Stolpersteine, in: „Sächsische Zeitung“ vom 25.8.2021
N.N. (Red.), Löbau bekommt die ersten „Stolpersteine“, in: „Sächsische Zeitung“ vom 23.9.2022
Katja Schlenker (Red.), Drei neue Stolpersteine in Bautzen erinnern an jüdische Familie, in: „Sächsische Zeitung“ vom 4.10.2023
Miriam Schönbach (Red.), Verborgene Geschichte: Wo in Bautzen Stolpersteine an den Holocaust erinnern, in: „Sächsische Zeitung“ vom 8.11.2024