Bechtheim (Rheinland-Pfalz)

Datei:Bechtheim in AZ.svg Das ehemals rheinhessische Bechtheim mit derzeit ca. 1.800 Einwohnern ist heute ein Ortsteil der Verbandsgemeinde Wonnegau im Landkreis Alzey-Worms – ca. 15 Kilometer nördlich von Worms gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Alzey-Worms' mit Bechtheim rot markiert, Hagar 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

In der heute rheinland-pfälzischen Ortschaft Bechtheim haben sich vermutlich im 18.Jahrhundert jüdische Familien angesiedelt, die dem Grafen von Leiningen unterstanden und ihm gegenüber schutzgeldpflichtig waren. Als die jüdische Gemeinde in den 1850er Jahren ihren Höchststand erreicht hatte, errichtete man ein neues, aus Bruchsteinen gefertigtes Synagogengebäude, das einen älteren Bau ersetzte. In der Urkunde der Grundsteinlegung hieß es:

“ Bechtheim, den 4.März i. Jahre 5615 - ist das Jahr 1855 - nach Erschaffung der Welt. Heute Versammelt sich die israelische Gemeinde dahier z. Bechtheim im Großherzogtum Hessen - Provinz Rheinhessen Kreis Worms und legte den Grundstein zu einer neuen Synagoge, - welche aus Mitteln der Gemeinde u. verschiedene milde Beiträge von manche Wohltäter erbaut wird, - ... Das Grundeigentum der Gemeinde besteht gegenwärtig aus:

a  einem Wohnhaus für den Lehrer, - worin zugleich das Lokal, in welchem der Unterricht der Schuljugend ertheilt wird sich befindet, nebst angrenzentem Garten auf dessen oberen Theil die Synagoge erbaut wird

b  einem alten Wohnhäuschen an dem Raume, wo bisher die alte Synagoge gestanden, und nahe dabei ein Frauenbad. “

(Text aus Gemeindearchiv Bechtheim)

Über die Einweihungsfeierlichkeiten im Januar 1857 informiert ein Bericht in der „Allgemeinen Zeitung des Judentums”  vom  9.2.1857:

Bechtheim in Rheinhessen, 26. Januar (Privatmitth). Bechtheim im Rabbinatssprengel Worms, zählte vor wenigen Jahren noch über 30 israelitische Familien, reduzierte sich jedoch in Folge der Auswanderung nach Amerika auf 20 Familien. Dieselben, unterstützt von einigen auswärtigen Gönnern, ... haben nun größtenteils aus eigenen Mitteln eine Synagoge erbaut, deren Geschmack, Eleganz und reichliche Ausstattung sicherlich in keiner Landgemeinde ganz Süddeutschlands zum zweiten Mal anzutreffen sein dürfte. Dieses Gotteshaus ist jetzt die einzige und wahre Zierde des Orts geworden. Freitag, den 23. dieses Monats, fand die Einweihung durch den Prediger Herrn Dr. Levysohn in Worms statt. ( ... ) zum Abschiede von dem Herrn Prediger in das Gotteshaus sich versammelten. Mehr als 300 Glaubensgenossen von inner- und außerhalb des Kreises fanden sich zur Feier ein, und alle begingen ein dreitägiges Fest, das jedem Teilnehmer unvergesslich bleiben wird. Die Einweihungspredigt nebst einem geschichtlichen Anhang über den Bau der Synagoge sind dem Drucke übergeben worden. Möglich die fernen Freunde in Amerika, die ebenfalls ihr Scherflein zum Bau dieses wahrhaft prächtigen Gotteshauses beigetragen, beim Lesen dieser Zeilen die gerechte und wohlverdiente Freude sich gönnen. ...

              Der jüdische Friedhof in Bechtheim diente verstorbenen Juden aus acht umliegenden Ortschaften als zentrale Begräbnisstätte.

Juden in Bechtheim:

         --- 1804 ..........................   60 Juden,

    --- 1824 ..........................   89   “  ,

    --- 1830 ..........................   99   “  ,

    --- um 1845 ................... ca.   30 jüdische Familien,

    --- um 1855 ................... ca.  140 Juden (in 19 Familien),

    --- 1861 ..........................   96   “   ,

    --- 1880 .......................... wenige “ (?),

    --- 1885 .......................... keine,

    --- 1931 ..........................    2   “   .

Angaben aus: Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff, Synagogen. Rheinland-Pfalz und Saarland, S. 99

 

In den Jahrzehnten nach 1860 verzogen fast alle jüdischen Familien in die größeren Städte, so nach Worms, Mainz und Frankfurt/M. oder wanderten in die USA aus.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2081/Bechtheim%20Israelit%2029061870.jpg aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29.6.1870

Mitte der 1870er Jahre schloss die jüdische Schule ihre Pforten; auch die Synagoge wurde nun nicht mehr genutzt und um 1900 an die Kommune veräußert, die sich im Kaufvertrag verpflichten musste, das Gebäude nicht als Scheune oder Stall zu nutzen.

Kurznotiz aus der Zeitschrift „Der Israelit” vom 9. August 1897

Anfang der 1930er Jahre lebten nur zwei Bewohner jüdischen Glaubens am Ort.

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20456/Bechtheim%20Juedische%20Rundschau%2019350827.jpg aus: "Jüdische Rundschau" vom 27.8.1935

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ wurden drei aus Bechtheim stammende jüdische Bewohner Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/bechtheim_synagoge.htm).

 

Jahrzehntelang wurde das Synagogengebäude als Kindergarten genutzt. Anschließend ging es in den Besitz der Evangelischen Kirchengemeinde über, die es abreißen wollte. Doch nach Einspruch der Denkmalbehörde blieb das Gebäude erhalten und dient nun als Evang. Gemeindehaus. Eine Tafel erinnert wie folgt an seine Geschichte:

1. Mose 28.17 :

Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels.

Im Jahre 5615 jüdischer Zeitrechnung

1855 - 1874 Synagoge

1895 - 1962 Kleinkinderschule

seit 1962 Evangelisches Gemeindehaus

   

Ehem. Synagogengebäude (Aufn. M. Ohmsen, 2011, aus: alemannia-judaica.de)  –  Bauinschrift* (Aufn. 2005)

* Die Inschrift aus 1. Mose 28.7 lautet: "Hier ist nichts anderes als Gottes Haus und hier ist die Pforte des Himmels"; in der unteren Zeile steht die Jahreszahl (5)616 = 1855/1856

                http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20302/Bechtheim%20Denkmal%20121.jpg Am Marktplatz erinnert eine steinerne Tafel an die jüdische Geschichte Bechtheims.

Die ehemalige Synagoge.

Das Erbauungsjahr der Synagoge ist nach jüdischer Zeitrechnung mit 5615 angegeben. 30 israelische Familien wohnten einst in Bechtheim und erbauten die Synagoge aus eigenen Mitteln. Nach einem Ratsprotokoll von 1885 waren alle israelische Familien verzogen oder nach Amerika ausgewandert. Die Gemeinde Bechtheim erwarb die Synagoge im Jahr 1900, um sie bis 1963 als Kindergarten zu nutzen. Seit 1963 dient sie als evangelisches Gemeindehaus.  

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20302/Bechtheim%20Denkmal%20122.jpg Eine der den Obelisk umgebenden kleinen Stelen trägt obig genannte Inschrift (Aufn. J. Hahn, 2011).

Joseph Simon wurde 1851 in Bechtheim als Sohn jüdischer Eltern geboren; diese wanderten mit ihm bereits ein Jahr später in die USA aus und ließen sich in Portland (Oregon) nieder. Joseph Simon avancierte dort zum Senator des Bundesstaats von Oregon. Er starb 1935 in Portland.

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 57

Heinrich Matthias Bender, Bechtheim ‘Kleinod des Wonnegaus’ seine Geschichte (Manuskript), Bechtheim 1976

Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff, “ ... und dies ist die Pforte des Himmels”. Synagogen. Rheinland-Pfalz und Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Verlag Ph. von Zabern, Mainz 2005, S. 99/100

Bechtheim, in: alemannia-judaica.de