Bechhofen (Mittelfranken/Bayern)
Bechhofen ist ein Markt im Kreis Ansbach mit einer Bevölkerung von derzeit ca. 6.000 Einwohnern; die Ortschaft liegt etwa 15 Kilometer südlich von Ansbach (Kartenskizze 'Landkreis Ansbach', Hagar 2010, aus: wikipedia.org, CC SA-BY 3.0).
Die erste Erwähnung von in Bechhofen lebenden Juden datiert bereits aus dem Jahre 1270. Schon früh fand sich hier eine jüdische Gemeinde zusammen, denn die hiesige Grundherrschaft des Adelsgeschlechts derer von Seckendorff gewährte jüdischen Familien, die aus den nahen Reichsstädten vertrieben worden waren, in Bechhofen Schutz und die Erlaubnis zur Ansiedlung. Während des Dreißigjährigen Krieges soll die zuvor blühende jüdische Gemeinde schwer gelitten haben, denn ihre Familienzahl ist damals stark dezimiert worden; doch erholte sie sich in den Folgejahrzehnten wieder. Die Zahl ihrer Angehörigen soll um 1800 etwa 60% (!) der Einwohner des Dorfes ausgemacht haben. Die jüdische Bevölkerungsmehrheit blieb dann bis in die Mitte des 19.Jahrhunderts erhalten.
„Scheunensynagoge“ (Abb. aus: "Bayerische Israel. Gemeindezeitung" vom 15.4.1936)
Die um 1685 erbaute „Scheunen-Synagoge“ - sie löste eine um 1620 erbaute ab - war mit markgräflicher Erlaubnis errichtet worden und galt als eines der wertvollsten israelitischen Gotteshäuser auf deutschem Boden. Die farbenprächtigen Malereien im Inneren soll der umherreisende, aus Brody/Galizien stammende jüdische Maler Elieser Sussmann in den Jahren um 1730 angefertigt haben. Bei den Malereien handelte es sich um Abbildungen des Tempels von Jerusalem und um Abschriften hebräischer Gesetzestexte. Elieser Sussmann malte zwischen 1730 und 1740 mehrere Beträume im fränkisch-schwäbischen Raum nach Art der barocken Holzsynagogen in Polen aus. Neben der von Bechhofen - „wahrscheinlich das flächenmäßig umfänglichstes Werk in Franken“ - soll er auch die Synagogen von Horb/Main, Unterlimpurg und Colmberg mit Malereien versehen haben.
Malereien in der Synagoge Bechhofen (Aufn. Alfred Evers und Josef Ritz, vor 1930 ) - Segensspruch als Teil der Verzierungen (hist. Abb.)
Eine Beschreibung der „Scheunensynagoge“ lieferte der Bechhofener Hauptlehrer M. Jankelowitz (1926):
„ ... Betreten wir dies Gotteshaus, so bleibt man gebannt an der versteckt liegenden Eingangstür stehen. Nicht das Weihevolle ist es, nicht die feierliche Stille der Stätte Gottes, die so überwältigend auf den Beschauer eindringt, nein, dieses ungeahnte Schöne und Fremde an Farbenmannigfaltigkeit benimmt uns das Wort. Diese wunderbare Verkörperung des Gotteshausidee ist es, die um so mehr wirkt, je weniger man es von außen hat vermuten können. Man hat sogleich das Gefühl, daß selbst das prächtigste Gotteshaus der Gegenwart nicht entfernt den Kunstreichtum und die Farbenpracht aufzuweisen hat wie dieses von außen einer Scheune gleichende Gebäude. Eine fast ebenso breite als lange, ein Segmentgewölbe tragende Halle umfängt uns. Alle vier Wände sind bis auf das letzte Eckchen bemalt, zum großen Teil mit Psalmen und Gebeten im hebräischen Originaltext. Den oberen Teil der Ost- und Westwand hat der Künstler benützt, um die jüdischen Feste in schön durchdachten Allegorien auszuführen. Die Nord- und Südwand zeigen uns Darstellungen aus dem ehemaligen Tempel in Jerusalem. ... “
An den Hauptraum schloss sich die sog. „Frauenschul“ an - ein Andachtsraum für die weiblichen Gemeindemitglieder, der durch ein rautenförmiges Gitter abgetrennt war. Darüber befanden sich Wohnräume.
In Colmberg, ebenfalls im Landkreis Ansbach gelegen, hatte Elieser Sussmann den Synagogenraum in ungefähr gleicher Weise ausgestaltet. [vgl.: Colmberg (Bayern)]
Zu den Kultuseinrichtungen zählten auch mehrere Mikwen, die in Kellern von Privathäusern untergebracht waren.
Abseits vom Dorf lag auf einem Hügel der Friedhof der Kultusgemeinde. Der älteste lesbare Grabstein lässt den Schluss zu, dass dessen Anlage spätestens zu Beginn des 17.Jahrhunderts erfolgt sein muss. Auf dem großflächigen Friedhofsgelände fanden neben Bechhofener Juden auch Verstorbene aus mehr als 15 Ortschaften, darunter Ansbach, Gunzenhausen, Lehrberg, Leutershausen, Treuchtlingen und Wassertrüdigen ihre letzte Ruhe. Somit kam dem jüdischen Verbandsfriedhof für die ansbachische Landjudenschaft wie auch für einen Teil der in reichsritterschaftlichen Orten lebenden Juden eine zentrale Bedeutung zu. Aus einer Beschreibung des Friedhofs von M. Jankelowitz (1926):
„ ... Eine schöne Lage hat der Friedhof. Ungefähr 15 Minuten vom Ort, hoch auf einem Hügelzug gelegen, von zwei Seiten von Wald eingeschlossen, bietet er einen schönen Rundblick über das Altmühltal, über den Hesselberg hinüber nach Württemberg und über die Ausläufer des Fränkischen Jura. – Hier wird noch die schöne, alte religiöse Tradition aufrechterhalten: Vor dem Tode ist alles gleich, und gleich werden alle behandelt. So ist das Grab des Reichen so schmucklos wie das des Armen. Aber diese schlichte Schmucklosigkeit wirkt eben so eindrucksvoll und vermittelt so recht das Bild der Ruhe, das all die müden Erdenpilger hier gefunden haben und noch finden. Dazu sorgt die Natur für ein abwechslungsreiches Bild und gibt dem Beschauer Gelegenheit, vom frühen Frühlingsmonat bis hinein in den Spätherbst an immer neuen Farben sich zu freuen, den Ort dadurch zu einer wahren Stätte des ewigen Friedens machend. ...“
Juden in Bechhofen:
--- um 1560 ....................... 7 jüdische Familien,
--- um 1605 ....................... 20 “ “ ,
--- 1713 .......................... 13 “ “ (82 Pers.),
--- 1807 .......................... 39 “ “ (ca. 140 Pers.),
--- 1833 .......................... 42 “ “ (ca. 170 Pers.),
--- um 1855 ................... ca. 25 “ “ ,
--- 1871 .......................... 91 Juden (ca. 12% d. Bevölk.),
--- 1880 .......................... 89 " ,
--- 1890 .......................... 67 “ (ca. 8% d. Bevölk.),
--- 1900 .......................... 52 " ,
--- 1910 .......................... 44 “ (ca. 4% d. Bevölk.),
--- 1925 .......................... 28 “ ,
--- 1933 .......................... 31 “ ,
--- 1938 (Sept.) .................. 10 “ ,
(Dez.) ................... keine.
Angaben aus: Herbert Dommel, Juden in Bechhofen (Maschinenmanuskript, 2002)
Ihre Blütezeit erlebte die jüdische Gemeinde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Anzeigen in der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 30.3.1903 und vom 30.10.1924
Neben dem Viehhandel bildete der Kleinhandel die Lebensgrundlage der meisten jüdischen Familien. Die Bechhofener Juden hatten im 19.Jahrhundert auch wesentlichen Anteil an der Etablierung eines spezifischen lokalen Handwerks, nämlich der Pinselherstellung. Der Gründer des größten Unternehmens dieser Art am Ort war ein Jude. Die Pinselfertigung brachte Bechhofen einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung; die Produkte wurden weltweit vertrieben. Eine erste Auswanderungswelle erfasste die Bechhofener Juden in den 1850er Jahren, als knapp die Hälfte von ihnen das Dorf verließ, um in Nordamerika eine neue Existenz aufzubauen. Zu Beginn der NS-Zeit lebten dann nur noch wenige jüdische Familien mit etwa 30 Personen im Ort.
Scheunensynagoge vor ihrer Zerstörung (Aufn. nurinst-archiv)
Während des Pogroms vom November 1938 wurde das Synagogengebäude mitsamt der kulturhistorisch wertvollen Innenausstattung und der Ritualien niedergebrannt. Obwohl das Gebäude damals unter Denkmalschutz stand, gab die NSDAP-Gauleitung den Befehl zur Zerstörung. Die jüdischen Bewohner hatten Bechhofen bis dahin bereits verlassen; sie waren Mitte September 1938 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus ihren Häusern geholt und dann aufgefordert worden, den Ort zu verlassen. In einem Bericht des Reg.präsidenten Ober- u. Mittelfranken vom 7.10.1938 hieß es dazu:
„ .... In den Tagen der drohenden Kriegsgefahr trat die gehässige Gesinnung der Juden wieder so recht in Erscheinung. Die Juden zeigten ein anmaßendes, herausforderndes Benehmen ... Infolge der Mord- und Greueltaten an Sudetendeutschen in der Tschechoslowakei machte sich in der Marktgemeinde Bechhofen ... und in Wilhermsdorf ... eine große Empörung gegen die dort wohnenden Juden geltend. Die Juden haben daraufhin Bechhofen und Wilhermsdorf verlassen. Diese Gemeinden sind nunmehr ebenso wie der gesamte Bezirk Feuchtwangen völlig judenfrei. ...”
Auch das Taharahaus auf dem Friedhof wurde in der Pogromnacht zerstört.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind 25 aus Bechhofen stammende Juden Opfer des Holocaust geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/bechhofen_synagoge.htm).
Am 50.Jahrestag der „Kristallnacht“ wurde auf dem Areal der „Scheunensynagoge“ eine Metallplatte in den Boden eingelassen, die auf den ehemaligen Standort des Gotteshauses verweist. Zudem wurde ein steinernes Mahnmal errichtet, das einen brennenden Dornbusch symbolisiert und die Worte trägt: „Ihrer will ich gedenken, und mein Herz will ich ausschütten für jene, welche einst in dichten Scharen zum Hause des Ewigen dahinzogen.“
Mahnmal (Aufn. Bertramz, 2022, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0 und aus: frankentourismus.de)
Schüler der Staatlichen Berufsschule Rothenburg-Dinkelsbühl erstellten 2001 ein Modell im Maßstab 1:10; zudem rekonstruierten sie den Innenraum. Inzwischen ist auch eine digitale Rekonstruktion der „Scheunensynagoge“ erfolgreich abgeschlossen.
Modell der Scheunensynagoge und Blick ins Innere (Aufn. AWO-Therapiezentrum)
Anlässlich des 75.Jahrestages des Synagogenbrandes wurde eine Gedenkmauer erstellt, die namentlich die 32 jüdischen Opfer der Bechhofener Gemeinde aufführt.
Gedenkmauer in Bechhofen (Aufn. aus: steinmetz-herrieden-bechhofen.de/denkmalpflege/)
Hinweise auf das jüdische Leben in der Region gibt heute das auf einer Anhöhe vor dem Ort liegende Friedhofsareal, auf dem schätzungsweise 8.000 Juden aus Bechhofen und dem Umland ihre letzte Ruhe gefunden haben. Etwa 2.300 Grabsteine haben die Zeiten überdauert. Damit gehört der von einer massiven Steinmauer umschlossene jüdische Friedhof zu den größten Deutschlands.
Friedhofseingang (Aufn. Reinhardhauke, 2013, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Impressionen vom jüdischen Friedhof Bechhofen (Aufn. Alexander Biernoth, aus: juedischer-friedhof-bechhofen.de)
Weitere Informationen:
Thomas Stettner, Der jüdische Friedhof in Bechhofen, in: „Das Bayerland“, No. 15/1904, S. 245
Max Jankelowitz, Die berühmte Synagoge und der Judenfriedhof in Bechhofen (Mittelfranken), in: „Das Bayerland“ (Sonderheft) XXXVII/20, Okt. 1926, S. 605 - 613
Theodor Harburger, Werke jüdischer Volkskunst in Bayern, in: Bayerische Israelitische Gemeindezeitung, München (Ausg. Juli 1931), S. 195 – 199
Willy Goldberg, Geschichtliches aus der jüdischen Gemeinde nach unveröffentlichten Akten, in: "Bayerische Israelitische Gemeindezeitung" vom 1.4.1936, S. 150
David Davidovicz, Wandmalereien in alten Synagogen. Das Wirken des Malers Elieser Sussmann in Deutschland, Hameln/Hannover 1969
Baruch Z. Ophir/F. Wiesemann (Hrg.), Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, München/Wien 1979, S. 162 - 164
Adolf Lang, Bechhofen und seine zerstörte Synagoge, aus: „Ansbach gestern und heute“, No. 42/1986, S. 991 - 1002
Gerhard Wilhelm Daniel Mühlinghaus, Der Synagogenbau des 17. u. 18.Jahrhunderts im aschkenasischen Raum, Dissertation Philosophische Fakultät Marburg/Lahn, 1986, Band 2, S. 52 - 59
Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 154
Michael Trüger, Der jüdische Friedhof in Bechhofen, in: Der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, 9.Jg., 62/1994, S. 14
Theodor Harburger, Die Inventarisation jüdischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Bayern, Band 2: Adelsdorf - Leutershausen, Hrg. Jüdisches Museum Franken - Fürth & Schnaiitach, Fürth 1998, S. 92 - 111
Markt Bechhofen, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Bild- u. Textdokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Synagoge Bechhofen - Rekonstruktion einer Synagoge. Dokumentationen (Stand 2001), Hrg. Staatliche Berufsschule Rothenburg-Dinkelsbühl, Team der ‘Fränkischen Handwerkerkrippe’
Herbert Dommel, Juden in Bechhofen, Maschinenmanuskript, Bechhofen 2002
Karl Ernst Stimpfig, Die Juden in Bechhofen, ihre Synagoge und ihr Judenfriedhof. Eine Dokumentation, Eigenverlag, o.O. 2003
Ralf Rossmeissl, Jüdische Heimat Bechhofen, Maschinenmanuskript 2004
Herbert Dommel, Vom Händler zum Pinselfabrikanten. Die Familien Schloß & Steindecker. Jüdische Arbeitgeber in Bechhofen - Ein biografischer Versuch mit geschichtlichen Nachweisen, in: "Kleine Schriftenreihe Region Hesselberg", Band 5, Unterschwaningen 2008
B. Eberhardt/H.-Chr. Haas, Bechhofen, in: Mehr als Steine ... Synagogengedenkband Bayern, Band 2, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2010, S. 109 – 129
Horst M. Auer (Red.), Wo Steine sprechen. Ehepaar dokumentiert jüdischen Friedhof Bechhofen, in: nordbayern.de vom 5.8.2010
MAKOM SCHENAHAGO. Die Gebräuche der Gemeinde Bechhofen. Die Gebräuche der Synagoge - Die Bestattungsvorschriften - Das Gedenkbuch der Verstorbenen. Das Originalmanuskript wurde verfasst von Uri Schraga Rosenstein. Geistlicher Führer von Bechhofen 1867-1903. Herausgegeben und kommentiert von Rabbiner Shlomo Katanka, einschließlich einer umfangreichen Darstellung der Geschichte der jüdischen Gemeinde Bechhofen von Rabbiner Mordechai Doerfer. Machon Morescheth Aschkenas - Institut für das Erbe des deutschen Judentums, London 5771 - MMXI (2011)
Herbert u. Claudia Dommel (Bearb.), Markt Bechhofen an der Heide. Biographisches Gedenkbuch an die Opfer der Schoa und deren Familien, Hrg. Evang.-Lutherische Kirchengemeinde Bechhofen, Bechhofen 2013
Heinz Meyer, „Mauer schreiender Steine“ - Bechhöfer Gedenkstätte erinnert an die Judenverfolgung vor Ort, in: "Evangelisches Sonntagsblatt Rothenburg", Okt. 2013 (Anm.: Artikel zur Einweihung der Shoa-Gedenkstätte)
Frankenbund E.V. – Gruppe Ansbach (Hrg.), Der jüdische Friedhof Bechhofen an der Heide (Dokumentation), 2013, online abrufbar unter: juedischer-friedhof-bechhofen.de
Hans-Rainer Preiss, Der jüdische Friedhof und die Synagoge von Bechhofen im Herbst 2014, online abrufbar unter: worksheets.de
Nur noch Steine zeugen vom jüdischen Landleben in Franken: Bechhofen – Scheunensynagoge und Jahrhunderte alte steinerne Zeugnisse, in: haGalil.com vom 18.9.2017