Beckum (Nordrhein-Westfalen)

Datei:Münsterland topo.jpgDatei:Beckum in WAF.svg Beckum ist eine Stadt mit derzeit ca. 37.000 Einwohnern im Kreis Warendorf in Nordrhein-Westfalen – zwischen Gütersloh und Hamm gelegen (aktuelle Karte des Münsterlandes und Kartenskizze 'Kreis Warendorf', TUBS 2013 bzw. 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Vermutlich haben bereits zu Beginn des 14.Jahrhunderts in Beckum einige wenige Juden gelebt, die aber im Gefolge der Pestpogrome von 1348/1349 von hier verjagt wurden. Das älteste bekannte Dokument (ein Ehescheidungsbrief), das sich auf Juden in Beckum bezieht, stammt aus dem Jahre 1343. Damit ist Beckum die einzige Stadt im östlichen Münsterland, in der sich vor 1350 jüdische Ansiedlung nachweisen lässt. Erst gegen Mitte des 16.Jahrhunderts ist dann wieder eine jüdische Familie in Beckum urkundlich genannt: die des Simon aus Herford, die unter dem Schutz des Münsteraner Bischofs stand und für ein auf zehn Jahre befristetes Wohnrecht ein Schutzgeld zahlte. Aus dem Geleitbrief des Simon von Beckum:

„ Wir, Franziskus, von Gottes Gnaden Bischof von Münster und Osnabrück, Administrator zu Minden, tun kund und bekennen, daß wir durch die besondere Fürbitte, die an uns geschieht, den gegenwärtigen Simon, Juden von Herford, mit seiner ehelichen Hausfrau, seinen Kindern und seinem Hausgesinde abermals die zehn nächsten Jahre lang in unserem Stift Münster, dessen Herrlichkeit und Gebieten unseren Schutz und unser Geleit gegeben haben und geben, in Macht dieses unseres Briefes, hereinzukommen und zu verbleiben, sich auch binnen unserer Stadt Beckum mit der Wohnung aufzuhalten, zu kaufen, zu verkaufen und seinen jüdischen Handel zu treiben und zu gebrauchen in aller Gestalt und Maßen, wie wir dies anderen Juden in unserem Stift Münster gleichfalls vermöge der kaiserlichen Bestimmung verschreiben und gestatten, doch mit dem Bescheide und der Vorgabe, daß durch ihn von unseren Untertanen und von jedermann, die ihres Geldes bedürfen und es begehren, in jeder Woche von einem Goldgulden zwei unserer münsterischen Pfennige und nicht mehr bei Vermeidung unserer Strafe soll genossen und genommen werden und uns auch für diese unsere Begnadung der genannte Jude Simon alle und in einem jeden dieser vorgenannten zehn Jahre sehcs Goldgulden geben und vermögen. ....”

                      (übersetzt ins Hochdeutsche, nach Hugo Krick, Geschichte und Schicksal der Juden in Beckum, S. 34/35)

Eine dauerhafte jüdische Ansiedlung in Beckum gab es im 16.Jahrhundert jedoch noch nicht, denn immer wieder traten die Stände und der Stadtrat auf den Plan, um durch Repressalien und Verbote den jüdischen Bewohnern das Leben schwer zu machen und sie zu veranlassen, aus der Stadt fortzuziehen. Nach dem Tode des Fürstbischofs Franz von Waldeck (gest. 1553), der eine judenfreundliche Politik betrieben hatte, verschlechterte sich die Lage der Juden im Hochstift Münster deutlich; hiervon waren wohl auch die Beckumer Juden betroffen.


Stadtansicht von Beckum – Stich M. Merian, um 1650 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Erst im ausgehenden 17.Jahrhundert setzte dann eine kontinuierliche Ansiedlung jüdischer Familien in der Stadt einwie Steuerlisten seit 1675/1680 belegen. Als gegen Mitte des 18.Jahrhunderts sechs jüdische Familien in Beckum ansässig waren, bekräftigte man die Absicht, eine Synagoge zu bauen: Wir wollen ein Gotteshaus bauen, das unübersehbar groß ist, und das Dach soll reichen bis an die Wolken”. Drei Jahre später konnte dann der Eintrag ins Gemeindebuch erfolgen: „Im Jahre 5503 (Anm.: 1743) wurde unter großen Opfern und schwierigen Verhältnissen aus eigener Kraft unser Gotteshaus vollendet.” Das Synagogengebäude, das auch die jüdische Religionsschule und später die Lehrerwohnung beherbergte, befand sich an der Nordstraße.

Mehr als 120 Jahre später ließ die inzwischen gewachsene Gemeinde - jüdische Familien aus Herzfeld, Liesborn und Lipporg waren nach Beckum gezogen - auf dem gleichen Grundstück ein neues Gemeindehaus (mit Schule u. Lehrerwohnung) und eine Synagoge bauen; das aus Backsteinen errichtete Synagogengebäude mit recht unscheinbarer Straßenfront wurde im Sommer 1867 feierlich eingeweiht; dessen Finanzierung war teilweise vom Verkauf der Betplätze erfolgt. Da das Gebäude nicht beheizbar war, fanden winters gottesdienstliche Zusammenkünfte im Gemeindehaus statt.

Eine jüdische Begräbnisstätte in Beckum ist erstmals um 1690 erwähnt. Das Grundstück an der Bleiche - auf dem Ostwall der mittelalterlichen Stadtbefestigung gelegen - konnten die Juden vom Rat der Stadt erwerben; durch Grundstückszukäufe wurde das Friedhofsgelände in den 1880/1890er Jahren erweitert.

Juden in Beckum:

         --- um 1680 ..........................   3 jüdische Familien,

    --- um 1740 ..........................   4     “       “    ,

    --- um 1785 ..........................   9     “       “    ,

    --- 1828 .............................  79 Juden,

    --- 1840 .............................  68   “  ,*

    --- 1850 .............................  89   “  ,*

    --- 1895 .............................  64   “  ,

    --- 1925 ......................... ca. 110   “  ,*

    --- 1933 ............................. 100   “  ,*

    --- 1937 (Okt.) .................. ca.  35   “  ,

    --- 1938 (Febr.) .....................  24   “  ,

    --- 1942 (Aug.) ......................  keine.       * Synagogengemeinde

Angaben aus: Hugo Krick, Geschichte und Schicksal der Juden in Beckum

Beckum. NordstraßeNordstraße in Beckum um 1900 (hist. Postkarte)

 

Das Zusammenleben der jüdischen Minderheit mit der christlichen Mehrheit soll seit der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts weitgehend problemlos verlaufen sein, und die jüdischen Bewohner waren überwiegend in die Kleinstadtgesellschaft integriert. Als Inhaber von Geschäften spielten sie im wirtschaftlichen Leben der Stadt eine bedeutende Rolle.

Zeitungsinserate jüdischer Geschäfte in Beckum:

 

Mit Beginn der NS-Zeit begannen auch in Beckum die antijüdischen „Aktionen“. Infolge der zunehmenden Repressionen kam es zur Ab- und Auswanderung zahlreicher jüdischer Familien. Bereits Ende 1937 waren etwa zwei Drittel der jüdischen Gemeindeangehörigen nicht mehr in Beckum wohnhaft. Durch Emigration nach Palästina, Großbritannien und in die USA konnten sie sich vor weiterer Verfolgung in Sicherheit bringen.

In den Novembertagen des Jahres 1938 wurden jüdische Wohn- und Geschäftshäuser Ziel gewalttätiger Ausschreitungen, die von in Zivil gekleideten SA- und SS-Angehörigen begangen wurden; ein jüdischer Bewohner starb an den Folgen von Misshandlungen. Auch die Inneneinrichtung der Synagoge und der jüdischen Schule mit der Lehrerwohnung wurden demoliert und die zerstörten Reste auf die Straße geworfen. Ebenfalls war der jüdische Friedhof Ziel der NS-Gewalttäter: Grabsteine wurden umgeworfen, ein Teil von ihnen zertrümmert. Die letzten beiden Beckumer Juden (Louis u. Theres Rose) - sie hatten in der leerstehenden Synagoge gewohnt - wurden im Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert.

Mindestens 60 gebürtige bzw. längere Zeit in der Stadt lebende jüdische Bewohner Beckums wurden Opfer des Holocaust (vgl. dazu Lebensdaten der Beckumer NS-Opfer in: Geschichtswerkstatt Beckum, Antisemitismus in Beckum)

 

Der jüdische Friedhof am Ostwall - das letzte erhaltene bauliche Zeugnis der jüdischen gemeinde Beckum - besitzt noch eine Reihe von Grabsteinen; der älteste datiert von 1758. Mitte der 1980er Jahre wurde der jüdische Friedhof in die Denkmalliste der Stadt Beckum aufgenommen.

Das Synagogengebäude überstand die Kriegsjahre äußerlich unbeschadet. Nach 1945 diente es als Unterkunft für Flüchtlinge, danach als Bürogebäude. Im Jahre 1967 wurden das ehemalige Gemeindehaus/Synagogengebäude abgerissen und danach das Gelände neu überbaut. Am Standort der Synagoge in der Nordstraße erinnert seit 1988 eine bronzene Gedenktafel mit den Worten: "Seit 1743 stand hier die Synagoge der Jüdischen Gemeinde Beckum. Zur Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wurde sie am 9.November 1938 zerstört." Einzige erhaltene Relikte aus der Synagoge sind zwei Löwen, die einmal die beiden Thoratafeln umrahmten; sie werden im Beckumer Stadtmuseum aufbewahrt.

Galerie VorschauBeckumer Synagoge - Heimatverein BeckumEine Stele aus Sandstein vor dem Haus Nordstraße 8 erinnert seit 2017 an die ehemalige Synagoge in Beckum; die 1,30 Meter hohe Stele - geschaffen vom Künstler Paul Tönnißen auf Initiative des Beckumer Heimat- u. Geschichtsvereins - trägt ein bronzenes Modell des ehemaligen Gebäudes, in dessen rückwärtigem Teil sich der jüdische Betsaal befand (Aufn. Heimat- u. Geschichtsverein, aus: dein-beckum.de).

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jüdisches Mahnmal (Aufn. NNW, 2023, aus: wikipedia.org, CC BA-SA 3.0 de)

In den städtischen Parkanlagen am Westtor wurde 1975 ein aus drei aufragenden Dolomitsteinen gefügtes Mahnmal des Bildhauers Heinrich G. Bücker errichtet, das den einstigen jüdischen Einwohnern von Beckum gewidmet ist; eine Bronzetafel trägt die folgende Inschrift:

Kommt, Ihr alle, die ihr vorübergeht, schaut und seht,

ob ein Schmerz sei wie der Schmerz, der mir angetan.

(Klagelieder 1,12)

Dem Gedenken der jüdischen Bürger dieser Stadt

die in den Jahren 1933 - 1945

Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wurden.

Möge Ihr Andenken uns zum Segen gereichen.

Im Rahmen des Projektes „Stolpersteine“ wurden 2007/2008 in Beckum mehr als 30 kleine messingfarbene Steinquader verlegt, die an ehemalige jüdische Bewohner Beckums erinnern sollen.

   „Stolpersteine“ für Louis u. Therese Rose  Stolperstein für Louis RoseStolperstein für Therese Rose    

... und für Familien Grünbaum und Löhnberg in der Nordstraße Stolperstein für Harry GrünbaumStolperstein für Jenny GrünbaumStolperstein für Max Grünbaum   Stolperstein für Elfriede LebenbergStolperstein für Rieka Löhnberg Stolperstein für Willy Löhnberg

Aufn. aus: beckum.de und nordnordwest, 2014, wikipedia.org, CC BY-SA 3.0

Jüngst wurden an verschiedenen Standorten weitere 20 messingfarbene Steinquader in die Gehwegpflasterung eingefügt, so dass es im Stadtgebiet nun insgesamt 51 Gedenktäfelchen gibt (Stand 2023).

 

1997 erhielt der 1923 in Beckum als 'Helmut Ostermann' geborene, in Israel lebende Publizist, Schriftsteller und Friedensaktivist Uri Avnery den Aachener Friedenspreis, den er für sein unermüdliches Engagement für die Friedensorganisation ‚Gusch Schalom‘ erhielt. Avnery verstarb 2018 in Tel Aviv.


 

 

 

Weitere Informationen:

Jakob Raphael, Die Synagogengemeinde (Beckum), in: Stadt Beckum 1224 - 1924. Jubiläumsband zur 700-Jahr-Feier der Stadt, Dortmund 1924, S. 77 f.

Anton Schulte, Zur ältesten Geschichte der Juden in Beckum, in: "Heimatblätter der Glocke", No.9/1925

100 Jahre Synagoge auf der Nordstraße. Jetzt Abbruch eines längst verfallenen und zweckentfremdeten Gebäudes, in: "Die Glocke" vom 13.10.1967

Jehuda Barlev, Aus der Chronik der Beckumer Familie Windmüller. Ein Beitrag zur Geschichte der jüdischen Gemeinde der Stadt von 1671 - 1943, in: "Die Glocke", 1978

Hugo Krick/Diethard Aschoff (Bearb.), Geschichte und Schicksal der Juden in Beckum, in: "Quellen und Forschungen zur Geschichte des Kreises Warendorf", Band 16, Hrg. Kreisgeschichtsverein Beckum-Warendorf e.V. u. Heimatverein Beckum e.V., Warendorf 1983 (bzw. 1986)

Diethard Aschoff, Die Beckumer Juden im Mittelalter, in: "‘Auf Roter Erde’ - Heimatbeilage der ‘Westfälischen Nachrichten", Ausgabe 251/1984, S. 1 - 4

Alfred Smieszchala, Streit um den Beckumer Judenfriedhof. Begräbnisstätte erstmals 1690 genannt., in: "An Ems und Lippe - Heimatkalender für den Kreis Warendorf 1985"

Hubert Lukas, “Hier ruhen in Gottes seligem Schutz ..” Der jüdische Friedhof in Beckum, in: "Beckumer Blätter", Heft 3, Beckum 1988

Hubert Lukas, Steingewordener Zeuge langer Tradition. Seit 300 Jahren läßt sich Friedhof der jüdischen Gemeinde Beckum nachweisen, in: "Die Glocke" vom 3.11. 1989

Günter Birkmann/Hartmut Stratmann, Bedenke vor wem du stehst - 300 Synagogen und ihre Geschichte in Westfalen und Lippe, Klartext Verlag, Essen 1998, S. 244

Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 in Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 29/30

Auf den Spuren jüdischen Lebens in Beckum - ein Wegweiser. Unterrichtsprojekt von Schülern des Albertus-Magnus-Gymnasiums Beckum, 2000 (in: www.amg.beckum.de/up/spuren)

Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen. Regierungsbezirk Münster, J.P.Bachem Verlag, Köln 2002, S. 457 – 462

Martin Gesing (Bearb.), Beckum, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Münster, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen XLV, Ardey-Verlag, München 2008, S. 174 - 183

Stadt Beckum – Fachdienst Presse und Kultur (Hrg.), Dokumentation „Stolpersteine in Beckum“, 2008 (online abrufbar unter: beckum.de)

In Memory of the former Jewish Communiy in Beckum - Zur Erinnerung an die einstige Synagogengemeinde in Beckum, online abrufbar unter: kehilalinks.jewishgen.org/Beckum/ (mit zahlreichen Bilddokumenten)

Auflistung der Stolpersteine in Beckum, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Beckum

N.N. (Red.), Stele erinnert an ehemalige Synagoge, in: radioWAF.de vom 27.10.2017 bzw. aus dein-beckum.de (Heimat- u. Geschichtsverein Beckum)

Heimat- u. Geschichtsverein Beckum e.V. (Bearb.), Zur Synagoge Beckum, online abrufbar unter: heimatverein-beckum.de

Kunstwerk zur Erinnerung an die Synagoge Beckum wird der Öffentlichkeit übergeben, aus: dein-beckum.de vom 27.10.2017

Scheidungsbrief erstes Zeugnis – Die Geschichte der Juden (1), online abrufbar unter: heimatverein-beckum.de vom 11.11.2017

Jessica Wille (Red.), Heimatverein klärt weitere Schicksale jüdischer Opfer, in: „Die Glocke“ vom 22.7.2022

Stefan Clauser (Red.), Beckumer Stolpersteine werden ergänzt und korrigiert, in: „Die Glocke“ vom 17.11.2022

Geschichtswerkstatt Beckum (Hrg.), „A Little German Town – zum Beispiel Beckum“, online abrufbar unter: geschichtswerkstatt-beckum.de (2022) (unter mehreren Überschriften wie ‚Nationalsozialisms in Beckum‘ und ‚Antisemitismus in Beckum‘)

radio WAF (Red.), 20 neue Stolpersteine in Beckum, in: Lokalnachrichten vom 7.6.2023