Bernstadt a.d. Weide (Schlesien)
Das niederschlesische Bernstadt a.d.Weide - östlich der Metropole Breslau gelegen - ist das heutige polnische Bierutów mit derzeit ca. 5.000 Einwohnern (Ausschnitt aus hist. Landkarte von 1905, aus: europe1900.eu und Kartenskizze 'Polen' mit Bierutów markiert, aus: mapa,livecity.pl).
Bernstadt gehörte zu den drei Städten des Fürstentums Oels, in denen im späten Mittelalter (wenige) Juden urkundlich nachweisbar sind; ab Ende des 14.Jahrhunderts lassen sich dann für lange Zeit keine Angaben über jüdisches Leben finden. Eine dauerhafte Ansiedlung von Juden in und um Bernstadt erfolgte dann in der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts. Gestützt wurde sie durch die Territorialherren, die aber aus rein wirtschaftlichen Erwägungen so handelten. Bald konnte sich eine kleine jüdische Gemeinde entwickeln.
Die Anfeindungen der hiesigen Kaufmannschaft, mit der die Juden konfrontiert waren, lagen zumeist in der Furcht vor Konkurrenz begründet. Deshalb blieb die Tätigkeit der Juden auf den Klein- und Hausierhandel auf dem offenen Land und den Märkten der Städte beschränkt. Nur der fürstliche Branntweinausschank war ihnen in Bernstadt garantiert. Ab Mitte des 18.Jahrhunderts vergrößerte sich die Gemeinde vor allem durch Zuzug aus Breslau und umliegenden kleinen Dörfern.
Wurden Gottesdienste zunächst in einem gemieteten Raum abgehalten, so nutzte man zu Beginn des 19.Jahrhunderts eine „alte“ Synagoge, die aber sehr bald wegen Baufälligkeit durch eine neue ersetzt wurde. Nach einem Brand (1808) wurde an gleicher Stelle ein Neubau errichtet und 1809 eingeweiht.
Ehem. Synagogengebäude (Aufn. Piotr Sawicki, 2007, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Ihre Begräbnisstätte legten die Bernstadter Juden um 1740/1760 in dem Dorf Milocice (etwa zehn Kilometer von Bernstadt) an; genutzt wurde diese bis in die zweite Hälfte des 19.Jahrhunderts. Als sich dieser Friedhof als zu klein erwies, übertrug die Kommune der Synagogengemeinde in einer Schenkung einen am „Vogelsang“ gelegenen Beerdigungsplatz, der etwa zwei Kilometer von der Stadt entfernt lag (bei Kijowice).
Juden in Bernstadt:
--- 1722 ......................... 4 jüdische Familien,
--- 1761 ......................... 12 “ “ ,
--- 1791 ..................... ca. 100 Juden,
--- 1812 ......................... 43 jüdische Familien,
--- 1825 ......................... 119 Juden,
--- 1847 ......................... 187 “ ,
--- 1871 ......................... 245 “ ,
--- 1880 ......................... 211 “ ,
--- 1890 ......................... 209 “ ,
--- 1907 ......................... 160 “ ,
--- 1924 ......................... 80 “ ,
--- 1937 ......................... 21 “ ,
--- 1942 ......................... ein “ ().
Angaben aus: Bernhard Brilling, Die jüdischen Gemeinden Mittelschlesiens - Entstehung und Geschichte, S. 35
Stadtmitte - Postkarte um 1935 (Aufn. aus: akpool.de)
Die wenigen jüdischen Bewohner Bernstadts mussten während der Novembertage 1938 miterleben, wie man ihre Synagoge in Brand setzte und mehrere ihrer Geschäfte zerstörte. Wem die rettende Emigration nicht mehr gelang, der wurde von den NS-Behörden deportiert. Über das weitere Schicksal der Juden aus Bernstadt ist kaum etwas bekannt.
Von dem alten Friedhof der Bernstadter Juden haben sich trotz der Zerstörungen während der NS-Zeit noch ca. 50 Grabsteine erhalten; der älteste datiert von 1756.
alte Grabmäler (Aufn. Sonia Kierzkowska, aus: sztetl.org.pl)
Der 1884 in Bernstadt als Sohn jüdischer Eltern geborene Ludwig Meidner hat als Maler, Graphiker und Schriftsteller Bekanntheit erlangt. Nach einem Architekturstudium an der Kunsthochschule in Breslau arbeitete Meidner kurze Zeit als Modezeichner und Zeitschriftenillustrator in Berlin. In den Folgejahren begann seine Karriere als expressionistischer Maler. Bis in die 1920er Jahre entstand eine Vielzahl von Werken. Bekannt wurde er mit seinen visionären Landschaften und apokalyptischen Stadtbildern, später bevorzugte er insbesondere die Grafik. Danach wandte er sich mehr der Schriftstellerei zu und verfasste humoristische Erzählungen. Von Berlin übersiedelte er 1935 nach Köln, wo er fortan als Zeichenlehrer an einer jüdischen Schule wirkte. 1939 verließ Ludwig Meidner mit seiner Frau Deutschland und ging ins Exil nach Großbritannien. Acht Jahre nach Kriegsende kehrte er nach Deutschland zurück und lebte fortan in einem jüdischen Altenheim nahe Frankfurt. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er in Darmstadt. 1966 ist er im Alter von 82 Jahren gestorben. Ludwig Meidner hinterließ eine Fülle von Ölgemälden, Zeichnungen und Graphiken.
Seine Ehefrau (geb. 1901) war die Malerin und Grafikerin Else Meidner geb. Meyer. Als Tochter einer wohlhabenden jüdischen Familie begann sie gegen elterlichen Willen eine erfolgreiche künstlerische Karriere. Zunächst stand sie noch im Schatten ihres Ehemannes, entwickelte dann bald ihren eigenen expressionistischen Stil. Ihre zahlreichen Werke blieben lange Zeit weitgehend unbeachtet; erst nach ihrem Tod (1987) schenkte man ihrem Schaffen mehr Aufmerksamkeit. 2002 zeigte das Jüdische Museum in Berlin eine gemeinsame Ausstellung des Künstlerehepaares Meidner.
Weitere Informationen:
Bernhard Brilling, Die jüdischen Gemeinden Mittelschlesiens - Entstehung und Geschichte, in: "Studia Delitzschiana", Band 14, Verlag Kohlhammer, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz, 1972, S. 29 - 36
The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 1), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 132
Bierutow, in: sztetl.org.pl
Christel Busch (Red.), Vergessen und wiederentdeckt: “Ludwig Meidner – Im Nacken das Sternemeer”, in: kultur-port.de vom 9.7.2018