Biesenthal (Brandenburg)
Biesenthal ist eine zum Amt Biesenthal-Barnim gehörige Kommune mit derzeit ca. 6.000 Einwohnern im brandenburgischen Landkreis Barnim – knapp 40 Kilometer nordöstlich von Berlin (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Barnim', aus: dein-plan.de/brandenburg).
Die ersten jüdischen Familien kamen einige Jahrzehnte nach Ende des Dreißigjährigen Krieges nach Biesenthal; sie gehörten zu denen, die der brandenburgische Kurfürst Friedrich Wilhelm in sein vom Kriege zerstörtes Land geholt hatte, um dessen Wirtschaft zu beleben. Bei ihrer Niederlassung erhielten sie einen Schutzbrief ausgestellt, der ihnen ein jährlich zu entrichtendes Schutzgeld abverlangte. Dieses verbriefte Schutzrecht konnte nur auf den ältesten Sohn vererbt werden. Ihren Lebensunterhalt bestritten sie u.a. mit dem Ankauf landwirtschaftlicher Produkte des agrarischen Umlandes - wie Schafe und Wolle - und dem Weiterverkauf diese Güter nach Strausberg und Eberswalde.
In einem jüdischen Privathaus befand sich eine kleine Betstube. Gegen Mitte des 18.Jahrhunderts sollen in Biesenthal mehr Juden als in irgendeinem anderen Ort der Mark Brandenburg gelebt haben. Aus einer Chronik von 1929: „ ... Von jeher war, im Verhältnis zur Einwohnerzahl, von besonderer Bedeutung die jüdische Gemeinde in Biesenthal. ... 1692 umfaßte die jüdische Gemeinde schon 64 Seelen. ... So klein dieses Städtchen ist, ... so hat es doch nach angestelltem Vergleich der Einwohner mehr Juden als irgendein Ort in der Mark, selbst Berlin nicht ausgenommen, denn von den Einwohnern ist der 10.Teil Juden, welche zum Teil auch ihre eigenen Häuser haben. ...” (aus: M.Brocke/E.Ruthenberg/u.a., Stein und Name , S. 257)
Doch der verheerende Großbrand der Stadt von 1756 setzte der weiteren Entwicklung der jüdischen Gemeinde ein zumindest vorläufiges Ende; denn in diesem Zusammenhang wurden die Juden aus Biesenthal vertrieben. Erst im beginnenden 19.Jahrhundert zogen wieder vereinzelt jüdische Familien in den Ort.
Vermutlich bereits in den 1670er Jahren (anderen Angaben zufolge aber erst um 1700) legte man kurz nach dem Zuzug der ersten Juden eine israelitische Begräbnisstätte auf einer Anhöhe außerhalb des Ortes an, und zwar an der Berliner Chaussee in der Nähe des städtischen Friedhofs. Hier wurden auch verstorbene Juden aus der Region Bernau und Eberswalde beerdigt. Im Jahre 1925 wurde der Friedhof von behördlicher Seite geschlossen.
Juden in Biesenthal:
--- 1692 ............................. 64 Juden,
--- 1710 ............................. 11 jüdische Familien,
--- 1755 ............................. 17 “ “ ,
--- 1819 ............................. 10 Juden,
--- 1840 ............................. 8 “ ,
--- 1925 ............................. 18 “ ,
--- 1933 ............................. ? “ ,
--- 1942 ............................. keine.
Angaben aus: Eberhard Stege, Juden in Biesenthal
Eine der wenigen jüdischen Familien, die während der ersten Jahre der NS-Zeit noch hier lebten, war die des Leo Abraham; sie besaß am Markt ein Textilwarengeschäft. Dieses Geschäft wurde 1938 „arisiert“, indem die Sparkasse das Grundstück erwarb.
Aus der „Biesenthaler Zeitung” vom 21.Sept. 1935:
Kundgebung gegen die Feinde des Dritten Reiches
Die Ortsgruppe Biesenthal der NSDAP. hatte die Bevölkerung zu einer großen Kundgebung gegen die Staatsfeinde aufgerufen, die von Partei- und Volksgenossen sehr stark besucht war. Nach dem Fahneneinmarsch eröffnete der Ortsgruppenleiter Pg. Schüßler die Sitzung ... Ein weiterer Feind des Staates ist der politische Katholizismus, der mit der katholischen Religion nichts zu tun hat. Hinter all diesen Feinden des Staates, zu denen auch die ausländische Hetzpresse gehört, steht der Jude, der auch der Führer und Leiter des letzten Feindes, des Kommunismus, ist. ... Die aufrüttelnden Ausführungen des Redners wurden mit großem Beifall aufgenommen, worauf die eindrucksvolle Kundgebung mit einem Treuebekenntnis für Volk und Führer und dem Deutschland- und Horst-Wessel-Lied geschlossen wurde.
Auf dem Marktplatz und in der Bahnhofstraße waren Informationskästen des „Stürmers” aufgestellt, die namentlich diejenigen „Volksgenossen“ nannten, die noch mit Juden in Kontakt standen. Im Gefolge des Novemberpogroms von 1938 wurde der jüdische Friedhof zerstört, die Grabsteine wurden zerschlagen. Die letzten in Biesenthal lebenden jüdischen Einwohner wurden 1941/1942 deportiert.
Trotz mehrfacher Zerstörung hat der jüdische Friedhof in Biesenthal die Zeiten überdauert, allerdings sind nur wenige Grabsteine bzw. -fragmente erhalten. Anfang der 1990er Jahre ließ die Stadt Biesenthal das Friedhofsgelände wieder herrichten, doch inzwischen soll das Areal auf Grund mangelnder Pflege wieder in einem unwürdigen Zustand sein. Die ehemalige Friedhofshalle (Taharahaus) ist noch erhalten und wird – mit späteren Anbauten - zu Wohnzwecken genutzt.
Friedhofsgelände (Aufn. K-H, 2018, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
In Bernau - ca. zehn Kilometer südlich von Biesenthal - gab es eine kleine jüdische Gemeinschaft, die sich nach 1740 gebildet hatte und stets nur aus wenigen Familien bestand. In dem Privathaus des jüdischen Geschäftsmanns Louis Fließ war ein Betraum untergebracht, der bis gegen Ende des 19.Jahrhunderts genutzt wurde. Im Jahre 1885 soll die Gemeinde aus „29 Seelen“ bestanden haben. Als dann kein Minjan mehr zustande kam, besuchten die Juden aus Bernau die Gottesdienste in Biesenthal oder Altlandsberg. Im Jahre 1910 lebten in Bernau noch 25 Einwohner mosaischen Glaubens. Während es einigen jüdischen Bewohnern in der NS-Zeit noch gelang zu emigrieren, wurden andere im April 1942 - via Berlin - "in den Osten umgesiedelt" (ins Ghetto Warschau)
Seit 2009 sind in den Gehwegen mehrere sog. „Stolpersteine“ eingelassen worden, die an jüdische Opfer der NS-Herrschaft erinnern.
verlegt für Familie Schuster in der Bürgermeisterstraße (Aufn. Chr. Michelides, 2020, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Weitere Informationen:
Eberhard Stege, Juden in Biesenthal, in: ‘Märkische Oder-Zeitung’ vom 2.11.1991
Zeugnisse jüdischer Kultur - Erinnerungsstätten in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, Tourist Verlag GmbH, Berlin 1992, S. 83
M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 253 und S. 257 - 260
Gertrud Poppe, Der jüdische Friedhof Biesenthal (Manuskript und Materialsammlung), Biesenthal 1995
Gertrud Poppe, Bürger jüdischer Herkunft in Biesenthal, in: "Biesenthaler Anzeiger", Nov. 1996, S. 15/16
Wolfgang Weißleder, Der Gute Ort - Jüdische Friedhöfe im Land Brandenburg, hrg. vom Verein zur Förderung antimilitaristischer Traditionen in der Stadt Potsdam e.V., Potsdam 2002, S. 55
Geschichtswerkstatt des BBZ Bernau, Spaziergang: Jüdische Spiren in Bernau, in: mybrandenburg.net/book/export/html/74
Anke Geißler-Grünberg (Bearb.), Geschichte der jüdischen Gemeinde in Biesenthal und die des jüdischen Friedhof, in: Universität Potsdam - Institut für jüdische Studien und Religionswissenschaft (Hrg.), Jüdische Friedhöfe in Brandenburg, online abrufbar unter. uni-potsdam.de
Auflistung der in Bernau verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Bernau_bei_Berlin