Bockenheim a.d. Weinstraße (Rheinland-Pfalz)
Die Gesamtgemeinde Bockenheim entstand im Jahre 1956 durch den Zusammenschluss der beiden Dörfer Groß-Bockenheim und Klein-Bockenheim; die von derzeit ca. 2.300 Personen bewohnte Kommune liegt im äußersten Norden des Landkreises Bad Dürkheim – knapp 20 Kilometer westlich von Worms (jeweils ohne Eintrag von Bockenheim: Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Bad Dürkheim', aus: ortsdienst.de/rheinland-pfalz/bad-duerkheim).
In der ersten Hälfte des 16.Jahrhunderts sollen in der zur Grafschaft Leiningen-Hartenburg gehörenden Dörfern Groß- und Klein-Bockenheim einige wenige jüdische Familien gelebt haben. Die ersten urkundlichen Belege - Listen über „Judensteuer“ - liegen ab 1548 vor. Ob hier allerdings dauerhaft Juden gelebt haben, ist aus den vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlich. Die Entstehung einer neuzeitlichen Gemeinde geht ins 18. Jahrhundert zurück. Damals bestanden zwischen den Gemeinden Groß- und Kleinbockenheim sowie der Gemeinde in Kindenheim enge Beziehungen; dabei galt Kindenheim bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als religiöser „Hauptort“. Mit der alsbald sich abzeichnenden Abwanderung seiner jüdischen Bewohner nahm dann später Klein-Bockenheim diese Stellung ein.
In einem gegen Ende des 17.Jahrhunderts errichteten kleinen Wohngebäude in Groß-Bockenheim, in der Kohlgasse - dem heutigen Ulmenweg - hatten die jüdischen Familien ihren Betraum eingerichtet. Dessen Einrichtung rief den Widerstand der Kultusgemeinde Kindenheim hervor, doch nach jahrelangen Unstimmigkeiten setzten sich die Bockenheimer Juden schließlich durch. Seit den 1860er Jahren gab es am Ort auch eine kleine Religionsschule. In einer Stellenanzeige der Gemeinde aus dem Jahre 1869 wurden detailliert die künftigen Aufgaben des Bewerbers genannt:
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29.5.1869
aus: „Der Israelit“ vom 7.6.1876 u. 20.6.1877
Verstorbene Juden wurden auf dem nahen Friedhof in Kindenheim begraben. [vgl. Kindenheim (Rheinland-Pfalz)]
Zur offiziell seit 1848 bestehenden israelitischen Kultusgemeinde Bockenheim gehörten zeitweise auch die wenigen jüdischen Familien aus Bubenheim und Kindenheim.
Die Gemeinde gehörte zum Bezirksrabbinat Frankenthal.
Juden in Bockenheim:
--- um 1530 ...................... 4 jüdische Familien,*
--- 1823 ......................... 124 Juden,* * in Groß- u. Klein-Bockenheim
--- 1849 ......................... 78 “ ,** ** in Groß-Bockenheim
--- 1875 ......................... 88 “ ,*** *** Kultusgemeinde
--- 1900 ......................... 60 “ ,***
--- 1932 ......................... 31 “ ,***
--- 1937 ......................... 30 “ ,***
--- 1938 ......................... 17 “ ,
--- 1940 (Nov.) .................. keine.
Angaben aus: Hans Niederberger, Schicksale jüdischer Mitbürger in Bockenheim an der Weinstraße, S. 9/10
Durch Abwanderungen in den 1870er/1880er Jahren ging die Zahl der Gemeindemitglieder deutlich zurück; zu Beginn der 1930er Jahre lebten nur noch wenige jüdische Familien im Ort.
Nachdem die Synagoge in Kindenheim im Jahre 1907 aufgegeben und verkauft war, wurde dann das jüdische Gotteshaus in Großbockenheim Mittelpunkt des religiösen Gemeindelebens der noch in Klein- und Großbockenheim sowie in Kindenheim lebenden Personen mosaischen Glaubens.
Während der „Reichskristallnacht“ wurde die Bockenheimer Synagoge von Einheimischen vollständig geplündert und die gesamte Inneneinrichtung zerstört. 1939 erwarb die Kommune das Synagogengebäude und das Areal des jüdischen Friedhofs. Die letzten acht jüdischen Bewohner Groß- und Kleinbockenheims mussten sich im Oktober 1940 dem Sammeltransport ins französische Internierungslager Gurs anschließen. Alle wurden Opfer des Holocaust (gelten überwiegend als „verschollen“).
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ wurden insgesamt neun aus Großbockenheim und fünf aus Kleinbockenheim stammende Personen mosaischen Glaubens Opfer der „Endlösung“ (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/bockenheim_adw_synagoge.htm).
Noch heute erinnern im Volksmund gebräuchliche Straßenbezeichnungen wie „Judde-Gäßche“ und „Judde-Winkelche“ daran, dass im Ort einst jüdische Familien gelebt haben. An der Außenwand des ehemaligen Bethauses - es dient seit langem Wohnzwecken - ist seit 1988 eine Gedenkplakette angebracht, die folgende Inschrift trägt:
Ehemalige Synagoge der Jüdischen Kultusgemeinde Bockenheim a.d.W.
Zum Gedenken an unsere jüdischen Mitbürger
Gemeinde Bockenheim
Erhalten blieb die hebräische Portalinschrift, die in Übersetzung lautet: „Laß Deine Augen geöffnet sein über diesem Haus bei Tag und bei Nacht."
Die Erinnerung an jüdisches Leben im Dorf soll künftig u.a. mit der Verlegung von „Stolpersteinen“ wachgehalten werden (Stand 2022).
Hinweis: Im gleichnamigen hessischen Bockenheim, heute ein Stadtteil von Frankfurt/Main, gab es ebenfalls eine jüdische Kultusgemeinde. [vgl. Bockenheim (Hessen)]
Weitere Informationen:
Hermann Arnold, Juden in der Pfalz, 2.Aufl., Pfälzische Verlagsanstalt, Landau/Pfalz 1988
Karl Fücks/Michael Jäger, Synagogen der Pfälzer Juden, Edesheim/Böbingen 1988
Hetzparolen und Boykott. Kaputte Türen und Fenster. Ausschreitungen und Verwüstungen auch in den Dörfern, in: "Die Rheinpfalz”, No. 263 (Ausgabe vom 11.11.1988)
Hans Niederberger, Schicksale jüdischer Mitbürger in Bockenheim an der Weinstraße, Hrg. Ortsgemeinde Bockenheim a.d.W., Bockenheim 1988
Bockenheim a.d.Weinstraße, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels ...” Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 119/120
Otmar Weber, Die Synagogen in der Pfalz von 1800 bis heute. Unter besonderer Berücksichtigung der Synagogen in der Südwestpfalz, hrg. von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Pfalz (Landau), Dahn 2005, S. 52/53
Gaby Sprengel (Red.), Erinnerung an jüdisches Leben in Bockenheim, in: „Die Rheinpfalz“ vom 26.12.2021
Anja Benndorf (Red.), Jüdisches Leben: Woran sich eine Zeitzeugin erinnert, in: „Die Rheinpfalz“ vom 7.8.2024