Bodenwerder/Weser (Niedersachsen)

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/0/0f/Lage_Kreis_Pyrmont.jpg Datei:Bodenwerder in HOL.svg Bodenwerder a.d. Weser ist eine Kleinstadt mit derzeit ca. 6.000 Einwohnern im niedersächsischen Landkreis Holzminden – nördlich von Holzminden bzw. ca. 50 Kilometer südwestlich von Hildesheim gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Holzminden', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

                                                                 Bodenwerder a.d.Weser, Stich um 1655 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

In dem seit Beginn des 16.Jahrhunderts zum Fürstentum Calenberg gehörenden Städtchen sollen bereits um 1400 wenige Juden gelebt haben. Nach ihrer Vertreibung um 1460 soll sich erst wieder in der zweiten Hälfte des 16.Jahrhunderts zeitweilig eine finanzkräftige jüdische Familie in Bodenwerder aufgehalten haben; Streitigkeiten mit dem Rat der Stadt führten jedoch zum Wegzug dieser Familie. Nach 1660/1670 ist dann erneut eine Anwesenheit von Juden zu verzeichnen; allerdings waren es nie mehr als zwei bis drei Familien; dies gilt auch für das 18.Jahrhundert. Zumeist lebten sie am Rande des Existenzminimums und schlugen sich mit wenig gewinnbringendem Kleinhandel, manchmal auch Pferdehandel, durchs Leben. 1806 besaßen vier Familien Bodenwerders einen Schutzbrief.

Eine kleine jüdische Begräbnisstätte soll es in Bodenwerder bereits im ausgehenden 17.Jahrhundert gegeben haben (Ersterwähnung 1677); sie befand sich vor dem Mühlentor nahe am Weserufer.

Die Anweisung der Obrigkeit aus dem Jahre 1843, zusammen mit den Juden aus Polle eine selbstständige ‚kombinierte’ Kultusgemeinde mit Synagogenstandort in Polle zu bilden, stieß aber bei den jüdischen Familien Bodenwerders auf entschiedene Ablehnung. Zum einen wurde die große Entfernung, ein dreistündiger Fußweg, ins Feld geführt, zum anderen darauf hingewiesen, dass Bodenwerder den „ältesten Tempel“ besäße. Gleichwohl mussten sich die Juden Bodenwerders fügen und von nun an den Betraum in Polle besuchen.

Juden in Bodenwerder:

         --- um 1680 ........................  2 jüdische Familien,

    --- 1806 ...........................  4     “       “    ,

    --- 1847/48 ........................  4     “       “   (15 Pers.),

    --- 1861 ........................... 22 Juden,

    --- 1880 ...........................  6 jüdische Familien,

    --- 1891 ...........................  9     “       “     (ca. 30 Pers.),

    --- 1905 ........................... 10 Juden,

    --- 1924/25 ........................  2 jüdische Familien (7 Pers.),

    --- 1939 ...........................  keine.

Angaben aus: Bernhard Gelderblom, Jüdisches Leben im mittleren Weserraum zwischen Hehlen und Polle

 

Da das wirtschaftlich darniederliegende Bodenwerder den jüdischen Familien nur sehr wenige Möglichkeiten bot, ihren traditionellen Geschäften nachzugehen, blieb ihre Zahl stets gering. Dies änderte sich aber in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts. Als nun die Zahl der jüdischen Familien in Bodenwerder deutlich angewachsen war, trennten sie sich von den Juden Polles und gründeten 1889 eine eigene Kultusgemeinde. In einem Privathaus (?) soll es einen Betraum gegeben haben, den auch die Juden aus den nahen Ortschaften Halle und Hehlen aufsuchten.

Abwanderung und Überalterung der jüdischen Gemeindemitglieder führten zu Beginn des 20.Jahrhunderts zum baldigen Niedergang der Gemeinde. In den 1920er Jahren lebten nur noch zwei jüdische Familien in Bodenwerder.

Beim Novemberpogrom wurde der jüdische Friedhof - die letzte Beerdigung fand hier 1937 statt - offenbar nicht zerstört, vielmehr geschah dies erst spätestens 1943. Das Gelände nutzte fortan der Besitzer der Weser-Werft als Lagerplatz (vgl. Text der Informationstafel).

Nachweislich wurden acht gebürtige bzw. am Ort lebende jüdische Personen Opfer der NS-Gewaltherrschaft.

 

Das kleinflächige jüdische Friedhofsgelände mit seinen vier noch verbliebenen Grabsteinen am Rande der Altstadt ("Vor dem Mühlentor") erinnert heute noch daran, dass in Bodenwerder ehemals jüdische Familien zu Hause waren. Erst in jüngster Vergangenheit wurde das Gelände in einen ansprechenden Zustand versetzt.

Jüdischer Friedhof in Bodenwerder (Aufn. G., 2015, aus: wikipedia.org, CCO)

Eine dort im Jahre 2005 angebrachte Tafel trägt den folgenden informativen Text:

Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde und des jüdischen Friedhofes in Bodenwerder

Der außerhalb der alten Stadt vor dem Mühlentore liegende Friedhof wird zum ersten Male im Jahre 1677 erwähnt. Es handelt sich um den ältesten jüdischen Friedhof der Umgebung.

Das jüdische Leben in Bodenwerder ist sehr alt. Die ersten jüdischen Männer und Frauen sind in dieser Stadt bereits im Jahre 1392 nachgewiesen. In der Blütezeit des jüdischen Lebens in der Stadt gegen Ende des 19. Jahrhunderts lebten hier zehn jüdische Familien (mit den Namen Scharlach, Jacobsen, Lindner, Katzenstein, Bachrach, Philippson und Blumenthal u.a.).

In der NS-Zeit hat es auf diesem Friedhof in den Jahren 1933 bis 1937 noch vier Beerdigungen gegeben. Während der Bestattungen kam es zu schlimmen Störungen durch SA-Männer aus Bodenwerder. Auch wurde den Angehörigen die Benutzung des Totenwagens verweigert.

Zahlreiche in Bodenwerder geborene Juden wurden aus verschiedenen Städten des Deutschen Reiches deportiert und ermordet. Es handelt sich um Adolf, Friedrich und Rudolf Bachrach, Johanna und Louis Ballin, Walter Katzenstein und Klara Kühn, geb. Katzenstein, Louis Lindner und David Philippson. Im Jahre 1944 wurde Margarete Pieper, geb. Frank, aus Kirchbrak in das KZ Ravensbrück verschleppt. Ihr Todesdatum ist der 17. April 1945.

Das Grundstück des Friedhofs verpachtete die Stadt Bodenwerder im Jahre 1942 eigenmächtig an die benachbarte Oberweserwerft. Alle Grabsteine wurden abgeräumt und das Grundstück von der Werft als Lagerfläche genutzt.

Nach dem Kriege wurde ein Teil des Geländes wieder als Friedhof hergerichtet. Von den zahlreichen früher vorhandenen Grabsteinen fanden sich nur die beiden Steine der Eheleute Frank aus Kirchbrak wieder. Der andere Teil des Geländes wurde bis 1985 weiter von der Werft genutzt.

Das Gelände des Friedhofes erstreckte sich früher weiter in Richtung Weser. Von seiner ursprünglichen Fläche in der Größe von 339 qm sind noch 194 qm geblieben. Der Friedhof ist heute der einzige Zeuge der einst bedeutenden jüdischen Gemeinde der Stadt Bodenwerder.

 

 

Der kleine jüdische Friedhof im Ortsteil Kemnade wurde in der NS-Zeit völlig zerstört. In dem kleinen Dorf hatten bis Ende der 1880er Jahre nur wenige jüdische Familien gelebt; sie waren recht arm und bestritten ihren Lebensunterhalt vorwiegend als Metzger.

Eine selbstständige Kultusgemeinde hatte es zu keiner Zeit hier gegeben; deshalb suchten die Kemnader Juden gottesdienstliche Zusammenkünfte in den Nachbarorten auf. Als einzige Einrichtung bestand weit außerhalb des Dorfes ("Unter der Piese") ein eigenes Friedhofsgelände, das vermutlich in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhundert angelegt worden war (erstmals bezeugt 1776).

Auf dem ca. 250 m² großen Gelände befindet sich seit den 1960er Jahren ein Gedenkstein, der neben einer hebräischen Inschrift die Worte trägt: Wäre doch mein Kopf ein Gewässer und meine Augen ein Tränenquell dass ich beweinen könnte Tag und Nacht die Erschlagenen der Töchter meines Volkes. Jerremias 8,23  -  Zur Erinnerung an die hier zur Ruhe gebetteten Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Kemnade – Bodenwerder      Den Lebenden zur Mahnung"

 

 

      Flecken Polle um 1850 (Stahlstich um 1850, aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Juden in Polle sind ab den 1670er Jahren nachweisbar (abgesehen von der kurzfristigen Anwesenheit des Kaufmanns Israel Schay im Jahr 1583): die beiden Juden Isaac Levi und Sußmann Moses besaßen damals Schutzbriefe für Polle. Um 1810 lebten mehrere Schutzjuden im Ort; 1825 bestand die jüdische Gemeinde aus sechs Haushalten. Bei der Festsetzung der Synagogenbezirke wurde 1843 Polle mit Bodenwerder zusammengelegt und Polle zum Standort des Gottesdienstes bestimmt. Doch tatsächlich fand aber kein Zusammenschluss statt, denn die Juden im nahen Bodenwerder beharrten weiter auf ihrem eigenen Gottesdienst; so das die nie faktisch erfolgte Vereinigung der beiden Gemeinden 1889 amtlich wieder aufgehoben wurde. In Polle wurde der Gottesdienst vermutlich im Obergeschoss eines Hinterhauses in der Burgstraße abgehalten. 1847 bestand die jüdische Gemeinde Polle aus vier Haushalten mit zusammen 29 Personen, 1909 waren es nur noch 15, drei Jahre später dann noch eine einzige Familie: die Nachmanns betrieben in der Burgstraße die „Manufaktur- und Modewarenhandlung Nachmann Meier Nachmann“, die schon in den 1860er Jahren als Manufaktur- und Kolonialwarenhandlung existiert hatte. 1942 wurde die letzte jüdische Einwohnerin Polles, die Witwe Minna Nachmann, nach Theresienstadt deportiert. Nachweislich sind fünf aus Polle stammende jüdische Bewohner Opfer der NS-Gewaltherrschaft geworden.

Der kleine jüdische Friedhof in Polle (auf dem Birkenberg) war während des November-Pogroms 1938 von der örtlichen SA zerstört und die Grabsteine abtransportiert worden. Auf dem Gelände („Weserberg“) befindet sich heute eine Gedenkstele, die unter dem Davidstern und einer hebräischen Inschrift die Worte trägt: „In einem kurzen Augenblick verliess ich Dich. In mächtigen Erbarmen sammle ich Dich. Jes. 54.7   Zum Gedenken an die Menschen die hier ihre Ruhe fanden. Den Lebenden als Mahnung zur Wachsamkeit.“

 

 

In Hehlen, heute ein Ortsteil Bodenwerders, datiert eine jüdische Ansiedlung aus der Mitte des 18.Jahrhunderts. Die kleine Gemeinde zählte um 1830 ca. 60 Angehörige, zu Beginn des Ersten Weltkrieges nur noch ca. 30 Personen; bei ihnen handelte es sich um Angehörige der Großfamilie Bach.

[vgl. Hehlen (Niedersachsen)]

 

 

Im Flecken Ottenstein - heute Teil der Gesamtgemeinde Bodenwerder-Polle - sind seit Mitte des 18.Jahrhunderts jüdische Familien nachweisbar. Eine Kultusgemeinde - aus nur sehr wenigen Familien bestehend - gründete sich zu Beginn des 19.Jahrhunderts.

An die einstige kleine jüdische Gemeinde Ottensteins erinnert heute nur noch der Friedhof am Ortsrand.

[vgl. Hannover (Niedersachsen)]

 

 

In Halle, einem östlich Bodenwerders gelegenen Bauern- und Handwerkerdorf, lebten seit dem ausgehenden 18.Jahrhundert einige wenige jüdische Familien; 1771 erhielt Isaak Bendix als erster Jude für Halle einen Schutzbrief. Um 1860 lebten im Dorf drei jüdische Familien mit insgesamt 25 Personen, in den umliegenden Dörfern Bisperode, Dielmissen und Kirchbrak jeweils eine Familie. Erstwähnung eines ca. 250 qm großen jüdischen Friedhofs in Halle - außerhalb des Ortes an der Ausfallstraße nach Dohnsen - geht auf das Jahr 1847/1848 zurück; das Areal wurde nur ca. 30 Jahre genutzt. Gottesdienste wurden in einem Betraum eines Privathauses abgehalten. Das letzte ortsansässige jüdische Ehepaar verstarb 1923.

Heute erinnert an jüdisches Leben in Halle nur noch das Friedhofsareal, auf dem ein Gedenkstein steht (Anm.: Der Friedhof war Ende 1938 geschändet worden, wobei auch die wenigen Grabsteine „verschwanden“).

Das Gebäude, in dem sich früher der Synagogenraum befand, wurde 1971 abgerissen.

 

 

 

Weitere Informationen:

Karl Rose, Chronik der Münchhausenstadt Bodenwerder (Teil 1), Bodenwerder/Stadtoldendorf 1937

Zvi Asaria, Die Juden in Niedersachsen. Von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Leer 1979

Rotraud Ries, Jüdisches Leben in Niedersachsen im 15. und 16. Jahrhundert, in: "Quellen und Untersuchungen zur allgemeinen Geschichte Niedersachsens in der Neuzeit", Band 13, Hannover 1994

J. Mitzkat/A.Schäfer, Jüdische Friedhöfe im Landkreis Holzminden. ... daß ihr leben werdet ..., in: "Schriftenreihe des Heimat- und Geschichtsvereins Holzminden", No. 6, Holzminden 1996

Bernhard Gelderblom, Jüdisches Leben im mittleren Weserraum zwischen Hehlen und Polle. Von den Anfängen im 14.Jahrhundert bis zu seiner Vernichtung in der nationalsozialistischen Zeit - Ein Gedenkbuch, Hrg. Heimat- u. Geschichtsverein für Landkreis und Stadt Holzminden, Holzminden 2003, S. 217 ff.

Bernhard Gelderblom (Bearb.), Bodenwerder, in: H. Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 1, S. 228 - 233

Bernhard Gelderblom (Bearb.), Polle, in: H. Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 2, S. 1288 -1291

Bernhard Gelderblom, Die jüdische Gemeinde Bodenwerder - Zur Geschichte der Juden in Hameln und in der Umgebung, Hameln 2007 (Web-Präsentation „Hamelns Geschichte abseits vom Rattenfänger“, in: gelderblom-hameln.de)

Bernhard Gelderblom, Die jüdische Gemeinde Polle, online abrufbar unter: polle-weser.de/seite/164108/die_juedische_gemeinde_polle.html

Bernhard Gelderblom, Die jüdische Gemeinde Halle - Zur Geschichte der Juden in Hameln und in der Umgebung, Hameln 2007 (Web-Präsentation „Hamelns Geschichte abseits vom Rattenfänger“, in: gelderblom-hameln.de

Bernhard Gelderblom (Bearb.), Die jüdische Gemeinde Kemnade, in: gelderblom-hameln.de

Karin Beißner (Red.), Stelen erinnern an jüdische Familien, in: „DEWEZET“ vom 24.10.2016

Bernhard Gelderblom (Bearb.), POLLE – Novemberpogrome 1938 in Niedersachsen, Hrg. Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, online abrufbar unter: pogrome1938-niedersachsen.de/polle/

Karin Beißner (Red.), Jüdischer Friedhof in Kemnade, in: „DEWEZET“ vom 28.11.2019

Flecken Polle (Weser), Die jüdische Gemeinde Polle, online abrufbar unter: polle-weser.de/seite/164108/die_juedische_gemeinde_polle.html

Klaus Kiekbusch, „Außerhalb der Volksgemeinschaft“ - Formen der Verfolgung während des Nationalsozialismus im Kreis Holzminden, Verlag Jörg Mitzkat, 2020