Bodenheim/Rhein (Rheinland-Pfalz)

Historische Karten . Landesamt für Vermessung und ...Datei:Verbandsgemeinden in MZ.svg Bodenheim ist eine Kommune mit derzeit ca. 7.000 Einwohnern im Landkreis Mainz-Bingen und Sitz der gleichnamigen Verbandsgemeinde – ca. zehn Kilometer südlich von Mainz gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: lvermgeo.rlp.de und Kartenskizze 'Landkreis Mainz-Bingen', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Die erstmalige Erwähnung eines Juden aus Bodenheim erfolgte im Jahre 1351 in einer Rothenburger Quelle. Definitiv lassen sich jüdische Bewohner in dem rheinhessischen Ort aber erst gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges nachweisen. Ab dem 18.Jahrhundert liegen dann vermehrt urkundliche Belege über jüdische Familien vor; allerdings handelte es sich dabei nur um sehr wenige. Ihr Siedlungsschwerpunkt war die heutige Obergasse bzw. die frühere Judengasse. Eine eigene Gemeinde entwickelte sich erst im beginnenden 19.Jahrhundert. Nachdem sich 1831 der erste Synagogenvorstand konstituiert hatte, wurde wenig später die „Erbauung einer Synagoge und eines Frauenbades für die israelitische Gemeinde Bodenheim” ins Auge gefasst; die Genehmigung dazu wurde 1833 erteilt. Zwei Jahre danach konnte die Judenschaft dann - unter Anwesenheit des Rabbinatsverwesers Leon Ellinger aus Mainz und unter Mitwirkung eines Musikkorps - ihre neue Synagoge in der Rathausstraße festlich einweihen.

Zur Finanzierung des Baues wurden die Sitze in der Synagoge meistbietend versteigert. Zeitgleich mit der Einweihung gab man sich 1835 eine Synagogenordnung, die innerhalb der Gemeinde Anlass für manche Querelen bot und hier zu „Grabenkämpfen“ führte. Zur Besorgung der rituellen Aufgaben der Gemeinde in Bodenheim war zeitweilig ein Religionslehrer angestellt.

                  http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2090/Bodenheim%20Israelit%2013091876.jpg

Anzeigen in der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 24.11.1869 und 13.9.1876

                   Der letzte Religionslehrer, Mayer Reiss, übte sein Amt mehr als drei Jahrzehnte bis kurz vor seinem Tode (1921) aus.

Bis Anfang der 1880er Jahre wurden verstorbene Bodenheimer Juden auf dem jüdischen Friedhof in der Mombacher Straße in Mainz beerdigt. Ab 1883 stand dann ein eigenes Begräbnisgelände am Ortsrand (im Gewann "in der Vorderen Hüttstädt“) zur Verfügung.

Der jüdischen Gemeinde Bodenheim - sie unterstand dem Bezirksrabbinat Mainz - gehörten auch die wenigen Juden aus Nackenheim an.

Juden in Bodenheim:

         --- 1742 ......................... ca.   8 jüdische Familien,

    --- 1808 ......................... ca.  50 Juden (in 9 Familien),

    --- 1824 .............................  86   “  ,

    --- 1830 .............................  89   “  ,

    --- 1853 ............................. 118   “  ,

    --- 1861 ............................. 102   “  ,

    --- 1905 .............................  53   “  ,

    --- 1910 .............................  39   “  ,

    --- 1932/33 ..........................  45   “  ,

    --- 1938 ......................... ca.  30   “  .

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 84/85

 

Die Juden Bodenheims bestritten ihren Lebensunterhalt insbesondere vom Vieh- und Weinhandel; ihre ökonomische Lage war relativ gut. Wie zahlreiche Mitgliedschaften in lokalen Vereinen belegen, war ihre Integration in die Dorfgemeinschaft gegen Ende des 19.Jahrhunderts weit vorangeschritten.

Nach 1860 setzte dann eine deutliche Abwanderung ein. Anfang der 1930er Jahre hatte Bodenheim noch ca. 45 jüdische Bewohner; nach der NS-Machtübernahme verzog ein Teil von ihnen in größere Städte, z.B. nach Mainz, der andere Teil ging in die Emigration. Die Synagoge wurde bereits Monate vor dem Novemberpogrom aufgegeben, zu einem Zeitpunkt, als es bereits keine funktionierende Gemeinde mehr gab. Über die Ereignisse der „Kristallnacht“ in Bodenheim liegen keine gesicherten Angaben vor, doch soll sich eine Schulklasse unter Leitung ihres Lehrers am „Aufräumen“ beteiligt haben. Die wenigen noch im Ort verbliebenen Juden wurden 1942 (?) deportiert.

Anm.: Nackenheim war bereits Ende Oktober 1938 als „judenfrei“ gemeldet worden.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20384/Bodenheim%20KK%20MZ%20Nachmann%20Franziska.jpghttp://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20386/Nackenheim%20KK%20MZ%20Sender%20Betty.jpg

zwei J-Kennkarten von zwei Jüdinnen aus Bodenheim und Nackenheim (ausgestellt in Mainz)

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sollen insgesamt nahezu 40 gebürtige bzw. länger ansässig gewesene jüdische Bewohner Bodenheims und Nackenheims Opfer des Holocaust geworden sein (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/bodenheim_synagoge.htm).

Der bis 1937 belegte jüdische Friedhof soll im Sommer 1943 von Schulkindern geschändet und verwüstet worden sein. Die umgeworfenen und z.T. beschädigten Grabsteine wurden nach Kriegsende wieder aufgerichtet; zu den Arbeiten wurden Bodenheimer Bürger - ehemalige Mitglieder der NSDAP – herangezogen. Heute stellt sich der jüdische Friedhof in einem sehr gepflegten Zustand dar.

  http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2056/Bodenheim%20Friedhof%20201.jpg

Jüdischer Friedhof Bodenheim (Aufn. J., 2014, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0  und  J. Hahn, 2005)

2014 wurde auf dem ca. 600 m² großen Begräbnisgelände ein Gedenkstein für vier Jüdinnen gesetzt, die 1936/1937 auf dem Friedhof beerdigt worden waren, aber keinen Grabstein erhalten hatten.

  verfallenes ehem. Synagogengebäude (Aufn. Verbandsgemeinde Bodenheim, um 1960)

Das stark baufällige einstige Synagogengebäude wurde in den 1960er Jahren abgerissen. Ganz in der Nähe erinnert heute eine bronzene Gedenktafel an die jüdischen Bewohner Bodenheims und ihre Gemeinde; eine Silhouette der Synagoge ist über dem Inschriftentext zu sehen.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2056/Bodenheim%20Synagoge%20200.jpg Gedenktafel (Aufn. J. Hahn, 2005, aus: alemannia-judaica.de)

Seit 2009 beteiligt sich auch Bodenheim am sog. „Stolperstein“-Projekt; insgesamt sind ca. 40 messingfarbene Gedenktäfelchen für jüdische Opfer in das Gehwegpflaster eingelassen worden. Jüngst wurden auch Steinquader für sog. „Euthanasie“-Opfer verlegt (Stand 2023).

Kollektion Stolpersteine Bodenheim Neugasse 1.jpg

sieben "Stolpersteine" - verlegt am Haus in der Neugasse 1 (Aufn. 2010, aus. wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

und am Rathausplatz

 

In Bodenheim wurde 1790 Abraham Bamberger geboren, der Anfang der 1840er Jahre in Mainz das Bankhaus Bamberger & Cie. gründete. Dessen zweiter Sohn Ludwig (geb. 1823) saß von 1871 bis 1890 als Vertreter der Nationalliberalen, später der Freisinnigen im Reichstag und war anfangs ein enger Berater Bismarcks. Ludwig Bamberger gehörte zu den Schöpfern der Reichsbank und begründete mit Adalbert Delbrück die Deutsche Bank. 

 

In Nackenheim - einzige Ortsgemeinde in der Verbandsgemeinde Bodenheim - wurden 2023 an zwei Standorten der Mainzer Straße insgesamt zwölf Stolpersteine verlegt.

undefined Aufn. A. Tewes, 2023, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 84 f.

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Bilder - Dokumente, Eduard Roether Verlag, Darmstadt 1973, S. 27

Mathias Rohde, Vom Wucherer zum angesehenen Geschäftsmann?  Bodenheimer Juden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: "Mitteilungsblatt zur rheinhessischen Landeskunde, NF", Themenheft Bodenheim, Jg. 3/2001 S. 35 - 47

Bodenheim mit Nackenheim, in: alemannia-judaica.de (mit einigen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Wolfgang Kemp, Die jüdische Gemeinde Bodenheim/Nackenheim, in: Bernhard Marschall (Hrg.), 1250 Jahre Albansgemeinde Bodenheim, Beiträge zur Vergangenheit und Gegenwart, Alzey 2003, S. 182 – 203

Horst Kasper, Der jüdische Friedhof in Bodenheim und Schicksale der ehemaligen jüdischen Bürger und Bürgerinnen von Bodenheim und Nackenheim, Bodenheim 2004

Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 120

Hans-Peter Laqueur, Bodenheim und die Familie Bamberger. Sich schließende Kreise, Aufsatz (2010)

Helena Sender-Petry (Red.), Sichtbare Zeichen setzen – Gunter Demnig verlegt 21 Stolpersteine in Bodenheim, in: "Allgemeine Zeitung“ vom 5.5.2012

Lena Fleischer (Red.), Zum Unterricht in die Synagoge, in: "Allgemeine Zeitung“ vom 1.6.2012 (betr. jüd. Lehrer Mayer Reiss)

Stefan Haas, Belegungsliste des jüdischen Friedhofs in Bodenheim, online abrufbar unter: Jüdischer Friedhof Bodenheim, in: alemannia-judaica.de

Horst Kasper (Bearb.), Die Geschichte des jüdischen Friedhofs in Bodenheim - Vortrag beim Geschichtsverein Mommenheim, April 2013

Horst Kasper (Red.), Verfolgt – enteignet – ermordet. Schicksal der jüdischen Familien Adolf und Sally Blum, in: „Allgemeine Zeitung“ vom 14.3.2014

Auflistung der in Bodenheim verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Bodenheim

Nackenheim im Nationalsozialismus – Menschen. Lebenswelten. Orte. Erinnerung, online abrufbar unter: nackenheim-im-nationalsozialismus.de

Michael Türk (Red.), Stolpersteine für Nackenheim, in: „LZ – Lokale Zeitung“ vom 8.6.2023

Jana Scheurich (Red.), Neue Stolpersteine in Nackenheim, in: „Allgemeine Zeitung“ vom 15.9.2024