Borghorst (Nordrhein-Westfalen)

Datei:Gfs-Steinfurt.jpg Datei:Steinfurt in ST.svg Borghorst ist heute ein Ortsteil der Stadt Steinfurt - etwa 35 Kilometer nordwestlich von Münster gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte 'Grafschaft Steinfurt', um 1660, aus: genwiki.genealogy.net  und  Kartenskizze 'Kreis Steinfurt', TUBS 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

In Borghorst haben sich vermutlich erst zu Beginn des 18.Jahrhunderts jüdische Familien niedergelassen; ihre Zahl blieb aber stets gering und betrug zu keiner Zeit mehr als 50 Personen. Die Borghorster Juden, die unter dem Schutz des Bischofs von Münster standen, waren durch besonders hohe Abgaben belastet; zudem machte ihnen die Handelskonkurrenz ihrer Glaubensgenossen aus dem nahen Burgsteinfurt zu schaffen. Ihre ökonomischen Verhältnisse blieben bis ins 19.Jahrhundert sehr bescheiden; als Hausierer und Metzger war es ihnen schwer, „ihr täglich Brot zu gewinnen“. Erst Jahrzehnte später besserte sich die Situation spürbar; nun verdienten einige ihren Lebensunterhalt im Viehhandel.

Fanden gottesdienstliche Treffen bis gegen Mitte des 19.Jahrhunderts ausschließlich in wechselnden privaten Räumen von Gemeindemitgliedern statt, so gelang es der kleinen jüdischen Gemeinschaft - sie gehörte ab ca. 1850 als Filialgemeinde der Hauptsynagogengemeinde Burgsteinfurt an -, 1854/1855 einen eigenen Synagogenbau im Dorfzentrum zu erstellen, und zwar an der Ecke Mittelstraße/Lechtestraße; ermöglicht wurde der Bau durch ein Darlehen eines hiesigen Fabrikanten.

Datei:Borghorst-Synagoge3.jpg 

Synagoge in Borghorst (hist. Aufn. um 1925) - Bauzeichnung (beide Abb. G. Sporkmann, 2012, Stadtarchiv)

Ein Jahr nach der Fertigstellung des Synagogenbaues gab sich die Gemeinde eine Synagogenordnung, in der es u.a. hieß:

                                                                           

1. Dem Vorsteher obliegt es, die Ruhe und Ordnung in der Synagoge während des Gottesdienstes zu überwachen und mit allen Kräften darauf hinzuwirken, dass jedwede Störung gemieden werde. Anordnungen dieser Art sollen durch Anschlag in der Synagoge bekannt gemacht werden und es steht dem Vorsteher frei, Verstöße gegen diese Anordnung mit 10 Sgr. bis 3 Thalern zu ahnden.

2. Der Vorsteher besorgt die Angelegenheiten der Gemeinde-Bedürfnisse, und hat derselbe alljährlich einmal und zwar an den Pessach Halbfeiertagen der Gemeinde ein Rechnungs-Resultat vorzulegen. ...

6. Nicht-Selbständige der Gemeinde, welche das dreizehnte Jahr überschritten haben, zahlen für einen Platz in der Synagoge ... einen Thaler 15 Sgr. pro Jahr ...

(vollständige Synagogenordnung siehe: Willi Feld, Synagogen im Kreis Steinfurt. Geschichte - Zerstörung - Gedenken, S. 101 - 103)

Die Planungen für die Errichtung einer eigenen Schule wurden nicht realisiert; die jüdischen Kinder erhielten weiterhin Elementarunterricht an den die christlichen Schulen, und nur den Religionsunterricht erteilte ein jüdischer Lehrer aus Burgsteinfurt.

Auch ein jüdischer Friedhof war am Ort vorhanden; er befand sich in der Dumter Straße/Prinzenstraße.

Juden in Borghorst:

         --- um 1720 .......................  2 jüdische Familien,

    --- 1816 ..........................  5     “       “   (ca. 30 Pers.),

    --- 1852 ..........................  9     “       “   (ca. 45 Pers.),

    --- 1871 .......................... 53 Juden,

    --- 1895 .......................... 56   "  ,

    --- um 1910 ................... ca. 55   “  ,

    --- 1925 .......................... 41   "  ,

    --- um 1930/35 ................ ca. 40   “  .

Angaben aus: Willi Feld, Synagogen im Kreis Steinfurt. Geschichte - Zerstörung - Gedenken, S. 57 - 61

und                  ders., Steinfurt-Borghorst, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen …, S. 657

 Borghorst um 1910 (Aufn. Borghorster Heimatverein)

 

Anfang der 1930er Jahre lebten ca. 40 Bewohner jüdischen Glaubens in Borghorst. Diskriminierungen und auch gewaltsame Übergriffe lassen sich seit 1934 nachweisen; so wurden mehrfach Scheiben der Wohnungen jüdischer Familien und einmal auch der Synagoge eingeworden. Trotzdem ließen sich die meisten Dorfbewohner nicht davon abhalten, weiterhin Kontakte zu unterhalten und Geschäfte mit jüdischen Viehhändlern abzuschließen. Das Synagogengebäude, das bereits im Herbst 1938 nicht mehr im Besitz der jüdischen Gemeinde war, wurde am 9./10. November 1938 nach einer Brandstiftung völlig eingeäschert. Auch Wohnungen jüdischer Einwohner wurden demoliert. In der Chronik der Pfarrgemeinde hieß es dazu: ... Einen sonderbaren Abschluß fand dieses Jahr der 9.November, der Tag des Blutmarsches, jetzt Siegesmarsches von München 1923. In der Nacht zum 10.November 4 Uhr kurzer Alarm, 5 Uhr kurzes Läuten der Brandglocken; die Synagoge brennt. Gelöscht wurde nicht, man begnügte sich damit, die anliegenden Häuser zu schützen. Alles, aber auch alles wurde demoliert, kurz und kleingeschlagen, von den Fensterscheiben bis zu den Möbeln und Bildern. Nicht einmal die Vorräte an Lebensmitteln verschonte man. Einmachgläser, Weinflaschen, alles zerstört. Es ging den ganzen Tag über, bis dann am Nachmittag der ... Aufruf des Propagandaministers kam. Schulkinder halfen beim Demolieren. Es war unbeschreiblich.” 

Brennende Synagoge Borghorst 1938  

Brennende Synagoge und Synagogenruine, Nov. 1938 (Aufn. A.Homann, aus: stolpersteine-steinfurt.de und Stadtarchiv Steinfurt)

Die jüdischen Männer wurden inhaftiert, zwei von ihnen ins KZ Sachsenhausen eingeliefert. Unmittelbar nach dem Pogrom verkauften die jüdischen Familien Hals über Kopf ihren Immobilienbesitz, den zumeist die Kommune erwarb. Mehrere jüngere Borghorster Juden emigrierten bzw. hatten diesen Schritt schon getan. Etwa 20 Juden aus Borghorst wurden 1941/1942 deportiert, 16 von ihnen kamen ins Ghetto Riga. Die letzten beiden Borghorster Juden, Siegmund Eichenwald und Frau, wurden Ende Juli 1942 nach Theresienstadt verschleppt.

 

Nur eine einzige Jüdin, die die Lagerhaft überlebt hatte, kehrte 1945 nach Borghorst zurück; vier Jahre später wanderte sie in die USA aus.

Zur Erinnerung und Mahnung an die Ereignisse des Novemberpogroms wurde im Jahre 1965 am einstigen Standort der Synagoge eine Stele errichtet, die unter einer großen Menora die Worte trägt:

Hier stand das Gotteshaus der jüdischen Gemeinde.

Es wurde am 9.November 1938 zerstört durch Frevlerhand.

               Gedenkstele (Aufn. Georg Sporkmann, 2014, aus: wiki-de.genealogy.net)

Seit 1995 trägt der Platz hinter dem alten Rathaus zum Gedenken an eine der einst in der Stadt lebenden jüdischen Familien den Namen „Heimann-Platz“. Zehn Jahre später ließ eine Bürgerinitiative vor den Wohnhäusern der ehemals hier lebenden jüdischen Familien sog. „Stolpersteine“ verlegen, deren Anzahl sich derzeit auf ca. 40 Steine beläuft (Stand 2022).

 

"Stolpersteine" verlegt in der Wattendorfer Straße - Alte Lindenstraße – Münsterstraße (Aufn. wiki-de.genealogy.net)

2010 sind die Umrisse der ehemaligen Synagoge reliefartig in die Pflasterung eingebracht worden und sollen - in Verbindung mit einer Sandsteinstele - als Mahnmal verstanden wissen; auf der Stele sind die Namen der jüdischen Familien festgeschrieben, die um 1930 in Borghorst gelebt haben.

Das an der Dumtertraße/Ecke Prinzenstraße liegende jüdische Friedhofsgelände – es wurde von 1842 bis 1940 belegt - weist heute noch 26 Grabsteine auf.

 

[vgl. Burgsteinfurt (Nordrhein-Westfalen)] 

 

 

 

Weitere Informationen:

Dieter Otterbeck, Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Borghorst (unter besonderer Berücksichtigung des Emanzipationsprozesses seit Beginn des 19.Jahrhunderts, Prüfungsarbeit PH Westfalen-Lippe, Abt. Münster, 1965/1966 (unveröffentl. Manuskript)

Dieter Otterbeck, Aus der Geschichte der Landjudengemeinde in Borghorst, in: "Borghorster Heimatblätter", 35/1984, S. 15 ff.

Karl Bülter, Der Judenfriedhof in Borghorst, in: "Borghorster Heimatblätter", 38/1987, S. 13 f.

Maria Bäumer, Erinnerungen an jüdische Familien in Borghorst, in: "Borghorster Heimatblätter", 38/1987, S. 7 - 12

Stephanie Brood/Andreas Grönefeld, Antisemitismus in Borghorst, in: "Steinfurter Schriften 10", Steinfurt 1989

Willi Feld, „... daß die hiesigen Juden für Steinfurt wichtig sind“. Die Juden in der Geschichte der ehemaligen Stadt Burgsteinfurt, in: Geschichte und Leben der Juden in Westfalen 1, Münster 1996

Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen. Regierungsbezirk Münster, J.P.Bachem Verlag, Köln 2002, S. 402 - 404

Willi Feld, Die Geschichte der Juden im Kreis Steinfurt, in: "Steinfurter Hefte 13, ‘Geschichte des Judentums im Kreis Steinfurt’", Steinfurt o.J.

Willi Feld, Synagogen im Kreis Steinfurt. Geschichte - Zerstörung - Gedenken, Hrg. vom Landrat des Kreises Steinfurt, 2004, S. 57 – 61

Willi Feld (Bearb.), Steinfurt-Borghorst, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Münster, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen XLV, Ardey-Verlag, München 2008, S. 650 – 661

H.v.d. Driesch/K.F. Herhaus/ G. Konermann-Nobis/U. Kunze/O. Löpenhaus/U. Rosengart/B. Wachsmuth-Ritter (Hrg.), Stolpersteine Burgsteinfurt. Eine Dokumentation von 2007 – 2012, Stolperstein-Initiative Burgsteinfurt 2012

Gudrun Niewöhner (Red.), Bruno Eierhoff hat Synagoge nachgebaut, aus: „Westfälische Nachrichten“ vom 7.11.2012

Stolpersteine Steinfurt – Dokumentation Borghorst, online abrufbar unter: stolpersteine-steinfurt.de/dokumentationen/dokumentation-borghorst/ (Anm. mit biografischer Dokumentation der jüdischen Familien)

Auflistung der in Steinfurt- Borghorst verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Steinfurt

Gedächtnissteine für Opfer des Nationalsozialismus, in: wiki-de.genealogy.net/Borghorst

Axel Roll (Red.), Bemühungen der Borghorster Initiative „Stolpersteine“ hinterlässt tiefen Eindruck, in: „Münstersche Zeitung“ vom 15.5.2019

Axel Roll (Red.), Schwierige Spurensuche, in: „Münstersche Zeitung“ vom 13.3.2023 (betr. jüdischen Friedhof)

Erinnerung und Geschichte(n), Gedenkkultur im Kreis Steinfurt, in: stolpersteine-steinfurt.de