Boskowitz (Mähren)

Mährisch-Schlesische Nordbahn – Wikipedia 

 

 

 

 

Die südmährische Kleinstadt Boskowitz ist das tschechische Boskovice/Kreis Blansko mit derzeit ca. 11.500 Einwohnern - etwa 35 Kilometer nördlich von Brünn (Brno) gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: e.wikipedia.org/wiki/Mährisch-Schlesische_Nordbahn und Kartenskizze 'Tschechien' mit Boscovice rot markiert, P.V. 2006, aus: commons.wikimedia.org CC BY-SA 3.0).

 

Die Gemeinde in Boskowitz war eine der größten und bedeutendsten jüdischen Gemeinden Mährens.

Der Ursprung der jüdischen Gemeinde von Boskowitz lässt sich bis in die erste Hälfte des 14.Jahrhunderts zurückverfolgen, als die hier stattfindenden Märkte jüdische Händler anlockten und zur Ansiedlung führten. Anderen Quellen zufolge sollen sich bereits im 11.Jahrhundert (!) Juden in Boskowitz aufgehalten haben. Zur Zeit Karls IV. (1316-1378) soll es in Boskowitz eine der größten Judengemeinden Mährens gegeben haben. Gegen Mitte des 15.Jahrhunderts siedelten sich dann aus Brünn ausgewiesene Juden hier an. Ihre Behausungen hatte die jüdische Bevölkerung in einem eigenen Ghetto-Bezirk (südlich des Hauptplatzes), der an christlichen Sonn- und Feiertagen von den dort lebenden Menschen nicht verlassen werden durfte. Die beengten Wohnverhältnisse brachten es mit sich, dass die Judengemeinde wiederholt zum Schauplatz verheerender Feuersbrünste und Epidemien wurde. So wütete 1715/1716 die Pest, der fast 200 Juden zum Opfer gefallen sein sollen, und im Jahre 1823 äscherte eine Feuersbrunst fast den gesamten Juden-Bezirk ein.

                          Eingangstor zum ehem. Ghetto, um 1928 (aus: aufrichtig.com/01/-Boskovice)

Die älteste bekannte Synagoge wurde 1639 im Stile des Barock - ein Werk des italienischen Baumeisters Sylvester Fiota aus Chiavenna - errichtet; sie besaß eine wertvolle Innenausstattung mit hebräischen liturgischen Texten, zudem dekorative Freskenmalereien mit Ornamenten und Pflanzenmotiven, die später erstellt wurden. Daneben existierten noch weitere Gebetstuben in der Stadt. Die jüdische Schule gehörte zu den ältesten Einrichtungen der Boskowitzer Gemeinde; das erste Schulhaus wurde gegen Ende des 16.Jahrhunderts errichtet. Erst seit Mitte des 19.Jahrhunderts wurde diese als Elementarschule geführt: je eine für Jungen und eine kleinere für Mädchen. An der Wende des 18. zum 19.Jahrhundert gab es in Boskowitz eine weithin anerkannte Jeschiwa, die sich der Talmudforschung widmete.

                                   Synagoge (hist. Ansichtskarte)

Zu den weiteren gemeindlichen Einrichtungen gehörten ein Spital und ein rituelles Bad.

Verschiedene lokale jüdische Vereine hatten sich dem Allgemeinwohl verschrieben. Bis zur Auflösung der politischen Judengemeinde im Jahre 1919 verfügte die Judenschaft über eigene Bürgermeister und über eine eigene, 1863 gegründete Feuerwehr. Daneben versah ein jüdischer Polizist Ordnungsaufgaben innerhalb der Judengemeinde.

Am westlichen Stadtrand befand sich der jüdische Friedhof. Sein genaues Alter ist unbekannt, vermutlich wurde er im 16.Jahrhundert angelegt. Die ältesten erhaltenen Grabmäler stammen aus dem Ende des 17.Jahrhunderts.

 

alter, in den Boden versunkener Grabstein (aus: south-moravia.info)  -  barocker Grabstein (Aufn. Ben Skála, 2007)

Zeitweise war Boskowitz Sitz des mährischen Landesrabbinats.

Juden in Boskowitz:

    --- um 1590 ..................... ca.   150 Juden,

    --- um 1730 ..................... ca. 1.500   "  ,

    --- um 1765 ..................... ca. 1.100   "  ,

    --- 1793 ........................ ca.   300 jüdische Familien,

    --- um 1810/20 .................. ca.   320      "       "   ,*

    --- 1830 ............................ 1.595 Juden,*

    --- 1848 ............................ 1.973   “  ,*   * Israelit. Gemeinde

    --- 1857 ............................ 2.018   “  ,*

    --- 1869 ............................ 1.591   “  ,*

    --- 1880 ............................ 1.009   “  ,*

             ............................   314   “  ,

    --- 1890 ............................   893   “  ,*

             ............................   298   “  ,

    --- 1900 ............................   252   “  ,**     ** andere Angabe: 600 Pers.

             ............................   850   “  ,*

    --- 1930 ............................   395   “  .*

Angaben aus: Theodor Haas, Juden in Mähren - Darstellung der Rechtsgeschichte und Statistik ..., S. 58

und                    Gemeinde View: Boskovice, online abrufbar unter: jewishgen.org/austriaczech/TOWNS/Boskovice.htm

https://berans.files.wordpress.com/2011/01/cropped-boskowitz-square2.jpg

(Abb. aus: The history of the Jewish Beran family from Boskowitz in Moravia)

 

Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts erreichte die Zahl der in Boskowitz lebenden Juden ihren Zenit; knapp 40% der gesamten Bevölkerung war jüdischen Glaubens. Im Gefolge der rechtlichen Gleichstellung und Emanzipation setzte dann auch in Bodkowitz - wie in fast allen kleineren Städten - ab ca. 1870/1880 eine deutliche Abwanderung jüdischer Familien ein und die Zahl der Gemeindemitglieder schrumpfte stark. 1919 wurde die bis dahin autonome „Judenstadt“ mit der eigentlichen Stadt Boskowitz administrativ vereinigt.

In der Zwischenkriegszeit fielen zionistische Ideen bei Teilen der jüdischen Bevölkerung auf fruchtbaren Boden.

Im Frühjahr 1942 wurde die jüdische Bevölkerung von Boskowitz und dem Umland von den deutschen Besatzungsbehörden „umgesiedelt“, nachdem die Juden zunächst in der Stadt konzentriert worden waren. Im März 1943 erfolgte ihre Deportation ins Ghetto Theresienstadt und von hier zumeist in die Vernichtungslager im besetzten Polen; etwa 460 Personen kamen ums Leben. Das Synagogengebäude wurde zweckentfremdet und diente den NS-Behörden als Lagerraum für die von den Deportierten zurückgelassene und konfiszierte Habe. 

Hunderte Dokumente und Ritualien aus dem Besitz der jüdischen Gemeinde wurden ins zentrale jüdische Museum nach Prag transferiert.

Nur 14 Boskowitzer Juden überlebten den Holocaust.

 

Nach dem Krieg kehrten nur wenige der deportierten Juden in die Stadt zurück. Die Gründung einer neuen Gemeinde blieb aber in Ansätzen stecken, und so schloss man sich der jüdischen Gemeinde in Brünn/Brno an.

Von mehreren Synagogenbauten ist heute nur noch ein einziger erhalten geblieben, der in den 1990er Jahren durch eine grundlegende Sanierung vor dem Verfall der Bausubstanz und der wertvollen Fresken gerettet wurde und seit seiner Fertigstellung im Jahre 2002 als Museum dient.

                             

Synagogengebäude (Aufn. J. Komarek, 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0) - Innenraum (Aufn. Lasy, 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

In einem der ältesten Häuser des ehemaligen Ghetto-Viertels findet man eine Keller-Mikwe, die der Öffentlichkeit zugänglich ist.

  Keller-Mikwe (Aufn. Filo, 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Das kulturhistorisch wertvolle jüdische Viertel wurde in jüngster Vergangenheit baulich restauriert. Die dafür benötigten finanziellen Mittel wurden u.a. von einer Bürgerinitiative durch Veranstaltungen wie z.B. Musikfestivals aufgebracht. Nach einer umfassenden Sanierung der Synagoge und der ehemaligen jüdischen Schule werden beide Gebäude seit kurzem als Kulturzentrum genutzt.

Der jüdische Friedhof mit seinen mehr als 2.000 erhaltenen Grabsteinen gehört zu den sehenswertesten und größten Begräbnisstätten in Tschechien. Auf dem Begräbnisareal sollen im Laufe der Jahrhunderte etwa 12.000 Verstorbene beigesetzt worden sein. Allerdings schreitet in der Gegenwart der Verfall der Grabmäler kontinuierlich fort, zumal die Vegetation das Gelände immer mehr in Beschlag nimmt.

File:Jewish cemetery (Boskovice)4.JPG

Teilansicht des jüdischen Friedhofs in Boskowitz (Aufn. Lasy, 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)


Aufn. GFreihalter, 2017, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0

In Boskovice erinnern einige "Stolpersteine" an ehemalige jüdische Bewohner, die während der NS-Zeit verfolgt und gewaltsam ums Leben kamen.

Aufn. Ben Skála, 2018, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0

 

 

 

Weitere Informationen:

Theodor Haas, Juden in Mähren - Darstellung der Rechtsgeschichte und Statistik unter besonderer Berücksichtigung des 19.Jahrhunderts, Brünn 1908

Hugo Gold (Bearb.), Geschichte der Juden in Boskowitz, in: Hugo Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Mährens in Vergangenheit und Gegenwart, Jüdischer Verlag, Brünn 1929, S. 123 - 131

Robert König (Bearb.), Geschichte der jüdischen Schule in Boskowitz, in: Hugo Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Mährens in Vergangenheit und Gegenwart, Jüdischer Verlag, Brünn 1929, S. 132 - 137

Bertold Bretholz, Geschichte der Juden in Mähren im Mittelalter, Brünn 1934

Hugo Gold, Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden Mährens, Olamenu-Verlag, Tel Aviv 1974, S. 12 - 18

Ferdinand Seibt (Hrg.), Die Juden in den böhmischen Ländern. Vorträge der Tagung des Collegium Carolinum in Bad Wiessee (von November 1981), R.Oldenbourg-Verlag, München 1983, S. 13 f. und S. 57 - 86

Gemeinde View: Boskovice, online abrufbar unter: jewishgen.org/austriaczech/TOWNS/Boskovice.htm

P.Ehl/A.Parík/Jirí Fiedler, Alte Judenfriedhöfe Böhmens und Mährens, Paseka-Verlag Prag 1991, S. 151

Jaroslav Klenovský, Židovská ctvrt v Boskovicích [Das jüdische Viertel in Boskovice], Boskovice 1991

Jaroslav Bránsky, Das Schicksal der Juden aus Boskowitz und des ehemaligen Boskowitzer Bezirks 1939 – 1945, Boskowice 1995 (in tschechischer Sprache)

Jaroslav Bránsky, The Boscovice Jewish Ghetto Sights, Hrg. Friends of Boscowice Club, 1999

The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 1), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 176/177

The Jewish Community of Boskovice (Boskowitz), Hrg. Beit Hatfutsot – The Museum of the Jewish People, online abrufbar unter: dbs.bh.org.il/place/boskovice

Jewish Families from Boscovice (Boskowitz), Moravia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-Families-from-Boskovice-Boskowitz-Moravia-Czech-Republic/13125

The history of the Jewish Beran family from Boskowitz in Moravia, online abrufbar: berans.wordpress.com

Kateřina Čapková /Hillel J. Kieval (Hrg.), Zwischen Prag und Nikolsburg. Jüdisches Leben in den böhmischen Ländern, in: "Veröffentlichungen des Collegium Carolinum", Band 140, München 2020, u.a. S. 395

Ferdinand Hauser/Radio Prag International (Red.), Geschichte zum Anfassen: Auf Spurensuche im jüdischen Viertel von Boskovice, online abrufbar unter: deutsch.radio.cz vom 26.9.2022