Brakel (Nordrhein-Westfalen)
Brakel ist eine Stadt mit derzeit ca. 16.400 Einwohnern im Kreis Höxter im östlichen Nordrhein-Westfalen – ca. 35 Kilometer östlich von Paderborn gelegen (Amtsdistrikt Brakel um 1560, Abb. aus: wiki-de.genealoy.net und Kartenskizze 'Kreis Höxter', Hagar 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).
Erstmalige Anwesenheit von Juden in dem zwischen Egge-Gebirge und Wesertal gelegenen Brakel ist für die Zeit um 1560 urkundlich belegt. In der Folgezeit müssen sich weitere Familien hier angesiedelt haben, denn ab Ende des 17.Jahrhunderts ist ein Betsaal nachgewiesen, den die sich bildende kleine Gemeinde genutzt hat. Seitens der einheimischen Bevölkerung wurde mehrfach versucht, die Juden aus der Kleinstadt zu verdrängen.
Die Existenz einer eigenständigen Gemeinde in Brakel ist seit 1704 dokumentiert. In einem 1704 an den Fürstbischof Franz Arnold verfassten Bericht des Stadtmagistrats hieß es u.a.:
Hochwürdigst-Hochgebohrner Fürst, gnädigster Herr
Euer Hochfürstlichen Gnaden ... übersenden wir hiebey die Designation deren in hiesiger Stadt jetzo wohnender Juden in gebührender Underthänigkeit.
Nachdemahlen nun Euer Hochfürstlichen Gnaden auß denen vormahls eingekommenen allgemeinen bekanden Gravaminibus vorlengst in Gnaden wahrgenohmmen haben, welcher gestaldt die Judenschafft sich nicht allein in der Zahl, sondern auch in der Handlung dermassen vermehret, daß denen Christen alle Nahrung und Kauffmannschafft darnieder gelegt ... und alles liebe Brodt vor dem Mundt abgeschnitten wirdt, andere durch dieselbe verhehlete Diebereyen und Ungelegenheiten zugeschweigen ...
(Nun folgt die Aufzählung von elf jüdischen Familien)
Obgemeldete Juden bewohnen zehn bürgerliche Wohnungen, und haben Jonas, Matthias, Israel, Moyses, David und Salomon Junior noch jüngst, und zwarn binnen letzten 10 bis 12 Jahren ihr eigene Haushaltung angefangen und das Glaydt erhalten, gestalten zuvorn alhier nur 6 Familien gewohnet.
Die Juden in Brakel wohnten in angemieteten Häusern und bestritten im 18./ 19.Jahrhundert ihren Lebensunterhalt zumeist mit dem Vieh- u. Pferdehandel sowie Getreidehandel, später vorwiegend mit dem allgemeinen Handel.
In den 1840er Jahren konnte die jüdische Gemeinde nach jahrzehntelangen Querelen mit den Behörden eine Synagoge mit Schule an der Ostheimer Straße errichten lassen, die eine baufällige Betstube im Nebengebäude eines Landwirts ersetzte. Nach amtlicher Auflage durfte sich das Gebäude äußerlich nicht von umstehenden Wohnhäusern unterscheiden und musste in bestimmter Entfernung zur christlichen Kirche stehen, um „Störungen zu vermeiden“!
Die Weihe des schlichten Gotteshauses, das insgesamt über ca. 100 Plätze verfügte, erfolgte im Herbst 1844 durch den Oberrabbiner Abraham Sutro aus Münster. Über dem Eingang war eine Zeile aus Maleachi 2,10 zu lesen: „Haben wir nicht alle einen Vater, hat nicht ein Gott uns erschaffen?“ Der Betraum befand sich im Hinterhaus und erstreckte sich über zwei Etagen. Zugang erfolgte über Eingang und Flur des Vorderhauses; zur Frauenempore führte eine Treppe im Vorderhaus. Eine „im maurischen Stile ausgeführte herrliche Deckenmalerei“ soll den Betraum geziert haben.
Bis ins Jahr 1930 gab es auch eine jüdische Elementarschule, die in der Synagoge untergebracht war.
Der Begräbnisplatz der Judenschaft von Brakel befand sich seit Mitte der 1850er Jahre auf einem Grundstück am Hembser Berg. Zuvor war ein anderes Areal (vermutlich in der Gegend der heutigen Klöckerstraße) genutzt worden. In der NS-Zeit wurde der Friedhof jedoch weitgehend zerstört.
Zu der 1857 konstituierten Synagogengemeinde Brakel zählten auch die jüdischen Bewohner aus Erkeln und Riesel.
Juden in Brakel:
--- 1652 ........................... 7 jüdische Familien,
--- um 1710 .................... ca. 10 “ “ ,
--- um 1720 ........................ 12 " " ,
--- 1778 ........................... 12 “ “ ,
--- um 1805 ........................ 65 Juden,
--- 1831 ........................... 102 “ ,
--- 1846 ........................... 184 “ ,* * Synagogenbezirk Brakel
--- 1857 ........................... 171 “ ,*
--- 1871 ........................... 159 “ ,*
--- 1880 ........................... 143 “ ,*
--- 1895 ........................... 123 “ ,*
--- 1910 ........................... 106 “ ,*
--- 1925 ........................... 97 “ ,*
--- 1933 ........................... 108 “ ,*
--- 1939 ........................... 35 “ ,
--- 1946 ........................... 3 “ .
Angaben aus: Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Band III: Reg.bez. Detmold, S. 183
Stadtzentrum mit Rathaus, um 1890 (Abb. aus: Stadtarchiv Brakel)
Neben dem ostwestfälischen Steinheim war Brakel im 19.Jahrhundert ein Zentrum des Getreidehandels jüdischer Kaufleute. Während die Bedeutung des Getreidehandels in Steinheim gegen Ende des 19.Jahrhunderts deutlich zurückging, konnten die jüdischen Getreidehändler in Brakel (Flechtheim, Heineberg u. Weiler, die sog. „Drei Heiligen Könige von Brakel") diese jüdische Domäne noch über Jahre hinweg behaupten.
Zu Beginn der 1920er Jahre lebten die meisten Juden von Brakel in unmittelbarer Nähe des Marktes und des Rathauses. Neben dem traditionellen Viehhandel war der Einzelhandel nun ihr wichtigster Erwerbszweig. Das größte jüdische Unternehmen am Ort war damals noch die Saatgut- und Getreidehandlung von Richard Flechtheim.
Anlässlich des Boykotts jüdischer Geschäfte ließ die NSDAP-Ortsgruppe den folgenden Aufruf im „Brakeler Stadtanzeiger” veröffentlichen:
A U F R U F .
Die Juden im Auslande haben unberechtigt einen Lügenfeldzug gegen Deutschland in großer Form eröffnet und zum Warenboykott gegen unsere Nation aufgerufen. Keinem Juden in Deutschland ist und wird ein Haar gekrümmt. Das deutsche Volk hat den Abwehrboykott aufgenommen. Ab Samstag, den 1.April pünktlich 10 Uhr hört jede Verbindung Deutscher mit Juden auf. Kein Deutscher kauft von Juden, noch verkauft er an sie. Die strikte Durchführung wird von SA und SS bewacht. Jeder Deutscher muß den Abwehrkampf mitmachen. Solange Juda die Folgen der Lügen und Deutschenhetze nicht hundertprozentig gut macht, bleibt der Boykott bestehen.
Es lebe Deutschland Nieder mit den Verrätern
N S D A P, Ortgr. Brakel
(Ausgabe vom 31.3.1933)
Ab 1934 wurden dann alle „Volksgenossen“ fotografiert, die weiterhin in jüdischen Geschäften einkauften. Die Aufnahmen wurden anschließend in einem Informationskasten des „Stürmers” öffentlich ausgehängt.
Die Synagoge in Brakel überstand die „Kristallnacht“ äußerlich weitgehend unversehrt. Auf eine Brandlegung wurde wegen ihrer unmittelbaren Nähe zu Fachwerkhäusern verzichtet. Im Jahre 1939 ging das Gebäude in „arischen“ Besitz über. Wegen umfangreicher Umbauten und Teilabrisse ist vom damaligen Erscheinungsbild des Synagogengebäudes nichts geblieben.
Wer sich in den folgenden Jahren nicht durch Emigration retten konnte, der wurde 1941/1942 nach Riga bzw. nach Warschau deportiert. Auf dem letzten der drei Transporte nach Theresienstadt (Ende Juli 1942) befanden sich 19 Bewohner jüdischen Glaubens aus Brakel.
Um 1960 wurde der jüdische Friedhof, der in der NS-Zeit stark zerstört worden war, weitgehend wiederhergestellt. Auf dem Gelände am Hembser Berg befinden sich heute ca. 230 Grabsteine.
Teilansicht jüdischer Friedhof (Aufn. P., 2019, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
Seit dem Jahre 1990 gibt es hier eine Gedenktafel, die alle während der NS-Zeit ums Leben gekommenen Juden Brakels namentlich nennt. Auf dem bis zur Mitte des 19.Jahrhunderts belegten alten jüdischen Friedhof (nahe der heutigen Klöckerstraße) sind hingegen keine Grabstätten mehr sichtbar.
2015 wurde in der Ostheimer Straße vor dem Haus Nr. 14 (ehemalige Synagoge) der sog. "Schalom-Stein" in den Gehweg eingelassen; diese mit hebräischen Schriftzeichen versehene Steinplatte soll die Erinnerung an die einst hier befindliche Synagoge wachhalten.
Initiiert vom Heimat- und Museumsverein Brakel wurden im Ort sog. „Stolpersteine“ verlegt; die ersten 16 Steinquader erinnern seit 2023 am Markt und am Thy an Angehörige der vier jüdischen Familien Flechtheim, Königheim, Rothenberg und Weiler.
für Angehörige der Fam.Rothenberg (Aufn. F. Spiegel, "Westfalen-Blatt" vom 26.2.2024)
Wenige Monate später folgten weitere zehn Steine am Schoppenstiel, die an die jüdischen Familien Hakesberg und Lobbenberg erinnern sollen.
Wenn die Aktion abgeschlossen ist, sollen dann insgesamt 59 messingfarbene Gedenkquader verlegt sein.
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Weitere Informationen:
Hildegard Kraft, Die rechtliche, wirtschaftliche und soziale Lage der Juden im Hochstift Paderborn, Dissertation, Universität Münster 1938 (erschienen in: "Westfälische Zeitschrift", II/1938, S. 101 - 204)
Herbert Engemann, Zur Geschichte der Judengemeinde, in: Brakel 829 - 1229 - 1979, Brakel 1979, S. 265 - 273
Herbert Engemann, Das jüdische Schulwesen Brakels im 19.Jahrhundert, in: Brakel 829 - 1229 - 1979, Brakel 1979, S. 274 - 288
Bernhard Junker, Zur Geschichte des jüdischen Friedhofs in Brakel, in: Brakel 829 - 1229 - 1979, Brakel 1979, S. 294 - 298
Brigitta Schulte, Die Synagogengemeinde in Brakel von ihren Anfängen bis zu ihrer Vernichtung im 3.Reich, Schriftliche Hausarbeit Erste Staatsprüfung, Paderborn 1984
Herbert Engemann/Ulrich Ernst, Nationalsozialismus und Verfolgung in Brakel - Dokumentation, Hrg. Stadt Brakel, Brakel 1988, S. 75 ff.
Herbert Engemann, Zur Geschichte der jüdischen Mitbürger in Brakel. 50 Jahre „Reichskristallnacht“, in: "Brakeler Schriftenreihe" Heft 6/1990 (Dokumentation der Ausstellung der Stadt Brakel vom November 1988)
Arno Herzig (Bearb.), Landjuden – Stadtjuden. Die Entwicklung in den preußischen Provinzen Westfalen und Schlesien im 18. u. 19.Jahrhundert, in: M.Richarz/R.Rürup (Hrg.), Jüdisches Leben auf dem Lande, in: Studien zur deutsch-jüdischen Geschichte, Tübingen 1997, S. 97 f.
Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen: Band III: Regierungsbezirk Detmold, J.P. Bachem Verlag, Köln 1998, S. 182 - 188
Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 in Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 77/78
Dina van Faassen, “Das Geleit ist kündbar”. Quellen und Aufsätze zum jüdischen Leben im Hochstift Paderborn von der Mitte des 17.Jahrhunderts bis 1802, in: "Historische Schriften des Kreismuseums Wewelsburg", Band 3, Klartext-Verlag, Essen 1999, S. 115/116
The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 1), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 181
Stadt Brakel (Hrg.), Der jüdische Friedhof in Brakel. Dokumentation der Grabinschriften mit Fotoaufnahmen der Grabsteine, Brakel 2005 (als PDF-Datei unter brakel.de abrufbar)
Herbert Engemann (Bearb.), Brakel, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Detmold, Ardey-Verlag, Münster 2013, S. 328 - 337
Archiv Brakel (Red.), Jüdisches Leben in Brakel undUmgebung, in: brakel-archiv.de
Helga Krooß (Red.), Brakel: Schalom-Stein enthüllt, in: “Neue Westfälische Zeitung” vom 22.5.2015
Sabine Robrecht (Red.), Auf den Spuren jüdischen Lebens – Schalom-Stein vor der ehemaligen Synagoge in Brakel in würdiger Gedenkstunde enthüllt, in: "Zeitung für Bad Driburg und Brakel - Westfalen-Blatt" vom 23/24.5.2015
Reinhold Budde (Red.), Stolpersteine erinnern in Brakel an das jüdische Leben, in: „Westfalen-Blatt“ vom 5.5.2023
Frank Spiegel (Red.), Stolpersteine erinnern an Juden aus Brakel, in: „Westfalen-Blatt“ vom 26.2.2024
Burkhard Battran (Red.), Gedenken an Deportationen – Diese kleinen Steine sollen die Erinnerungskultur in Brakel beleben, in: „NW – Neue Westfälische Zeitung“ vom 27.2.2024
Vera Gerstendorf-Welle (Red.), Geschichten gegen das Vergessen. Stolpersteine für Brakel: Erinnerung an jüdisches Leben, in: “Westfalen-Blatt” vom 29.3.2024
Burkhard Battran (Red.), Ermordet in Treblinka oder Auschwitz: Zehn Stolpersteine in Brakel verlegt, in: “NW – Neue Westfälische Zeitung” vom 23.4.2024
Auflistung der in Brakel verlegten Stolperstein, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Brakel
Astrid E.Hoffmann (Red.), Ausstellung “Stolpersteine für Brakel” eröffnet, in: “Westfalen-Blatt” vom 3.11.2024
Frank Spiegel (Red.), Stolpersteine erinnern an Familie Weiler am Gänseanger, in: “Westfalen-Blatt” vom 13.11.2024