Bozen/Südtirol (Italien)
Karte von Südtirol (Abb. aus: L., 2009, wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Stadtansicht von Bozen - erstellt von Ludwig Pfendter, 1607 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Die ersten Spuren jüdischen Lebens in Südtirol reichen bis Ende des 13.Jahrhunderts zurück; so waren die wenigen namentlich bekannten Juden hier im Geldgeschäft tätig. Wie Dokumente belegen hatte der Habsburger Graf Friedrich IV. („Friedrich mit der leeren Tasche“) im Jahre 1431 ein Privileg ausgestellt, das vier jüdischen Familien seinen Schutz bzw. und ein Aufenthalts- und Handelsrecht in Bozen zusicherte.
Doch siedelten sich Juden hier nicht dauerhaft an, weil Innsbruck größere Anziehungskraft für jüdische Händler besaß.
Von der 1520 durch Kaiser Maximilian I. erfolgten Ausweisung aller in Tirol ansässigen Juden waren die wenigen Familien aus Bozen nicht betroffen. Zuzüge einiger Juden nach Bozen sind aus dieser Zeit belegt. Auf Grund einer Polizeiverordnung (von 1573) mussten fortan alle hier lebenden bzw. auch die sich nur kurzzeitig hier aufhaltenden Juden ein sichtbares äußerliches Kennzeichen tragen.
Urkundlich belegt ist ein jüdischer Friedhof in Bozen seit dem Jahr 1431, und zwar im Garten der derzeitigen Propstei (nicht weit vom christlichen Friedhof entfernt). Im 16. Jahrhundert wurde eine jüdische Begräbnisstätte beim "Ziegelstadel" (in der Nähe der heutigen Rosministraße) angelegt. 1614 erwarb der Bozener Kaufmann Gerson zwei Grundstücke unterhalb der Haselburg, die Teil des derzeitigen Friedhofes in Oberau sind, um dort jüdische Verstorbene zu begraben.
Nach Meran, dem traditionellen Zentrum jüdischen Lebens in Südtirol, rangierte im 19./20.Jahrhundert die Stadt Bozen als Wohn- und Aufenthaltsort für jüdische Familien nur an nachgeordneter Stelle. So ließen sich in der Landeshauptstadt - verglichen mit Meran - nur wenige jüdische Handelstreibende nieder.Nach 1938 gehörte auch Bozen zu den Städten, in denen jüdische Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland vorübergehend Zuflucht fanden; die Zahl der Juden (sie besaßen unterschiedliche Staatsbürgerschaften), die sich in Bozen Ende 1938 aufhielten war relativ gering (ca. 70 Pers.).
Die Einführung antijüdischer Gesetzgebung in Italien (1939) beendete ihr Leben in scheinbarer Sicherheit.
Unmittelbar nach dem Einmarsch der deutschen Truppen am 8.September 1943 begann die Jagd des Südtiroler Ordnungsdienstes (SOD) und des Sicherheitsdienstes auf die hier noch lebenden jüdischen Bewohner - darunter auch Menschen, die hier vor der nationalsozialistischen Verfolgung Zuflucht gesucht hatten.
Ab Sommer 1944 existierte in der Bozener Reschenstraße das sog. „Polizeiliche Durchgangslager“ für aus rassischen Gründen internierte Juden, Roma und Dissidenten; es löste damit das Lager Fossoli di Carpi (Modena) ab. Mehr als 11.000 Häftlinge wurden durch das Bozener Lager geschleust; von hier gingen mindestens 13 Transporte in Konzentrations- und Vernichtungslager ab. Unbekannt ist die Zahl derjenigen, die nicht mehr zurückkehrten. Via das Lager Reichenau (bei Innsbruck) führte ihr Leidensweg zumeist nach Auschwitz-Birkenau.
Durchgangslager Bozen 1945, aus: L., wikipedia.org, CC BY-SA 3.0
In den unmittelbaren Nachkriegsjahren dienten Teile des Lagers als Unterkünfte für Displaced Persons (Dps), aber auch für „Südtiroler“, die umgesiedelt wurden.
Der jüdische Teil des kommunalen Friedhofs (Oberau) weist eine Reihe von Grabstätten auf; die älteste hier noch erhaltene Grabstätte datiert von 1830.
Jüdischer Friedhof in Bozen, links: Trauerhalle (Aufn. V., 2013, aus: commons.wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Im Stadtgebiet von Bozen befinden sich drei Mahnmale, die an die Deportationen erinnern.
Mahnmal (Aufn. Mauro Mazzio, 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
In den Straßen der Stadt Bozen findet man derzeit ca. 20 sog. „Stolpersteine“, die an Personen mosaischen Glaubens erinnern, die Opfer der Shoa geworden sind (Stand 2022).
Stolpersteine in Bozen (Aufn. Stadtarchiv Bozen, 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Aufn. Chr. Michelides, 2019, aus: wikipedia.org, CC BA-SA 4.0
Weitere Informationen:
Juliane Wetzel, Das Polizeidurchgangslager Bozen, in: W. Benz/B.Diestel, Die vergessenen Lager, in: „Dachauer Hefte“ No.5, München 1994
Joachim Innerhofer/Sabine Mayr, Mörderische Heimat. Verdrängte Lebensgeschichten jüdischer Familien in Bozen und Meran, Edition Raetia, Bozen 1996
Mateo Taibon, Vergessen – verdrängt. Das jüdische Südtirol, in: „pogrom – bedrohte Völker“, No. 221, 5/2002
Cinzia Villani, Zwischen Rassengesetzen und Deportation - Juden in Südtirol, im Trentino und in der Provinz Belluno 1933 - 1945, Bozen 2003
Dario Venegoni, Männer, Frauen und Kinder im Durchgangslager Bozen. Eine italienische Tragödie in 7.800 persönlichen Geschichten. Forschungsbericht, Mailand 2004
Armin Torggler, Die Synagoge in Bozen, in: Simon und Sarah in Bozen. Jüdische Präsenz innerhalb und außerhalb der Stadt bis zum 18.Jahrhundert, in: "Runkelsteiner Schriften zur Kulturgeschichte", Band 4, Bozen 2012
ORF (Hrg.), Die Geschichte der Juden in Bozen, online unter: tvthek.orf.at/history/Geschichte/1 (Sendung vom 4.5.2012)
Sabine Mayr/Hannes Obermair (Red.), Jüdische Opfer des Holocaust in Bozen, längerer Aufsatz 2014 (als PDF-Datei in: gemeinde-bozen.it)
Sabine Mayr/Hannes Obermair, Sprechen über den Holocaust. Die jüdischen Opfer von Bozen - eine vorläufige Bilanz, in: „Der Schlern. Monatszeitschrift für Südtiroler Landeskunde“, No. 88, 2014, Heft 3, S. 4 – 36
Sabine Mayr/Hannes Obermaier, online als PDF-Datei abrufbar unter: gemeinde.bozen.it/UploadDocs/14262_Holocaust_BZ_2015_Stolpersteine_DEUTSCH_(2014)
Sabine Mayr/Joachim Innerhofer, Mörderische Heimat. Verdrängte Lebensgeschichten jüdischer Familien in Bozen und Meran, Edition Raetia Bozen 2016/2017 (Italienische Ausgabe: Quando la patria uccice: Storie ritrovate di famiglie ebraiche in Aldo Adige)
Cittá di Bolzano (Hrg.), Der jüdische Friedhof in Bozen, Stadtarchiv der Stadtgemeinde Bozen, online abrufbar unter: gemeinde.bozen.it/
Auflistung der in Bozen verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: commons.wikimedia.org/wiki/Category:Stolpersteine_in_Bozen (mit Kurzbiografien der betroffenen Personen)
Bettina Gabbe (Red.), Fast vergessene Kurgäste – Verfolgung löschte die Spuren jüdischen Lebens in Südtirol fast völlig aus: in: „Jüdische Allgemeine“ vom 10.1.2016
Sabine Mayr/Joachim Innerhofer, Quando la patria uccice: Storie ritrovate di famiglie ebraiche in Aldo Adige (Die bewegte Geschichte der Südtiroler Juden), 2016