Breidenbach (Hessen)
Breidenbach ist eine Kommune mit derzeit ca. 7.000 Einwohnern im Westen des hessischen Landkreises Marburg-Biedenkopf (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: europe1900.eu und Kartenskizze 'Landkreis Marburg-Biedenkopf', Andreas Trepte 2006, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 2.5).
Gegen Ende des 16.Jahrhunderts haben nachweislich einige wenige jüdische Familien in Breidenbach gelebt, doch bereits um 1500 soll es eine erste, durch die Herren von Breidenbach unterstützte, jüdische Ansiedlung gegeben haben. Die hier lebenden Juden verdienten ihren Lebensunterhalt anfangs vorwiegend im Handel mit Fellen und Häuten. Im Laufe des 19.Jahrhunderts machten Viehhändler den Großteil der jüdischen Gewerbetreibenden aus.
Die Gründung einer eigenständigen Gemeinde erfolgte erst in den 1820er Jahren, da bis dahin kein Minjan zustande gekommen war. Erste Gottesdienste fanden in einer stillgelegten Brauerei statt; ab ca. 1835 besaß die kleine Gemeinde dann eine eigene Synagoge.
Stellenangebote aus der Zeitschrift „Der Israelit“ aus den Jahren 1870 und 1893
Ihre Verstorbenen beerdigten die Breidenbacher Juden zunächst auf dem jüdischen Friedhof in Roth. Zu Beginn des 19.Jahrhunderts kaufte man oberhalb des Dorfes ein Gelände an, das fortan als Begräbnisplatz diente. Die später das Areal umgebende Mauer wurde um die Jahrhundertwende von einem in die USA ausgewanderten Breidenbacher Juden finanziert.
Die Gemeinde Breidenbach gehörte bis 1872 zum Rabbinatsbezirk Gießen, danach zum Rabbinatsbezirk Oberhessen mit Sitz in Marburg.
Juden in Breidenbach:
--- 1728 ............................ 6 jüdische Familien,
--- um 1770 ......................... 4 " " ,
--- 1800 ............................ 35 Juden,
--- 1831 ............................ 73 “ ,
--- 1846 ............................ 95 “ ,
--- 1858 ............................ 104 “ (ca. 14% d. Dorfbevölk.),
--- 1871 ............................ 88 “ ,
--- 1905 ............................ 52 “ ,
--- 1924 ............................ 12 " ,
--- 1933 ............................ 3 jüdische Familien,
--- 1937 ............................ 2 “ “ ,
--- 1939 (Dez.) ..................... keine.
Angaben aus: Jürgen Runzheimer, Abgemeldet zur Auswanderung - Die Geschichte der Juden ..., S. 63/64
Nach 1860/1870 wanderten jüdische Familien aus Breidenbach in größere deutsche Städte ab oder emigrierten nach Nordamerika. Einigen Breidenbacher Familien gelang innerhalb weniger Generationen ein enormer wirtschaftlicher Aufstieg: so besaßen Angehörige der Familien Sonneborn und Stern bedeutende Unternehmen in der Fabrikation von Herrenbekleidung (ca. 4.000 Arbeitskräfte), die Ölwerke Stern-Sonneborn AG (OSSAG) - mit der Tankstellenkette SONOL -, eine Seifenfabrik in Marburg und eine weitere ölverarbeitende Firma in den USA.
Zu Beginn der NS-Zeit lebten am Ort nur noch drei Familien mosaischen Glaubens. Gottesdienste fanden in den 1930er Jahren hier nur noch sporadisch statt. Da das Synagogengebäude sich im November 1938 nicht mehr in jüdischem Besitz befand, blieb es unangetastet. Während der „Reichskristallnacht“ wurden die beiden noch am Orte lebenden jüdischen Familienväter inhaftiert und mehrere Wochen im KZ Buchenwald festgehalten. Bald nach ihrer Freilassung aus der Haft verließen sie mit ihren Familien Deutschland und gingen in die USA; die letzte „in Mischehe“ lebende Jüdin wurde 1942 nach Auschwitz deportiert; damit war Breidenbach „judenfrei”.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden elf aus Breidenbach stammende jüdische Bewohner Opfer der „Endlösung“ (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/breidenbach_synagoge.htm).
Auf dem mit einer Ziegelsteinmauer umfriedeten mehr als etwa ein Jahrhundert genutzten Friedhofsgelände – das letzte Begräbnis fand 1931 statt – sind auf einer Fläche von ca. 1.500 m² noch ca. 50 Grabstätten vorhanden.
jüdischer Friedhof in Breidenbach (Aufn. Inge Sturm, 2009, aus: alemannia-judaica.de und Uwe Seibert, 2016, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Das ehemalige Synagogengebäude wurde bis Ende der 1960er Jahre als Wohnhaus genutzt, ehe es im Zuge von Straßenbaumaßnahmen abgebrochen wurde.
Die ehem. „Jerreschul“ in Breidenbach (Aufn. um 1960, Hinterländer Geschichtsverein)
Weitere Informationen:
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 90 f.
Ludwig Kamm, Die Juden in Breidenbach, in: "Wochenblätter der Gemeinde", mehrere Ausgaben (mit personenbezogenen Daten)
Thea Altaras, Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945? , Königstein i.Ts. 1988, S.102
Jürgen Runzheimer, Abgemeldet zur Auswanderung - Die Geschichte der Juden im ehemaligen Landkreis Biedenkopf, in: Beiträge zur Geschichte des Hinterlandes Band III, Hrg. Hinterländer Geschichtsverein e.V., Marburg 1992, S. 63 ff.
Studienkreis Deutscher Widerstand (Hrg.), Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933-1945, Hessen II Regierungsbezirk Gießen u. Kassel, 1995, S. 146
Norbert Nossek, Die Juden in Breidenbach, Aufsatz 2004 (online abrufbar unter: genealogien-im-hinterland.de/wiki/Die_Juden_in_Breidenbach)
Breidenbach, in: alemannia-judaica.de (mit Textdokumenten zur jüdischen Ortshistorie)