Bremervörde (Niedersachsen)

Lage der Landdrostei Stade Jüdische Gemeinde - Zeven (Niedersachsen)Bremervörde ist eine niedersächsische Kleinstadt mit derzeit ca. 19.000 Einwohnern im Norden des Landkreises Rotenburg/Wümme im Zentrum des sog. Elbe-Weser-Dreiecks zwischen Bremerhaven und Hamburg gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte 'Landdrostei Stade', aus: wikipedia.org, gemeinfrei  und  Kartenskizze 'Landkreis Rotenburg', aus: ortsdienst.de/niedersachsen/rotenburg).

 

Die erste jüdische Ansiedlung in Bremervörde erfolgte um die Mitte des 18.Jahrhunderts. Zuvor waren es nur durchreisende jüdische Handelsleute gewesen, die hier Geschäfte zu machen versuchten. Die Zahl der in Bremervörde lebenden Juden war stets gering; die Familien verdienten ihren Lebensunterhalt vor allem als Viehhändler, Schlachter und Kleinhändler bzw. Kaufleute.

Gottesdienste wurden bis 1936 in einem Raum des Privathauses der Familie Heyn in der Alten Straße abgehalten. Ihren Friedhof „An der Höhne“ legten die Juden Bremervördes um 1770 an.

Der Gemeinde, die zum Landrabbinat Stade gehörte, waren die Ortschaften Basdahl, Elsdorf, Gnarrenburg, Hechthausen, Lamstedt, Mulsum und Warstade angeschlossen. 1858 konstituierte sich die Synagogengemeinde Bremervörde-Zeven.

Juden in Bremervörde:

    --- 1753 .......................... eine jüdische Familie,

    --- 1830 .......................... 13 Juden,

    --- 1861 .......................... 16   “  ,

    --- 1880 .......................... 22   “  ,

    --- 1905 .......................... 17   “  ,

    --- 1925 .......................... 35   “  ,

    --- 1933 .......................... 23   “  (in 8 Familien),

    --- 1935 .......................... 21   “  ,

    --- 1938 ...................... ca. 10   “  ,

    --- 1939 (Mai) ....................  2   “  ,

    --- 1940 ..........................  eine Jüdin,

    --- 1942 (Dez.) ...................  keine.                 

Angaben aus: Elfriede Bachmann, Zur Geschichte der Juden in der Stadt Bremervörde insbesondere im 20. Jahrhundert

und                 A.Baumert/u.a. (Bearb.), Bremervörde, in: H. Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen ..., Bd. 1, S. 344

 

Die in Bremervörde lebenden Juden waren Ende des 19.Jahrhunderts weitgehend in die kleinstädtische Gesellschaft integriert. In ihrer Lebensweise unterschieden sie sich kaum von der christlichen Bevölkerung, da sie ihre orthodoxe Grundhaltung längst aufgegeben hatten.

Im „Heimat- und Adressbuch für den Kreis Bremervörde“ (1930) hieß es: ...Deutsche Staatsangehörige mosaischer Konfession, jüdischer Rasse, gibt es nur in den größeren Orten des Kreises und zwar am zahlreichsten in Bremervörde, größtenteils ortsansässige Familien. In Bremervörde besteht eine Synagogengemeinde. Synagogenvorsteher ist der Kaufmann Heyn, Altestraße 80, der der Synagogengemeinde einen besonderen gottesdienstlichen Raum zur Verfügung gestellt hat.”

Geschäftsanzeige eines jüdischen Kaufmanns Bremervördes aus den 1920er Jahren:

Ende der 1920er Jahre setzte nach Gründung der NSDAP- Ortsgruppe auch in Bremervörde die antisemitische Hetze ein. Mit an die Wände geschmierten antijüdischen Parolen und Reden während öffentlicher Parteiveranstaltungen versuchte man die jüdischen Bewohner ins Unrecht zu setzen.

Über das Geschehen während des Boykotttages in Bremervörde berichtete die „Bremervörder Zeitung” in einem kurzen Artikel:

Zum Boykott

Punkt 10 Uhr zogen heute morgen, wie überall im Reich, die Posten der SS vor den jüdischen Geschäftshäusern unserer Stadt auf. Eine interessierte Menschenmenge folgte der Abteilung. Die Aufstellung geschah ohne irgendwelche Zwischenfälle und ging ruhig vor sich. - Die Posten machten eventuelle Besucher der Geschäfte auf den Boykott aufmerksam und lassen einen eventuellen Verkehr ungestört zu. Das Verhalten der Posten macht tiefen Eindruck und zeigt den ganzen Ernst der Greuel- und Boykott-Abwehr, den viele Menschen noch nicht begriffen haben. Deutschland den Deutschen !

Die Handelstätigkeit der auswärtigen jüdischen Viehhändler auf den regelmäßig in Bremervörde stattfindenden Viehmärkten wurde zunächst noch nicht eingeschränkt. Mit der zunehmenden Diskriminierung der jüdischen Bewohner verließen bis Ende 1938 bzw. Anfang 1939 - bis auf eine ältere Jüdin - alle anderen ihre Heimatstadt.

Die Pogromnacht erlebten in Bremervörde zehn jüdische Bewohner. Über die Vorgänge des Novemberpogroms berichtete die „Bremervörder Zeitung” am 11.11.1938:

Vergeltung. Judenfeindliche Kundgebungen in Bremervörde und Zeven

In Bremervörde wurde der Inhalt der Schaufenster des jüdischen Schuhgeschäftes Adler ausgeräumt ... Judenfreunde wurden durch ein Plakat und eine SA-Wache darüber belehrt, daß das deutsche Volk nicht gewillt ist, jüdische Herausforderungen ungestraft hinzunehmen. Der jüdische Viehhändler Leeser wurde in Haft genommen...

Um seine Inhaftierung im KZ Sachsenhausen zu beenden, wurde dem jüdischen Viehhändler Julius Leeser die Zusage abgetrotzt, umgehend seinen Besitz zu verkaufen und zu emigrieren.

Das letzte Geschäft eines jüdischen Besitzers, nämlich der "Einzelhandel mit Schuhwaren" (Inhaber Julius Adler) wurde um die Jahreswende 1938/39 „liquidiert“. In einem Schreiben des Landrats vom 23.1.1939 hieß es dann: „Im Kreise Bremervörde sind jüdische Gewerbebetriebe nicht mehr vorhanden“.

Die einzige noch in Bremervörder lebende Jüdin Adele Leeser wurde im März 1942 in ein Bremer jüdisches Altersheim überstellt; von hier aus wurde sie Monate später "in den Osten" deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ sind insgesamt elf gebürtige bzw. längere Zeit in Bremervörde wohnhaft gewesene Juden Opfer der NS-Gewaltherrschaft geworden.

 

Einziger Hinweis auf einstiges jüdisches Leben in Bremervörde ist der jüdische Friedhof „An der Höhne“. Auf dem ca. 1.000 m² großen Areal findet man heute ca. 30 Grabsteine vor, die an hier Begrabene aus der Zeit von 1767 bis 1934 erinnern.

Blick auf den jüdischen Friedhof

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Grabsteine auf dem Bremervörder Friedhof (alle Aufn. T., 2005, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

Am 72.Jahrestag des Novemberpogroms von 1938 wurde an der Außenwand des Rathauses in Bremervörde eine bronzene Gedenktafel („Geächtet – vertrieben – ermordet“) angebracht, die die Namen von 41 ehemaligen jüdischen Bürgern trägt, die während der NS-Zeit aus Deutschland vertrieben oder in den „Lagern des Ostens“ ermordet wurden.

 

 

 

In Beverstedt - einer Ortschaft westlich von Bremervörde - erinnern in der Poststraße sechs sog. „Stolpersteine“ an Angehörige der jüdischen Familie Brumsack, von denen fast alle im Nov. 1941 nach Minsk deportiert und dort ermordet wurden.

Stolperstein Poststraße 16 Brumsack SiegmundStolperstein Poststraße 16 Brumsack ArnoldStolperstein Poststraße 16 Brumsack EliseStolperstein Poststraße 16 Brumsack RosaStolperstein Poststraße 16 Brumsack Hans LeoStolperstein Poststraße 16 Brumsack Annelise

verlegte Steinquader für Angehörige der Fam. Brumsack (Aufn. Arnold Plesse, 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

 

[vgl. Zeven (Niedersachsen])

 

 

 

Weitere Informationen:

Elfriede Bachmann, Die israelitische Familie Heyn in Bremervörde, in: "Rotenburger Schriften", Heft 66/67 (1987), S. 209 - 234

Elfriede Bachmann, Juden in Bremervörde im 18.Jahrhundert, in: "Jahrbuch der Männer vom Morgenstern", No. 69/1990, S. 27 - 45

Elfriede Bachmann, Zur Geschichte der Juden in der Stadt Bremervörde insbesondere im 20.Jahrhundert, in: "Rotenburger Schriften", Heft 74/75 (1991), S. 129 - 200

Kurs Evang. Religion/Gymnasium Bremervörde (Bearb.), Juden in Bremervörde (Detailinformationen zu jüdischen Familien), o.J. (online abrufbar unter: docplayer.org/21878624-Juden-in-bremervoerde.html)

A.Baumert/J.Bohmbach/M.Lappin/A.C.Naujoks (Bearb.), Bremervörde, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 1, S. 344 - 350

Ernst Volland (Red.), 9.November in Bremervörde – Ansprache zur Einweihung der Gedenktafel im Bremervörder Rathaus am 9.November 2010, online abrufbar unter: blogs.taz.de/vollandsblog/2010/11/12/9_november_in_bremervoerde/

Frank Keil (Red.), Streit um jüdisches Erbe. Verbrauchermarkt frisst Geschichte, in: „taz“ vom 30.12.2013

Frank Keil (Red.), Bremervörde: Das Haus des Fleischermeisters, in: „Jüdische Allgemeine“ vom 15.5.2014

Petra Schellen (Red.), Gedenkstreit in Bremervörde. Politik setzt Salomon-Straße durch, in: "taz" vom ?

Silke Petry (Red.), BREMERVÖRDE – Novemberpogrome 1938 in Niedersachsen, Hrg. Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten, online abrufbar unter: pogrome1938-niedersachsen.de/bremervoerde/

Elfriede Bachmann, Zur Geschichte der Juden in Bremervörde, insbesondere der Familie Frank, in: „Bremervörder Jahrbuch 2020", S. 5 - 13

Mark Schröder (Red.), Vor 80 Jahren wurden die Juden aus Beverstedt verschleppt, in: nord24.de/landkreis Cuxhaven vom 17.11.2021

N.N. (Red.), Die letzte Jüdin, in: „Bremervörder Anzeiger“ vom 27.1.2023