Bremgarten (Schweiz)

http://www.raonline.ch/images/argovia/map/agmap_bezirke01.gif Bremgarten ist eine Kleinstadt mit derzeit ca. 8.000 Einwohnern im Kanton Aargau - etwa 15 Kilometer westlich von Zürich gelegen (Kartenskizze aus: raonline.ch/).

Ortsansicht von ca. 1635 (Abb. aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei)

Eine Ansiedlung einer begrenzten Zahl von jüdischen Familien in der Freien Reichsstadt Bremgarten, die das Privileg zur Aufnahme von Juden besaß, hat es vom 14. bis 16.Jahrhundert gegeben. Vermutlich hatten sich Juden hier angesiedelt, weil ihnen in Zürich zeitweise der Aufenthalt verboten worden war. Gegen Zahlung eines jährlichen „Schirmgeldes“ an die Stadt wurde den Familien Schutz gewährt. Forderungen der hiesigen Geistlichkeit, die jüdischen Bewohner mit dem Vorwurf eines Ritualmordes im Jahre 1560 aus der Stadt zu vertreiben, stießen beim Stadtrat auf kein Gehör. Allerdings versuchte der Rat einen zu großen Andrang jüdischer Händler auf den lokalen Jahrmärkten dadurch zu verhindern, dass an Markttagen eine besondere „Judensteuer“ erhoben wurde.

Vom ausgehenden 16.Jahrhundert bis in die Emanzipationszeit hielten sich dann keine jüdischen Bewohner mehr in der Stadt auf. Erst mit der Niederlassungsfreiheit kamen nach 1848 auch wieder Juden nach Bremgarten, die die Kleinstadt als Geschäfts- und Wohnort nutzten. Bei den Zuwanderern handelte es sich zumeist um Familien aus Lengnau.

[vgl. Lengnau (Schweiz)]

Mitte der 1860er Jahre gründete sich in Bremgarten eine „Israelitische Cultusgenossenschaft“. Zu ihren gemeindlichen Einrichtungen zählten ein eigener Betraum, in dem regelmäßig Gottesdienste stattfanden, eine Armen- und Krankenfürsorge, ein Beerdigungswesen u. a.; auch für die religiöse Unterweisung der Kinder war gesorgt. Ab etwa 1900 befand sich der Synagogenraum im obersten Stockwerk eines Wohnhauses in der Antonigasse. Diesen Betraum nutzten die Gemeindeangehörigen bis zum Umbau des Hauses (1990er Jahre).

      Betsaal (Aufn. Diethard König, um 1970, aus: alemannia-judaica.de)

                  http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20281/Bremgarten%20Israelit%2027111867.jpg          

                   Stellenanzeigen aus der Zeitschrift „Der Israelit“ von 1867, 1872 und 1892

 

Bis Ende der 1930er Jahre wurden Verstorbene auf dem alten Judenfriedhof Endingen/Lengnau beerdigt. Vom Wohnhaus des Toten aus setzte sich ein von Pferden gezogener Leichenwagen in Richtung des Beerdigungsgeländes in Bewegung; dort angekommen, nahmen die engsten Angehörigen die Bestattung vor. Ab ca. 1940 stand den Bremgartener Juden der Friedhof der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich zur Verfügung.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20281/Bremgarten%20Israelit%2014081878.jpg  http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20297/Bremgarten%20Israelit%2017061889.jpg Anzeigen jüdischer Gewerbetreibender 1878/1889

 

Bereits vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges fanden jüdische Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich in der Umgebung von Bremgarten Aufnahme. Die ersten beiden Flüchtlingslager wurden auf dem „Hasenberg“ und im „Geißhof“ eingerichtet; nach 1940 stießen auch französische und belgische Juden hinzu. Die hier untergebrachten jüdischen Flüchtlinge waren von der übrigen Bevölkerung total isoliert, und die Gendarmerie überwachte das Areal. Die Betreuung der im Lager „Hasenberg“ untergebrachten Flüchtlinge und Internierten übernahm die jüdische Gemeinde Bremgarten. Auch das im „Geißhof“ in Unterlunkhofen bestehende Arbeitslager für Flüchtlinge - darunter zahlreiche jüdische Emigranten - sowie weitere Internierungslager wie „Eichberg“ bei Seengen, Riniken, Gebenstorf u.a. - wurden von der Bremgartener Gemeinde betreut. Neben materieller Hilfe ging es dabei vor allem seelisch-moralische Unterstützung für alle jene, die eine ungewisse Zukunft vor sich hatten und in ständiger Furcht lebten, von den Schweizer Behörden ausgewiesen zu werden.

Aus einem Erinnerungsbericht des Vorbeters und Religionslehrers Moritz Sobol: „ ... Mit dem Eintreffen der belgischen Flüchtlinge im Jahre 1941 wurde das Lager 'Hasenberg' erneut eröffnet. Zum damaligen Zeitpunkt war dieses Lager nur von jüdischen Flüchtlingen bewohnt. Die Betreuung dieses Lagers wurde durch die jüdische Gemeinde Bremgarten besorgt, und zwar von den jüdischen Kommandanten Gustav Wolf aus Baden und René Meyer aus Zürich/Bremgarten sowie einigen nichtjüdischen Kommandanten. Die Insassen konnten das Lager nur unter Aufsicht von Militär verlassen und waren des öfteren auch in Bremgarten. Die Bevölkerung hat sie sehr gut aufgenommen. Es waren auch Kinder mit ihren Eltern im Lager. Diese Kinder wurden dann in jüdischen Familien untergebracht.  Etwas später wurde in Unterlunkhofen ('Geißhof') ein Arbeitslager für Flüchtlinge eröffnet; darunter waren sehr viele jüdische Emigranten. Diese haben die Straße gebaut, welche später für das Militär bestimmt war. - Im Jahr 1941 fand im Hause der Familie Sobol in Bremgarten eine Hochzeit eines Emigranten-Ehepaares (Rosenberg) statt, an welcher die ganze jüdische Gemeinde teilnahm. Das Ehepaar konnte nach dem Krieg in die USA auswandern, und wir stehen noch immer in Kontakt mit ihm.  Im Jahre 1943 kamen am Erew Pessach (Vorabend des jüdischen Pessachfestes) Flüchtlinge aus Italien, und so mussten wir in Zürich Mazzoth (ungesäuerte Brote) organisieren, um die Flüchtlinge zu versorgen. Auch das Essen haben wir ihnen gebracht.
Ein weiteres Lager befand sich im Waisenhaus (St. Klarakloster) in der Unterstadt. Unter den Flüchtlingen war auch Adriano Olivetti, bekannt von den Schreibmaschinen. Die Flüchtlinge konnten das Lager nur unter Begleitung verlassen; sie kamen mit militärischer Begleitung auch zum Gottesdienst in die Synagoge.  Es gab noch weitere Internierungslager im Kanton, welche von Bremgarten aus betreut wurden, wie z.B. "Eichberg" bei Seengen, Riniken, Gebenstorf. Diese Internierten konnten in ihrem Bezirk einen Beruf ausüben; einige waren Schneider oder Schuhmacher u.ä. Mit einigen dieser Flüchtlinge haben wir noch heute Kontakt."

 

Bedingt durch Abwanderung in größere Städte, vor allem nach Zürich, zählt die gegenwärtige jüdische Gemeinschaft in Bremgarten nur noch sehr wenige Mitglieder. Die noch in Bremgarten lebenden jüdischen Bewohner, die zumeist Nachkommen der „Gründerfamilien“ sind, haben sich - unter Bewahrung ihrer jüdischen Identität - völlig in die hiesige Bevölkerung integriert.

 

 

 

Weitere Informationen:

P. Burki, 100 Jahre Kultusgemeinde Bremgarten, Sonderdruck Freiämter-Zeitung, o.J.

Eugen Bürgisser, Geschichte der Stadt Bremgarten im Mittelalter, Dissertation, o.O. o.J. , S. 161

Werner Meyer, Juden in Bremgarten, Manuskript um 1990

Angaben der Ortsgemeinde Bremgarten/Schweiz

Juden in Bremgarten (Schweiz), in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Dokumenten zur jüdischen Ortsgeschichte)