Brühl (Nordrhein-Westfalen)
Brühl ist eine Stadt mit derzeit ca. 45.000 Einwohnern im Rhein-Erft-Kreis – knapp 20 Kilometer nordwestlich von Bonn gelegen (hist. Landkarte von 1905, aus: wikipedia.org, Bild-PD-alt und Kartenskizze 'Rhein-Erft-Kreis', TUBS 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Die erste Erwähnung eines Juden im rheinländischen Brühl ist für das Jahr 1197 belegt. Vermutlich haben gegen Ende des 13.Jahrhunderts einige jüdische Familien in Brühl (seit 1285 Stadtrechte) gelebt, die aber 1348/1349 vertrieben wurden. In der Folgezeit sollen dann immer wieder einzelne Juden in Brühl ansässig gewesen sein. Der alte jüdische Friedhof am Judenbüchel ("joedenkirchhove") ist erstmals in einer Urkunde aus dem Jahre 1371 erwähnt und soll - bereits kurz nachdem Brühl das Stadtrecht erhalten hatte - im Jahre 1285 weit vor der Stadt angelegt worden sein. Die noch heute existierende und seit 1988 unter Denkmalschutz stehende jüdische Begräbnisstätte (Schildgesstraße) zählt mit einer Fläche von mehr als 4.000 m² zu den größten ihrer Art im heutigen Regierungsbezirk Köln.
Auch eine kleine Synagoge soll es in Brühl gegeben haben, die aber Mitte des 14.Jahrhunderts aufgegeben wurde. Das mittelalterliche Siedlungsgebiet der Brühler Juden lag an der Stelle, wo sich heute das Rathaus befindet.
Brühl - Stich, 17.Jahrh. (Abb. aus: commons.wikimedia.org, CCO)
Ab dem 17.Jahrhundert wohnten jüdische Familien in der Uhlstraße und am Markt, die ärmeren in der Wallstraße und am Fischmarkt. Da wegen der anwachsenden Gemeinde der Raum in der Hinterhofsynagoge in der Uhlstraße zu klein wurde, begann man um 1880 mit dem Bau einer Synagoge in der Friedrichstraße, nachdem man bereits jahrzehntelang dafür Gelder gesammelt hatte; zu den Baukosten trugen auch zwei jüdische Stiftungen bei. Auffallende Kennzeichen des eingeschossigen Backsteinbaus waren die hufeisenartigen Bögen für die Tür- und Fensteröffnungen und der kleine Zwiebelturm mit dem Davidstern, der dort aber erst 1908 aufgesetzt wurde. Der Synagogenraum verfügte über mehr als 150 Plätze.
Bereits um 1830 gab es in Brühl für kurze Zeit eine jüdische Volksschule, die vermutlich in der Hinterhofsynagoge untergebracht war.
Juden in Brühl:
--- 1777 ........................... 51 Juden,
--- um 1800 ........................ 58 “ ,* *andere Angabe: 38
--- 1857 ........................... 94 “ ,
--- 1872 ........................... 120 “ ,
--- 1895 ........................... 159 “ ,
--- 1905 ........................... 152 “ ,
--- 1911 ........................... 168 “ ,
--- 1933 (Jan.) .................... 101 “ ,
--- 1937 (Herbst) .............. ca. 70 “ ,
--- 1939 ....................... ca. 60 “ ,
--- 1941 (Dez.) .................... 28 “ ,
--- 1944 ........................... keine.
Angaben aus: Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Reg.bez. Köln, S. 175
und Barbara Becker-Jákli, Juden in Brühl
Der Großteil der jüdischen Erwerbstätigen in Brühl war selbstständig; neben nur wenigen wohlhabenden Juden lebte die Mehrheit der Brühler Judenschaft in eher bescheidenen Verhältnissen.
Brühler Markt (Aufn. um 1900, aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Bis zur NS-Machtübernahme hatte die NSDAP in Brühl keine große Resonanz bei den Wählern gefunden, vielmehr war die katholisch-geprägte Zentrumspartei hier die stärkste politische Kraft. Doch mit der Ausschaltung der oppositionellen Parteien und unabhängigen Organisationen änderte sich auch das öffentliche und private Leben der Menschen. Dies traf vor allem die Juden, die der antisemitischen Hetzpropaganda nun wehrlos ausgesetzt waren.
Die für den 1.April 1933 angesetzte reichsweite Boykottaktion jüdischer Geschäfte fand auch in Brühl statt. Das gewünschte Ziel schien dieser Boykott aber bei der Bevölkerung nicht erreicht zu haben, denn nach wenigen Tagen kauften die meisten Einwohner wieder wie gewohnt in jüdischen Geschäften. In den Jahren 1934/1935 wurde die NS-Ausgrenzungstaktik dahingehend verändert, dass nun einzelne Personen zur Zielscheibe antisemitischer Attacken wurden. In Brühl und im Landkreis waren dies die jüdischen Metzger; einigen wurden unsittliche Annäherungsversuche gegenüber „arischen“ Angestellten vorgeworfen, anderen warf man vor, verdorbenes Fleisch verkauft zu haben.
Guten Appetit wünschen wir heute allen den Kreisbewohnern, die immer noch in den jüdischen Metzgereien ihr Fleisch kaufen. ... Jedes im jüdischen Metzgerladen gekauftes Stück Fleisch aber soll denen im Halse zu dauernden Ekel stecken bleiben, die nach solchen Vorfällen nicht in großem Bogen um jüdische Metzgereien herumgehen.
(aus: „Westdeutscher Beobachter” vom 5.April 1935)
Nach dieser Kampagne setzte eine gegen die jüdischen Viehhändler ein: So wurden die Bauern der Region nachdrücklich aufgerufen, keine Geschäfte mehr mit Juden zu machen und ihr schlachtreifes Vieh nur „arischen“ Fleischern anzubieten. Während der „Westdeutsche Beobachter” zahlreiche antisemitische Hetzartikel veröffentlichte, hielt sich die „Brühler Zeitung” weitestgehend zurück.
Nach einer SA-Veranstaltung am Abend des 9.November 1938 begannen in Brühl die Vorbereitungen für die „spontanen Aktion“; aktiv beteiligt an den nun folgenden Ausschreitungen waren ca. 20 bis 30 einheimische SA-Angehörige. Sie setzten am Morgen des 10.November die Brühler Synagoge in der Friedrichstraße in Brand, die im Innern völlig zerstört wurde. Die Trümmer wurden später abgetragen. Die Aktivitäten der SA-Trupps, die bald von einer Menschenmenge begleitet wurden, umfassten auch Zerstörungen jüdischer Wohnungen und Geschäfte.
brennende Synagoge in der Friedrichstraße, heute „An der Synagoge” (Stadtarchiv)
In der „Brühler Zeitung” war am 11.11.1938 die folgende Meldung zu lesen:
Vergeltungsmaßnahmen.
Durch das mörderische Attentat des Juden Grünspan auf den deutschen Gesandtschaftsrat vom Rath in Paris, wurden die Gefühle vieler Deutschen im Reich, besonders auch im Rheinland stark erregt, so daß es zu spontanen Kundgebungen gegen Juden kam. Auch in Brühl wurden die Schaufenster der noch bestehenden jüdischen Geschäfte durch Einschlagen zertrümmert. Gleichfalls wurden Möbel und Einrichtungsgegenstände stark beschädigt. Die Synagoge in der Friedrichstraße ist durch Feuer zerstört. Wegnahme von gestohlenen Gegenständen ist verhindert worden.
Das Synagogengrundstück ging im April 1939 in den Besitz eines Privatmanns über. Nach dem Novemberpogrom setzte auch in Brühl verstärkt die „Arisierung“ jüdischen Besitzes ein; alle jüdischen Geschäfte waren bis Ende 1938 geschlossen worden. Die meisten Juden Brühls waren in den Jahren bis 1939 nach Köln abgewandert, weit weniger in die Emigration gegangen. Mit dem Kriegsbeginn verschärfte sich die Lage der in Brühl verbliebenen, meist älteren jüdischen Bewohner: Sie wurden in „Judenhäuser“ eingewiesen, durften nur noch in einem bestimmten Geschäft einkaufen.
Im Sommer 1942 begann die Deportation der in Brühl verbliebenen Juden, die man dann als „unbekannt verzogen” ausgab. Sie wurden vom Brühler Bahnhof zunächst nach Köln gebracht, und von hier erfolgte der Weitertransport in die „Lager des Ostens“. Die letzten in Brühl lebenden Juden wurden im Herbst 1944 verschleppt. Mehr als 60 jüdische Bewohner Brühls sind während der Kriegsjahre Opfer des Holocaust geworden.
Nach 1945 kehrten nur sehr wenige der Überlebenden nach Brühl zurück; eine neue Gemeinde hat sich nicht mehr gebildet.
jüdischer Friedhof in Brühl (Aufn. A. Savin, 2010 und Reinhardhauke, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Heute erinnern nur noch der jüdische Friedhof an der Kölnstraße (auf dem ca. 4.000 m² großen Gelände findet man heute ca. 95 Grabsteine) und der Straßenname „An der Synagoge” an die ehemalige jüdische Gemeinde. Eine Gedenktafel an einem Wohnhaus „An der Synagoge” informiert über den einstigen Standort und an die Zerstörung des Gotteshauses; der Inschriftentext lautet:
Neben diesem Gebäude stand die Synagoge.
Sie wurde im Jahre 1884 erbaut und bei den nationalsozialistischen Gewalttaten gegen unsere jüdischen Mitbürger am 9.November 1938 zerstört.
Gedenktafel und Gedenkstätte am ehem. Synagogenstandort (Aufn. Willy Horsch, 2009, aus: wikipedia.org, CC BY 3.0)
Insgesamt mehr als 70 sog. „Stolpersteine“ in den Straßen Brühls erinnern an Opfer der NS-Gewaltherrschaft (Stand 2023). Die ersten Gedenktäfelchen wurden 2003 am Markt und vor allem in der Uhlstraße verlegt, 25 weitere dann 2015. Zwei Jahre später wurden dann acht Steine für Angehörige der Familie Eismann in die Gehwegpflasterung in der Maiglerstraße eingelassen.
in der Maiglerstr. (Aufn. aus: bruehl.de)
in der Uhlstraße (Aufn. N., 2023, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
In der Brühler Innenstadt - an der Kreuzung Wallstraße/Kempishofstraße - erinnert seit 2022 ein Gedenkstein an die beiden ermordeten Brühler Jüdinnen Helene und Paula Brünell. Die beiden Schwestern hatten 1931 ein Textilwarenhaus an der Uhlstraße eröffnet, das sie nach dem Novemberpogrom aufgeben mussten. 1942 wurden die Schwestern 'in den Osten' (nach Minsk) deportiert und im Vernichtungslager Maly Trostinez ermordet.
Anmerkung: Im badischen Brühl sind einige wenige „Stolpersteine“ verlegt worden; so erinnern gegenüber dem Bühler Rathaus drei Steine an Angehörige der jüdischen Familie Rhein, die via Gurs im Jahre 1942 nach Auschwitz bzw. Izbica deportiert und dort ermordet.
verlegt für Angehörige der Fam. Rhein (Aufn. Telford, 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Weitere Informationen:
Jakob Sonntag, Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Brühl, in: "Brühler Heimatblätter", 27/1970
Klaus H.S. Schulte, Dokumentation zur Geschichte der Juden am linken Niederrhein seit dem 17.Jahrhundert, in: "Veröffentlichungen des Historischen Vereins für den Niederrhein ...", Band 12, Verlag L.Schwann Düsseldorf 1972, S. 31 - 34
Fritz Wündisch, Die Judengemeinde in Alt-Brühl, in: F. Wündisch (Hrg.), Brühl - Mosaiksteine zur Geschichte einer alten kurkölnischen Stadt, Köln 1987, S. 80 f.
Josef Wißmann, Reichspogromnacht an Rhein und Erft. Eine Dokumentation, in: "Pulheimer Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde", 5.Sonderveröffentlichung, Pulheim 1988, S. 118 f.
Barbara Becker-Jákli, Juden in Brühl, in: "Schriftenreihe zur Geschichte der Stadt", Band 14, Hrg. Stadt Brühl, Brühl 1988
Barbara Becker-Jákli, Wegweiser durch das jüdische Rheinland, Berlin 1992, S. 54 f.
L.Heid/J.Schoeps (Hrg.), Wegweiser durch das jüdische Rheinland, Nicolaische Verlagsbuchhandlung Beuermann GmbH, Berlin 1992, S. 54 f.
Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen: Teil I: Regierungsbezirk Köln, J.P.Bachem Verlag, Köln 1997, S. 174 - 179
Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 in Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 83/84
Stadt Brühl (Hrg.), Juden in Brühl (Aufsatz), online abrufbar unter: bruehl.de
N.N. (Red.), Steinerne Erinnerung. Gunter Demnig hat die letzten Stolpersteine in Brühl verlegt, in: „Brühler Schlossbote“ vom 3.2.2017
Auflistung der verlegten Stolpersteine in Brühl, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Brühl_(Rheinland)
Stadt Brühl – Der Bürgermeister (Hrg.), Brühl erinnert sich – 80 Jahre Reichspogromnacht 9./10.November 1938 - 30 Jahre Schweigegang in Brühl (Flyer), 2018
Wolfram Kämpf (Red.), Zerstörte Brühler Synagoge. Gestohlene Gedenktafel soll ersetzt werden, in: „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 21.8.2020
Wolfram Kämpf (Red.), Ein Denkmal im Herzen der Stadt. Jüdischer Friedhof in Brühl gibt Rätsel auf, in: „Kölnische Rundschau“ vom 13.11.2021
Wolfram Kämpf (Red.), Ermordete Jüdinnen – Gedenkstein in Brühl erinnert an Schicksal der Schwestern Brünell, in: „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 14.10.2022