Bütow (Hinterpommern)
Die ehemalige Kreisstadt Bütow ist das heutige polnische Bytów mit derzeit ca. 17.000 Einwohnern in der Woiwodschaft Pommern. Der seit Mitte des 14.Jahrhunderts mit Stadtrechten versehene Ort wurde als Stützpunkt des Deutschen Ordens mit einer Burg gesichert. Im Zuge der 1.Teilung Polens (1772) wurde die Stadt preußisch (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Polen' mit Bytów rot markiert, Y. 2006, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
"Butow" um 1618 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts erreichte die Zahl der Angehörigen der jüdischen Gemeinde von Bütow ihren Höchststand.
Die Kleinstadt Bütow in Hinterpommern hat zu Beginn des 18.Jahrhunderts einige jüdische Familien beherbergt; die erste namentlich bekannte Familie war die des Philipp Lazarus, die seit 1728 in der Stadt ansässig werden konnte und für diese Erlaubnis eine bestimmte Geldzahlung zu leisten hatte. Zudem wurde eine Garantie verlangt, eine bestimmte Warenmenge von der Regierung abzunehmen, die dann weiterverkauft werden sollte. Der starke Zuwachs der jüdischen Bevölkerung in Bütow im Laufe des 19.Jahrhunderts resultierte daraus, dass zahlreiche Familien aus dem verarmten Westpreußen sich hier nach 1812 niederließen.
Synagoge Bütow (Teilansicht einer Bildpostkarte, um 1920)
Die 1856 errichtete Synagoge der Kleinstadt befand sich nahe der „Alten Post“ in der Synagogenstraße, der späteren Mühlenstraße. Einen eigenen Rabbiner besaß die große Gemeinde allerdings nicht. Die rituellen Angelegenheiten verrichtete ein Kultusbeamter, der in seiner Person die Funktionen des Lehrers, Kantors und Predigers vereinte. Im Synagogengebäude war auch die jüdische Elementarschule untergebracht.
Der jüdische Friedhof an der Lazarettstraße/Mühlenstraße war zu Beginn des 19.Jahrhunderts angelegt worden.
Der Bütower Gemeinde waren nicht nur die jüdischen Familien des Kreises Bütow angeschlossen, sondern auch die aus angrenzenden Ortschaften des Kreises Stolp bzw. Rummelsburg.
Juden in Bütow:
--- 1752 ......................... 3 jüdische Familien (16 Pers.),
--- 1764 ......................... 2 “ “ ,
--- 1794 ......................... 12 Juden,
--- 1812 ......................... 59 " ,
--- 1816 ......................... 126 " ,
--- 1831 ......................... 199 " ,
--- 1840 ......................... 257 “ ,
--- 1858 ......................... 358 “ ,
--- 1871 ......................... 365 “ ,
--- 1880 ......................... 368 “ ,
--- um 1890 .................. ca. 550 “ ,* *gesamte Gemeinde mit umliegenden Dörfern
--- 1903 ..................... ca. 250 “ ,
--- 1925 ..................... ca. 160 “ ,
--- 1932 ......................... 114 “ ,
--- 1939 ..................... ca. 35 “ .
Angaben aus: M.Heitmann/J.H.Schoeps (Hrg.), “Halte fern dem ganzen Land jedes Verderben ...”, S. 43
Gegen Ende des 19.Jahrhunderts erreichte die Zahl der in Bütow lebenden jüdischen Familien ihren Höchststand: Jeder zehnte Bewohner der Stadt war damals mosaischen Glaubens. Für einen Teil der in den letzten Jahrzehnten des 19.Jahrhunderts zugezogenen Familien war Bütow nur eine Durchgangsstation auf ihren weiteren Weg ins Innere Deutschlands (insbes. nach Berlin) bzw. in die Emigration nach Nordamerika.
Ansicht von Bütow, hist. Postkarte um 1920 (aus: akpool.de)
Antijüdische Exzesse, die ein angeblicher Ritualmord im westpreußischen Konitz im März 1900 ausgelöst hatte, griffen auch auf Bütow und andere Städte Hinterpommerns - Stolp, Lauenburg und Rummelsburg - über. Diese Unruhen verstärkten die Abwanderung der jüdischen Bewohner.
Nach den für die Nationalsozialisten erfolgreichen Boykottmaßnahmen gaben zahlreiche jüdische Geschäftsleute ihre Unternehmen auf. Während der „Reichskristallnacht“ wurde die Synagoge „von unbekannten Tätern“ in Brand gesteckt, später abgerissen. Später wurde auch der jüdische Friedhof eingeebnet und zu einer Grünfläche umgewandelt. Im Frühjahr 1939 lebten nur noch knapp 40 jüdische Bewohner in Bütow. Über ihr weiteres Schicksal ist kaum etwas bekannt; die letzten verbliebenen sollen 1944 (?) deportiert worden sein.
Zum 75.Jahrestag der Novemberpogrome wurde in Bytów ein Mahnmal eingeweiht, das dreisprachig an die ehemalige jüdische Bevölkerung der Stadt erinnert.
Inschrift des Mahnmals (Aufn. 2013, aus: grosstuchen.de)
Vom einstigen jüdischen Friedhof sind keinerlei Relikte mehr verblieben; auf dem Gelände befindet sich heute ein Kinderspielplatz und eine Berufsschule.
Weitere Informationen:
Gustav Kratz, Die Städte der Provinz Pommern – Abriß ihrer Geschichte, zumeist nach Urkunden, Sändig Reprint Verlag, Vaduz 1996 , S. 49 – 53 (unveränderter Nachdruck der Ausgabe von 1865)
M.Heitmann/J.H.Schoeps (Hrg.), “Halte fern dem ganzen Land jedes Verderben ...”, Geschichte und Kultur der Juden in Pommern, Georg Olms Verlag, Hildesheim/Zürich 1995, S. 43
Szultka, Historia Byrowa, Bütow 1998 (darin auch Kapitel über die Entwicklung der jüdischen Bevölkerung im Kreis Bütow)
The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 1), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 220
Wolfgang Wilhelmus, Geschichte der Juden in Pommern, Ingo Koch Verlag, Rostock 2004
Gerhard Salinger, Die einstigen jüdischen Gemeinden Pommerns. Zur Erinnerung und zum Gedenken, Teilband 2, Teil III, New York 2006, S. 355 – 365
Miloslawa Borzyszkowska-Szewczyk/Christian Pletzing (Red.), Jüdische Spuren in der Kaschubei. Ein Reisehandbuch (deutsch-polnisch), Lübeck/Gdansk/München 2010, S. 371 - 385
Bytów, in: sztetl.org.pl
Heinz Radde (Red.), Jüdisches Gedenken in Bütow 2013, online abrufbar unter: grosstuchen.de/PZ_8.6.2013_opt.pdf