Burgdorf (Niedersachsen)

Jüdische Gemeinde - Oldenburg (Niedersachsen)Datei:Burgdorf in H.svg Burgdorf ist eine Stadt mit derzeit ca. 31.000 Einwohnern in der Region Hannover (aktuelle Karte von Niedersachsen, aus: niedersachsen.de und Kartenskizze 'Region Hannover', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

Burgdorf – Stich M. Merian, um 1655 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

Die erste Niederlassung eines Juden in Burgdorf erfolgte nachweislich im Jahre 1689. Dieser betrieb hier und in der nahen Umgebung Handel „mit allerhandt Wahren von wollenen und linnenen Zeugs”. Zu Beginn des 19.Jahrhunderts handelten die in Burgdorf lebenden Juden mit Ellenwaren und „Spezereiwaren“; auch einen Lederhändler und einen Lotterieeinnehmer gab es am Ort.

Der erste Betraum befand sich im Wohnhause einer jüdischen Familie; später diente ein an gleicher Stelle erbautes Gebäude als Synagoge. Als beim Stadtbrand (1809) die Synagoge zerstört wurde, ließ die jüdische Gemeinde auf dem Grundstück Poststraße 2 im Stadtzentrum einen Neubau errichten, der außer einem Betraum (mit Frauenempore) noch weitere Räumlichkeiten umfasste. In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts entstand in Burgdorf auch eine jüdische Schule, die als Elementarschule geführt wurde; sie existierte bis in die 1920er Jahre, obwohl es zwischenzeitlich nur sehr wenige Schüler gab.

Der jüdische Friedhof befand sich südöstlich der Altstadt (an der Uetzer Straße) und soll bereits um 1700 als Begräbnisplatz genutzt worden sein. 

Der dem Landrabbinat unterstellte Burgdorfer Gemeinde gehörten auch die Ortschaften Burgwedel, Isernhagen und ab 1877 auch Lehrte an. Zuvor hatten die Lehrter Juden zur jüdischen Gemeinde Bolzum gehört.

Juden in Burgdorf:

         --- 1738 ..........................   4 jüdische Familien,

    --- 1823 ..........................  79 Juden,

    --- 1833 ..........................  95   “  ,

    --- 1871 .......................... 114   “  ,

    --- 1885 .......................... 104   “  ,

    --- 1895 ..........................  95   “  ,

    --- 1905 ..........................  72   “  ,

    --- 1925 ..........................  86   “  ,*     * Synagogengemeinde(incl. Lehrte)

    --- 1930 ..........................  75   “  ,*

    --- 1935 ..........................  56   “  ,*

    --- 1936 ..........................  47   “  ,*

    --- 1937 ..........................  35   “  ,*

    --- 1939 ..........................  11   “  .

Angaben aus: Friedel Homeyer, Gestern und heute - Juden im Landkreis Hannover, S. 100

Orte – Jüdische Geschichte Burgdorf Orte – Jüdische Geschichte Burgdorf

Zwei jüdische Geschäfte in Burgdorf: Poststraße und Marktstraße (hist Aufn. aus: juedische-geschichte-burgdorf.info)

Zu Beginn der NS-Zeit lebten in Burgdorf knapp 40 jüdische Bewohner. Ab 1935 konnten am Ort keine Gottesdienste mehr abgehalten werden, da der bisherige Vorbeter nach Hannover verzogen war. Mehr als 20 Burgdorfer Juden verließen in den Jahren 1935/1937 ihren Heimatort und verzogen zumeist nach Hannover.

Während des Novemberpogroms von 1938 blieb das Gebäude, in dem sich die Synagoge befand, von einer Brandlegung verschont, da Gefahr für die angrenzende Häuserzeile bestand. Das Inventar des Synagogenraums wurde jedoch demoliert. Wenige Monate später erwarb die Kommune das Gebäude, und nach einem Umbau richtete die HJ-Führung (!) hier ihre Geschäftsstelle ein.

Anm.: Nachdem eine Inbrandsetzung der Burgdorfer Synagoge nicht erfolgen konnte, zogen SA-Angehörige anschließend nach Ramlingen und misshandelten hier das Ehepaar Max u. Elfriede Fodimann.

Zu den vom Pogrom direkt betroffenen Personen gehörte Hermann Cohn; das Inventar seines Geschäfts wurde von NSDAP-Mitgliedern zertrümmert; er selbst nach Buchenwald verschleppt.  Aus Burgdorf direkt wurden im Dez. 1941 fünf Mitglieder der Familie Cohn nach Riga, fünf Monate später die verbliebenen letzten beiden Jüdinnen (Johanne und Julie Simon) nach Theresienstadt deportiert. Insgesamt sollen mehr als 60 gebürtige bzw. über einen längeren Zeitraum hinweg in Burgdorf wohnhaft gewesene jüdische Bürger Opfer der Shoa geworden sein.

Von den Deportierten kehrte Johanne Simon einige Monate nach Kriegsende nach Burgdorf zurück.

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Für die am Pogrom in Burgdorf aktiv beteiligten Personen hat es vermutlich nach Kriegsende keine strafrechtlichen Folgen gehabt.

 

An einem Gebäude in der Poststraße erinnert eine Gedenktafel an den Standort der ehemaligen Synagoge; die Inschrift lautet:

Dieses 1911 erbaute Haus diente der jüdischen Gemeinde als Synagoge.

1939 erwarb die Stadt Burgdorf das Gebäude und nutzte es bis 1959 als Bücherei, bevor es 1961 weiterverkauft wurde.

Im Jahr 2007 wurde das Fachwerkhaus von einem Burgdorfer Geschäftsmann gekauft, aufwändig restauriert und der Kommune Burgdorf langfristig für museale und kulturelle Zwecke vermietet.

  Ehem. Betraum (Aufn. A. Hindemith, 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Seit November 2008 wird das Gebäude als KulturWerkStadt für Ausstellungen und Vorträge genutzt. Eine neue Erinnerungstafel am Haus trägt folgenden Text:

SYNAGOGE  1811 - 1939

Die jüdische Gemeinde Burgdorfs erbaute dieses Haus 1811 als Synagoge. 1939 wurde sie gezwungen, das Gebäude an die Stadt Burgdorf zu verkaufen. Es wurde ab 1941 als Geschäftsstelle der Hitler-Jugend genutzt und von 1944 bis 1959 als Volksbücherei. 1961 ging es in Privatbesitz über und wurde 2008 zu einer Stätte der Begegnung und der Kultur. Die Stadt Burgdorf gedenkt ihrer jüdischen Bürgerinnen und Bürger, die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung geworden sind.

 

Auf dem ca. 1.900 m² großen jüdischen Friedhofsgelände, das von ca. 1700 bis Mitte der 1930er Jahre kontinuierlich belegt wurde, findet man heute noch ca. 100 Grabsteine; der älteste Stein stammt aus dem Jahre 1750.

Jüdischer Friedhof in Burgdorf 02.jpg

Jüdischer Friedhof (Aufn. P., 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0 und Sandra Köhler, aus: haz.de)

2006 wurden in die Gehwegpflasterung Burgdorfer Straßen die ersten sieben sog. „Stolpersteine“ verlegt; in den folgenden beiden Jahren kamen weitere hinzu; die letzten Verlegungen von zehn Steinen für Angehörige der Familie Cohn in der Garten- und Wallgartenstraße und sechs weiteren Steinen fanden 2021/2022 statt, so dass derzeit im Stadtgebiet Burgdorfs insgesamt ca. 40 Steine zu finden sind.

Gumperz, HenrietteBlumenthal, Emma

Samuelson, Hertha - Friederikenstraße 55.jpg Samuelson, Isidor - Friederikenstraße 55.jpg Samuelson, Kurt.jpg Samuelson, Minna - Friederikenstraße 55.jpg

„Stolpersteine“ in Burgdorf (Aufn. Dieter Heun, Sven Warnecke u. B., 2020, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Ein vom Flensburger Maler und Bildhauer Uwe Appold gestalteter Gedenkfries, der namentlich an die ca. 60 jüdischen Opfer Burgdorfs erinnert, wurde 70 Jahre nach dem Novemberpogrom im Ratssaal des hiesigen Schlosses der Öffentlichkeit vorgestellt.

Gedenkfries - Ausschnitt (Aufn. J. Springmann, aus: burgdorf.de)    

 

  1881 wurde Bruno Italiener als Sohn des jüdischen Lehrers in Burgdorf geboren; seine Vorfahren mütterlicherseits haben bereits im 18.Jahrhundert in Burgdorf gelebt. Nach einem Philosophie- und Theologiestudium nahm er als Feldrabbiner am Ersten Weltkrieg teil und galt als glühender Verfechter eines kompromisslosen Deutschtums. In den 1930er Jahren übte Italiener die Funktion des Rabbiners der liberalen jüdischen Gemeinde in Darmstadt und die des Oberrabbiners in Hamburg aus. 1939 gelang ihm die Emigration nach Großbritannien; bis zu seinem Tode (1956) wirkte er in London.

 

 

 

In Lehrte – nur wenige Kilometer südlich von Burgdorf – erinnern bislang mehr als 20 sog. „Stolpersteine“ an ehemalig hier beheimatete bzw. längere Zeit wohnhaft gewesene Personen, die während der Zeit des Nationalsozialismus Opfer des Regimes geworden sind. Während einigen jüdischen Bewohnern noch ihre Emigration gelang, wurden andere deportiert und ermordet.

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                                undefinedundefinedundefinedundefinedverlegt in der Marktstraße und in der Königstraße

Simon, Auguste - Sedanstr. 16.jpg Stolperstein Simon, Albert, Sedanstr. 16, Lehrte.jpg Stolperstein Simon, Irma, Sedanstr. 16, Lehrte.jpg Stolperstein Simon, Heinz, Sedanstr. 16, Lehrte.jpg Stolperstein Simon, Frank, Sedanstr. 16, Lehrte.jpg

in der Sedanstraße für Angehörige der Familie Simon (alle Abb. Bebato, 2020, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

In Burgwedel wurde neben zahlreichen "Stolpersteinen, die an verstorbene Kinder in der sog. "Ausländer Pflegestätte Burgwedel" erinnern, auch ein messingfarbener Gedenkquader für den jüdischen Arzt Dr. Albert David (im Alten Postweg) verlegt.

    undefined Aufn. Tim Rademacher, 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0

 

 

Weitere Informationen:

Zvi Asaria, Die Juden in Niedersachsen - Von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, Verlag Georg Rautenberg, Leer Ostfriesland 1979, S. 173

Friedel Homeyer, Gestern und heute - Juden im Landkreis Hannover, Hrg. Landkreis Hannover, Hannover 1984

Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Niedersachsen II (Reg.bez. Hannover und Weser-Ems), Pahl-Rugenstein Verlag GmbH, Köln 1986, S. 59/60

Reinhard Scheelje/Heinz Neumann , Geschichte der Stadt Burgdorf und ihrer Ortsteile von den Anfängen bis zum Beginn des 20.Jahrhunderts, Burgdorf 1992

Albert Marx, Geschichte der Juden in Niedersachsen, Fackelträger Verlag GmbH, Hannover 1995

Lilian Jüchtern/Thorsten Scholz/Ferdinand Georg (Bearb.), Die ehemalige Synagoge in Burgdorf – Bauaufnahme, Studienarbeit am Fachgebiet Baugeschichte der TU Braunschweig, Maschinenmanuskript 1995

Ernst Pinchas Blumenthal, Die gläserne Wand – ein Burgdorfer Roman, in: "Erev-Rav-Hefte Gedenken 4", Wittingen 2004 (Anm. Kindheitserlebnisse eines jüdischen Juden in Burgdorf)

Antje Naujoks/Herbert Obenaus (Bearb.), Burgdorf, in: H. Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 1, S. 384 – 393

Ausstellung: Blickwechsel. 725 Jahre Burgdorf – 315 Jahre jüdisches Leben in der Stadt. Texte und Bilder, Burgdorf 2005 (darin: Stefan Heinze, „DenkMäler – Häuser erinnern an Burgdorfer Juden“ – Jüdische Familien in Burgdorf – Heimat Burgdorf. Spuren jüdischer Bürger und Bürgerinnen)

Auflistung der in Burgdorf verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Burgdorf

Drei Jahrhunderte jüdisches Leben in Burgdorf“ – Ausstellung, Juni/Sept. 2009

Ralph Charbonnier, Dr. Bruno Italiener – ein Burgdorfer Rabbiner, Gelehrter, Theologe – Vortrag vom 29.7.2009

Burgdorfer Stolpersteine – ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig zum Gedenken an jüdische Opfer in Burgdorf, online abrufbar unter: burgdorf.de (mit Kurzinformationen zu den betroffenen Personen)

Netzwerk Erinnerung und Zukunft in der Region Hannover e.V., Stolpersteine in Burgdorf, online abrufbar unter: netzwerk-erinnerungundzukunft.de/stolpersteine/burgdorf/  

Stadt Burgdorf (Hrg.), Gedenkfries zur Erinnerung an die Burgdorfer Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung, online abrufbar unter: burgdorf.de/portal/seiten/gedenkfries-zur-erinnerung-an-die-burgdorfer-opfer-der-nationalsozialistischen-judenverfolgung.html

Stadtmarketing Lehrte e.V. (Hrg.), Stolpersteine in Lehrte: Familie Weiler, Königsstraße 8, online abrufbar unter: qrsml.de/stolpersteine/stolperstein-3

Auflistung der in Lehrte verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Lehrte

Gymnasium Lehrte (Hrg.), Stolpersteine in Lehrte – stolpert über Lehrte, online abrufbar unter: 2017.denktag.de/2016stolpersteine/stolpersteine/

Julia Brandes, „Alles ganz normal“ - Nachbarn erinnern sich an die Burgdorfer Familie Cohn, Erzähl- u.Bildband, 2013 (im Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten mit dem Landespreis prämiert)

Janik Springmann/Matthias D. Regenbrecht (Red.), BURGDORF – Novemberpogrome 1938 in Niedersachsen, Hrg. Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten, online abrufbar unter: pogrome1938-niedersachsen.de/burgdorf/

Arbeitskreis Gedenkweg 9.November (Hrg.), Jüdische Geschichte Burgdorf, online abrufbar unter: juedische-geschichte-burgdorf.info (Anm. informative Seiten zu Orten jüdischer Geschichte in Burgdorf in Text und Bild)

Joachim Dege (Red.), Burgdorf. Der Familiengeschichte auf der Spur, in: „HAZ - Hannoversche Allgemeine Zeitung“ vom 27.8.2018

Antje Bismark (Red.), Burgdorf. Nazis wüten in der Reichspogromnacht, in: „HAZ – Hannoversche Allgemeine Zeitung“ vom 8.11.2018

Rudolf Bembenneck/Judith Rohde (Bearb.), Das ist das Ende: Wegweiser zu den Biographien der Jüdinnen und Juden aus Burgdorf 1933 -1934, books on demand, Norderstedt 2019

Arbeitskreis Gedenkweg 9.November (Bearb.), Der Gedenkfries im Ratssaal des Burgdorfer Schlosses: Namen in Heimaterde, online abrufbar unter: juedische-geschichte-burgdorf.info/orte/spittaplatz-4/ (2021)

N.N. (Red.), Burgdorf. Gunter Demnig verlegt weitere Stolpersteine in der Stadt, in: „HAZ - Hannoversche Allgemeine Zeitung“ vom 20.10.2021

N.N. (Red.), Neue Stolpersteine erinnern an die jüdische Familie Cohn, in: „HAZ - Hannoversche Allgemeine Zeitung“ vom 14.11.2021

N.N. (Red.), Burgdorf. Die Fluchtgeschichte der Familie Cohn – und ihre Bedeutung für Geflüchtete heute, in: „HAZ - Hannoversche Allgemeine Zeitung“ vom 24.2.2022

N.N. (Red.), Arbeitskreis verlegt in Burgdorf sechs neue Stolpersteine, in: „HAZ - Hannoversche Allgemeine Zeitung“ vom 7.11.2022

Georg Bosse (Red.), Burgdorf. Weitere Steine in der Stadt verlegt, in: „Altkreis BLITZ“ vom 10.11.2022

N.N. (Red.), Burgdorf: Jüdische Geschichte in der Stadt – Synagoge, Stolpersteine, Friedhof, in: „HAZ – Hannoversche Allgemeine Zeitung“ vom 7.6.2024