Demmelsdorf (Oberfranken/Bayern)
Demmelsdorf mit derzeit etwa 300 Einwohnern ist heute ein Ortsteil von Scheßlitz im oberfränkischen Landkreis Bamberg (Kartenskizze 'Landkreis Bamberg', Hagar 2010, commons.wikimedia.org. CC BY-SA 3.0).
In dem nahe Bamberg gelegenen Dörfchen Demmelsdorf existierte eine relativ große israelitische Gemeinde, deren Angehörige zeitweilig einen beträchtlichen Anteil der Dorfbevölkerung stellten: zu Beginn des 19.Jahrhunderts betrug der jüdische Bevölkerungsanteil ca. 60% (!), um 1910 immerhin noch ca. 30%.
Die Anfänge jüdischen Lebens in Demmelsdorf lassen sich nicht eindeutig bestimmen; möglicherweise könnten schon im 13.Jahrhundert Juden im Dorfe gelebt haben; der erste schriftliche Beleg stammt aber erst aus dem Jahre 1586. Die Demmelsdorfer Juden standen nicht unter fürstbischöflicher, sondern unter unterschiedlicher reichsritterschaftlicher Schutzherrschaft. Überfälle marodierender Banden, die es auch auf das Eigentum der jüdischen Familien abgesehen hatten, brachten viel Unsicherheit (1697). Die Grafen von Griech gewährten ‚ihren’ Juden während eines antijüdischen Bauernaufstandes (1699) Schutz in ihrer Schlossanlage; vier Jahrzehnte später standen sie ihnen in der sog. „neuen Dorfordnung“ relativ weitreichende Rechte zu.
Siegel der Israelitischen Kultusgemeinde Demmelsdorf
Zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörten eine um 1750 erstellte Synagoge mit Lehrerwohnung und eine um 1870 erbaute Mikwe. Ein angestellter Lehrer verrichtete religiöse Aufgaben der Gemeinde; neben der Unterweisung der Kinder war er auch als Vorsänger und Schochet tätig. Anders als in anderen Landgemeinden waren die hiesigen Lehrer relativ lang im Amt; besonders gilt das für Isaak Weglein, der vier Jahrzehnte (von 1876 bis 1916) in Demmelsdorf wirkte.
Stellenanzeigen aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 23. Aug. 1876 und vom 28. Aug. 1924
Zusammen mit der Judenschaft des benachbarten Zeckendorfs unterhielt die Demmelsdorfer Gemeinde einen Friedhof, dessen Anlage bereits um 1620 (oder sogar noch früher) erfolgte. Der älteste erhaltene Grabstein stammt von 1637. Dieses fast 5.000 m² große Begräbnisgelände - auf einer Anhöhe nördlich von Zeckendorf gelegen - wurde auch von weiteren israelitischen Gemeinden aus der Region genutzt, so von Burgellern, Burglesau, Stübig und Scheßlitz; auch die Bamberger Gemeinde hatte zeitweilig hier ihre Verstorbenen beerdigt.
vgl. dazu: Zeckendorf (Bayern)
Die israelitische Gemeinde Demmelsdorf unterstand dem Bezirksrabbinat Bamberg. Ihr waren auch die wenigen jüdischen Familien von Scheßlitz angeschlossen.
Juden in Demmelsdorf:
--- um 1800 .................. ca. 135 Juden,
--- 1810 ......................... 125 “ (ca. 60% d. Dorfbev.),
--- 1812 ......................... 136 " (62% d. Dorfbev.),
--- 1824 ......................... 100 “ ,
--- 1840 ......................... 125 “ ,
--- 1852 ......................... 111 “ ,
--- 1867 ......................... 94 " (ca. 47% de. Dorfbev.),
--- 1875 ......................... 67 “ ,
--- 1890 ......................... 66 “ ,
--- 1910 ......................... 37 “ , (andere Angabe: 58 Pers.)*
--- 1925 ......................... 20 “ , (andere Angabe: 29 Pers.)*
--- 1933 ......................... 21 “ , (andere Angabe: 42 Pers.)*
--- 1937 ......................... 33 “ ,
--- 1939 ......................... 16 “ ,
--- 1942 (Apr.) .................. 14 “ ,
(Mai) ................... keine.
Angaben aus: Eva Groiss-Lau, Jüdisches Kulturgut auf dem Land, S. 212
und Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945, S. 129
Vieh- und Hausierhandel waren über einen langen Zeitraum hinweg die Haupterwerbsquellen der hiesigen jüdischen Familien; nach 1850 wanderten zahlreiche Dorfbewohner ab. Zu Beginn der NS-Zeit lebten dann nur noch wenige jüdische Familien im Dorf.
Der Novemberpogrom führte in Demmelsdorf zu erheblichen Zerstörungen; so sollen aus Bamberg herangekarrte SA-Angehörige zunächst den Synagogeninnenraum demoliert und anschließend jüdische Bewohner gezwungen haben, das zerstörte Inventar mitsamt der Ritualien auf ein offenes Feld zu fahren, wo die Ladung verbrannt wurde. Danach fanden im Dorf Plünderungen statt, an denen sich auch Einheimische aktiv beteiligten. Einige jüdische Männer wurden inhaftiert und zusammen mit Juden von Nachbardörfern ins Bamberger Gefängnis verfrachtet; zwei kamen ins KZ Dachau, die übrigen kehrten wenig später ins Dorf zurück. Auf Anordnung des Bamberger Landrats wurde die Synagoge völlig abgebrochen und das Grundstück beschlagnahmt; für den Abbruch des Gebäudes wurden der Gemeinde 70,- RM in Rechnung gestellt. Später errichtete die Kommune hier das Feuerwehrgerätehaus.
Im April 1942 wurden die letzten 14 noch in Demmelsdorf verbliebenen Juden via Bamberg nach Izbica bei Lublin deportiert. Namentlich sind insgesamt 35 Angehörige der jüdischen Gemeinde von Demmelsdorf bekannt, die Opfer der Shoa geworden sind. (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/demmelsdorf_synagoge.htm).
1948/49 standen in zwei Verfahren ca. 30 Angeklagte vor dem Landgericht Bamberg, die man beschuldigte, aktiv an den Ausschreitungen des Novemberpogroms in Demmelsdorf beteiligt gewesen zu sein. Die allermeisten Angeklagten wurden schuldig gesprochen und zu kurzzeitigen Freiheitsstrafen verurteilt.
Zur Erinnerung an die jüdischen Dorfbewohner von Demmelsdorf befindet sich seit 1991 zwischen den beiden Ortsteilen Zeckendorf und Demmelsdorf ein Gedenkstein, auf dem auf mehreren Inschriftentafeln die Namen der 44 jüdischen Opfer der NS-Verfolgung verzeichnet sind. Der große jüdische Friedhof mit seinen fast 600 erhalten gebliebenen Grabsteinen erinnert heute noch an die früheren israelitischen Gemeinden in der Region.
Jüdischer Friedhof Zeckendorf - Demmelsdorf (Aufn. Jürgen Hanke, aus: alemannia-judaica.de)
2024 wurden in Demmelsdorf zwölf „Stolpersteine“ verlegt, die an Angehörige der vier jüdischen Familien Berg, Heimann, Mannheimer und Wurzinger erinnern.
Die wenigen jüdischen Familien in der Stadt Scheßlitz, die keine eigene Gemeinde bildeten, suchten die Synagogen von Demmelsdorf und Zeckendorf auf.
Verstorbene wurden ebenfalls auf den Friedhöfen der genannten Gemeinden beerdigt.
Juden in Scheßlitz:
--- 1910 ........................ 33 Juden,
--- 1925 ........................ 31 “ ,
--- 1933 ........................ 30 “ ,
--- 1937 ........................ 25 “ ,
--- 1942 (März) ................. 13 “ ,
(April) ................ keine.
Angaben aus: Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945, S. 148
Während des Novemberpogroms von 1938 wurden die wenigen jüdischen Männer festgenommen und fünf von ihnen ins KZ Dachau überstellt.
Nach 1938 konnte die Mehrzahl der jüdischen Bewohner noch rechtzeitig emigrieren; die letzten 13 in Scheßlitz verbliebenen Juden wurden im März 1942 nach Bamberg gebracht, von hier aus nach Izbica bzw. nach Theresienstadt deportiert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ sind isngesamt 17 aus Scheßlitz stammende bzw. längere Zeit hier wohnhaft gewesene jüdische Bürger Opfer der Shoa geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: .alemannia-judaica.de/demmelsdorf_synagoge.htm)
vgl. dazu: Zeckendorf/Bayern
Weitere Informationen:
Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Verlag Oldenbourg, München/Wien 1979, S. 129/130
Klaus Guth (Hrg.), Jüdische Landgemeinden in Oberfranken (1800 - 1942). Ein historisch-topographisches Handbuch, Bayrische Verlagsanstalt Bamberg, Bamberg 1988
Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern - Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 216
Eva Groiss-Lau, Jüdisches Kulturgut auf dem Land. Synagogen, Realien und Tauchbäder in Oberfranken, Hrg. Klaus Guth, Deutscher Kunstverlag, München/Berlin 1995, S. 8 und S. 211/212
Theodor Harburger, Die Inventarisation jüdischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Bayern. Band 2: Adelsdorf - Leutershausen, Hrg. Jüdisches Museum Franken - Fürth & Schnaiitach, Fürth 1998, S. 158 – 160
Eva Groiss-Lau, Die jüdischen Landgemeinden Zeckendorf-Demmelsdorf,in: K.Guth/E. Groiss-Lau (Hrg.), Jüdisches Leben auf dem Dorf, Petersberg 1999, S. 15 – 33
Regina Schade, Formen jüdischer Ansiedlungen und Bauten in den Gemeinden Zeckendorf und Demmelsdorf, in: K.Guth/E. Groiss-Lau (Hrg.), Jüdisches Leben auf dem Dorf, Petersberg 1999, S. 35 - 63
Elisabeth Eckel, Der jüdische Friedhof von Zeckendorf-Demmelsdorf, in: K.Guth/E. Groiss-Lau (Hrg.), Jüdisches Leben auf dem Dorf, Petersberg 1999, S. 65 - 96
A. Hager/H.-Chr. Haas, Demmelsdorf, in: Mehr als Steine ... Synagogengedenkband Bayern, Band 1, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2007, S. 129 - 135
Demmelsdorf mit Scheßlitz, in: alemannia-judaica.de (mit Textdokumenten zur jüdischen Gemeindehistorie)
Zeckendorf – Jüdische Friedhöfe in Bayern, online abrufbar unter: hdbg.de (mit Bilddokumenten)
Der jüdische Friedhof in Zeckendorf, in: alemannia-judaica.de
Michaela Schmölz-Häberlein (Hrg.), Jüdisches Leben in der Region: Herrschaft, Wirtschaft und Gesellschaft im Süden des Alten Reiches, Ergon-Verlag Baden-Baden 2018, S. 267 – 320 (Jüdisches Leben in fränkischen Landgemeinden Zeckendorf u. Demmelsdorf)
Marion Krüger-Hundrup (Red.), Die ganz traurige Geschichte des „Judendorfes Demmelsdorf“, in: infranken.de vom 15.5.2020
Sebastian Quenzer (Red.), Projekt „ZeDeSch“: Sichtbarkeit für die frühere jüdische Bevölkerung,, in: "Webecho Bamberg – Nachrichten aus Bamberg und der Region“ vom 20.2.2024
Sebastian Quenzer (Red.), Projekt „ZeDeSch“ endet mit Verlegung von Stolpersteinen, in: „Webecho Bamberg – Nachrichten aus Bamberg und der Region“ vom 12.10.2024
Karin Goeckel (BR24-Red.), Stolpersteine: Erinnerung an vertriebene und ermordete Nachbarn, in: BR24 vom 14.10.2024