Demmin (Mecklenburg-Vorpommern)
Demmin ist heute eine Kleinstadt mit ca. 12.000 Einwohnern im Norden des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze "Mecklenburgische Seenplatte" aus: ortsdienst.de/mecklenburg-vorpommern/mecklenburgische-seenplatte).
Demmin – Ausschnitt aus der sog. Stralsunder Bilderhandschrift, 1611 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Vermutlich ließen sich bereits im Laufe des 16.Jahrhunderts zeitweilig jüdische Familien in Demmin nieder. Urkundlich gesicherte Belege einer ständigen Niederlassung lassen sich aber erst zu Beginn des 19.Jahrhunderts finden, als einzelne jüdische Familien aus Deutsch-Krone und Stargard hierher zogen. Bis 1847 gehörten die Demminer Juden der Synagogengemeinde in Stralsund an; danach begründeten sie eine autonome Kultusgemeinde, zu der alle Juden im Kreise Demmin zählten; ihr Vorsitzender war von 1847 bis 1901 der Kantor Levin Hirsch.
Im Jahre 1848 wurde eine Synagoge im Wohnhaus des jüdischen Handelsmannes Joseph Elkisch in der Baustraße, der heutigen Synagogenstraße, eingeweiht (Anm.: einer anderen Angabe zufolge soll der Betraum bereits 1837 von dem Berliner Lehrer Salomon Pleßner seiner Bestimmung übergeben worden sein).
Die jüdischen Kinder Demmins besuchten die hiesigen Ortsschulen.
Ihren Friedhof legte die kleine Demminer Judenschaft 1825 vor dem Demminer Kuhtor, dem heutigen Luisentor, an; 1848 wurde die neue Begräbnisstätte vor dem Anklamer Tor, der heutigen Bergstraße, eingeweiht; dieses Areal hatte die Stralsunder Gemeinde für die Demminer Juden erworben. In einem Torpfeiler war die Inschrift angebracht: „Der Staub kehrt zurück zur Erde, was er war; der Geist kehrt aber zu Gott zurück, der ihn gegeben. (Prediger 12)”
Juden in Demmin:
--- 1812 ......................... 39 Juden (Erwachsene),
--- 1847 ......................... 175 “ ,* * Kreis Demmin
--- 1850 ......................... 106 “ ,
--- 1861 ......................... 92 “ ,
--- 1890 ......................... 60 “ ,
--- 1901 ......................... 24 “ ,
--- 1910 ......................... 24 “ ,
--- 1925 ......................... 25 “ ,
......................... 34 “ ,*
--- 1933 ......................... 7 “ ,
--- 1938 ......................... 4 “ ,
--- 1939 ......................... 3 Jüdinnen,
--- 1942 ......................... keine.
Angaben aus: Irene Diekmann (Hrg.), Wegweiser durch das jüdische Mecklenburg-Vorpommern, S. 99 f.
In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts verdienten die Juden Demmins ihren Lebensunterhalt im Kleinhandel und -gewerbe, einige auch im ertragreicheren Getreidehandel und Wollgeschäft. Ihr wirtschaftlich-sozialer Aufstieg fiel in die Zeit der Industrialisierung. Bis um 1900 hatte die jüdische Minderheit ihren Platz in der bürgerlichen Mittelschicht gefunden und nahm auch am politischen Leben der Kleinstadt Anteil. Gleichzeitig wanderten auch Juden ab, was zur Folge hatte, dass um 1925 nur noch wenige jüdische Familien in Demmin ihr Zuhause hatten; dabei handelte es sich zumeist um ältere Menschen.
So konnte bald auch kein eigenständiger Gottesdienst mehr abgehalten werden - nur Bestattungsfeiern fanden hier noch statt. Deshalb kam es wieder zu einem Anschluss an die Synagogengemeinde in Stralsund.
Obwohl in Demmin 1933 nur noch drei jüdische Geschäfte bestanden, wurde am 1.April 1933 auch hier der Boykotttag durchgeführt. (Anm.: Bereits in den Jahren zuvor hatte es in der Stadt, die in den 1920er Jahren eine Hochburg der DNVP und des Stahlhelm war, Boykottaktionen gegeben.) Da die wenigen jüdischen Bewohner das Synagogengebäude nicht mehr erhalten konnten, wurde es im Sommer 1938 an ein hiesiges Möbelunternehmen verkauft. Die NS-Lokalpresse schlachtete die Aufgabe der Synagoge weidlich aus; so hieß es u.a.: "... Bald wird die alte Bude verschwunden sein. Eine alte Bruchbude, die bei uns kein Lebensrecht mehr hat, die Synagoge wird verschwinden." Die Kultgegenstände waren zuvor an das Berliner Gemeindearchiv der Juden in Deutschland übergeben worden. Auf Grund des Verkaufs des Synagogengebäudes blieb dieses vor den Zerstörungen während des Novemberpogroms verschont. Der jüdische Friedhof wurde hingegen geschändet; alle Grabsteine wurden umgeworfen und z.g.T. zerstört.
Gegen Ende 1942 lebten in Demmin keine Juden mehr; die letzten beiden hochbetagten Jüdinnen waren im Laufe des Jahres 1942 deportiert worden.
Anfang der 1990er Jahre wurde die Straße, in der sich der Betraum der Demminer Juden befand, in „Synagogenstraße“ umbenannt.
Hinweise am Friedhofseingang und Blick auf das Begräbnisgelände (Aufn. Jotz, 2013, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Relikte der zerschlagenen Grabsteine wurden im Jahre 1963 auf dem von einer Feldsteinmauer umgebenen jüdischen Friedhof zu einem Denkmal zusammengefügt; nur wenige Steine waren unzerstört geblieben. Mittlerweile hat man die ca. 30 beschädigten, teilweise stark verwitterten Grabsteine in einer Doppelreihe auf dem ca. 1.000 m² großen Gelände wieder aufgerichtet.
2010 wurden in der Frauenstraße bzw. Goethestraße von Demmin für Angehörige der Familie Davidsohn drei sog. „Stolpersteine“ verlegt.
Weitere Informationen:
Karl Goetze, Geschichte der Stadt Demmin, Demmin 1903
M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 294/295
Erla Vensky, Juden im Kreis Demmin, in: M.Heitmann/J.H.Schoeps (Hrg.), “Halte fern dem ganzen Lande jedes Verderben ...” - Geschichte und Kultur der Juden in Pommern, Hildesheim/Zürich/New York 1995, S. 193 - 207
Wolfgang Wilhelmus, Juden in Vorpommern, in: Reihe Geschichte Mecklenburg-Vorpommern No.8/1996, hrg. von Friedrich-Ebert-Stiftung, Landesbüro Mecklenburg-Vorpommern, 1996, S. 32
Jochen Brauckmeier, Die Juden in Demmin - Versuch einer Schilderung der Verhältnisse bis 1939, in: "Baltische Studien", Band 83/1997, S. 54 - 59
Irene Diekmann (Hrg.), Wegweiser durch das jüdische Mecklenburg-Vorpommern, Verlag für Berlin-Brandenburg, Potsdam 1998, S. 99 - 114
Silke Voß, Auf den Spuren jüdischen Lebens: in Demmin wohnten zeitweise etwa 100 Juden - fast 150 Jahre wirkten sie als Händler, in: "Nordkurier", Ausg. No. 215/2001
Wolfgang Wilhelmus, Geschichte der Juden in Pommern, Ingo Koch Verlag, Rostock 2004
Jüdischer Friedhof in Demmin, in: Nordlichter – Leben in der vorpommerschen Provinz, Artikel von 2007 (online abrufbar)
Torsten Bengelsdorf (Red.), Die Opfer haben jetzt einen Namen, in: „Nordkurier“ vom 24.8.2010
Auflistung der in Demmin verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Demmin
Jürgen Gramenz/Sylvia Ulmer, Ehemaliges jüdisches Leben in Demmin, in: Die Geschichte der Juden in Mecklenburg, in: juden-in-mecklenburg.de/Orte/Demmin (Aufsatz vom 2.7.2016)
Denny Kleindienst (Red.), Mit Kränzen und Worten ehrt Demmin Opfer der Reichspogromnacht, in: „Nordkurier“ vom 10.11.2019
Pablo Himmelspach (Red.), Die Demminer Synagoge – Vergangenheit, Legende und Schuld, in: „Nordkurier“ vom 25.1.2022