Detmold (Nordrhein-Westfalen)
Detmold ist eine Stadt in der Region Ostwestfalen-Lippe knapp 30 Kilometer südöstlich von Bielefeld gelegen; mit derzeit ca. 75.000 Einwohnern ist Detmold die größte Stadt im Kreis Lippe (hist. Karte von Lippe, aus: wikiwand.com/de/Landratsamt_Blomberg und Kartenskizze 'Kreis Lippe', TUBS 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts war die jüdische Gemeinde in Detmold die größte und bedeutendste Synagogengemeinde in Lippe.
Bereits im 14./15.Jahrhundert wohnten jüdische Familien vereinzelt in den lippischen Städten und Dörfern. Allerdings durften sie sich nur dann dauerhaft ansiedeln, wenn ihnen die Herrschaft Schutzbriefe - meist gegen Zahlung einer jährlich wiederkehrenden Geldsumme - ausgestellt hatte. Der älteste erhaltene Schutzbrief stammt aus dem Jahre 1500. Der „Edelherr von Lippe” bescheinigte, dass er „Antzell den Jodden, sine husfrowenn unnd sin husgesinde angenommen und entfangen hebbem” und ihm Wohnrecht „in unser stat Dethmolden” zugesichert hatte. Als das Land durch die hohen Ausgaben des Landesherrn wirtschaftlich in Not geriet, wurden die Juden in Detmold - mit Unterstützung der Stände und Städte - wegen angeblichen Verstoßes gegen die lippischen Gesetze inhaftiert und ihre Vermögen konfisziert; anschließend wurden sie vertrieben.
Detmold - Stich von M. Merian, um 1650 (Abb. aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei)
Ende des 17.Jahrhunderts waren erneut wenige Juden in Detmold ansässig; 1670 erlaubte der Graf Simon Henrichs den Juden, Gottesdienste abhalten; dies war der eigentliche Beginn der Detmolder Gemeinde. Ende des 18.Jahrhunderts lebten ca. 110 Juden in Detmold; neben dem Pfandleihgeschäft wurden ihnen nur wenige Gewerbe zugestanden, weil Zünfte und Gilden unangenehme Konkurrenz ausschalten wollten. Auch ihre Wohnung innerhalb der Stadt durften sie nicht frei wählen; so war Juden verwehrt, ein Haus am Markt oder an der Langen Straße zu besitzen. Über Jahrzehnte hinweg gab es Beschwerden und Klagen gegen die jüdischen Händler in Detmold; sogar tätliche Angriffe sollen vorgekommen sein. Das Gesetz von 1858 setzte eine ‚Fast’-Gleichberechtigung mit den christlichen Bürgern fest.
Anm.: Die lippischen Synagogengemeinden wurden durch ein Gesetz vom März 1879 zu einer Landjudenschaft, dem „Synagogenverband der Israeliten des Fürstentums Lippe” zusammengefasst, wobei jeder jüdische Landesuntertan einer Synagogengemeinde angehören musste.
Erster Synagogenraum der Detmolder Juden befand sich seit 1712 in der Krummen Straße; 1742 wurde eine Scheune im Hinterhaus in der Exterstraße zu einer Synagoge ausgebaut; hier wurden bis 1907 Gottesdienste abgehalten. Im Mai des Jahres 1907 wurde - unter großer Anteilnahme der Vertreter der Detmolder und lippischen politischen und gesellschaftlichen Elite - die im neuromanischen Stile errichtete Synagoge der Jüdischen Gemeinde Detmold in der Lortzingstraße nahe dem fürstlichen Hoftheater eingeweiht.
Synagoge im Hintergrund (Postkarte, um 1910, Sammlung Mellies) - Detmolder Synagoge (Aufn. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Bei den Einweihungsfeierlichkeiten bekräftigten alle Redner das einvernehmliche Verhältnis zwischen den Konfessionen in Detmold. Der Kaufmann Alex Meyer, Vorsteher der jüdischen Gemeinde, sagte u.a.: „ ... Wie wir alle Glieder unseres gemeinsamen schönen deutschen Vaterlandes sind, wie wir alle in unserem persönlichen Leben aufeinander angewiesen sind, miteinander leben müssen, also ist auch das Verhältnis der verschiedenen Konfessionen zueinander in unserer geliebten Residenzstadt Detmold allezeit ein gutes und herzliches gewesen. Die einzelnen Bekenntnisse haben in guten und bösen Tagen treu zueinander gehalten, haben sich in Zeiten der Not einander zu fördern und helfen verstanden, haben gern und freudig für einander Opfer gebracht. Wir empfinden das besonders dankbar und wissen dieses gute Verhältnis zu würdigen. Und wenn ich heute etwas hoffe, ein Wunsch meine Seele bewegt, so ist es der, daß dieses gute und freundliche Verhältnis allzeit so bleiben möchte, daß niemals der Tag kommen möge, wo Mißgunst und Neid und Abneigung etwas anderes schaffen, und an die Stelle des Friedens den Unfrieden setzen. ...”
In einem Anbau der Synagoge befanden sich ein Versammlungsraum, ein Schulzimmer und eine Bibliothek.
Der erste jüdische Begräbnisplatz lag vermutlich vor dem Lemgoer Tore und bestand seit der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts. Nach dessen Erweiterung und dann vollständiger Belegung konnte die jüdische Gemeinde in den 1880er Jahren auf einem vom Kaufmann Rudolf Heineman erworbenen Grundstück an der Spitzenkamptwete einen neuen Friedhof anlegen.
Zur Synagogengemeinde Detmold gehörten auch die jüdischen Familien aus Remminghausen. Ab 1928 schlossen sich die wenigen Juden aus Lage der Detmolder Gemeinde an.
Juden in Detmold:
--- 1749 .......................... 18 jüdische Familien,
--- 1769 .......................... 23 “ “ ,
--- um 1790 ....................... 110 Juden,
--- 1807 .......................... 135 “ ,
--- 1872 .......................... 147 “ ,
--- 1890 .......................... 227 “ ,
--- 1909 .......................... 280 “ ,
--- 1932 .......................... 207 “ ,* * Synagogengemeinde
--- 1933/34 ................... ca. 160 “ ,
--- 1938 (Okt.) ............... ca. 90 “ ,
--- 1939 ...................... ca. 100 “ ,
--- 1942 (Aug.) .................. keine,
--- 1948 ..................... ca. 50 “ .
Angaben aus: Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil III: Reg.bez. Detmold, S. 302
und Dina van Faassen (Bearb.), Detmold, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften, Teilband Reg.bez. Detmold (Vorabdruck 2004)
Seit den ersten Jahrzehnten des 19.Jahrhunderts war es den Juden erlaubt, sich nun auch am Markt und an der Langen Straße anzusiedeln. Nach 1850 gelang den meisten jüdischen Familien Detmolds der soziale Aufstieg in den bürgerlichen Mittelstand; um 1875 stellten sie in der Stadt ca. 20 Kaufleute/Händler und sieben Handwerker.
historische Postkarten von Detmold (um 1900). Am Burggraben und Lange Straße (Abb. aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei)
In den 1920er Jahren lebte auch in Detmold der bereits vor dem Ersten Weltkrieg aufgekommene Antisemitismus wieder auf; mit dem ab 1930 täglich erscheinenden „Lippischen Kurier” erreichte die antisemitische Hetze der NSDAP in der Stadt eine neue Dimension. Im Jahre der NS-Machtübernahme wohnten in Detmold ca. 160 Juden, die auf Grund der nun einsetzenden Boykott- und Diffamierungskampagnen um ihre wirtschaftliche Existenz fürchten mussten; um die Jahreswende 1937/1938 hatte das Gros der jüdischen Geschäftsleute bereits ihre Unternehmen aufgegeben. In der Reichspogromnacht wurde die Synagoge in der Lortzingstraße - auf Betreiben und unter persönlicher Leitung des NS-Kreisleiters Adolf Wedderwille - von SA- und SS-Trupps aufgebrochen und in Brand gesetzt; auch Geschäftshäuser und Privatwohnungen waren Ziele von Anschlägen.
Aus einem Augenzeugenbericht: „ ... Man hörte Schreien, lautes Weinen. Offenbar wurden diese Menschen recht unsanft abtransportiert. Das ganze Innere der Synagoge hatte man nun mit Benzin übergossen, und der Brandmeister höchstpersönlich schoß mit einer Brandpistole hinein. Es gab eine kleine Explosion, von dem Luftdruck wurde der Brandmeister einige Meter weit nach hinten geschleudert und auch verletzt. Bald darauf stand die ganze Synagoge in hellen Flammen. ..” (aus: Reinhard Wulfmeyer, Vom “Boykott-Tag” zur “Reichskristallnacht”. Stufen der Judenverfolgung in Lippe ..., S. 222)
Synagogenruine Ende 1938/Anfang 1939 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Die Synagoge brannte bis auf die Grundmauern nieder; ihre Ruine wurde Monate später abgebrochen. 14 jüdische Männer und vier Frauen wurden „in Schutzhaft“ genommen, einige davon - über Bielefeld - ins KZ Buchenwald überstellt. Im ersten Kriegsjahr lebten etwa 100 Juden in Detmold; die in „Judenhäusern“ und im israelitischen Altersheim untergebrachten Menschen wurden dann ab Dezember 1941 in mehreren Transporten deportiert; Ziele waren die Ghettos in Riga und Warschau, der letzte Transport ging nach Theresienstadt.
Etwa 170 gebürtige bzw. längere Zeit in Detmold ansässig gewesene jüdische Bewohner wurden Opfer der NS-Gewaltherrschaft.
In Gerichtsverfahren gegen Beteiligte am Pogrom in Detmold in den Jahren 1946/1948 wurde lediglich ein (!) Angeklagter zu einer kurzzeitigen Haftstrafe verurteilt.
1946 gründete sich für den Kreis Detmold eine kleine jüdische Gemeinde neu; ihr gehörten 1948 knapp 50 Personen an. Es waren zumeist Angehörige eines aus Breslau kommenden Transportes überlebender Juden, die vor 1945 „in Mischehe“ gelebt hatten und nun in Detmold ein neues Zuhause finden sollten; weiterhin waren es überlebende Detmolder Juden, die aus Theresienstadt zurückkehrten. Ihr religiöses Zentrum befand sich in einem Gebäude in der Gartenstraße, das bis 1942 als jüdisches Altersheim gedient hatte. Erster Vorsitzender der neuen Jüdischen Gemeinde für den Kreis Detmold war bis 1949 Wilhelm Ehrmann. 1970 bedeutete das Ende der selbstständigen Gemeinde Detmold; die nur noch zehn Mitglieder zählende Gemeinschaft verschmolz mit der in Herford zur „Jüdischen Kultusgemeinde Detmold und Herford”.
Am Standort der ehemaligen Synagoge in der Lortzingstraße erinnern seit 1963 zwei Gedenktafeln an die Zerstörung während des November-Pogroms (Aufn. Ts., 2014, aus: wikipedia.org, CCO); die Inschrift lautet:
Haben wir nicht alle einen Vater ?
Hat uns nicht ein Gott geschaffen ?
Warum verachten wir denn einer den anderen und entheiligen den Bund,
den Gott mit unseren Vätern gemacht hat ? Maleachi 2,10
Zur Erinnerung an die zerstörte Synagoge 1938 - 10.November 1963
In der Exterstraße, am ehemaligen Standort der alten Synagoge Detmolds, wurde im November 1988 eine kleine Gedenkstätte eingeweiht. Das aus vier Stelen bestehende Mahnmal, in das auch Fragmente der ehemaligen Synagoge der Lortzingstraße eingearbeitet wurden, trägt auch eine Gedenktafel mit folgendem Wortlaut:
Wir gedenken der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft
unter ihnen der 6.000.000 Juden,
die in deutschen Konzentrationslagern ermordet wurden.
Zudem befindet sich an der Alten Fachwerk-Synagoge eine Gedenktafel, auf der alle bislang bekannten jüdischen Opfer aus Detmold verzeichnet sind.
Hof und Eingang der alten ehem. Synagoge Detmold (Aufn. Ts., 2010, und R.Hauke, 2013, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)
Auf Initiative zehn ehemaliger Detmolder Juden erinnert seit 1995 zudem eine Gedenkstein, mit den Worten:
An diesem Ort stand die 1907 erbaute Synagoge.
Sie wurde im Novemberpogrom 1938 niedergebrannt.
Jüdische Gemeinde Detmold 1966 - 1942 und 1946 - 1970
In der Innenstadt Detmolds (Ecke Lange Straße/Karlstraße) erinnern fünf sog. „Stolpersteine“ an Angehörige der jüdischen Familie Herzberg, die Opfer des NS-Regimes geworden sind. Die Verlegung von acht weiteren Steine an zwei Standorten (Sachsen- u. Hermannstraße) erfolgte Anfang 2022. Auf Initative der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit wurden jüngst in der Gartenstraße, der Krummen Straße und der Sachsenstraße weitere „Stolpersteine“ verlegt (2023). 2024 kamen an drei Standorten zehn weitere messingfarbene Steinquader hinzu.
in der Karlstraße (Aufn. Tsungam, 2020/2022, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
und Hermannstr. Chr. Michelides, 2024, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0
Seit 2023 erinnert in der Gartenstraße eine „Gedenk-Schwelle“ an die Schüler u. Lehrkräfte der ehemaligen jüdischen Schule und an die Bewohner des jüdischen Altersheims, die deportiert und ermordet wurden.
Aufn. T. 2023, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0
Um 2010 wurde ein auf einem Gelände in der Innenstadt Detmolds liegendes Gebäude (Bruchmauerstraße/Krumme Str.) als „Hofsynagoge“ aus dem 17.Jahrhundert identifiziert (und ist damit eine der ältesten freistehenden Synagogen in Norddeutschland). Das stark vom Verfall bedrohte Fachwerkgebäude soll nach dem Willen des Eigentümers abgerissen werden; die Kommune und die jüdische Gemeinde wollen hingegen das Gebäude erhalten und sanieren. Der juristische Streit über den Erhalt bzw. Abriss des Gebäudes wurde jüngst vom Oberverwaltungsgericht in Münster entschieden (2024); danach wurde der Denkmalwert der ehemaligen Hofsynagoge bestätigt und der Abbruchantrag des Eigentümers abgelehnt.
Ehem. Hofsynagoge (Aufn. Jan Mathys, 2022, aus: wikipedia.org,CC BY-SA 4.0)
Ein seit 1742 als Synagoge genutztes Gebäude (profaniert 1907) diente dann über Jahrzehnte hinweg als Schlosserei-Werkstatt u. Lagerraum; bereits für den Abriss vorgesehen wurde das völlig marode Fachwerkgebäude Anfang der 1980er Jahre an die Gemeinde der Christengemeinschaft verkauft, die es grundlegend sanierte und fortan als ‚Michaelskapelle‘ nutzte.
Im Lippischen Landesmuseum ist eine Sammlung von Kultgegenständen vorhanden, die der einstigen jüdischen Gemeinde zu synagogalen Zwecken diente. Das letzte bauliche Zeugnis der Detmolder Judenschaft ist der Friedhof an der Spitzenkamptwete, auf dem sich auch noch einige Grabsteine des alten Friedhofs befinden.
Ansichten des jüdischen Friedhofs an der Spitzenkamptwete (Aufn. T., 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
An Felix Fechenbach (geb. 1894), der von 1929-1933 als politischer Journalist beim SPD-Organ „Volksblatt“ in Detmold tätig war und im Aug. 1933 im Kleinenberger Wald (zwischen Detmold und Warburg) von Nationalsozialisten ermordet wurde („auf der Flucht erschossen“), erinnern heute in Detmold zwei nach ihm benannte Bildungseinrichtungen und eine Straße. Seit 1973 steht an der Stelle seiner Ermordung ein Gedenkstein. Die Felix-Fechenbach-Stiftung - eingerichtet vom SPD-Unterbezirk Lippe - vergibt seit dem Jahre 1996 den mit € 5.000.- dotierten „Felix-Fechenbach-Preis“ für soziales, demokratisches und schriftstellerisches Engagement
Einer von zahlreichen in Würzburg (in der Ursulinergasse) verlegten Stolpersteine erinnert an Felix Fechenbach.
[vgl. Bad Mergentheim (Baden-Württemberg)]
In Detmold wurde 1794 Leopold Zunz (Jom Tov Lippmann Zunz) geboren, der einer der größten jüdischen Gelehrten seiner Zeit war; er gilt als Wegbereiter der modernen jüdischen Wissenschaft und Vorkämpfer für die Emanzipation der Juden in Deutschland. In den Jahren 1803 bis 1809 besuchte er die Samson-Schule in Wolfenbüttel, anschließend das dortige Gymnasium. Nach seinem Studium in Berlin promovierte Zunz 1821 an der Universität Halle/Saale zum Doktor der Philosophie. In den Folgejahren war er als Redakteur, ab 1840 als Direktor des jüdischen Lehrerseminars in Berlin tätig. Zusammen mit dem Anwalt Eduard Gans und dem Kaufmann Moses Moser gründete Leopold Zunz den „Verein für Cultur und Wissenschaft des Judentums“, der eine geistige Reform des Judentums - mittels wissenschaftlicher Forschungsmethoden - bewirken wollte. Zunz verfasste zahlreiche Publikationen. Leopold Zunz verstarb in Berlin im Jahre 1886 im Alter von 91 Jahren; er wurde auf dem Jüdischen Friedhof Schönhauser Allee beigesetzt. 1998 wurde an der Leucorea in Wittenberg - einer im Jahre 1994 geschaffenen öffentlich-rechtlichen Stiftung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg - das Leopold-Zunz Zentrum gegründet.
[vgl. Wittenberg (Sachsen-Anhalt)]
Das Westfälische Freilichtmuseum in Detmold hat als Landesmuseum für Volkskunde es sich zur Aufgabe gemacht, die Geschichte der ländlichen/kleinstädtischen Bevölkerung Westfalens zu dokumentieren und museal aufzubereiten. Dazu gehört auch die Darstellung der Wohn- und Alltagskultur der jüdischen Landbevölkerung. Mit dem früheren Wohnhaus der Familien Soistmann (Steilberg) bzw. Uhlmann in Ovenhausen (Krs. Höxter) besitzt das Freilichtmuseum seit 2000 eines der letzten fast unversehrt erhaltenen jüdischen Wohnhäuser Westfalens. Nach dessen Erwerb wurde das inzwischen marode Fachwerkgebäude – es stammt aus der Zeit um 1810 - zerlegt und ins ca. 50 Kilometer entfernte Detmold transloziert. Das Haus war seit 1885 im Besitz des jüdischen Handelsmanns Levy Uhlmann; dessen Sohn Norbert übernahm es später und lebte dort mit seiner Frau Lene, geb. Löwendorf, und der adoptierten Tochter Ilse (geb. 1931). Im Dezember 1941 wurde die dreiköpfige Familie Uhlmann - zusammen mit anderen jüdischen Familien aus Ostwestfalen – via Bielefeld nach Riga deportiert, wo sich ihre Spuren verlieren. Ihr Haus in Ovenhausen wurde enteignet und an eine kinderreiche Familie im Ort verkauft. Nach 1945 wurde das Haus nur noch für wenige Jahre bewohnt; 1953 wurde es an Angehörige der Familie Uhlmann (sie waren in die USA emigriert) zurückerstattet; diese veräußerten es dann an einen Nachbarn in Ovenhausen, der es aber nur kurzzeitig nutzte. Danach stand das Haus leer und diente nur noch als Abstellraum.
Das „Uhlmann-Haus“ vor der Translozierung und im Detmolder Freilichtmuseum (Aufn. aus: jacob-pins.de)
[vgl. Ovenhausen (Nordrhein-Westfalen)]
Weitere Informationen:
Hans Ch. Meyer, Aus Geschichte und Leben der Juden in Westfalen, ner-tamid-verlag, Frankfurt/M. 1962
Michael Günter, Die Juden in Lippe von 1648 bis zur Emanzipation 1858, in: Sonderveröffentlichungen des Naturwissenschaftlichen u. Historischen Vereins für das Land Lippe 20, Detmold 1973
Moritz Rülf, Die Geschichte der Juden in Lippe, in: Juden in Lemgo und Lippe - Kleinstadtleben zwischen Emanzipation und Deportation, Forum Lemgo - Schriften zur Stadtgeschichte, Heft 3, Hrg. Archiv- u. Museumsamt der Stadt Lemgo, Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 1988, S. 15 f.
Reinhard Wulfmeyer, Vom “Boykott-Tag” zur “Reichskristallnacht”. Stufen der Judenverfolgung in Lippe 1933 - 1939, in: Juden in Lemgo und Lippe - Kleinstadtleben zwischen Emanzipation und Deportation, Forum Lemgo - Schriften zur Stadtgeschichte, Heft 3, Hrg. Archiv- und Museumsamt der Stadt Lemgo, Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 1988, S. 210 ff.
Wolfgang Müller, Moritz Rülf - ein jüdischer Lehrer in schwerer Zeit, in: H. Frankemöller (Hrg.), Opfer und Täter - Zum nationalsozialistischen und antijüdischen Alltag in Ostwestfalen-Lippe, Bielefeld 1990, S. 26 ff.
Dina van Faassen/J.Hartmann, “ ... dennoch Menschen von Gott geschaffen”. Die jüdische Minderheit in Lippe von den Anfängen bis zur Vernichtung, Bielefeld 1991, S. 127 - 133 (Gedenkverzeichnis Detmolder jüdischer Opfer)
Dina van Faassen, Die Geschichte der Detmolder Juden vom Spätmittealter bis 1900, o.O. o.J.
Wolfgang Müller, Die Jüdische Gemeinde Detmold in der Nachkriegszeit, in: Detmold in der Nachkriegszeit - Dokumentation eines stadtgeschichtlichen Projekts, Hrg. Stadt Detmold, Aisthesis Verlag, Bielefeld 1994 (Sonderdruck)
Jürgen Hartmann, “Die durchgeführte Aktion hat hier wahre Befriedigung hervorgerufen”. Der Novemberpogrom in Detmold 1938, in: Hermann Niebuhr/Andreas Ruppert (Hrg.), Nationalsozialismus in Detmold - Dokumentation eines stadtgeschichtlichen Projekts, Aisthesis-Verlag, Bielefeld 1998, S. 645 - 659
Jürgen Hartmann, Die Deportation Detmolder Juden, in: Hermann Niebuhr/Andreas Ruppert (Hrg.), Nationalsozialismus in Detmold - Dokumentation eines stadtgeschichtlichen Projekts, Aisthesis-Verlag, Bielefeld 1998, S. 660 - 678
Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen: Teil III: Regierungsbezirk Detmold, J.P.Bachem Verlag, Köln 1998, S. 302 - 311
G. Birkmann/H. Stratmann, Bedenke vor wem du stehst - 300 Synagogen und ihre Geschichte in Westfalen u. Lippe, Klartext Verlag, Essen 1998, S. 172/173
Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 97 - 99
Julius H. Schoeps (Hrg.), Neues Lexikon des Judentums, Gütersloher Verlaghaus, Gütersloh 2000, S. 519
Gudrun Mitschke-Buchholz, Gedenkbuch für die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Detmold, Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 2001
Heinrich Stiewe (Red.), Ovenhausener Haus einer jüdischen Familie ist im Westfälischen Freilichtmuseum Detmold jetzt auf festem Grund, in: LWL – Für die Menschen. Für Westfalen Lippe, vom 3.7.2002 (online unter: lwl.org/pressemitteilungen)
Gudrun Mitschke-Buchholz, Auf jüdischen Spuren. Zwei Stadtrundgänge durch Detmold, Lippe-Verlag, Lage 2001, S. 43 - 47 (erw. überarb. Neuaufl. 2008)
Wolfgang Müller, Gartenstraße 6: Zur Geschichte eines Detmolder „Judenhauses“ und seiner Bewohner, 2.Aufl., Detmold 2001
Dina van Faassen (Bearb.), Detmold, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften, Teilband Regierungsbezirk Detmold (Vorabdruck 2004)
Peter Wagner, Die Jüdische Gemeinde baut sich eine Synagoge, in: Detmold um 1900. Dokumentation eines stadtgeschichtlichen Projekts, Bielefeld 2004, S. 135 - 156
Gefoin Apel (Red.), „Die vergessenen Nachbarn“ - Zur Vermittlung jüdischen Lebens auf dem Lande in Westfalen im Freilichtmuseum Detmold, in: „Fundstücke“ - Nachrichten und Beiträge zur Geschichte der Juden in Niedersachsen und Bremen, No. 5/2006, S. 25 – 29
Stefan Baumeier/Heinrich Stiewe (Hrg.), Die vergessenen Nachbarn. Juden auf dem Lande im östlichen Westfalen, in: "Schriften des Westfälischen Freilichtmuseums Detmold", Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 2006, S. 19 - 99 (vier längere Aufsätze)
Gudrun Mitschke-Buchholz, Zwischen Nachbarschaft und Deportation. Erinnerungen an die Overhausener Jüdinnen und Juden, in: S.Baumeister/H.Stiewe (Hrg), Die vergessenen Nachbarn. Juden auf dem Lande im östlichen Westfalen, in: Schriften des Westfälischen Freilichtmuseums Detmold, Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 2006, S. 79 - 99
Heinrich Stiewe, Jüdische Wohn- und Alltagskultur im Freilichtmuseum. Zur Translozierung des Hauses Steilberg/Uhlmann aus Ovenhausen (Kr. Höxter) ins Westfälische Freilichtmuseum Detmold
Gefion Apel (Red.), „Die vergessenen Nachbarn“ und ihr Bild im Freilichtmuseum, Freilichtmagazin Detmold 2007 (betr. Haus Ullmann aus Ovenhausen)
Hubertus Michels (Red.), Die Translozierung des Hauses Uhlmann ins Detmolder Freilichtmuseum, Freilichtmagazin Detmold 5/2007 (mit Bildmaterialien)
Johannes Kistenich, 9.11.1938 – Reichspogromnacht in Ostwestfalen-Lippe. Gemeinsames Ausstellungsprojekt von Archiven in Ostwestfalen-Lippe, Detmold Landesarchiv NRW 2008
Wolfgang Müller, Juden in Detmold: gesammelte Beiträge zur jüdischen Geschichte in Detmold und ihrer Aufarbeitung in Archiv und Schule, Lippe-Verlag Lage 2008
Seda Hagemann (Red.), „Stolpersteine“ lösen gemischte Gefühle aus, in: „LZ - Lippische Landeszeitung“ vom 9.2.2010
LWL-Medienzentrum/LWL-Freilichtmuseum Detmold (Hrg.), Brief an eine verlorene Freundin (Ilse Uhlmann), Lehr-DVD 2010
Dina van Faassen (Bearb.), Detmold, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Detmold, Ardey-Verlag, Münster 2013, S. 353 - 371
Fred Kaspar/Peter Barthold (Bearb.), Ein Gebäude macht Geschichte. Das vergessene jüdische Bethaus von 1633 in Detmold, Bruchmauerstraße 37, in: “Lippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde”, Band 86, Bielefeld 2017, S. 155 - 172
Silke Buhrmester (Red.), Stolpersteine sollen in Detmold bald an die Familie Herzberg erinnern, in: “LZ - Lippische Landes-Zeitung” vom 6.2.2019
Blanka Weber (Red.), Jüdisch in Ostwestfalen – Eine kleine Gemeinde bemüht sich um das jüdische Erbe der Region, in: “Jüdische Allgemeine” vom 19.3.2020
Auflistung der in Detmold verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Detmold
Yvonne Glandien (Red.), Fünf neue Stolpersteine erinnern in Detmold an das Schicksal der jüdischen Familie Herzberg, in: “LZ - Lippische Landeszeitung” vom 23.6.2020
WDR (Red.), Stolpersteine in Detmold mit Farbe verunreinigt, vom 9.11.2020
Ismar Schorsch, Im Kampf für Gleichberechtigung war für Leopold Zunz die Geschichtswissenschaft eine Waffe gegen Ignoranz und Hass, in: Shared History Project – 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland, April 2021
Sven Koch (Red.), Acht neue Stolpersteine für Detmold, in: “LZ - Lippische Landeszeitung” vom 31.5.2021
N.N. (Red.), Zum Gedenken eines Holocaust-Überlebenden aus Detmold, in: „LZ - Lippische Landeszeitung“ vom 11.6.2021 (Anm. Biografisches über Fritz Fred Herzberg, Jg. 1921)
Sven Koch (Red.), Neue Stolpersteine sollen in Detmold verlegt werden, in: "LZ – Lippische Landeszeitung“ vom 26.10.2021
Luisa Thomé (Red.), Verstolperte Erinnerung in Detmold, in: „Schweriner Volkszeitung“ vom 5.1.2022
Lukas Brekenkamp (Red.), Eigentümer will Abriss: Streit um historische Synagoge in Detmold, in: „LZ – Lippische Landeszeitung“ vom 20.5.2022
Philipp Lenhard (Red.), Jüdische Spuren in Detmold. Wenn eine Synagoge zerfällt, in: „TAZ“ vom 9.7.2022
Lilly Wolter (Red.), Detmold. Ein Denkmal vor dem Abriss, in: „Jüdische Allgemeine“ vom 21.7.2022
Nicole Ellerbrake (Red.), Mahnwache für den Erhalt der Synagoge, in: „LZ – Lippische Landeszeitung“ vom 23.10.2022
N.N. (Red.), Detmold. Eigentümer will Synagoge in Freilichtmuseum versetzen, in: „Jüdische Allgemeine“ vom 29.11.2022
Raphael Bartling (Red.), Neue Stolpersteine erinnern in Detmold an Opfer des Nationalsozialismus, in: „LZ – Lippische Landeszeitung“ vom 23.1.2023
Gudrun Mitschke-Buchholz, Gedenkbuch für die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Detmold, Detmold 2023
Sven Koch (Red.), In Detmold werden zehn weitere Stolpersteine verlegt, in: „LZ – Lippische Landeszeitung“ vom 1.1.2024
WDR (Red.), Der juristische Streit um die alte Hofsynagoge in Detmold geht weiter, in: wdr.de vom 20.3.2024
Stadt Detmold (Red.), Zehn neue Stolpersteine erinnern an Menschen unserer Stadt, in: detmold.de vom 17.5.2024
ipd (Red.), Oberverwaltungsgericht verhandelt über jüdisches Bethaus in Detmold, in: „Jüdische Allgemeine“ vom 9.9.2024
Stadt Detmold (Red.), Urteil zur Hofsynagoge: „Ein wesentlicher Meilenstein ist erreicht“, aus: detmold.de vom 19.9.2024
dpa (Red.), Polizeieinsatz an der Hofsynagoge in Detmold, in: „Die Glocke“ vom 21.10.2024