Dettelbach (Unterfranken/Bayern)
Dettelbach ist eine Kleinstadt mit derzeit ca. 7.000 Einwohnern im unterfränkischen Landkreis Kitzingen (bestehend aus zehn Ortsteilen) – knapp 20 Kilometer östlich von Würzburg gelegen (Kartenskizzen 'Landkreis Kitzingen', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0 und 'Ortsteile der Kommune Dettelbach', Monandowitsch 2018, aus: wikipedia.org, CC BY 3.0).
Dettelbach gilt als eine der ältesten jüdischen Gemeinden im Hochstift Würzburg.
Dettelbach - Stich von 1847 (aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Erste Belege über sich in Dettelbach aufhaltende Juden sind aus dem ausgehenden 16.Jahrhundert bekannt; gegen Ende des 17.Jahrhunderts ist eine 23 Personen zählende Judenschaft nachgewiesen.
Bei der Erstellung der Matrikellisten (1817) wurden im Dorf 24 Matrikelstellen ausgewiesen; dabei gehörten zu den Erwerbszweigen der Familien vor allem Vieh-, diverser Waren- und Weinhandel. Die Blütezeit der jüdischen Gemeinde Dettelbach lag in den Jahrzehnten nach 1820, als die Zahl ihrer Angehörigen fast 200 Personen erreichte.
Die alte Synagoge befand sich an der westlichen Stadtmauer am Steinbühl; 1780 war die "Judenschule" in der Neugasse einem Großbrand zum Opfer gefallen. Anfang der 1860er Jahre ließ die Kultusgemeinde eine neue Synagoge mit zwei Schulräumen errichten; sie wurde im September 1862 vom Würzburger Bezirksrabbiner Bamberger eingeweiht, wie ein Bericht der Zeitschrift „Der Israelit” am 22.10.1862 vermeldete:
Dettelbach bei Würzburg, 19. Sept. Gestern fand die Einweihungsfeierlichkeit der neuen Synagoge dahier durch den Herrn Distrikts-Rabbiner Bamberger aus Würzburg statt. Dieselbe ging ... in folgender Weise vor sich: Nachdem von dem Festcomite für passende Dekoration der Synagoge, des Synagogen-Hofes etc. etc. in rühmlicher Weise gesorgt, wurde Vormittags von Seite der israel. Cultusgemeinde der Wohlthätigkeit gegen die Armen aller Confessionen würdig Rechnung getragen.
Um 1 Uhr fand des Vesper-Gebet in der alten Synagoge statt. Nach Beendigung desselben hielt der Rabbiner an die zahlreich versammelten Anwesenden eine kurze, jedoch höchst rührende und sinnreiche Ansprache, auf das Verlassen des alten Bethauses und die Übersiedlung in das neue Bezug habend. Sodann begann der feierliche Zug von der alten Synagoge in die neue. Unter Vorantritt der Musik der Schuljugend ... Hierauf folgten die k. (öniglichen) Beamten hiesiger Stadt in Uniform, das Stadtkollegium, die israelitische Kultusgemeinde, eine große Anzahl christlicher Mitbürger, meist den höheren Ständen angehörig, und eine Menge auswärtiger Fremden. ... In der neuen Synagoge angekommen, wurden einige Umzüge in deren Säulengängen, unter Absingung mehrerer Gebete und Psalmen mit Musikbegleitung abgehalten, worauf die Einweihungsrede und am Schlusse derselben das Gebet für das Wohl Seiner Majestät des Königs, Ihrer Majestät der Königin und des königlichen Hauses folgte. ... Ist auch Herr Rabbiner Bamberger als ein höchst geistreicher, gelehrter Mann und Redner schon längst bekannt, so hat er bei dieser Feier hiervon wiederholt glänzende Beweise abgelegt, wofür ihm auch von allen Anwesenden, worunter auch mehrere christliche Geistliche, volle Anerkennung zuteil geworden.
Es war als ein rührendes Zeichen wahrer Bruderliebe zu erkennen, wie sich Israeliten und Nicht-Israeliten am Tage des Herrn gemeinsam freuten, und an dem kirchlichen und weltlichen Feste Teil nahmen. Dank und Anerkennung den Herrn Beamten und übrigen christlichen Mitbrüdern, welche ein so schönes Zeugnis echter Bruderliebe ablegten, und hierdurch wesentlich zur Verherrlichung dieses unvergeßlichen Festes beitrugen.
Stellenangebote: Schächtstelle vom 3.Jan. 1884 und Lehrerstelle vom 7.März 1889 (beide aus der Zeitschrift „Der Israelit“)
Über Jahrzehnte hinweg wirkten die beiden jüdischen Kantoren/Lehrer: zum einen Jakob Kahn (von 1858 bis 1898) und dessen Amtsnachfolger Abraham Mannheimer, der bis zur Auflösung der Gemeinde in Dettelbach tätig war.
Privatanzeigen von 1922 bzw. 1929
Neben einem Gemeindehaus war auch eine Mikwe vorhanden.
Jüdisches Gemeindehaus in Dettelbach (Aufn. um 1960 ?)
Seit 1909 existierte offiziell die „Israelitische Elementarschule Dettelbach“; allerdings wurde sie wegen Schülermangels bereits 1923 wieder geschlossen; der damalige Hauptlehrer Mannheimer war aber weiterhin padägogisch tätig (siehe Anzeige).
Anzeigen aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 5.8.1909 und 28.3.1929
Anmerkung: Abraham Mannheimer, langjähriger jüdischer Lehrer in Dettelbach, veröffentlichte zahlreiche Beiträge in jüdischen Zeitschriften (insbesondere in der Zeitschrift "Der Israelit"), in denen er sich mit theologischen, aber auch aktuellen gesellschaftspolitischen Fragestellungen auseinandersetzte (vgl. dazu zahlreiche Beispieltexte unter: Dettelbach, in: alemannia-judaica.de).
Auf Antrag der Kultusgemeinde Dettelbach wurde die Vereinigung der Bibergauer Kultusgemeinde mit der Dettelbachs seitens der bayrischen Behörden verfügt. Nachdem 1907 der letzte Gottesdienst in der Bibergauer Synagoge stattgefunden hatte, suchten fortan die sehr wenigen im Dorf lebenden Bibergauer Juden die Dettelbacher Synagoge auf.
Nordwestlich des Ortes wurde vermutlich nach 1600 ein jüdischer Friedhof ("Jüden Kirchhoff in der neuen gassen") angelegt, der von der Gemeinde bis zu Beginn des 19.Jahrhunderts genutzt wurde; warum er damals aufgegeben wurde, ist unbekannt. Danach wurden die verstorbenen Gemeindemitglieder auf den jüdischen Bezirksfriedhöfen in Rödelsee und Schwanfeld beerdigt.
Anm.: Von dem vor mehr als 200 Jahren aufgelassenen Friedhof in Dettelbach existieren keinerlei schriftliche Beleg oder Grabsteinrelikte.
Juden in Dettelbach:
--- 1655 ........................ 3 jüdische Familien,
--- 1675 ........................ 46 Juden,
--- 1699 ........................ 23 " ,
--- um 1780 ..................... 10 jüdische Haushalte,
--- 1803 ........................ 15 “ “ (mit 66 Pers.),
--- 1814 ........................ 25 “ “ (mit 111 Pers.),
--- 1823 ........................ 199 Juden,
--- 1830/33 ..................... 121 “ (in 33 Familien),
--- 1875 ........................ 97 “ ,
--- 1900 ........................ 101 “ ,
--- 1910 ........................ 81 “ ,
--- 1925 ........................ 60 “ (ca. 2% d. Bevölk.),
--- 1933 ........................ 39 “ ,
--- 1937 ........................ 27 “ ,
--- 1939 ........................ 26 “ ,
--- 1942 (Febr.) ................ 24 “ ,
(Sept.) ................ keine.
Angaben aus: Baruch Z.Ophir/F.Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945, S. 281
und Konrad Reinfelder, Zur Geschichte der Juden in Dettelbach
und W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … Synagogengedenkband Bayern, Unterfranken, Teilband III/2.2, S. 972
Die jüdischen Bewohner waren weitgehend in die Kleinstadtgesellschaft integriert; in den 1920er Jahren gehörten zwei jüdische Bewohner dem Stadtrat an.
Während der NS-Zeit schienen judenfeindliche Aktivitäten in Dettelbach die Ausnahme gewesen zu sein; auch während des Novemberpogroms ist von Gewalttätigkeiten gegenüber Personen oder Sachen nichts bekannt. Das Synagogengebäude ging wenige Tage nach der „Reichskristallnacht“ laut Überlassungsvertrag unentgeltlich in den Besitz der Stadtgemeinde über; doch das Bezirksamt Kitzingen lehnte die Überlassung ab, da diese sich „mit den rassischen Grundsätzen des nationalsozialistischen Staates nicht vereinbart, daß man Grundbesitz als Zuwendungen (Schenkung) von Juden annimmt. Die Stadtgemeinde Dettelbach kann die dortige Synagoge nur käuflich erwerben.”
Daraufhin wurde dann ein neuer Vertrag im obigen Sinne verfasst und eine Kaufsumme von 300 Reichsmark (!) festgesetzt.
Aus einem Lagebericht der SD Außenstelle Kitzingen vom 28.3.1941:
„ ... Aus der Gemeinde Dettelbach wird das Verhalten von Volksgenossen gegenüber Juden beanstandet. Es soll noch vorkommen, daß die Juden durch Hintermänner mit Geflügel versorgt werden. Teilweise holen die Juden die Milch direkt beim Landwirt. Es wird angeregt, eine gesetzliche Bestimmung zu erlassen, wonach Vg., insbesondere Frauen, überhaupt jeden Umgang mit Juden zu unterlassen haben. ...”
Mit den Deportationen der letzten 24 jüdischen Bewohner im April 1942 nach Izbica und im September 1942 nach Theresienstadt endete jegliches jüdisches Leben in Dettelbach. Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden nachweislich insgesamt 45 gebürtige bzw. längere Zeit in Dettelbach wohnhaft gewesene Juden Opfer des Holocaust (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/dettelbach_synagoge.htm).
Auf Grund der Tatsache, dass es in Dettelbach während der NS-Zeit zu keinen Gewalttaten gegenüber jüdischen Bewohnern gekommen war, wurden nach 1945 auch keine Strafverfahren eingeleitet.
Das später als Schule genutzte Synagogengebäude wurde Anfang der 1960er Jahre abgerissen und an seiner Stelle ein Sparkassengebäude errichtet. Seit 1988 erinnert an diesem Neubau eine Tafel.
Hinweistafel (Aufn. J. Hahn, 2007)
Neben einer Spende für die Realisierung des unterfränkischen Deportationsprojektes „DenkOrt - Deportationen 1941-1944“ beteiligte sich die Kommune auch aktiv am zentralen Mahnmal in Würzburg mit einem eigenen „Denkstück“, einer geschmiedeten Kofferskulptur; die Doublette befindet sich vor dem Treppenaufgang zum Dettelbacher Rathaus.
Koffer-Skulpturen (Aufn. Raimund Sauer, 2020, aus: denkort-deportationen.de)
vgl. auch dazu: Bibergau (Bayern)
In Sommerach - nur wenige Kilometer östlich von Dettelbach gelegen - existierte wahrscheinlich im späten Mittelalter Ansässigkeit einiger jüdischer Familien. Bei dem sog. „Sommeracher Judenstreit“ (1603/05), bei dem es um die „Schutzherrschaft“ über die hier lebenden jüdischen Familien ging, setzte sich schließlich der Margkgraf von Brandenburg-Ansbach gegen den Abt des Münsterschwarzacher Kloster durch.
Um 1715 gab es fünf jüdische Familien im Dorf; sie standen unter der Schutzherrschaft der Markgrafen von Brandenburg-Ansbach. Bei der Erstellung der Matrikellisten (1817) sind für Sommerach 18 Familienvorstände genannt, deren Erwerbstätigkeit im Vieh- und Weinhandel, aber auch im Kleinhandel bestand. Wohnbereich der jüdischen Familien waren die Untere und Obere Judengasse (heute Turmstraße und Häckergasse).
1819 war auch die jüdische Gemeinde Sommerach von den sog. Hep-Hep-Krawallen betroffen, die hier zu gewalttätigen Ausschreitungen (u.a. Plünderungen von Wohnungen, Demolierung des Synagogenraumes) führten. Die lokalen Behörden sollen gegen den aufgebrachten Mob kaum eingeschritten sein.
.In der Lokalzeitung hieß es dazu: „Recht leid hat mir das Benehmen einiger schlechter Menschen in Sommerach gethan, die die Juden in ihrer Synagoge angefallen, alles darin zerstört und sogar, – ich mag es fast nicht sagen, – ihre heiligen Bücher, die ja auch uns heilig sind, zerrissen und zerschnitten haben. Mögen die Juden in Sommerach noch so schlecht sein, das war doch sehr unrecht".
Im Jahre 1825 setzte sich die israelitische Gemeinde aus 17 Familien (mit etwa 100 Personen) zusammen.
Spätestens nach Ausweisung der Juden aus Kitzingen (1763) bestand in Sommerach eine israelitische Gemeinde. Zu ihren Einrichtungen zählten eine Synagoge (erbaut um 1810), eine Religionsschule und ein rituelles Bad. Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war - zumindest zeitweise - ein jüdischer Lehrer am Ort tätig, der zugleich - wie es in kleinen Gemeinden üblich war - das Amt des Vorbeter und Schächters ausübte.
In den folgenden Anzeigen empfahl der Sommeracher Spenglermeister Gottlieb Walldorf seine „Kochmaschinen zum Kochen der Speisen auf Sabbat“.
Anzeigen in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 13.2.1861 und vom 13.3.1871
Folge der antijüdischen Grundstimmung in Sommerach und der späterhin in Bayern erfolgten Emanzipationsgesetzgebung war die Abwanderung der jüdischen Familien.
Das vor mehr als 200 Jahren gebaute Synagogengebäude wurde bis 1873 für Gottesdienste verwendet. Nach Auflösung der jüdischen Gemeinde (1880) wurde es verkauft und danach als Werkstatt bzw. Abstellschuppen benutzt. Thorarollen und Ritualien kamen großenteils in die Synagoge nach Kitzingen. Anfang der 1990er Jahre wurde das ehemalige Synagogengebäude abgerissen.
Weitere Informationen:
Baruch Z.Ophir/F.Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München 1979, S. 281/282
Hermann Kleinhenz (Bearb.), Zur Geschichte des Judentums in Dettelbach, in: Stadt Dettelbach (Hrg.), Dettelbach 1484 – 1984. Festschrift und kleine Charakteristik einer 500jährigen Stadt, Dettelbach 1984, S. 90 - 97
Ernst Roth (Red.), Gedenken an den Lehrer Jakob Kahn. Anregung zur Feier seiner 80. Jahrzeit, in: „Allgemeine jüdische Wochenzeitung“ vom 25.7.1986
Israel Schwierz, Steinerne Zeugen jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation, Hrg. Landeszentrale für politische Bildungsarbeit Bayern, München 1992, S. 50 und S.122
Konrad Reinfelder, Zur Geschichte der Juden in Dettelbach, in: "Dettelbacher Geschichtsblätter - Mitteilungen des Stadtarchivs", mehrere Ausgaben der Jahre 1997/2000
Dirk Rosenstock (Bearb.), Die unterfränkischen Judenmatrikeln von 1817. Eine namenskundliche und sozialgeschichtliche Quelle, in: "Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg", Würzburg 2008, S. 100 (Dettelbach) und S. 236/237 (Sommerach)
Franz Pfrang (Bearb.), Die Juden im Raum Volkach, in: Ute Feuerbach (Hrg.), Unsere Mainschleife, Volkach 2008, S. 70 - 80
Dettelbach, in: alemannia-judaica.de (mit diversen, zumeist personenbezogenen Dokumenten zur jüdischen Ortsgeschichte)
Haus der Bayrischen Geschichte (Hrg.), Jüdisches Leben in Bayern: Dettelbach, in: hdgb.eu
Sommerach, in: alemannia-judaica.de
Haus der Bayrischen Geschichte (Hrg.), Jüdisches Leben in Bayern: Sommerach, in: hdgb.eu
Walter Sauter (Red.), Dettelbach spendet 1.000 Euro für den „DenkOrt Aumühle“, in: „Main-Post“ vom 13.11.2019
Michaela Moldenhauer (Red.), Auch Dettelbach erinnert an die jüdischen Opfer, in: „Main-Post“ vom 11.12.2020
N.N. (Red.), Gedenken an die deportierten jüdischen Mitmenschen – Dettelbach, online abrufbar unter: holidaycheck.de/prd/denkmal-denkort-deportation-dettelbach (2021)
Hans Schlumberger/Cornelai Berger-Dittschied (Bearb.), Dettelbach mit Bibergau in: W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … Synagogengedenkband Bayern, Unterfranken, Teilband III/2.2., Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2021, S. 955 - 976