Dillingen-Diefflen (Saarland)
Dillingen/Saar ist eine Stadt mit ca. 20.000 Einwohnern im Landkreis Saarlouis; sie gliedert sich in die drei Stadtteile Dillingen-Innenstadt, Pachten und Diefflen, wobei Diefflen derzeit ca. 4.700 Einwohnern besitzt (Kartenskizzen 'Landkreis Saarlouis', aus: ortsdienst.de/saarland/saarlouis und Hagar 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Über die ersten jüdischen Ansiedlungen in Dillingen liegen keine urkundlichen Belege vor; es kann wohl davon ausgegangen werden, dass mit der Anlage einer jüdischen Begräbnisstätte im Dillinger Walde sich auch am Ort selbst vereinzelt Juden aufgehalten haben. Zu Beginn des 19.Jahrhunderts lebten nur zwei kinderreiche jüdische Familien in Dillingen; in den folgenden Generationen bildeten vier jüdische Familien und deren Nachkommen den Stamm der hiesigen Judengemeinde.
Bis 1854 nutzten die wenigen Juden Dillingens und Nalbachs einen gemeinsamen Betraum; zugleich nahmen sie auch an Zusammenkünften der Dieffler Synagogengemeinde teil. Die Konstituierung einer autonomen Synagogengemeinde erfolgte in Dillingen erst 1903; im April 1924 weihte die inzwischen angewachsene Gemeinde in der Schlossstraße eine eigene kleine Synagoge ein, die in einem älteren Wohnhaus untergebracht war. Über die Einweihung berichtete die „Jüdisch-Liberale Zeitung” am 25.4.1924:
Bau- und Rekonstruktionsskizze der Synagoge (rechts: Aufn L., 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
1928 feierte die Dillinger Kultusgemeinde und sein erster Vorstand das 25jährige Jubiläum; in einem Artikel des „Dillinger Anzeiger” vom 25.4.1928 hieß es dazu:
Jubiläum in der israelitischen Synagoge
Mit dem heutigen Passahfest feiert der 1.Vorstand der hiesigen Synagogengemeinde, Herr Kaufmann Adolf Hoffmann zu Dillingen, sein 25.Jubiläuem als Gründer und Vorsitzender der Gemeinde. Herr Hoffmann hat in dem Vierteljahrhundert seiner Tätigkeit stets seine ganze Kraft für das Gedeihen des Werkes eingesetzt und keine Mühe gescheut, den Zusammenschluß lebensfähig zu halten und darüber hinaus zu kräftiger Blüte zu führen. Nicht zuletzt ist es seiner aufopfernden Tätigkeit gelungen, der Gemeinde ein eigenes Gotteshaus in einfachem aber stimmungsvollem Rahmen zu schaffen ... Die hiesige Gemeinde läßt den Tag nicht ohne entsprechende Ehrung vorübergehen. ... Auch wir wünschen dem Jubilar, der im Laufe der Jahre ein geachteter und allseits beliebter Bürger unserer Gemeinde geworden ist, zu diesem Ehrentag besonders Glück.
Der am Rande des Dillinger Waldes gelegene jüdische Friedhof diente den verstorbenen Juden als letzte Ruhestätte; das um 1755 angelegte Beerdigungsgelände - es war der älteste jüdische Friedhof des Saarlandes - nutzten auch weitere Orte der Region. Mit seinen ca. 400 historischen Grabsteinen ist es heute der zweitgrößte jüdische Friedhof des Saarlandes.
Jüdischer Friedhof Diefflen (Aufn. O., 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Juden in Dillingen:
--- um 1750 ..................... 2 jüdische Familien,
--- 1824 ........................ 17 Juden,
--- 1843 ........................ 20 “ ,
--- 1900 ........................ 46 “ ,
--- 1910/12 ..................... 71 “ ,
--- 1924 ........................ 126 “ ,
--- 1928 ........................ 138 “ ,
--- 1935 (Jan.) ................. 81 “ ,
(Dez.) ................. 28 “ ,
--- 1939 (Jan.) ................. 7 “ ,
(Sept.) ................ keine.
Angaben aus: Bürger jüdischen Glaubens in Dillingen, in: Aloys Lehnert, Geschichte der Stadt Dillingen/Saar, S. 349
und Katharina Best, Die Geschichte der ehemaligen Synagogen-Gemeinden Dillingen und Nalbach
Vieh- und Kleinhandel - oft in Verbindung mit dem Pfandleihgeschäft - waren zunächst die Erwerbsgrundlagen der hiesigen jüdischen Familien, später kamen noch Handwerkerberufe hinzu.
historische Postkarte von Dillingen/Saar von 1898 (Abb. Archiv der Dillinger Hütte, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Als ab Mitte des 19.Jahrhunderts in der Region die Industrialisierung und damit ein wirtschaftlicher Aufschwung einsetzte, zogen immer mehr Juden nach Dillingen; nach der Jahrhundertwende spielten in Dillingen jüdische Kaufleute eine wichtige Rolle für die Stadt.
Anzeigen jüdischer Gewerbetreibender von 1900/1916
Nach der NS-Machtübernahme - vor allem nach der „Saarabstimmung“ von 1935 - setzte eine starke Abwanderung vor allem nach Lothringen, Luxemburg und Belgien ein; der antisemitischen Hetze und Boykottdrohungen war es zuzuschreiben, dass nur wenige Familien hier verblieben. Aus einem Artikel der Lokalpresse vom März 1935:
... Der 1.Dillinger Jahrmarkt nach der Rückgliederung hatte ein wesentlich anderes Aussehen als man es in den letzten Jahren gewohnt war. Die leidige, wenn gar nicht lästige Sippe der Orientalen, Zigeuner und polnischen Juden, die unsere Märkte von dem nahen Lothringen aus mit ihren bunten Tischdecken, Teppichen und Läufern und anderem unechten Kram überfluteten, sind mit einem Schlag restlos verschwunden. ...
Die auf knapp 30 Personen geschrumpfte Gemeinde löste sich 1935 offiziell auf.
Während des Novemberpogroms wurden Dillinger Juden aufs schwerste misshandelt; ihre Wohnungen wurden von randalierenden Nationalsozialisten zertrümmert. Auch die Synagoge in der Schlossstraße ging in Flammen auf. In der Stadtchronik Dillingens von 1968 heißt es dazu: „ ... In dieser Nacht ging die Synagoge in Flammen auf, Geräte und Paramente wurden geschändet, die Wohnungen der Juden von skrupellosen, randalierenden ‘Volksgenossen’ zertrümmert, Möbel, Kleider usw., sogar ein Klavier auf die Straße geworfen und die wehrlosen Menschen darüber hinaus noch mißhandelt. Polizei und Feuerwehr rührten keine Hand, der Tyrannei Einhalt zu gebieten. ... Die Eingangspforte (Anm.: des jüdischen Friedhofs) mit der anschließenden Halle war ... vernichtet, die hebräischen Bibeln zerrissen, ihre Blätter in weitem Umkreis verstreut und viele Grabsteine umgeworfen.”
Mit der Räumung der sog. „Roten Zone” mussten die letzten sieben Dillinger Juden den Ort verlassen. Die endgültige Deportation von sieben Juden aus Diefflen - im Rahmen der sog. „Aktion Bürckel“ - führte dazu, dass Dillingen-Diefflen „judenfrei“ war.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 39 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort ansässig gewesene jüdische Bewohner aus Dillingen - Diefflen Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/dillingen_sls_synagoge.htm).
Auf dem jüdischen Friedhof in der Ortsgemeinde Diefflen ließ die Stadt 1988 einen Gedenkstein zur Erinnerung an die während der NS-Herrschaft deportierten und ermordeten Juden Diefflens aufstellen:
Den Opfern der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus,
unseren jüdischen Mitbürgern, Männern, Frauen und Kindern zur ewigen Erinnerung.
Ab 2010 informieren Tafeln in der Eingangshalle über die Geschichte des Friedhofs (dessen Sanierung wurde 2009 abgeschlossen), der jüdischen Gemeinde und Synagoge.
Am Standort der ehemaligen Synagoge Dillingens wurde 2003 ein mächtiger granitener Gedenkstein errichtet, der folgende Inschrift trägt:
Auf diesem Platz stand die Dillinger Synagoge von 1923 bis 1938
Sie wurde in der Nacht 9. – 10.November 1938 von den Nationalsozialisten ausgeplündert und zerstört.
Synagogen-Gedenkstein (Aufn. L., 2006, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
An die Opfer der NS-Herrschaft erinnern seit 2013 an vier Standorten im Dillingener Stadtgebiet sog. „Stolpersteine“, die Angehörigen jüdischer Familien gewidmet sind, die deportiert und ermordet wurden.
verlegt In der Laach (Aufn. L., 2013, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
[vgl. Nalbach/Saarland]
In Rehlingen (-Siersburg) gab es nachweislich jüdische Ansässigkeit seit der ersten Hälfte des 18.Jahrhunderts; allerdings war die Zahl der jüdischen Familien auf sehr wenige begrenzt. Im 19.Jahrhundert lebten zu keiner Zeit mehr als 40 Juden im Ort. Zur „Israelitischen Gemeinde Rehlingen“ – es war keine offizielle Synagogengemeinde, sondern ein privater Verein – gehörten zu Beginn des 20.Jahrhunderts auch Juden aus umliegenden Ortschaften wie Beckingen, Büren, Itzbach und Fremersdorf. Um 1860 gab es in Rehlingen ein kleines Synagogengebäude. Zeitweise besaß die kleine Gemeinde einen eigenen Lehrer, der für die religiös-rituellen Belange zuständig war.
Stellenangebote von 1901 und 1903
Verstorbene wurden in Dillingen beerdigt.
Mitte der 1930er Jahre lebten hier noch etwa 15 jüdische Bewohner. Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ sind fünf aus Rehlingen, vier aus Beckingen und zwei aus Fremersdorf stammende Personen mosaischen Glaubens Opfer der Shoa geworden (namentliche Nennung der betroffenen Persoonen siehe: alemannia-judaica.de/rehlingen_synagoge.htm).
Das seit Anfang der 1930er Jahre nicht mehr benutzte Synagogengebäude diente später Wohnzwecken; 1986 erfolgte dessen Abbruch.
2010/2011 wurden im Stadtgebiet von Rehlingen-Siersburg ca. 20 sog. „Stolpersteine“ verlegt, die Verfolgten des NS-Regimes gewidmet sind.
Abb. aus: stolpersteine-rehlingen-siersburg.de
In Hemmersdorf – heute ein Ortsteil der Großgemeinde Rehlingen-Siersburg im Niedtal – bestand eine gemeinsame kleine Gemeinde der Juden aus Großhemmersdorf, Kerprichhemmersdorf, Biringen und Niedaltdorf. Im 18.Jahrhundert wurden hier erstmals jüdische Bewohner genannt. An rituellen Einrichtungen existierte in Großhemmersdorf ein Betraum; die geplante Anlage eines Friedhofs wurde nicht realisiert.
drei Kleinanzeigen von 1887 und 1904/1906
Auf Grund der zunehmenden Entrechtung verließen in den 1930er Jahren die meisten Familien ihre Heimatorte; bereits vor 1935 wurde die Synagoge in Großhemmersdorf aufgegeben. Die letzten jüdischen Einwohner wurden 1940/1942 deportiert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ sind zwölf aus Hemmersdorf und neun aus Niedaltdorf stammende Juden Opfer der NS-Herrschaft geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/hemmersdorf_synagoge.htm).
Seit 2010 weisen sechs sog. „Stolpersteine“ auf die ehemaligen Wohnsitze jüdischer Bewohner hin.
Anmerkung: Im gleichnamigen Dillingen a.d.Donau sind jüdische Bewohner bis zum sog. „Judenverbot“ durch Bischof Eglof von Knöringen 1574 belegt; erst im Laufe des 19.Jahrhunderts ließen sich im Ort wieder wenige jüdische Familien nieder, die aber alle bis Mitte der 1930er Jahre Dillingen wieder verlassen hatten. Im Landkreis Dillingen gab es relativ große jüdische Gemeinden, so in Binswangen und Buttenwiesen.
Weitere Informationen:
Aloys Lehnert, Geschichte der Stadt Dillingen/Saar, Dillingen 1968, S. 640 f. (betr. jüdischen Friedhof)
Lothar Rothschild, Jüdisches Schicksal an der Saar, in: "Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend", No.19/1971, S. 249 - 264
Katharina Best, Die Geschichte der ehemaligen Synagogen-Gemeinden Dillingen und Nalbach, in: "Unsere Heimat - Mitteilungsblatt des Landkreises Saarlouis für Kultur und Landschaft", 13.Jg., Heft 3/4 (1988), S. 95 - 114
H.Jochum/J.P.Lüth (Hrg.), Jüdische Friedhöfe im Saarland. Informationen zu Orten jüdischer Kultur. Ausstellungsführer, Saarbrücken 1992, S. 9/10
Eva Tigmann, "Was geschah am 9. November 1938?“ - Eine Dokumentation über die Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung im Saarland im November 1938, hrg. vom Adolf-Bender-Zentrum St. Wendel, 1998, S. 41 - 45
Katharina Best, 1938 - 1998: 60 Jahre nach der Reichspogromnacht in Dillingen und Nalbach. Eine Spurensuche, in: "Unsere Heimat - Mitteilungsblatt des Kreises Saarlouis für Kultur und Landschaft" 24/1999, S. 180 f.
Dillingen, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Rehlingen mit Büren, Fremersdorf, Itzbach, Siersburg und Beckingen, in: alemannia-judaica.de (mit einigen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Hemmersdorf mit Niedaltdorf und Biringen, in: alemannia-judaica.de
Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 439/440
Stadtverwaltung Dillingen (Hrg.), Zehn Steine an vier Orten, online abrufbar unter: dillingen-saar.de (mit den Biographien der betroffenen Familien)
Johannes A. Bodwing (Red.), Sanierung am jüdischen Friedhof ist beendet, in: „Saarbrücker Zeitung“ vom 13.12.2009
Johannes A. Bodwing (Red.), „Wir wissen über Opfer aus Dillingen wenig“ - Hinter jedem Namen ein Schicksal, in: „Saarbrücker Zeitung“ vom 18.3.2013
Stadt Dillingen/Saar (Hrg.), Stolpersteine – Zehn Steine an vier Orten (Flyer), online abrufbar unter: dillingen-saar.de/fileadmin/Alte_Dateien/PDF-allgemein/Stolpersteine_1.pdf (mit biografischen Angaben der betroffenen Personen)
Stolpersteine in Rehlingen-Siersburg, online unter: stolpersteine-rehlingen-siersburg.de (mit Biografien der betroffenen Personen)
Kommune Rehlingen-Siersburg (Hrg.), Sachor. Erinnere dich – vergiss nicht, NS-Terror in Rehlingen-Siersburg (36-seitige Broschüre), 2016
Hans Peter Klauck, Jüdisches Leben in der Stadt und im Landkreis Saarlouis 1680-1940, Saarlouis 2016
ja (Red.), Siersburg. Erinnerung an die Opfer von Gurs. Elf Jugendliche aus Europa und Lateinamerika errichten Gedenkstätte, in: „Jüdische Allgemeine“ vom 21.8.2017
Nicole Bastong/Dietmar Klostermann (Red.), Angriff auf Mahnmal für verschleppte Juden in Rehlingen-Siersburg. Unbekannte schänden Holocaust-Mahnmal, in: „Saarbrücker Zeitung“ vom 29.1.2020
Tina Leistenschneider (Red.), Jüdischer Friedhof in Diefflen - Mit rund 400 Grabstellen ist der größte jüdische Friedhof – was die Grabstätte in Diefflen so besonders macht, in: „Saarbrrücker Zeitung“ vom 26.6.2023