Dirmenach (Elsass)
Das im Oberelsass unweit der Schweizer Grenze gelegene Dirmenach/Dürmenach - nur wenige Kilometer südöstlich von Hirsingen - ist die heutige kleine frz. Ortschaft Durmenach mit derzeit kaum 900 Einwohnern (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 ohne Eintrag von Dirmenach, aus: wikipedia.org, gemeinfrei).
Die Ansiedlung der Juden in Dirmenach geht zurück auf die Dynastie der Familie Flachslanden.
Dirmenach/Dürmenach besaß eine der bedeutendsten und zahlenmäßig größten jüdischen Gemeinden des Oberelsass und galt als „kleines Jerusalem des Sundgau“. Deren Wurzeln reichen bis in die Zeit des ausgehenden 17.Jahrhunderts zurück. Im Verlauf des 19.Jahrhunderts gab es sogar zeitweilig mehr jüdische als christliche Ortsbewohner. Ihren Lebensunterhalt verdienten die jüdischen Familien zumeist im Vieh- und Pferdehandel und im Handel mit Produkten des täglichen Bedarfs; die Dirmenacher Juden waren auch bestimmend in der Dorfpolitik. Das Synagogengebäude ließ die Gemeinde 1803 errichten;es wurde bis Anfang der 1930er Jahre genutzt; das Gebäude überstand zwar die NS-Zeit unbeschadet, doch verfiel es zusehends.
Synagoge von Dirmenach (hist. Aufn.)
1959 erwarb die katholische Kirchengemeinde das ehemalige Synagogengebäude; ein Brand richtete 1983 schwere Zerstörungen an; beim Wiederaufbau konnten aber nur Teile des alten Gebäudes in den Neubau einbezogen werden.
Zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörte auch der gegen Ende des 18.Jahrhunderts oberhalb der Ortschaft angelegte Friedhof; zuvor waren Verstorbene auf dem Friedhof in Hegenheim beerdigt worden. Diese Begräbnisstätte in Dirmenach wird bis auf den heutigen Tag belegt.
Teilansichten des jüdischen Friedhofs von Durmenach (Aufn. J. Hahn, 2004)
Von ca. 1800 bis 1910 war Dirmenach Sitz eines Rabbinats.
Juden in Dirmenach:
--- 1689 ....................... eine jüdische Familie,
--- 1716 ....................... 9 “ “ n,
--- 1766 ....................... 43 “ “ ,
--- 1784 ....................... 73 “ “ (ca. 340 Pers.),
--- um 1845 ................. ca. 640 Juden,* * Gemeindebezirk
--- 1846 ........................ 217 “ (ca. 55% d. Bev.),
--- 1861 ........................ 204 “ ,
--- 1871 ........................ 373 “ ,
--- 1910 ........................ 137 “ ,
--- 1931 .................... ca. 100 “ ,
--- 1936 ....................... 61 “ ,
--- 1953 ....................... 84 “ ,
--- 1965 ....................... 15 “ .
Angaben aus: Michel Rothé/Max Warschawski, Les synagogues d’Alsace et lieur histoire, S. 45
Die jüdische Gemeinde Dirmenach war besonders 1789, 1822 und 1848 schweren Pogromen ausgesetzt, wodurch ihre Angehörigen auch Teile ihrer Habe verloren. Im Revolutionssommer 1789 waren es plündernde Banden, aber auch christliche Ortsbewohner, die die jüdischen Familien zur Flucht veranlassten. Basel gewährte den Flüchtlingen aus dem Südelsass Schutz.
Aus dem Jahre 1789 ist folgender Augenzeugenbericht überliefert: „ ... Entlang der gesamten Wegstrecke bot sich unseren Augen ein äußerst betrübliches Bild. Ganze Familien der jüdischen Bevölkerung von Durmenach campierten am Wegrand und in den Gräben. Sie hatten soeben ihre Wohnstätten verlassen, die von einer Bande von Aufrührern ausgeraubt und verwüstet worden waren. Säuglinge, Frauen, Alte, Wiegen, Möbel, Bettzeug: alles lag durcheinander auf der Erde. Die Kinder schrien, die Erwachsenen stöhnten. Glücklicherweise schützte offenbar die Zeit, die günstig war, diesen traurigen Zug.” Weitere judenfeindliche Ausschreitungen wurden 1822 verzeichnet, als in von Juden bewohnte Häuser eingedrungen und unter Morddrohungen die Herausgabe der Schuldscheine verlangt wurde.
1848 war dann erneut Dirmenach Schauplatz eines Pogroms („Judenrumpel“); die christlichen Bewohner - verstärkt durch Bauern des Umlandes - demonstrierten gegen die von Juden dominierte lokale Verwaltung, an deren Spitze der besonders angefeindete Bürgermeister Aaron Meyer stand. Trotz Einsatzes jüdischer Nationalgardisten konnte die Plünderung der zahlreichen, inzwischen von den jüdischen Familien verlassenen Häuser nicht verhindert werden; im Ort wurden mehr als 100 von Juden bewohnte Häuser vom Mob geplündert und zerstört. Die nahegelegenen Schweizer Gemeinden Metzerlen und Rodersdorf boten den geflüchteten Juden ebenso wie Basel vorübergehend Schutz. Nur mit Mühe konnte sich der damalige französische Justizministers Adolphe Crémieux - er war selbst Jude - gegen das gewalttätige judenfeindliche Treiben der Elsässer Bürger Gehör verschaffen.
„Judenrumpel in Dirmenach (Lithographie de Boehrer, Musée Sundgauvien d'Altkirch)
Seit Mitte des 19.Jahrhunderts ging die Zahl der jüdischen Bewohner in Dirmenach stetig zurück, sicher auch eine Folge der antijüdischen Ausschreitungen; Anfang der 1930er Jahre wohnten nur noch knapp 100 Juden im Ort.
Jüdisches Geschäft (aus Sammlung Rothé)
Mit Beginn der NS-Herrschaft wurden die noch am Ort lebenden Juden nach Südfrankreich verschleppt; zahlreiche haben die Deportation nicht überlebt.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind nachweislich 21 aus Durmenach stammende Juden Opfer der "Endlösung" geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/durmenach_synagogue.htm).
In den 1980er Jahren wurde das ehemalige Synagogengebäude durch einen Brand teilzerstört; nach dem Wiederaufbau diente das Haus der Kommune als Dorfgemeinschaftshaus. Seit 2009 erinnert eine Gedenktafel an die jüdische Geschichte des Ortes; sie trägt die Inschrift:
En souvenir de l'importante communauté juive installée à Durmenach depuis le XVe siècle. La communauté juive, touchée par le « Juderumpel » de 1848, véritable émeute anti-juive au cours de laquelle 75 maisons juives furent incendiées, prit une part active au développement de la commune au XIXe siècle. Représentant plus de 56 % de la population en 1846, elle fit preuve d'un engagement politique permanent au sein du conseil municipal avec un maire, Aaron Meyer, et de nombreux conseillers municipaux. Elle montra un esprit d'initiative en se dotant de structures cultuelles avec un rabbinat de 1802 à 1910, une école juive, une synagogue et un cimetière.
In deutscher Übersetzung: „Im Andenken an die bedeutende jüdische Gemeinschaft, die seit dem 15. Jahrhundert in Durmenach entstanden war. Die jüdische Gemeinde, Opfer des «Judenrumpels» von 1848, einem antijüdischen Aufruhr, in dessen Folge 75 Häuser angezündet worden waren, war wesentlich am Aufschwung der Gemeinde im 19. Jahrhundert beteiligt. Sie stellte 56 Prozent der Bevölkerung von 1846 und bewies einen beständigen politischen Einsatz im Gemeinderat und stellte neben zahlreichen Gemeinderäten mit Aaron Meyer auch einen Bürgermeister. Sie bewies Initiative, indem sie kulturelle Strukturen mit einem von 1802 bis 1910 wirkenden Rabbinat versah, eine jüdische Schule, eine Synagoge und ein Friedhof errichtete.“
Seit 2009 sind am Gefallenendenkmal von Dirmenach nun auch die Namen der zivilen Opfer der beiden Weltkriege und der Shoa angebracht.
Das „Judenhaus“ von Dirmenach ist - Dank privater Initiative – nach einer umfangreichen Restaurierung jüngst als Dorfmuseum eingeweiht worden. Beim Museumsgebäude handelt es sich um das Wohnhaus der einst vermögenden jüdischen Familie Hauser, die auf Grund der Ereignisse des Jahres 1848 ("Judenrumpel") ihren Besitz verlor und fortan in einem winzigen alten Tagelöhner-Haus Unterkunft fand. Einer engagaierten Gruppe von Dorfbewohnern ist es zu verdanken, dass das geschichtsträchtige Gebäude - hier informiert eine kleine Ausstellung über das einstige religiöse Leben der Bewohner der Region - erhalten geblieben ist.
„Judenhaus“ der Familie Hauser vor und nach der Restaurierung (Aufn. A. Mahro und ZVG)
Weitere Informationen:
Ch. Hoffmann, Les troubles de 1789 dans la Haute-Alsace, in: "Revue d’Alsace", Bd. 58, Paris 1907, S. 206 - 238
Ludwig Kahn, Die sog. ‘Judendörfer’ in der Umgebung von Basel, aus: "Jüdischer Taschenkalender 1962/63 der Israelitischen Fürsorge Basel"
Daniel Gerson, Die Ausschreitungen gegen die Juden im Elsaß 1848, in: "Bulletin des Leo Baeck Instituts", No. 87/1990
Michel Rothé/Max Warschawski, Les synagogues d’Alsace et lieur histoire, Jerusalem 1992
Dominique Lerch, Imagerie populaire et antisémitisme: de la véracité des images pour l’historien, in: "Gazette des beaux-arts", Febr. 1988, S. 81 - 88
Gerd Mentgen, Studien zur Geschichte der Juden im mittelalterlichen Elsaß. Forschungen zur Geschichte der Juden, in: "Schriftenreihe der Gesellschaft zur Erforschung der Geschichte der Juden e.V.", Verlag Hahnsche Buchhandlung, Hannover 1995
Durmenach, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Daniel Gerson, Die Kehrseite der Emanzipation in Frankreich. Judenfeindschaft im Elsass 1778 bis 1848, hrg. vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin, Klartext-Verlag, Essen 2006, S. 78 f. und S. 236 f.
Jürg-Peter Lienhard, Durmenach bespielhaft (längerer Aufsatz), 2009 (online unter: webjournal.ch)
Jean Daltroff, Les juifs de Durmenach entre histoire et mémoire, aus: "l'Almanach du KKL-Straßbourg", 2009/2010
Annette Mahro (Red.), „Jerusalem des Sundgaus“ - Das elsässische Dorf Durmenach erinnert (sich) seiner jüdischen Vergangenheit, in: „Badische Zeitung“ vom 15.8.2011
Jürg-Peter Lienhard, Vorbild Durmenach. Was das Sundgaudorf der Welt zu sagen hat, Basel 2013 (online unter: webjournal.ch)
Jürg-Peter Lienhard, Wie die Juden in der Region hin und her flüchten mussten (Aufsatz), online abrufbar unter: webjournal.ch vom 3.11.2014
bz (Red.), Jüdisches Haus wird Museum, in: „Badische Zeitung“ vom 10.9.2014