Dornheim (Hessen)
Dornheim mit seinen derzeit ca. 5.000 Einwohnern ist seit 1977 ein Stadtteil der südhessischen Kreisstadt Groß-Gerau (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 ohne Eintrag von Dornheim, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Groß-Gerau', aus: ortsdienst.de/hessen/Gross-Gerau).
Aus der Mitte des 17.Jahrhunderts liegt der erste urkundliche Hinweis auf die Ansässigkeit eines jüdischen Händlers vor. In dieser Zeit hielten sich auch zeitweilig jüdische Viehhändler im Dorfe auf, die ihre Tiere auf angepachteten dorfeigenen Flächen weideten.
Zunächst nutzte die kleine jüdische Gemeinschaft einen Privatraum zu gottesdienstlichen Zwecken, ehe dann im Jahre 1861 eine neue Synagoge in der Rheinstraße ihrer Bestimmung übergeben wurde. Der Synagogenraum bot knapp 60 Männern und ca. 30 Frauen Platz.
Aus Anlass des 50jährigen Synagogenjubiläums wurde das Gebäude renoviert.
Notiz in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 15.10.1911
Für die Besorgung der religiös-rituellen Aufgaben hatte die Gemeinde einen Lehrer angestellt.
Anzeigen aus: „Der Israelit” vom 11.9.1890 und 7.7.1902
Verstorbene Gemeindemitglieder wurden auf dem jüdischen Friedhof in Groß-Gerau beerdigt.
Die Gemeinde Dornheim gehörte zunächst dem orthodoxen Rabbinat Darmstadt II, seit Ende des 19.Jahrhunderts dem liberalen Rabbinat Darmstadt I an.
Juden in Dornheim:
--- 1653 ........................ eine jüdische Familie,
--- um 1730 ...................... 4 jüdische Familien,
--- um 1775 ...................... 4 “ “ ,
--- 1814/15 ...................... 8 “ “ ,
--- 1830 ......................... 53 Juden,
--- 1860 ......................... 85 “ (ca. 10% d. Bevölk.),
--- 1905 ......................... 77 “ ,
--- 1924 ......................... 34 “ ,
--- 1933 ..................... ca. 10 jüdische Familien,
--- 1942 ......................... keine.
Angaben aus: Paul Arnsberg, Jüdische Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 142
Wie in anderen Dörfern wanderten auch in Dornheim gegen Ende des 19.Jahrhunderts Juden zunehmend in die größeren Städte aus; allein von 1895 bis 1928 verließen mehr als 50 jüdische Dorfbewohner Dornheim. Die verbliebenen Familien verdienten ihren Lebensunterhalt im Handel mit Landesprodukten; neben Vieh- und Fruchthandel gab es auch mehrere Kleinhändler; ihre wirtschaftliche Lage war insgesamt gut. Zu Beginn der NS-Zeit waren es noch zehn jüdische Familien, die ihren Lebensmittelpunkt in Dornheim hatten.
Vorbeimarsch von DAF-Angehörigen an der Synagoge (rechts), um 1936/1937*
Während der „Reichskristallnacht“ drangen aus Starkenburg kommende SA-Angehörige in die Synagoge ein und zerstörten das kleine Gebäude; einheimische Bewohner deckten das Dach ab und schleppten das Material weg.
Zerstörte und abgetragene Synagoge in Dornheim (hist. Aufn., Nov. 1938)*
* Historische Aufnahmen aus: Angelika Schleindl, Verschwundene Nachbarn - Jüdische Gemeinden und Synagogen im Kreis Groß-Gerau, S. 342 f.
Am 10.November 1938 war das Synagogengebäude bereits teilzerstört; eine Woche später waren nur noch einige Mauerreste vorhanden.
Aus einem Gerichtsprotokoll des Landgerichts Darmstadt von 1949: „ ... Am Abend des 9.November 1938 fand auch in Dornheim die traditionelle Feierstunde der NSDAP statt. ... Der ... damalige Ortsgruppenleiter verlas in diesem Zusammenhang ein Schreiben des Kreisleiters der NSDAP, das von bevorstehender Vergeltung gegen die gesamte Judenschaft sprach, das aber gleichzeitig ein Plünderungsverbot enthielt. ... Am Morgen des 10.November fuhren in drei Lastwagen auswärtige SA-Leute vor die Synagoge ... vor. Nachdem sie zunächst auf das Dach gestiegen waren und Ziegel und Sparren abgerissen hatten, drangen sie in das Gebäude ein und suchten es in Brand zu setzen. ... Während dieser Geschehnisse sammelte sich noch keine Menschenmenge an. ... Am späten Vormittag ... besahen sich einzelne Dornheimer Bürger die angerichtete Zerstörung. ...”
Mehrere jüdische Männer wurden festgenommen; gleichzeitig wurden auch Wohnungen zerstört; hierbei sollen sich zahlreiche Dorfbewohner beteiligt haben.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ wurden nachweislich 25 aus Dornheim stammende Juden Opfer der „Endlösung“ (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/dornheim_gg_synagoge.htm).
Ein Steinblock erinnert heute am ehemaligen Standort des jüdischen Gotteshauses in Dornheim; er trägt die Inschrift:
An dieser Stelle stand die Dornheimer Synagoge
1863 erbaut wurde sie 1938 unwürdig und frevelhaft zerstört.
Wir gedenken der Opfer von Willkür und Unrecht.
Die Kreisstadt Gross-Gerau
[vgl. Groß-Gerau (Hessen)]
Hinweis: Im fränkischen Dornheim, heute ein Ortsteil der Stadt Iphofen, existierte auch eine kleine jüdische Gemeinde, die über eine Synagoge und eine Mikwe verfügte; Verstorbene bestattete man auf dem jüdischen Bezirksfriedhof in Hüttenheim. [vgl. Dornheim (Unterfranken/Bayern)]
Weitere Informationen:
Paul Arnsberg, Jüdische Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 142
E. Schneider, Dornheimer Juden. Das Reichsdorf Dornheim, Groß-Gerau 1979
Wolf-Arno Kropat, Kristallnacht in Hessen - Der Judenpogrom im November 1938, Wíesbaden 1988, S. 79 ff.
Angelika Schleindl, Verschwundene Nachbarn - Jüdische Gemeinden und Synagogen im Kreis Groß-Gerau, Hrg. vom Kreisausschuß des Kreises Groß-Gerau 1990, S. 171 f.
Dornheim (Groß-Gerau), in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Jörg Monzheimer (Red.), Als Dornheim noch eine jüdische Gemeinde hatte, in: „Main-Spitze“ vom 4.11.2022