Drensteinfurt (Nordrhein-Westfalen)
Drensteinfurt mit derzeit ca. 15.500 Einwohnern ist eine Kleinstadt im Kreis Warendorf südlich von Münster; zur Stadt Drensteinfurt gehören heute die Ortschaften Drensteinfurt, Rinkerode und Walstedde (Kartenskizze 'Kreis Warendorf', TUBS 2008, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).
Die Anfänge jüdischen Lebens in Drensteinfurt reichen bis ins 16.Jahrhundert zurück; nachweislich lebten hier seit 1581 einzelne jüdische Familien. Von 1581 bis 1811 gibt es keine urkundlichen Belege dafür, dass sich Juden in Drensteinfurt aufhielten. Mit Beginn der französischen Herrschaft zogen möglicherweise wieder die ersten jüdischen Familien hierher. 1814 wohnten 14 „jüdische Glaubensgenossen“ in Drensteinfurt. Doch erst im Laufe des 19.Jahrhunderts entstand eine kleine jüdische Gemeinde, die zunächst eine Filialgemeinde von Werne war, ab 1890 aber ihre Selbstständigkeit erlangte; bereits um 1910 verringerte sich die Zahl der Gemeindemitglieder aber dermaßen, dass die Kultusgemeinde ihren autonomen Status wieder einbüßte und zu einer Untergemeinde von Ahlen wurde. Zur Synagogengemeinde gehörten auch die jüdischen Familien aus Ennigerloh, Sendenhorst und Walstedde.
Der alte jüdische Friedhof lag außerhalb des Ortes an der Hammer Straße, der heutigen Kleiststraße - ganz in der Nähe der einstigen Hinrichtungsstätte. Er wurde in den 1820er Jahren angelegt; seit gegen Ende des 19.Jahrhunderts bestatteten die Juden aus Drensteinfurt und Walstedde ihre Toten auf einem neuen Friedhofsgelände.
Ihr kleines Bethaus errichtete die kleine, damals aus sieben Familien bestehende Judenschaft Drensteinfurts 1872 auf einem angekauften Gartengelände in der schmalen Verbindungsgasse zwischen Münsterstraße und Kirchplatz - in unmittelbarer Nähe der katholischen Pfarrkirche St. Regina. Das kleine Backsteingebäude fügte sich unauffällig in die Reihe der Nachbarhäuser ein; lediglich eine hebräische Inschrift wies auf die Bestimmung des Hauses hin. Im Innern des Gebäudes führte ein Treppenaufgang zur Frauenempore.
Anm.: Um den Bau überhaupt realisieren zu können, hatten die Drensteinfurter Juden eine offiziell im Amtsblatt der Kgl. Regierung (Nov. 1870) angekündigte Sammlung bei den jüdischen Bewohnern der Provinz Westfalen abgehalten.
Erst 16 Jahre nach der Einrichtung der neuen Synagoge verfasste der Gemeindevorstand die Synagogenordnung für die Gemeinde Drensteinfurt, die eine selbstständige Filiale der Synagogengemeinde Ahlen war. Mit der Abwanderung eines Teils der jüdischen Einwohner konnten kaum mehr Gottesdienste abgehalten werden, da die Zahl der männlichen Gemeindemitglieder zu gering war; nach 1910 wurden Gottesdienste nur noch an Feiertagen durchgeführt.
Juden in Drensteinfurt:
--- 1811 ........................... 4 jüdische Familien,
--- 1816 ........................... 14 Juden (in 2 Familien),
--- 1847 ........................... 26 “ ,* *andere Angabe: 34 Pers.
--- 1862 ........................... 27 “ ,
--- um 1870 ........................ 32 “ (in 7 Familien),
--- 1885 ........................... 54 “ (ca. 3% d. Bevölk.),
--- 1895 ........................... 45 " ,
--- 1901 ........................... 30 “ ,
--- 1928 ........................... 21 “ ,
--- 1932 ........................... 25 “ ,
--- 1938 ........................... 27 “ ,
--- 1940 ........................... 9 “ ,
--- 1941 ........................... keine.
Angaben aus: Sabine Omland, Zur Geschichte der Juden in Drensteinfurt 1811 - 1941, S. 17
Die jüdischen Bewohner Drensteinfurts waren zu Beginn des 20.Jahrhunderts teilweise in das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben der Kleinstadt integriert; noch 1913 verweigerten einige Vereine den Beitritt von Juden, da nur „unbescholtene Bürger” Mitglied werden konnten. Vor allem der Textil- und Viehhandel, oft verbunden mit dem Metzgerhandwerk bildeten die Lebensgrundlagen der Juden; eine der größten Viehhandlungen der Region war im Besitz der Gebrüder Terhoch.
Auch in Drensteinfurt standen am 1.4.1933 einheimische SA-Leute vor jüdischen Geschäften, um Kunden am Zutritt zu hindern. In den folgenden Jahren wurde vor allem die wirtschaftliche Diskriminierung weiter ausgedehnt; auch vor Gewalttätigkeiten gegen jüdische Kaufleute wurde nicht zurückgeschreckt. Relativ lange konnte sich hier noch der jüdische Viehhandel behaupten.
Während des Novemberpogroms von 1938 überfielen aus Werne kommende SA- bzw. SS-Angehörige die jüdischen Familien in ihren Wohnungen, misshandelten sie und trieben sie unter Demütigungen in die Synagoge, wo sie einen „Gottesdienst“ abhalten mussten. Anschließend wurde der Innenraum demoliert: Sitzbänke und der Thora-Schrein wurden zerschlagen, Kultgegenstände entwendet. Von einer Brandlegung sah man ab, da eine Gefahr für die umliegenden Häuser bestand. Am folgendem Tage soll vor der nahegelegenen Schmiede ein Teil des zerschlagenen Synagogen-Mobiliars verbrannt worden sein; die hiesigen Schüler erhielten schulfrei, um sich die Schäden an den „Judenhäusern“ anzusehen. Im Mai 1939 wurde das Synagogengebäude an eine Privatperson verkauft, die es einer Nutzung als Werkstatt/Lagerraum zuführte.
Anm.: Bereits 1936/1937 war der jüdische Friedhof von Nationalsozialisten geschändet worden; die umgestürzten Grabsteine dienten teilweise als Wegebau-Material.
Mit der Abwanderung der 14-köpfigen Familien Terhoch nach Uruguay hatte sich die Zahl der Anfang 1939 in Drensteinfurt lebenden jüdischen Bewohner fast halbiert. Mitte Dezember 1941 wurden die letzten zehn Drensteinfurter Juden mit den übrigen Juden des Kreises Lüdinghausen - über Münster - nach Riga verfrachtet; die allermeisten kamen hier ums Leben.
Einige Jahre nach Kriegsende wurden mehrere an den Ausschreitungen des Novembers 1938 beteiligte Männer aus Werne zu mehrmonatigen Freiheitsstrafen verurteilt.
Nach 1945 ließ sich keiner der ehemaligen jüdischen Bürger Drensteinfurts wieder in seinem Heimatorte nieder. Als einzige Überlebende war Herta Salomon unmittelbar nach Kriegsende nach Drensteinfurt zurückgekehrt; da sie hier keine Familienangehörigen mehr antraf, ging sie in ein DP-Camp und emigrierte dann nach Palästina/Israel.
Mitte der 1950er Jahre setzte die Stadtverwaltung den jüdischen Friedhof - so gut es eben ging - instand. 1982 wurde dieser in die Denkmalliste der Stadt Drensteinfurt aufgenommen. Heute befinden sich ca. 25 Grabsteine mit deutlichen Verwitterungsspuren auf dem Begräbnisplatz, der älteste Stein datiert von 1853.
Jüdischer Friedhof (Aufn. S., 2006, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Mitte der 1980er Jahre wurde das bis dahin als Lager- und Abstellraum genutzte ehemalige Synagogengebäude unter Denkmalschutz gestellt, von der Kommune erworben und mit Landes- und Kreismitteln saniert. Als einziges Kennzeichen auf die frühere Nutzung des Gebäudes deutet eine hebräische Inschrift über dem Eingangsportal hin: „Das ist das Tor zu Ihm. Gerechte werden dort hindurchgehen.”
Eingang der ehem. Synagoge (Aufn. S., 2006, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0) - Innenraum (Aufn. O. Mahlstedt/LWL - Medienzentrum Münster)
1992 wurde das restaurierte Gebäude der Öffentlichkeit übergeben; maßgeblichen Anteil an dessen Erhaltung hatte dabei der "Förderverein Alte Synagoge e.V.". Das Gebäude dient heute als Standort kultureller Veranstaltungen und Ausstellungen.
Zur Erinnerung an die ehemalige Synagoge wurde die Kirchgasse in „Synagogengasse“ umbenannt (1991). In einem Neubaugebiet erhielten im Jahre 2002 drei Straßen die Namen der am längsten in Drensteinfurt ansässigen jüdischen Familien Reinhaus, Salomon und Terhoch.
Seit 2008 erinnern am Südwall und an der Hammer Straße von Drensteinfurt sog. „Stolpersteine“ an ehemalige jüdische Einwohner.
"Stolpersteine" für Fam. Salomon, Südwall (Aufn. T. 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0 und realschule-drensteinfurt.de)
verlegt Hammer Straße/Ecke Südwall
Jüngst wurden die letzten beiden Steine am Südwall in Gedenken an die Deportation und Ermordung vonn Emma und Helene Terhoch verlegt (2023).
In Herbern, einem Ort südwestlich von Drensteinfurt (heute Ortsteil von Ascheberg), gab es eine jüdische Kleinstgemeinde. Das dortige Begräbnisgelände „Auf dem Südfeld“ (heute am „Waterforwinkel“) datiert um 1800; bereits zuvor soll es westlich des Dorfes „Auf dem Bült“ einen jüdischen Friedhof gegeben haben. Ein Betraum stammt aus der Mitte des 19.Jahrhunderts. Um 1925 lebten im Ort 13 Personen mosaischen Glaubens, darunter die seit Generationen ansässige Familie Samson. In den 1920er Jahren wurde der Synagogenraum aufgegeben; deshalb blieb er während der NS-Zeit unzerstört. Hingegen wurde der jüdische Friedhof Ende der 1930er Jahre von „unbekannten Tätern“ schwer geschändet; fast alle Grabsteine wurden beschädigt. Heute findet man auf dem Gelände noch 16 Steine.
Ein Denkmal an der Südstraße/Ecke Homanns Hof erinnert an die Opfer des Holocaust.
Shoa-Mahnmal in Herbern (Aufn. Hillebrand)
Während der Kriegsjahre konnte sich die Jüdin Marga Spiegel mit ihrer Tochter auf dem Hof Aschoff in Herbern verstecken und wurde somit vor der drohenden Deportation bewahrt. Marga Spiegel schrieb über diese Jahre ein Buch mit dem Titel „Retter in der Nacht. Wie eine jüdische Familie in einem münsterländischen Versteck überlebte.“. 2009 wurde es verfilmt („Unter Bauern - Retter in der Nacht“).
Einige „Stolpersteine“ erinnern in der Bernhardstraße in Ascheberg-Herbern an die vierköpfige jüdische Familie Samson.
Stolpersteine“ für Fam. Samson (Aufn. Matthias Ester)
[vgl. Ahlen (Nordrhein-Westfalen)]
Weitere Informationen:
Peter Gabriel, Hier riuht unser lieber Vater. Der jüdische Friedhof in Drensteinfurt, in: „An Ems und Lippe – Heimatkalender für den Kreis Warendorf“, 1987
Kurt u. Sabine Omland, Dem Holocaust entkommen - Der Leidensweg der Drensteinfurter Jüdin Herta Salomon, in: "Westfälische Forschungen", Band 38, Münster 1989
Alfred Smieszchala, Ein Bethaus der Juden. Baugeschichte der Drensteinfurter Synagoge, in: "Auf Roter Erde. Heimatbeilage der ‘Westfälischen Nachrichten", Ausgabe 305/1990
Werner Bockholt, Der jüdische Friedhof in Drensteinfurt - Eine Bestandsaufnahme, in: "Veröffentlichungen des Drensteinfurter Stadtarchivs", No. 6/1990
Diethard Aschoff, Zur älteren Geschichte der Juden im späteren Synagogenbezirk Drensteinfurt-Sendenhorst, in: "Heimatblätter der Glocke", No. 5/1992, S. 339 - 441
Peter Gabriel, Wer wies den Wernern den Weg ? Die Synagoge in Drensteinfurt - Lehrhaus der Geschichte, in: "Jahrbuch Westfalen 1994", S. 47 f.
Sabine Omland, Zur Geschichte der Juden in Drensteinfurt 1811 – 1941. Quellen und Forschungen zur Geschichte des Kreises Warendorf, Band 32, hrg. vom Kreisgeschichtsverein Beckum – Warendorf e.V., Warendorf 1997 (2. Aufl., 2015)
Sabine Omland, Zur Geschichte der Juden in Drensteinfurt, online abrufbar unter: ns-gedenkstaetten.de/fileadmin/files/ds_geschichte_der_juden.pdf
Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus in Nordrhein-Westfalen, Hrg. Arbeitskreis NS-Gedenkstätten NW e.V., 4.Aufl., Düsseldorf 1998, S. 122/123
Günter Birkmann/Hartmut Stratmann, Bedenke vor wem du stehst - 300 Synagogen und ihre Geschichte in Westfalen und Lippe, Klartext Verlag, Essen 1998, S. 245
Stadt Drensteinfurt (Hrg.), Ehemalige Synagoge Drensteinfurt, Drensteinfurt 1999
Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 in Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 117 - 119
Ehemalige Synagoge Drensteinfurt. Entstehung der Gedenkstätte, hrg. vom Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte in NRW e.V. (online abrufbar unter: gedenkstaetten.de/nrw/de/drensteinfurt)
Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen. Regierungsbezirk Münster, J.P.Bachem Verlag, Köln 2002, S. 463 – 470
Sabine Omland (Bearb.), Drensteinfurt, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Münster, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen XLV, Ardey-Verlag, München 2008, S. 298 – 310
Josef Farwick (Bearb.), Aschberg-Herbern, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Münster, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen XLV, Ardey-Verlag, München 2008, S. 167 - 174
Stadt Drensteinfurt (Red.), Die ehemalige Synagoge in Drensteinfurt, in: drensteinfurt.de
Heimatverein Drensteinfurt e.V. (Hrg.), Synagoge Drensteinfurt, in: heimatverein-drensteinfurt.de
Isabel Schütte (Red.), Einsatz auf dem jüdischen Friedhof. „Geschichte zum Anfassen“, in: "AZ – Allgemeine Zeitung“ vom 13.4.2014 (betr.: jüdischer Friedhof in Herbern)
Sebastian Reith (Red.), Auf den Spuren jüdischen Lebens in Herbern, in: "Ruhr-Nachrichten" vom 5.5.2014 (mit Bildmaterial)
Auflistung der in Drensteinfurt verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Drensteinfurt
Auflistung der in Ascheberg-Herbern verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Ascheberg
N.N. (Red.), 80 Jahre Reichspogromnacht - Nackt über die Straße getrieben, in: „Westfälische Nachrichten“ vom 9.11.2018
Gaby Heinkel-Brüggemann (Red.), Deportation barfuß um vier Uhr: Erinnerung an die jüdische Familie Samson (aus Herbern), in: „Westdeutsche Allgemeine“ vom 9.11.2019
Nicole Evering (Red.), Grabstätte von Günter Udo Terhoch. Stein hat auch Symbolcharakter, in: „Westfälische Nachrichten“ vom 2.6.2021
Dietmar Jeschke (Red.), Geschändet und fast vergessen. Synagogenverein kümmert sich seit drei Jahrzehnten um das ehemalige Bethaus, in: „Westfälische Nachrichten“ vom 30.7.2021
Dietmar Jeschke (Red.), Pättchen wurde vor 30 Jahren umbenannt – Von der Kirch- zur Synagogengasse, in: „Westfälische Nachrichten“ vom 7.10.2021
Dietmar Jeschke (Red.), Vor 150 Jahren wurde die Synagoge in Drensteinfurt eingeweiht – 1700 Thaler für ein eigenes Bethaus, in: „Westfälische Nachrichten“ vom 20.10.2022
N.N. (Red.), Stolpersteine in Gedenken an Emma und Helene Terhoch verlegt, in: „WA – Westfälischer Anzeiger“ vom 10.6.2023
Dierk Hartleb (Red.), Ein Kleinod gegen das kollektive Vergessen, in: „Westfälische Nachrichten“ vom 19.7.2023
Maria Kessing (Red.), Drensteinfurter Synagogenverein stellt sich neu auf – Gegen Antisemitismus: Wie ein Verein jüdisches Leben lebendiig macht, in: „Kirche Lebnen. Das katholische Online-Magazin“ vom 20.8.2023