Cham (Oberpfalz/Bayern)

https://wiki-commons.genealogy.net/images/1/18/Karte_Regierungsbezirk_Oberpfalz.jpg  Datei:Cham in CHA.svg Cham ist heute Kreisstadt des gleichnamigen ostbayerischen Landkreises (Reg.bez. Oberpfalz) mit einer Bevölkerung von derzeit ca. 17.500 Einwohnern – ca. 55 Kilometer nordöstlich von Regensburg gelegen (Landkreiskarte des Reg.bez. Oberpfalz, aus: wiki-commons.genealogy.net  und  Kartenskizze 'Landkreis Cham', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Vermutlich gab es bereits in der zweiten Hälfte des 13.Jahrhunderts in Cham, einem kleinen Ort nordöstlich von Regensburg und nahe der Grenze zu Böhmen, jüdische Ansässigkeit; erste urkundliche Belege dafür stammen aber erst aus der Zeit nach 1320. Die wenigen Juden Chams lebten ghettoartig in der "Judengasse" (zwischen Fuhrmannstraße und Rindermarkt) und bestritten ihren Lebensunterhalt vom Handel und der Geldwirtschaft. Wie in den Nachbarstädten Deggendorf und Straubing kam es um 1370 auch in Cham wegen wirtschaftlich-sozialer Spannungen zu Pogromen. Beim Regierungsantritt des Pfälzer Kurfürsten Ruprecht II. (1391) erfolgte eine allgemeine Vertreibung jüdischer Bewohner aus der Pfalz. Für das 15. Jahrhundert sind Ausweisungen und Wiederansiedlungen in Cham dokumentiert. Wie lange die mittelalterliche Gemeinde bestanden hat, ist ungewiss; spätestens Mitte des 16.Jahrhunderts müssen die jüdischen Bewohner Chams dauerhaft vertrieben worden sein, nachdem Kurfürst Ottheinrich 1556 ein Aufenthalts- und Niederlassungsverbot für Juden in der Oberpfalz erlassen hatte.

Die jüdischen Kultbauten aus dieser Zeit - Synagoge und Schule - blieben in ihrer Bausubstanz bis zum großen Stadtbrand 1873 erhalten; ihr Standort hatte sich am östlichen Eingang der Judengasse im („Judenturm“) befunden.

Kupferstich - Cham - Bodenehr.png

"Chamb in der oberen Pfaltz" - Kupferstich von 1720 (aus: wikipedia.org, CCO)

Mehr als 250 Jahre waren dann in Cham keine Juden ansässig. Anfänge einer neuzeitlichen jüdischen Gemeinde zeigten sich gegen Mitte des 19.Jahrhunderts, als sich einzelne jüdische Familien in Cham niederließen. Einer der ersten hier sich ansässig gemachten Juden war Lazarus Boscowitz, der in der Stadt ein Tuchgeschäft eröffnete. Mit der nach dem Anschluss ans Eisenbahnnetz erfolgten wirtschaftlichen Entwicklung zogen weitere jüdische Familien in die Region - die meisten stammten aus Böhmen. Im Jahre 1886 wurde die Israelitische Kultusgemeinde Cham gegründet; ihr schlossen sich auch Juden aus Furth i.Wald und Kötzting an, später dann auch Juden aus Neunburg vorm Wald, Roding, Viechtach und Waldmünchen. Als erste Gemeindeeinrichtung wurde drei Jahre später der jüdische Friedhof bei Windischbergerdorf angelegt; das erste Begräbnis fand hier 1890 statt.

In einem angemieteten Raum in der ersten Etage des Gasthauses „Zur Goldenen Weltkugel“ (Propsteistraße) richteten die Juden 1895 ihren Betsaal ein; über einen eigenen Synagogenbau hat die kleine Gemeinde aber zu keiner Zeit verfügt, obwohl konkrete Planungen dafür angestellt worden waren.

Gebäude in der Propsteistraße (Aufn. A.Koch, 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Für religiös-rituelle Aufgaben der Gemeinde war ein Religionslehrer zuständig, den die Gemeinde verpflichtet hatte.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20118/Cham%20Israelit%2018021892.jpg   http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20118/Cham%20BayrGZ%2015921933.jpg

Anzeigen aus: „Der Israelit“ vom 18.2.1892 u. 28.1.1909 und "Bayerische Israelitische Gemeindezeitung" vom 15.2.1933

Einen eigenen Rabbiner gab es in Cham nicht; dessen Aufgaben übernahm der Rabbiner der Gemeinde Floß, ab 1896 der aus der Gemeinde Sulzbürg bzw. ab 1923 aus der Gemeinde Neumarkt; 1933 unterstand die Gemeinde Cham dem Bezirksrabbinat Regensburg-Neumarkt.

Juden in Cham:

         --- um 1480 ........................   5 jüdische Familien,

    --- um 1560 ........................   keine,

    --- um 1680 ........................   5 jüdische Familien,

    --- 1867 ...........................  13 Juden,

    --- 1910 ...........................  80   “  ,     *im Landkreis: ca. 120 Pers.

    --- 1925 ...........................  82   “  ,

    --- 1933 ...........................  72   “  ,

    --- 1938 (Okt.) ....................  24   “  ,

    --- 1940 ...........................   6   “  ,

    --- 1942 ...........................   2   “  ,

    --- 1945 ....................... ca. 300   “  ,

    --- 1946 ....................... ca. 260   “  ,

    --- 1949 ....................... ca.  80   “  ,

    --- 1973 ...........................  16   “  .  

Angaben aus: Timo Bullemer, Daten aus der jüdischen Geschichte der Stadt Cham

 

Trotz ihres relativ geringen Anteils an der Chamer Bevölkerung hatten die hier lebenden jüdischen Familien einen erheblichen Anteil zur ökonomischen Entwicklung der Kleinstadt beigetragen; Juden betrieben um 1900/1920 zahlreiche Geschäfte, vor allem im Textilbereich.

Bereits ab Mitte der 1920er Jahre mussten sich die Angehörigen der jüdischen Gemeinde gegen die antisemitische Propaganda zur Wehr setzen, die von der 1922 gegründeten NSDAP-Ortsgruppe Cham in Szene gesetzt wurde.

Mit Beginn der NS-Zeit verließen die ersten jüdischen Familien Cham in Richtung Tschechoslowakei, nachdem der Boykott vom 1.4.1933 zu weiterer Verunsicherung der jüdischen Geschäftsleute geführt hatte. Von 1934 bis 1936 kam es wiederholt zu antijüdischen Maßnahmen, die sich durch Schmierereien und weitere Boykottversuche dokumentierten.  Über „Vorgänge“, die sich in Cham in den Vorweihnachtstagen 1936 abgespielt haben, ist in einem Bericht der Stapoleitstelle München vom 1.1.1937 zu lesen:

... Am 23.12.1936 kam es in Cham zu Ausschreitungen gegen jüdische Geschäfte. In Cham fand der herkömmliche Weihnachtsmarkt statt, der von der Landbevölkerung sehr stark besucht war. Die Landbevölkerung kaufte sehr viel in jüdischen Geschäften. Bereits in den Vormittagsstunden wurden Personen, die im jüdischen Schuhgeschäft Eisfeld kauften, fotografiert. In den Nachmittagsstunden gegen 14 Uhr rottete sich vor dem Geschäft alsbald eine große Menschenmenge zusammen, die sich zum Teil feindselig gegen das jüdische Geschäft verhielt, zum Teil teilnahmslos dastand. Vereinzelt wurden auch zu Gunsten der Juden Stellung genommen. ... Die Menge erging sich in Rufen wie ‘Juda verrecke’, ‘Kauft nicht bei Juden’ usw. Schließlich hat der Jude Eisfeld freiwillig das Geschäft geschlossen. Anschließend bildete sich ein ungeordneter Zug, der durch die Straßen von Cham zog und Sprechchöre ... verlauten ließ. Bei allen jüdischen Geschäften wurde Halt gemacht und die Schließung der Geschäfte verlangt. ... Die Urheber dieser Aktion konnten bis jetzt nicht festgestellt werden. ... Die jüdischen Geschäfte blieben weiterhin geschlossen ...

 

1938 löste sich die Chamer Kultusgemeinde auf. Da bereits alle Geschäfte jüdischer Besitzer „arisiert“ waren, blieb die Stadt während des Novemberpogroms von Zerstörungen jüdischen Eigentums verschont; allerdings war der Versuch unternommen worden, den Betsaal in Brand zu setzen. Dessen Inneneinrichtung wurde vom Eigentümer des Gebäudes in Sicherheit gebracht (und nach Kriegsende der neu gebildeten jüdischen Gemeinde zurückgegeben).

Die wenigen jüdischen Bewohner Chams wurden festgenommen; während die Frauen bald wieder auf freien Fuß gesetzt wurden, verschleppten die Nazis die meisten Männer ins KZ Dachau. Mitte des Jahres 1942 lebte nur noch eine einzige „in Mischehe“ verheiratete Jüdin in der Stadt.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sollen 37 gebürtige bzw. längere Zeit in Cham ansässig gewesene Bewohner mosaischen Glaubens Opfer des Holocaust geworden sein (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/cham_synagoge.htm).

 

Unmittelbar nach Kriegsende gründete sich aus einem „Jüdischen Komitee“ eine neue jüdische Gemeinde, deren Angehörige Überlebende der befreiten Konzentrationslager waren. Sie wurden in zwei UNRRA-Camps auf Chamer Stadtgebiet untergebracht. Ihr Betsaal in der Probsteistraße war der gleiche, den auch schon die Vorkriegsgemeinde genutzt hatte; auch die Ritualien, die die Kriegsjahre überdauert hatten, wurden wieder verwendet.

 Ende der 1940er/Anfang der 1950er Jahre löste sich die Gemeinde wieder auf, nachdem die allermeisten jüdischen DPs in den neugegründeten Staat Israel emigriert waren.

Anm.: Eine Art Auffanglager (Zeltstadt) für bis zu 5.000 Personen bestand von August bis Oktober 1946 im Ortsteil Michelsdorf. Die meisten der erwachsenen Camp-Bewohner wurden nach Wetzlar, die Kinder nach Rosenheim oder Dornstadt umgesiedelt.

Der mit einer massiven Mauer umgebene  jüdische Friedhof zwischen Cham und der Ortschaft Windischbergerdorf ist erhalten geblieben; auf dem seit Ende des 19.Jahrhunderts belegten Begräbnisgelände findet man ca. 90 - 100 Grabstellen.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20122/Cham%20Friedhof%20260.jpg

Jüdischer Friedhof Cham (Aufn. J. Hahn, 2007 und Aufn. A. Koch, 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Am Eingang des Gebäudes in der Propsteistraße, in dem sich bis 1938 der Betsaal der jüdischen Gemeinde befunden hatte, wurde 1991 eine Tafel zum Gedenken an die jüdischen Opfer der NS-Herrschaft angebracht.

Seit 2019 erinnert im Stadtpark ein Gedenkstein - ein großer Felsblock mit dort angebrachter Inschriftentafel - an die ehemaligen jüdischen Chamer Bürger, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, vertrieben, deportiert und ermordet wurden.

Außerdem erinnert die Dr. Karl-Kern-Straße an den aus Cham stammenden jüdischen Psychiater.

 

 

 

In Furth am Wald - ca. 20 Kilometer nordöstlich von Cham gelegen mit derzeit ca. 9.000 Einwohnern - haben vermutlich bereits im späten Mittelalter zeitweilig wenige jüdische Familien in der "Judengasse" gelebt. Erst in den 1860er Jahren wurden wieder wenige jüdische Familien in Furth ansässig; der Ort erlebte durch den Eisenbahnanschluss einen wirtschaftlichen Aufschwung, der Händler vor allem aus Böhmen anzog. Die wenigen Further Juden - 1910 waren es 14 Personen - waren in die Bevölkerung integriert und gehörten zur Kultusgemeinde Cham.

 

 

 

Weitere Informationen:

Johann Brunner, Geschichte der Stadt Cham, Cham 1921

Wilhelm Volkert, Die Juden in der Oberpfalz im 14.Jahrhundert, in: "Zeitschrift für Bayrische Landesgeschichte", 30/1967, S. 161 - 200

Baruch Z. Ophir/F. Wiesemann (Hrg.), Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, München/Wien 1979, S. 77/78

Germania Judaica, Band III/1, Tübingen 1987, S. 204/205

Willi Straßer, Die Juden im mittelalterlichen Chan, in: "Beiträge zur Geschichte im Landkreis Cham", Hrg. Arbeitskreis Heimatforschung im Kulturverein Bayrischer Wald e.V., Band 5/1988

Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 283/284

Siegfried Wittmer, Juden in der Oberpfalz von den Anfängen bis 1918, in: VHVO* 132 (1992), S. 27 - 92  (* Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg)

Siegfried Wittmer, Juden in der Oberpfalz von 1919 bis 1993, in: VHVO Band 133 (1993), S. 125 ff.

Timo Bullemer, Jüdisches Leben im Landkreis Cham - Vortrag am 9.11.2000 im ehemaligen Betsaal der Israelitischen Kultusgemeinde Cham, in: "Beiträge zur Geschichte im Landkreis Cham", 18/2001, S. 163 – 181

Timo Bullemer, ‘Die hiesigen Juden sind in Cham alteingesessen ...’ - Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde vom Mittelalter bis zur Gegenwart, in: "Bausteine zur Geschichte und Kultur der Stadt Cham", Band 1, Cham 2003

A. Hager/C. Berger-Dittscheid (Bearb.), Cham, in: Mehr als Steine ... Synagogengedenkband Bayern, Band 1, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2007, S. 237 - 243 

Cham (Oberpfalz), in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Der jüdische Friedhof in Cham, in: alemannia-judaica.de (mit Aufnahmen aller dort vorhandenen Grabsteine)

Cham – Jüdische DP-Gemeinde, online abrufbar unter: after-the-shoah.org

Michaela Sturm (Red.), Cham. Gedenkstein erinnert an ermordete Chamer Juden, in: "Chamer Zeitung“ vom 17.9.2019

Ernst Fischer (Red.), Die Zeugen des Holocaust in Cham, in: „Mittelbayrische“ vom 17.9.2019

Melanie Zitzelsberger (Red.), Jüdischer Friedhof bei Cham: Besuch im Garten des Lebens, in: "da Hog‘n – Onlinemagazin“ vom 30.6.2021