Gumbinnen (Ostpreußen)
Gumbinnen a.d. Pissa - ca. 25 Kilometer östlich von Insterburg gelegen - ist das heutige russ. Gussew bzw. Gusev/Гусев mit derzeit ca. 28.000 Einwohnern (hist. Karten des ehem. Kreises Gumbinnen von 1905 und von 1936, aus: wikipedia.org, gemeinfrei bzw. genwiki.genealogy.net)
In Gumbinnen siedelten sich Juden bereits in den 1760er Jahren an; der erste hier ansässig gewordene Jude war der Graveur und Steinschneider Daniel Joel, der ein preußisches Schutzprivileg besaß. Danach erfolgten vereinzelt weitere Zuzüge und es bildete sich eine Gemeinde, die zu den ältesten Ostpreußens zählt. Die Zugezogenen rekrutierten sich vorwiegend aus den posenschen und westpreußischen Städten Krojanke, Flatow, Tütz u.a.
Bereits 1767/1768 wurde mit obrigkeitlicher Erlaubnis ein Friedhof angelegt; 1846 und 1864 ließ die Gemeinde zwei Synagogen erbauen; deren Standort war die Lange Reihe.
Die Judenschaft erfreute sich der besonderen Unterstützung Friedrichs des Großen; denn ihre Handelsaktivitäten – auch über die Staatsgrenzen hinweg – brachten dem Staatshaushalt zusätzliche Einnahmen. So lag der Absatz der Textilindustrie Gumbinnens nach Polen in den Händen jüdischer Kaufleute. Als dann in Lodz eine eigene Textilindustrie in Polen entstand, ging der Absatz aus Gumbinnen stark zurück; eine Folge war die Abwanderung jüdischer Kaufleute. So sollen um 1780 nur noch zwölf jüdische Einwohner in Gumbinnen gelebt haben; in den Folgejahrzehnten ging deren Zahl noch weiter zurück.
Aus einem Bericht des Gumbinner Chronisten Gervais aus dem Jahre 1818: „Bis zur Erscheinung der neuen Städteordnung existierte in dieser Stadt nur ein einziger Schutzjude. Seit dieser Zeit können sich aber auch hier so viel Juden etablieren, als da wollen. Bis jetzt hat sich die Zahl der Judenfamilien auf sechse vermehrt, die als wirkliche Bürger ansäßig sind. Gegen ihre Ansäßigkeit hat zwar auch die Bürgerschaft protestiert, aber ohne Erfolg, denn das Gesetz, das Judenthum dem Christenthum näher zu bringen, nimmt sie in Schutz.“
Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebte wieder eine größere Anzahl jüdischer Bewohner in Gumbinnen.
Juden in Gumbinnen:
--- 1845 ......................... 53 Juden,
--- 1871 ......................... 137 " ,
......................... 176 ” ,* * incl. Kreisgebiet
--- 1885 ......................... 104 “ ,
......................... 141 “ ,*
--- 1895 ......................... 110 “ ,
......................... 154 “ ,*
--- 1905 ......................... 106 “ ,
......................... 167 “ ,*
--- 1925 ......................... 198 “ ,
......................... 108 “ ,*
--- 1939 ..................... ca. 30-40 “ .
Angaben aus: Rudolf Grenz, Die jüdische Gemeinde in Gumbinnen
Goldaper Straße in Gumbinnen (hist. Aufn., um 1910)
Mitte der 1920er Jahre bestanden in Gumbinnen mehrere von jüdischen Besitzern geführte Geschäfte/Gewerbebetriebe; so gab es das Kaufhaus von Jakob Lindenstrauss, das Manufakturwarengeschäft Heinz Rubinstein und das Textilgeschäft Dembinski & Söhne (alle in der Königsstraße), den Pferde- und Altmaterialhändler Eugen Gerson (Friedrichstraße), den Textilkaufmann Lück, den Altmaterialhändler Hirsch Wartelski (Goldaper Straße), den Produktenhändler Konitzki (Wilhelmstraße u. Goldaper Straße), die Konfektionäre H. Moses und J. Katzki (Königsstraße), den Kaufmann Louis Brasch (Königsstraße), die Pferdehändler Abraham, Max, Isodor u. Otto Brilling (Bismarckstraße), den Kaufmann Joseph Cohn (der Königsstraße), den Kaufmann Max Rodominski (Königsstraße) und den Kaufmann Louis Wolf (Dammstraße).
Ihren Höchststand erreichte die Zahl der Gemeindeangehörigen Anfang der 1930er Jahre mit mehr als 200 Personen; 1939 waren es nur noch knapp 40.
Die Ab- und Auswanderung förderten Zionisten, die in der Region ein Ausbildungszentrum für auswanderungsbereite Jugendliche geschaffen hatten.
Während des Pogroms von 1938 wurde die Synagoge zerstört. Die meisten jüdischen Bewohner ergriffen alsbald die Flucht und wandten sich nach Polen und Litauen; nur wenige, meist ältere Leute, blieben zurück. 1940 wurden die letzten ins "Generalgouvernement umgesiedelt"; hier verloren sich ihre Spuren.
In den Jahren nach 2000 lebten wieder einige wenige Juden in Gussev; doch eine Synagogengemeinde bildete sich hier nicht wieder.
Weitere Informationen:
Rudolf Grenz (Bearb.), Gumbinnen. Stadt und Kreis Gumbinnen. Eine ostpreußische Dokumentation. Zusammengestellt und erarbeitet im Auftrag der Kreisgemeinschaft Gumbinnen, Marburg/Lahn 1971
Dietrich Goldbeck/Herbert Sticklies, Gumbinnen Stadt und Land. Bilddokumentation eines ostpreußischen Landkreises 1900–1982, hrg. von der Kreisgemeinschaft Gumbinnen in der Landsmannschaft Ostpreußen e. V., Bielefeld 1985
Ronny Kabus, Juden in Ostpreußen, Husum 1998, S. 145
The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust, New York University Press, Washington Square, New York 2001, Vol. 1 S. 469
Rudolf Grenz, Die jüdische Gemeinde in Gumbinnen (Aufsatz), hrg. von der Kreisgemeinschaft Gumbinnen, o.J. (online abrufbar unter: kreis-gumbinnen.de)
Kerstin Emma Schirp, Jude, Gringo, Deutscher - Das abenteuerliche Leben des Werner Max Finkelstein, Books on demand, Berlin 2002
Ruth Leiserowitz/Alina Gromova (Red.), Gumbinnen, in: Juden in Ostpreußen (Auflistung jüdischer Bewohner aus der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts), online abrufbar unter: judeninostpreussen.de (in engl. Version unter: jewsineastprussia.de/de/gumbinnen/)
Geschichte der Stadt Gumbinnen an der Pissa, online abrufbar unter: ostpreussen.net