Egelsbach (Hessen)
Egelsbach ist eine Kommune mit derzeit ca. 11.000 Einwohnern im Landkreis Offenbach in Südhessen - auf halben Wege zwischen Frankfurt/M. und Darmstadt (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 ohne Eintrag von Egelsbach, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Offenbach', Hagar 2007, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
In Egelsbach, das seit 1600 zu Hessen gehört, waren seit Beginn des 18.Jahrhunderts wenige jüdische Familien dauerhaft ansässig; erstmals wird ein Jude in Egelsbach bereits 1698 namentlich erwähnt. Ehe sich um 1840 eine autonome Gemeinde in Egelsbach konstituierte, gehörten die hiesigen jüdischen Familien zur Kultusgemeinde Langen. Ihren Zenit erreichte die in Egelesbach beheimatete Gemeinde zu Beginn des 20.Jahrhunderts; 1903 wurde auch das Synagogengebäude in der Rheinstraße (frühere Feldstraße) erbaut, das immerhin über mehr als 100 Plätze verfügte; vorher war ein Bauernhaus in der Langener Straße als gottesdienstlicher Versammlungsort genutzt worden.
Ausschreibung der Bauarbeiten (Lokalzeitung, Mai 1902)
Anzeige in der Lokalzeitung 7./8.Aug. 1903
Über das neue Synagogengebäude wurde im „Frankfurter Israelitischen Familienblatt“ vom 14. August 1903 wie folgt berichtet:
Egelsbach. Klein, aber fein, kann man von der neuen Synagoge, deren Einweihung wir vorigen Freitag vollzogen, sagen. Der gesamte Ort hat unser Fest mitgefeiert, fast von jedem Hause wehte eine Fahne und legte Zeugnis ab von dem einträchtigen Zusammenwohnen der jüdischen und der christlichen Bevölkerung. Bisher hatten wir Egelsbacher eigentlich noch keine Synagoge, denn ein schmuckloses Zimmer in dem ersten Stocke eines Privathauses mußte unserem gottesdienstlichen Bedürfnisse Genüge leisten. Jetzt haben wir nun eine Synagoge und zwar eine, die sich sehen lassen darf. Deswegen war auch die Freude an dem Gelingen des Werkes, zu dem ein jedes Mitglied unserer Gemeinde sein Scherflein beigetragen hat, allgemein sehr groß, deshalb bildet auch die Einweihungsfeier ein Denkstein in dem Leben eines jeden Einzelnen unserer Gemeinde. Eine große Anzahl Gäste aus der Umgegend von Egelsbach hatten sich zur Einweihungsfeier eingefunden. In der alten Synagoge fand um 1 Uhr ein Abschiedsgottesdienst statt, an den sich eine Predigt des Rabbiners Dr. Marx aus Darmstadt anschloß. Ein Zug, wie ihn Egelsbach noch nie gesehen hat, durchzog hierauf die Straußen. Voran die Schulkinder, hierauf die Damen, vier Thorarollen und hinterher die Herren, alles festlich gekleidet und geschmückt. Nach Ueberreichung des Schlüssels zog man in das neue Gebäude ein, während eine Darmstädter Kapelle spielte. Nachdem der Chor Ma towu und Boruch habboh in meisterhafter Weise gesungen hatte, betrat dann Herr Rabbiner Dr. Marx die Kanzel und hielt in kernigen Worten die Einweihungsrede. Er dankte dem Baukomitee, insbesondere dem Vorsitzenden desselben, Herrn Hofmann und dem Architekten Eck für ihre Mühe und Sorgfalt, mit denen sie das Werk zu gutem Ende führten. Ferner sprach er den Gemeinden und dem Großherzog Ernst Ludwig, die das Unternehmen gefördert und unterstützt haben, seinen tief gefühlten Dank aus. Nach Beendigung der Einweihungsrede wurde im Hotel „Zur Krone“ ein Konzert gegeben, und abends wieder ein solches bei Rinnenthal. Zwei Festbälle im Hotel zum „Heß“ und im Hotel „zur Krone“ schlossen die Feier. Nicht unerwähnt wollen wir lassen, daß das Porauches (Vorhang am Toraschrein) mit schöner Goldstickerei und die Schulchandecke, welche die Firma A. Rothschild, Hebräische Buchhandlung und Kunststickerei in Frankfurt für die neue Synagoge geliefert hat, durch ihre gediegene und künstlerische Ausführung allgemeinen Beifall fanden.
Ehem. Synagoge (Aufn. um 1970, aus: P. Arnsberg)
Die Religionslehrer- bzw. Vorbetererstelle war in der Egelsbacher Gemeinde einem steten Wechsel unterworfen.
Stellenangebote in der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 22.11.1876, 12.5.1902 und 8.4.1925
Verstorbenen Gemeindeangehörigen stand seit den 1890er Jahren ein kleines Begräbnisareal am Orte zur Verfügung, das im Besitz der Kommune war.
Die Egelsbacher Kultusgemeinde unterstand dem orthodoxen Rabbinat Darmstadt II.
Juden in Egelsbach:
--- um 1735 .................... ca. 15 Juden,
--- 1830 ........................... 40 “ ,
--- 1861 ........................... 69 “ (ca. 4% d. Bevölk.),
--- 1880 ........................... 63 “ (ca. 3% d. Bevölk.),
--- 1895 ........................... 80 " ,
--- 1905 ........................... 85 “ ,* * andere Angabe: 92 Pers.
--- 1910 ........................... 90 " ,
--- um 1925 .................... ca. 65 " ,
--- um 1930 .................... ca. 110 “ ,** ** vermutlich keine korrekte Angabe
--- 1935 ....................... ca. 65 “ ,
--- 1938 (Aug.) .................... 44 “ ,
(Dez.) .................... keine.
Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 149
und Christine Wittrock, Egelsbach in politisch bewegter Zeit 1914 - 1950
Zu Beginn der 1930er Jahre lebten in Egelsbach mehr als 100 Juden; als Handwerker, Kaufleute und Ärzte waren sie weitgehend in die kleinstädtische Gesellschaft von Egelsbach integriert.
Anzeigen jüdischer Geschäftsleute aus Egelsbach (1920/1930):
Auch in Egelsbach wurden die Einwohner in den „Egelsbacher Neuesten Nachrichten” am 1. April 1933 zum Boykott gegen die jüdischen Bürger aufgerufen:
In den folgenden Jahren verließen alle jüdischen Bewohner den Ort, da ihnen immer mehr ihre Existenzgrundlage entzogen wurde. Während etwa 35 jüdische Einwohner nach Übersee emigrierten, zogen die meisten in größere deutsche Städte, vor allem nach Frankfurt/M., aber auch nach Darmstadt und Mainz.
Schon ein Jahr vor der „Kristallnacht“ waren in Egelsbach mehrere Einzelaktionen gegen Juden zu verzeichnen, die sich im September 1938 wiederholten. Während des Novemberpogroms eskalierte „der Volkszorn“: SA-Angehörige drangen in Wohnungen jüdischer Familien ein und demolierten Hausrat und Mobiliar. Auch die Inneneinrichtung der Synagoge wurde zerschlagen und wenig später auf einem nahen Sportplatz in Brand gesetzt. Das Synagogengebäude selbst blieb äußerlich fast unbeschädigt; allerdings wurden die am Giebel befestigten steinernen Gesetzestafeln heruntergerissen. Über die Vorgänge der Novembertage 1938 sind in der Egelsbacher Kirchenchronik folgende Zeilen zu lesen: „ ... Auch hier wurde die Synagoge ausgebrannt und die Judenhäuser zerstört, die Inneneinrichtung wurde demoliert und auf die Straße geschleudert. Ausgeführt wurde das Werk durch hauptsächlich Schulkinder, die an diesem Morgen nicht in der Schule waren. Die Juden wurden zusammengetrieben und zum Teil getreten. Das Ergebnis war, daß auch Egelsbach judenfrei wurde. ...” Im Februar 1939 meldete der Egelsbacher Bürgermeister dem Landrat in Offenbach, dass sein Ort „seit Ende 1938 judenfrei“ sei.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind 37 gebürtige bzw. länger am Ort wohnhaft gewesene Egelsbacher Juden Opfer der Shoa geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/egelsbach_synagoge.htm).
Das Synagogengebäude wurde 1941 für 5.000,- RM von der Kommune Egelsbach erworben. Während des Krieges diente es als Magazin und Unterkunft für Kriegsgefangene. Um 1960 wurde es von privater Seite gekauft und diente nach Umbauten nun Wohnzwecken.
Inschrift am ehem. Synagogengebäude (Aufn. J. Hahn, 2008)
Am Kirchplatz erinnert zudem eine weitere Inschrift wie folgt:
Zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus.
'Die Pflicht, sich zu erinnern, stehe über dem Verlangen zu vergessen. Karl Kraus'."
Auf dem ca. 600 m² großen recht gepflegten jüdischen Begräbnisplatz – direkt neben dem Kommunalfriedhof an der Friedensstraße – sind heute noch ca. 40 Grabsteine vorhanden.
Jüdischer Friedhof in Egelsbach (Aufn. E-W, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
2009 wurden in Egelsbach die ersten sog.„Stolpersteine“ in der Ernst-Ludwig-Straße und Woogstraße verlegt; ein Jahr später folgten weitere in der Schulstraße; insgesamt zählt man nun 16 Steine im Gehwegpflaster des Ortes (Stand 2022).
verlegt für Familie Reis in der Woogstraße (Aufn. G., 2022, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Die Egelsbacher „Judengasse“ weist mit ihrer Straßenbezeichnung vermutlich auf das ehemalige Wohngebiet jüdischer Familien im 18.Jahrhundert hin.
Weitere Informationen:
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M., 1971, Bd. 1, S. 149/150
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Bilder - Dokumente, Eduard Roether Verlag, Darmstadt 1973, S. 47
Karl Knöß, Egelsbach - Geschichte und Geschichten, Langen 1988
Christine Wittrock, Egelsbach in politisch bewegter Zeit 1914 - 1950, Verlag Brandes & Apsel, Frankfurt/M. 1991, S. 60 - 69, S. 135 - 139 und S. 178 - 198
Alfred Thomin, Synagogen in Egelsbach, in: "Landschaft Dreieich 2003", S. 68 ff.
Egelsbach, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Geschichtsverein (Bearb.), Die Israelitische Gemeinde zu Egelsbach, als PDF-Datei online abrufbar unter: 63329.info/images/Geschichtsverein/027-Israelitische.pdf
Holger Borchard (Red.), Stolperstein-Premiere in Egelsbach, in: op-online.de vom 9.10.2009
Holger Borchard (Red.), Erst gequält und dann ermordet – Fünf weitere Stolpersteine erinnern an jüdische Schicksale in Egelsbach, in: op-online.de vom 9.10.2010
Geschichtsverein Egelsbach (Hrg.), Die jüdische Geschichte in Egelsbach, online abrufbar unter: geschichtsvereinegelsbach.de/images/016-Juedische_Geschichte.pdf
Andrea von Treuenfeld, In Deutschland eine Jüdin, eine Jeckete in Israel. Geflohene Frauen erzählen ihr Leben, Gütersloher Verlagshaus 2011, S. 54 – 64 (Anm. Lebensgeschichte von Liselotte Kwiat, geb. 1931 in Egelsbach)