Eiterfeld (Hessen)
Die Marktgemeinde Eiterfeld mit derzeit ca. 7.500 Einwohnern liegt im Norden des osthessischen Landkreises Fulda – angrenzend an den thüringischen Wartburgkreis (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Fulda', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Ein erster namentlicher Beleg über jüdische Ansässigkeit in Eiterfeld (von Hirz Möller und Jacob Katz) ist aus dem Jahre 1701 überliefert; doch schon im ausgehenden 16.Jahrhundert lassen sich Hinweise finden, die von der Anwesenheit einzelner Juden in und um Eiterfeld berichten; so wurde z.B. 1564 ein gewisser „Salomon Jud“ urkundlich erwähnt. Trotz einer vom Fürstabt Amand von Buseck ausgestellten „Judenordnung“ (von 1751), die jüdische Familien u.a. auch vor den christlichen Bewohnern schützen sollte, kam es immer wieder zu Übergriffen.
In den Judenmatrikeln von 1801 sind zwölf Haushalte aufgelistet; Vieh- und Schnittwarenhandel waren damals Haupternährungsgrundlage der Familien. Ein halbes Jahrhundert später (1854) bestanden in Eiterfeld 13 Haushalte mit 65 jüdischen Bewohnern; 1875 wurden der königlichen Regierung in Kassel "83 Seelen" mitgeteilt.
Die Gemeinde verfügte über eine neue Synagoge mit ca. 80 Plätzen; das Fachwerkgebäude wurde Ende der 1820er Jahre errichtet. Bereits in den Jahrzehnten zuvor hatte es hier ein Bethaus gegeben, das aber auf behördliche Anweisung wegen Baufälligkeit abgerissen werden musste. Auf Grund der personellen Vergrößerung der Eiterfelder Kultusgemeinde wurde das Synagogengebäude in den 1890er Jahren vergrößert.
Synagoge links im Bild (hist. Aufn., aus: commons.wikimedia.org, CCO)
Am Dorfrand – in der Schäfergasse (auch „Judengasse“ genannt) – befand sich die Mikwe. In Eiterfeld existierte auch eine jüdische Elementarschule, die zu Beginn der 1930er Jahre wegen Schülermangels aufgelöst wurde.
aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 1.9.1904 und 28.8.1924
Die verstorbenen Gemeindeangehörigen fanden zunächst ihre letzte Ruhe auf dem jüdischen Friedhof in Burghaun; zuletzt wurde der Friedhof der inzwischen aufgelösten Gemeinde von Erdmannrode genutzt.
Zur jüdischen Gemeinde Eiterfeld gehörten auch die Juden aus Buchenau und ab 1927/1928 auch die von Erdmannrode; die Gemeinde übernahm den Nachlass der aufgelösten Kultusgemeinde Erdmannrode und stellte als Gegenleistung die Pflege des dortigen jüdischen Friedhofs in Aussicht.
Juden in Eiterfeld:
--- um 1700 ....................... 2 jüdische Haushaltungen,
--- um 1775 ....................... 9 " " ,
--- 1830/32 ....................... 57 Juden (in 11 Haushaltungen),
--- 1852 .......................... 65 “ ,
--- 1861 .......................... 74 “ (ca. 12% d. Bevölk.),
--- 1875 .......................... 83 “ ,
--- 1885 .......................... 105 “ (ca. 18% d. Bevölk.),
--- 1893 .......................... 101 “ (ca. 18% d. Bevölk.),
--- 1905 .......................... 84 “ ,
--- 1924 .......................... 56 “ (ca. 8% d. Bevölk.),
--- 1932/33 ................... ca. 45 “ ,
--- 1936 .......................... 44 " ,
--- 1938 .......................... 6 " (2 Familien),
--- 1939 (Dez.) ................... keine.
Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 153
und Elisabeth Sternberg-Siebert, Jüdisches Leben im Hünfelder Land - Juden in Burghaun, S. 2
und Margaretha Reifert-Lutz, Jüdische Gemeinde Eiterfeld (1701-1939)
Missernten, Hungerkrawalle und Revolutionswirren kennzeichneten die 1840er Jahre im Hünfelder Land, wobei es auch zu antijüdischen Ausschreitungen kam; so sollen Überfälle auf Eiterfelder Juden nur von der dortigen Bürgerwehr verhindert worden sein.
Anm.: Bereits 1764 waren Ausschreitungen der hiesigen Dorfbevölkerung gegen Juden in Eiterfeld zu verzeichnen gewesen; das Eingreifen des Fürstbischofs verhinderte Schlimmeres.
Ihren zahlenmäßigen Höchststand erreichte die jüdische Gemeinde in Eiterfeld in den letzten Jahrzehnten des 19.Jahrhunderts. Die Juden Eiterfelds verdienten ihren Lebensunterhalt im Vieh- und Einzelhandel bzw. als Makler.
Dorfladen der Fam. Moritz Rosenstock (Aufn. um 1920?)
Geschäftsanzeigen
Noch vor dem Ersten Weltkrieg setzte eine starke Abwanderung der jüdischen Familien aus Eiterfeld ein, die sich nach 1933 noch beschleunigte. Nach der NS-Machtübernahme war der Druck auf die hiesigen Juden noch angewachsen. Maßgeblich für die antijüdischen Attacken verantwortlich war der Kreisbauernführer Carl Salzmann, der Eiterfeld „als Schauplatz des erfolgreichen Endkampfes“ gegen seine jüdische Bewohner auserkoren hatte. Am 1.4.1933 errichtete man am Marktplatz einen Galgen, der ein Schild mit der Aufschrift trug: „Hier gehören die Volksausbeuter Strauß - Lomnitz - Rosenstock hin!” Die Kultusgemeinde wurde 1937 aufgelöst, nachdem nur noch einzelne jüdische Bewohner hier lebten.
Am Abend des 9..November 1938 wurde das Synagogengebäude von einem Trupp auswärtiger Nationalsozialisten demoliert und versucht in Brand zu setzen; doch wegen der engen Bebauung nahm man aber davon Abstand. Das schwer beschädigte Gebäude wurde alsbald abgerissen.
Zu Beginn des Jahres 1939 verließ die letzte jüdische Familie (Fam. Wiesenfelder) den Ort.
In der „Fuldaer Zeitung“ erschien Ende Januar 1941 ein antisemitischer Schmähartikel, der die „Vertreibung der Juden aus Eiterfeld“ feierte.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 34 in Eiterfeld gebürtige bzw. längere Zeit hier ansässig gewesene Juden Opfer der NS-Verfolgung; aus dem nahen Buchenau wurden sieben Personen mosaischen Glaubens Opfer der "Endlösung" (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/eiterfeld_synagoge.htm).
Auf einer 2005 vom hiesigen Heimat- u. Geschichtsverein angebrachten schlichten Gedenktafel befindet sich unter einer stilisierten Menora die Inschrift: „Zur Erinnerung an die jüdische Gemeinde Eiterfeld 1701 – 1939.“. Eine 2009 erstellte Namenstafel ergänzte die Erinnerung an die Angehörigen der ehemaligen jüdischen Gemeinde (Abb. aus: juedspurenhuenfelderland.de/).
Anlässlich des 80.Jahrestages der Novemberpogrome wurde an dem heute als Parkplatz genutzten ehemaligen Synagogengrundstück (Fürstenberger Straße) eine weitere Gedenktafel angebracht.
In Buchenau - heute zur hessischen Großgemeinde Eiterfeld gehörig – war jüdischen Familien seitens des hiesigen Adels (der Buchonischen Ritterschaft) seit alters her eine Ansässigkeit gegen Schutzgeldzahlungen gestattet. Älteste überprüfbare Hinweise stammen aus der Zeit um 1700. Eine jüdische Gemeinde in Buchenau ist seit der Zeit nach 1800 nachweisbar; um 1830 sollen ihr 18 Haushalte mit fast 70 Personen angehört haben. In den Folgejahrzehnten nahm deren Zahl aber kontinuierlich ab: 1854 zählte man nur noch 32, 20 Jahre später nur noch 17 Personen. 1882 wurde schließlich die Buchenauer Kultusgemeinde aufgelöst und die verbliebenen Juden der Gemeinde Eiterfeld angeschlossen. 1939 lebten im Dorf noch fünf Personen mosaischen Glaubens. Im Sept. 1942 wurden sie nach Theresienstadt deportiert.
2012 wurden in der Hermann-Lietz-Straße fünf sog. „Stolpersteine“ verlegt, die an Angehörige der Familie Rosenstock erinnern.
[vgl. Erdmannrode (Hessen)]
Weitere Informationen:
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 153/154
Otto Berge, Fürstbischof schützt die Juden. Zum Judenpogrom in Eiterfeld (1764), in: "Buchenblätter 1988", S. 114
Rudolf Summa, Zur Geschichte der Juden in Eiterfeld, in: Rudolf Christl (Hrg.), 1150 Jahre Dorf und Markt Eiterfeld. Amt und Gemeinde Fürsteneck 845 – 1995, Eiterfeld 1995, S. 297 – 327
Hartmut Dönch, Über die israelitische Gemeinde und die israelitische Schule in Eiterfeld, in: 1150 Jahre Dorf und Markt Eiterfeld. Amt und Gemeinde Fürsteneck 845 – 1995, Eiterfeld 1995, S. 312 - 327
Eiterfeld mit Buchenau, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Elisabeth Sternberg-Siebert, Jüdisches Leben im Hünfelder Land - Juden in Burghaun, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2001, S. 21 und S. 42/43
Michael Imhof (Hrg.), Juden in Deutschland und 1000 Jahre Judentum in Fulda, hrg. von Zukunft Bildung Region Fulda e.V., Michael Imhof Verlag, Petersberg 2011, S. 283 (Buchenau) und S. 291 – 297 (Eiterfeld)
Elisabeth Sternberg-Siebert, Auf den Spuren jüdischen Lebens im Hünfelder Land (Internet-Präsentation) - zu Eiterfeld und Buchenau unter: juedspurenhuenfelderland.de (mit vielen Informationen)
Christa Desoi (Red.), Verbeugung vor den Opfern. Künstler Gunter Demnig verlegt Stolpersteine gegen das Vergessen in Buchenau, in: „Hersfelder Zeitung“ vom 29.5.2012
Peter Schaaf (Bearb.), Stolpersteine in Buchenau, online abrufbar unter: buchenau.info/archiv/stolpersteine-in-buchenau
Margaretha Reifert-Lutz, Jüdische Gemeinde Eiterfeld (1701 – 1939), online abrufbar unter: juden-in-eiterfeld de (2017) (Anm. u.a. auch mit persönlichen Daten der jüdischen Familien)
Christa Desoi (Red.), Neue Gedenktafel erinnert an Synagoge und jüdische Gemeinde in Eiterfeld, in: „Hersfelder Zeitung“ vom 12.11.2018