Elbing (Westpreußen)

Bildergebnis für schlochau landkarte historischDatei:Kreis Elbing 1818.jpgDatei:Elblag Mapa.PNGNördlich einer 1237 durch den Deutschen Orden errichteten Burg gründeten Lübecker Kaufleute den Ort Elbing, der 1242 das Stadtrecht erhielt. Nach 1945 kam die Stadt unter polnische Verwaltung und heißt heute Elblag mit derzeit ca. 120.000 Einwohnern (Ausschnitte aus hist. Landkarten von ca. 1860 bzw. 1890, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Polen' mit Elblag rot markiert, H. 2004, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

In Elbing war eine der ältesten jüdischen Gemeinden Ostpreußen beheimatet.

Der Ursprung der jüdischen Gemeinde in Elbing ist vermutlich im Zusammenhang der um 1350 stattgefundenen Pestpogrome in Mitteleuropa zu sehen; so flüchteten Juden aus West- und Süddeutschland aus ihrer Heimat nach Osteuropa, u.a. auch in die Region um Elbing. Unter der Ordensherrschaft war jedoch den Juden der Aufenthalt und die Niederlassung offiziell verboten; so hieß es in einem Beschluss des Städtetages von 1435: „ ... und daz kein Jude in das landt zu preußen komme kauffmanschaft daselbst zu treiben nach alder gewohnheit".* Dies hinderte aber einige westpreußische Adlige nicht daran, bisweilen Juden auf ihren Gütern leben zu lassen. Nur zur Marktzeit war Juden Handel und vorübergehender Aufenthalt in Elbing gestattet.

* Anm.: Ähnliche Beschlüsse wurden auch mehrmals unter polnischer Herrschaft auf den Landtagen gefasst.

Elbing zu Beginn des 18.Jahrhunderts (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Als Elbing 1772 preußisch wurde, lebten keine jüdischen Bewohner in der Stadt. Gesuche von Juden, sich in Elbing niederlassen zu dürfen, wurden zunächst stets abgelehnt. Im Jahre 1783 erhielt der erste Jude, Moses Lewin Simon, die Erlaubnis, sich in Elbing dauerhaft aufzuhalten; ihm wurde aber die Auflage gemacht, sich hier nur als Garkoch und Dolmetscher für durchreisende Juden zu betätigen - selbst Handel treiben durfte er zunächst nicht. In den Folgejahrzehnten siedelten sich weitere jüdische Familien an, die ein Schutzprivileg für ganz Preußen besaßen. Nachweisbar ist eine jüdische Gemeinde in Elbing allerdings erst gegen Ende des 18.Jahrhunderts. Die Gewährung gleicher Bürger- und Freiheitsrechte (Edikt vom März 1812) führten zu einem weiteren Zuzug jüdischer Familien, was dem hiesigen Magistrat missfiel; da aber auch ohne dessen Zustimmung die Aufnahme der Juden erfolgte, begnügte man sich, bei jedem einzelnem Falle „wie gewöhnlich feierlich zu protestieren“; derartige Proteste geschahen noch bis 1825.

Zunächst hatte die Gemeinde ihren Betraum in einem Hinterhaus am Alten Markt nahe der Wollweberstraße eingerichtet; schon wenige Jahre später errichtete man eine Synagoge mit ca. 160 Plätzen im Hinterhof eines Hauses in der Sturmstraße; sie wurde 1824 durch den Königsberger Rabbiner Wolff Laserun (Laaseron) eingeweiht. Außerdem wurde ein rituelles Bad erstellt. In Elbing existierte seit Beginn des 19.Jahrhunderts eine private jüdische Schule. Ein neues Gemeindehaus wurde Ende der 1860er Jahre gebaut, die Synagoge wegen der wachsenden Gemeinde vergrößert.

  Teilansicht Synagogeninnenraum (Archiv Lecha Slodownika)

Ein umfassendes Statut (von 1849) regelte insbesondere die Finanzierung der Gemeinde; dabei waren die Gemeindemitglieder – nach ihrem Einkommen – in vier Klassen eingeteilt und entsprechend zur Zahlung von Beiträgen verpflichtet.

Ihren Friedhof legte die kleine Gemeinde 1811/1812 am Nordrand der Stadt an (Kastanienallee). Seitdem mussten Verstorbene zur Bestattung nicht mehr bis in das Dorf Powunden (poln. Powodowo) bei Dollstädt gebracht werden. Auch der ca. 30 Kilometer entfernte andere Bestattungsort Christburg musste nun nicht mehr aufgesucht werden. Zwei Jahre später gründete sich in Elbing ein Beerdigungsverein (Chewra Kadischa).

Hatte die Elbinger Gemeinde bis zum Ersten Weltkriege dem Verbande der Synagogengemeinden Westpreußens angehört, trat sie 1924 dem ostpreußischen Synagogenverbande bei.

Der erste Rabbiner der Gemeinde war Dr. Emanuel Schreiber (geb. 1852 in Leipnik), der allerdings nur kurzzeitig (1875–1878) hier amtierte. Auch seine Nachfolger Dr. Gottlieb Klein und Dr. Max Kopfstein blieben in Elbing nur wenige Jahre. Der letzte in Elbing amtierende Rabbiner war Dr. Siegbert (Jitzchak) Neufeld (geb. 1891 in Berlin).

Nach dem Besuch der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums und der Berliner Universität promovierte Siegbert Neufeld 1914 an der Universität Straßburg; etwa zeitgleich wurde er zum Rabbiner ordiniert. Während des Ersten Weltkrieges war er an der Ostfront als Feldrabbiner eingesetzt. Nach 1918 lebte er zunächst in Insterburg, kam dann 1925 als Gemeinderabbiner nach Elbing. Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges emigrierte er nach Palästina. Anfang der 1950er Jahre kehrte er nach Deutschland zurück und nahm sich der jüdischen Gemeinschaften in Württemberg-Hohenzollern (zumeist osteuropäische DPs) an. Jahre später ging er wieder nach Israel zurück; dort starb er 1971.

Juden in Elbing:

         --- 1812 ..........................  33 jüdische Familien,

    --- 1818 .......................... 255 Juden (1,3% d. Bevölk.),

    --- 1840 .......................... 371   “  ,

    --- 1852 .......................... 474   “  ,

    --- 1864 .......................... 532   “  ,

    --- 1871 .......................... 549   “   (1,7% d. Bevölk.),

    --- 1890 .......................... 484   “   (1,1% d. Bevölk.),

    --- 1905 .......................... 445   “  ,

    --- 1925 .......................... 434   “  ,

    --- 1928 .......................... 462   “  ,

    --- 1933 .......................... 367   “  ,

    --- 1936 (Aug.) ................... 207   “  ,

    --- 1939 (Mai) ....................  53   “  ,

    --- 1942 ..........................  keine.

Angaben aus: Siegbert Neufeld, Geschichte der jüdischen Gemeinde Elbing

und                 The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 1), S. 359

Stadtansicht von Elbing, um 1920 (aus: wikipedia.org, CCO)

 

Um die Jahrhundertwende verursachten schwierige ökonomische Gegebenheiten, dass etliche Familien die Stadt verließen; deren Abwanderung wurde aber durch die Zuzug anderer Familien aus kleineren Orten der Region ausgeglichen. Als Polen nach Ende des Ersten Weltkrieges unabhängig wurde, zogen u.a. auch weitere Juden nach Elbing, wenn auch teilweise nur vorübergehend. Das führte dazu, dass nach 1920 etwa ca. 500 Juden in der Stadt lebten. - Die 1874 gegründete Zigarrenfabrik Loeser & Wolff in Elbing gehörte zu den ersten großen Industrieunternehmen in Ost- und Westpreußen; es beschäftigte in den 1920er Jahren mehr als 4.000 Arbeiter und Angestellte. Das Stammhaus lag in Berlin, Zweigniederlassungen gab es u.a. auch in Braunsberg und Marienburg.

                               Fabrik in Elbing (Abb. aus: jewsineastprussia.de/de/cemetery-elblag-elbing/)

   Unternehmen Loeser & Wolff, Elbing

Während der NS-Zeit wurde der schon länger latent existierende Antisemitismus in Elbing durch die NS-Propaganda noch verstärkt. Repressionen des jüdischen Bevölkerungsteils führten nun in den folgenden Jahren zu einer sich deutlich abzeichnenden Abwanderung aus Elbing. Mitte der 1930er Jahre hatte sich die Zahl der Gemeindeangehörigen innerhalb nur eines Jahrzehnts mehr als halbiert.

In der „Reichskristallnacht“ wurde auch die Elbinger Synagoge ein Opfer der Flammen; in Gegenwart des Oberbürgermeisters der Stadt und mehrerer Gestapo-Beamter setzten SS-Angehörige mit Hilfe der Feuerwehr das Synagogengebäude in Brand, nachdem zuvor alle beweglichen wertvollen Gegenstände herausgeholt und beschlagnahmt worden waren. Auch Geschäfte jüdischer Inhaber waren Ziel gewalttätiger Übergriffe; dabei soll es auch zu Plünderungen gekommen sein. Fast alle sich in der Stadt aufhaltenden jüdischen Männer wurden in Haft genommen. Der letzte in Elbing wirkende Rabbiner, Dr. Siegbert Neufeld, konnte 1939 nach Palästina emigrieren. Über das weitere Schicksal der bis zuletzt in der Stadt lebenden jüdischen Familien ist kaum etwas bekannt.

 

Nach 1945 kehrte kein Jude deutscher Nationalität in seine Heimatstadt zurück.

Die letzten noch verbliebenen Grabsteine des in der Zeit des Nationalsozialismus zerstörten Friedhofs wurden Ende der 1960er Jahre entfernt. Seit 2001 befindet sich an der Stelle des jüdischen Friedhofs inmitten einer Grünanlage ein kleines Denkmal mit der Inschrift:

 In Erinnerung an die Juden von Elblag.

            Der alte jüdische Friedhof von 1812 bis 1945

 

 

 

In Tolkemit (poln. Tolkmicko, derzeit ca. 2.700 Einw.) gab es in früher preußischer Zeit auch winzige jüdische Gemeinde, die aber keinen langen Bestand hatte. 1776 tauchten der erste (Isaak Abraham), 1790 der zweite Jude (Samuel Dodrus) mit seiner Familien im Dorf auf; es folgten dann noch einige weitere.

Isaak Abraham betrieb in Tolkemit ein Manufakturwarengeschäft. Im Obergeschoss seines Hauses richtete er eine Betstube für die kleine jüdische Gemeinschaft ein, die nur wenige Familie umfasste. Ihre Verstorbenen mussten sie im ca. 20 Kilometer entfernten Königsberg begraben. 1803 erhielten sie an der Straße nach Frauenburg einen eigenen Begräbnisplatz zugewiesen.

Nach 1812 verließen die meisten Angehörigen der kleinen Judengemeinde den Ort. Die jüdische Gemeinschaft, die kurzzeitig immerhin ca. 50 bis 60 Personen gezählt hatte, löste sich völlig auf. Von ihrem Friedhof sind keinerlei Spuren mehr vorhanden.

 

 

 

Weitere Informationen:

Theodor Lockemann, Elbing, hrg. vom Magistrat von Elbing, Berlin-Halensee 1926

Max Aschkewitz, Zur Geschichte der Juden in Westpreußen, in: "Wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Ost-Mitteleuropas", Hrg. Johann Gottfried Herder-Institut, No. 81, Marburg 1967

Siegbert Neufeld, Inneres Leben der Elbinger Gemeinde seit dem Bau der Synagoge, in: "Zeitschrift für die Geschichte der Juden" 5/1968, S. 127 ff.

Siegbert Neufeld, Geschichte der jüdischen Gemeinde Elbing, Aufblühen vor dem Untergang, in: G. Schulz (Hrg.), Kritische Solidarität, Betrachtungen zum deutsch-jüdischen Selbstverständnis, o.O. 1971, S. 189 - 207

Hans-Jürgen Schuch, Elbing - Aus 750 Jahren Geschichte der Ordens-, Hanse- und Industriestadt, Berlin/Bonn 1989

Siegbert Neufeld, Geschichte der jüdischen Gemeinde Elbing, Hrg. E.Blau/P.Hoenig/H.V.Schulz-Klingauf, Regensburg 1992 (Neuauflage) (Anmerkung: Dr. Siegbert Neufeld war von 1925 bis 1939 Rabbiner in Elbing.)

Ronny Kabus, Juden in Ostpreußen, Husum 1998, S. 127/128

The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 1), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 359

Gerhard Salinger, Zur Erinnerung und zum Gedenken - Die einstigen jüdischen Gemeinden Westpreußens, Teillband 1 (Regierungsbezirk Danzig), New York 2009, S. 79 – 108 (Elbing) und S. 109 -111 (Tolkemit)

Hans-Joachim Pfau (Bearb.), Synagogen-Gemeinde Elbing (jüdische Gemeinde um 1926), in: "Elbinger Heimathefte" (online abrufbar unter: elbing.de/122801.html)

Jews in East Prussia. History and Culture Society (Hrg.), Friedhof Elbląg – Elbing, online abrufbar unter: jewsineastprussia.de/de/cemetery-elblag-elbing/

Mark Rabideau (Bearb.), Bericht über den Untergang der Synagogengemeinde Elbing / Report on the Destruction of the Elbing Synagogue, online abrufbar unter: many-roads.com (vom 23.1.2013)