Enniger (Nordrhein-Westfalen)

Datei:Ennigerloh in WAF.svg  Enniger mit ca. 3.500 Einwohnern ist heute ein Ortsteil des westfälischen Ennigerloh im Kreis Warendorf im Münsterland – ca. 30 Kilometer südöstlich von Münster gelegen (Kartenskizzen 'Kreis Warendorf', TUBS 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0  und  'Ortsteile Ennigerloh', C. 2018, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0).

 

In den 1760 Jahren erlaubte die Erzbischöflichen Hofkammer Münster zum ersten Mal die Ansiedlung einer jüdischen Familie in Enniger. Im Laufe des 19.Jahrhunderts kamen weitere Familien hinzu; allerdings blieben es stets nur wenige. Etwa 1825/1830 hatten die jüdischen Familien ihre traditionellen Namen zu Gunsten bleibender fester Familiennamen aufgegeben. Die Familien in Enniger lebten in sehr ärmlichen Verhältnissen; so war es einigen nicht einmal möglich, die regelmäßig fälligen Steuern zu entrichten.

Seit den 1830er Jahren verfügte die hiesige Judenschaft über eine in einem Privathaus untergebrachte angemietete Betstube. Als diese vom Vermieter aufgekündigt wurde und ein neues Domizil nicht gefunden werden konnte, entschloss man sich zum Bau eines eigenen Bethauses. Nach 1860 begannen die Planungen für einen Synagogenbau, der um 1870 fertiggestellt und eingeweiht wurde. Für die kleine mittellose Gemeinde, deren Mitglieder vom Vieh- und Kramhandel lebten, bedeutete der relativ aufwändige Neubau an der Dorfstraße (heute Hauptstraße) eine arge finanzielle Belastung; eine Kollekte unter Glaubensbrüdern der Region und private Zuwendungen der christlichen Bevölkerung hatten den Bau unterstützt.

 

Bauzeichnungen der Synagoge in Enniger von 1869 (aus: wikipedia.org, PD-alt-100)

Die Synagoge in Enniger (Dorfstraße) wurde aber nur wenige Jahre genutzt; denn infolge der antijüdischen Ausschreitungen wanderten zunehmend jüdische Familien aus dem Dorf ab. Um 1890 war das Gebäude bereits dem Verfall nahe und wurde verkauft und alsbald teilweise abgebrochen. Gebäudeteile wurden in Nachfolgebauten integriert und blieben bis in die 1970er Jahre erhalten.

Verstorbene Juden Ennigers wurden zunächst auf dem jüdischen Friedhof in Sendenhorst begraben; seit den 1820er Jahren verfügte man dann über ein winziges, weit außerhalb der Ortschaft gelegenes Grundstück, auf dem verstorbene Gemeindeangehörige beerdigt wurden. 

Die kleine jüdische Gemeinschaft in Enniger bildete gemeinsam mit der von Sendenhorst zunächst eine eigene Synagogengemeinde, ehe sie dann als Filialgemeinde Drensteinfurt zugeordnet wurde.

Anm.: Die wenigen Familien in Ennigerloh und Ostenfelde gehörten zur jüdischen Gemeinde Oelde.

Juden in Enniger:

         --- um 1818 .......................   2 jüdische Familien,

    --- 1822 ..........................   3     "        "   ,

    --- 1831 ..........................  17 Juden,

    --- 1840 ..........................  41   "  ,

    --- um 1860 ................... ca.  50   “ (in 8 Familien),

    --- 1871 ..........................  30   “  ,

    --- 1892 ..........................  keine.

Angaben aus: Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen. Reg.bez. Münster, S. 470

und                 Walter Tillmann (Bearb.), Ennigerloh-Enniger, in Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen ..., S. 330/331

 

Als Anfang der 1870er Jahre ein jüdischer Bewohner Ennigers (Herz Spiegel) des Mordes an einer 32jährigen Frau beschuldigt wurde, setzten massive Attacken gegen die jüdische Einwohnerschaft ein, obwohl der Beschuldigte zweifelsfrei nicht als Mörder in Frage kam und die Staatsanwaltschaft auch keine Anklage gegen ihn erhoben hatte. Doch jüdische Dorfbewohner mussten nun Schmähungen über sich ergehen lassen, Wohnhäuser und die Synagoge wurden beschmiert und jüdische Händler boykottiert. Dieser Psychoterror wiederholte sich immer dann wieder, wenn der Jahrestag des Mordes wiederkehrte.

Im Gefolge dieser antisemitischen Attacken kehrten alle jüdischen Bewohner ihrem Heimatort den Rücken; sie übersiedelten nach Ahlen, Vorhelm und Warendorf. Die letzte Familie (Herz Spiegel) verließ im Jahre 1892 Enniger.

In den 1890er Jahren wurde das Synagogengebäude abgebrochen. Der Friedhof blieb zunächst bestehen, ehe dann die Grabstätten in der NS-Zeit dem Erdboden gleichgemacht wurden.

Auf dem kleinen Areal des ehemaligen jüdischen Friedhofs - Grabsteine sind nicht mehr erhalten - entstand Mitte der 1980er Jahre eine kleine Gedenkstätte. Eine auf einem Findling angebrachte Gedenkplatte trägt die Inschrift:

Gibt es einen Schmerz, der unserem Schmerz gleicht ?

Klagelieder des Jeremias, I. Kap., 12.Vers

Zum Gedenken an unsre jüdischen Mitbürger, die hier von 1823 – 1890 ihre letzte Ruhestätte fanden.

Ortsteil Enniger, Stadt Ennigerloh

 

[vgl. Sendenhorst (Nordrhein-Westfalen)]

 

 

In Ostenfelde – heute ebenfalls ein Ortsteil von Ennigerloh – lebten im 19.Jahrhundert einzelne jüdische Familien. Sie gehörten der Synagogengemeinde Oelde an, wo sie Gottesdienste aufsuchten und auch ihre Verstorbenen begruben. In den 1870er Jahren zählte die winzige jüdische Gemeinschaft im Dorf knapp 20 Personen. Die letzten beiden jüdischen Einwohner wurden 1942 deportiert.

 

vgl. Oelde (Nordrhein-Westfalen)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Eugen Stutenkemper, Warum in Enniger keine Juden sind, in: "Die Glocke am Sonntag", No. 8 vom 22.2.1931

Gerda Szcygiel, Die jüdische Synagoge in Enniger aus alten Urkunden ausgegraben, in: "Die Glocke" vom 22./23.6.1974

Egon Stutenkemper, Von der jüdischen Untergemeinde Enniger, in: 750 Jahre Enniger. Hier sin ick to Hus, 1226 – 1976. Heimatbuch der Gemeinde Ennigerloh, Enniger 1976

Marga Spiegel, Retter in der Nacht – Wie eine jüdische Familie in einem münsterländischen Versteck überlegte, Münster 1999  (Anm. Die Familie Spiegel stammte aus Enniger)

Diethard Aschoff, Die „Vertreibung“ der Juden aus Ennigerloh 1873, in: "Jahrbuch für Westfälische Kirchengeschichte", No. 95/2000, S. 253/254

Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen. Regierungsbezirk Münster, J.P.Bachem Verlag, Köln 2002, S. 470 – 473

Urte L. Allkämper, „Grausam ermordet im Kampf um die Tugend ...“ Volkskundliche Aspekte eines Sexualmordes im Münsterland des späten 19.Jahrhunderts, in: "Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde", No. 48/2003, S. 55 - 84

Walter Tillmann (Bearb.), Ennigerloh-Enniger, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Münster, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen XLV, Ardey-Verlag, München 2008, S. 329 – 335

Walter Tillmann (Bearb.), Ennigerloh-Ostenfelde, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Münster, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen XLV, Ardey-Verlag, München 2008, S. 335 – 337

Eva Osterholt (Red.), Judenverfolgung in Enniger: „Hei hät´t doch daohn!“, in: „Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben“ vom 1.8.2012

jahö (Red.), Erinnerung an jüdisches Leben in Enniger, in: „Die Glocke“ vom 7.11.2019

Hinweis: mehrere kurze Aufsätze über die jüdischen Familien von Enniger sind in der lokalen Zeitschrift „Die Glocke am Sonntag“ in Ausgaben der 1980er Jahre zu finden