Ermershausen (Unterfranken/Bayern)

Karte Unterfrankens mit Landkreisen und Kreisstädten  Datei:Ermershausen in HAS.svg Ermershausen (Landkreis Haßberge) mit seinen derzeit kaum 600 Bewohnern ist die kleinste Gemeinde Unterfrankens und Mitglied der Verwaltungsgemeinschaft Hofheim – ca. 30 Kilometer westlich von Coburg bzw. ca. 40 Kilometer nordöstlich von Schweinfurt gelegen (Kartenskizzen 'Unterfranken', aus: bezirk-unterfranken.de  und  'Landkreis Haßberge', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Das Dorf Ermershausen besaß eine relativ große jüdische Gemeinde, der zu Beginn des 19.Jahrhunderts mehr als 120 Angehörige (ca. ein Viertel der Dorfbevölkerung) angehörten. Bei der Erstellung der Matrikellisten (1817) waren für Ermershausen insgesamt 23 Familienvorstände aufgeführt.

Dioe Kultusgemeinde verfügte über eine wohl um 1850 neu errichtete Synagoge, eine einklassige Schule und ein Ritualbad; bereits im 18.Jahrhundert war ein Betsaal vorhanden gewesen.

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20462/Ermershausen%20Haus%20David%20Kissinger%20um%201900.jpgGebäude der Synagoge, links: Anbau jüdische Schule (privat: Elizabeth Levy)

David Kissinger (geb. 1860) fungierte jahrzehntelang als jüdischer Lehrer in Ermershausen; er war der Großvater des späteren US-Außenministers Henry Kissinger (hist. Aufn. Elizabeth Levy).

    aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 28.2.1924

Im Bereich der Wohlfahrtspflege war ein in Ermershausen gegründeter Israelitischer Frauenverein ("Heilige Schwesternschaft“) aktiv tätig.

Ein eigenes Friedhofsgelände war Anfang der 1830er Jahre weit außerhalb des Dorfes in Richtung Maroldsweisach angelegt worden. Hier fanden auch die verstorbenen Juden aus Maroldsweisach und Altenstein ihre letzte Ruhe. In den Jahrzehnten zuvor war der jüdische Friedhof in Ebern genutzt worden.

Die Kultusgemeinde Ermershausen gehörte zum Rabbinatsbezirk Burgpreppach.

Juden in Ermershausen:

         --- 1762 ........................  10 jüdische Familien,

    --- um 1785 .....................  14     "        "   ,

    --- 1800 ........................ 126 Juden,

    --- 1817 ........................ 119   "   (in 23 Familien),

    --- 1825 ........................ 124   “   (ca. 25% d. Bevölk.),

    --- 1854 ........................ 121   “  ,

    --- 1871 ........................  85   “   (ca. 15% d. Bevölk.),

    --- 1885 ........................  97   “  ,

    --- 1890 ........................ 113   “   (ca. 18% d. Bevölk.),

    --- 1900 ........................ 104   “  ,

    --- 1910 ........................  70   “   (ca. 12% d. Bevölk.),

    --- 1925 ........................  67   “  ,

    --- 1933 ........................  58   “   (ca. 10% d. Bevölk.),

    --- 1937 (März) .................  49   “  ,

    --- 1939 (Mai) ..................  33   “  ,

    --- 1942 (Febr.) ................  18   “  ,

             (Apr.) .................   3   “  .

Angaben aus: Baruch Z.Ophir/F. Wiesemann (Hrg.), Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945, S. 286

und                 Cordula Kappner, Aus der jüdischen Geschichte des heutigen Landkreises Hassberge

und                 W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … - Synagogengedenkband Bayern, Teilband III/2.1: Unterfranken, S. 482

 

Die meisten jüdischen Familien bestritten ihren Lebensunterhalt vom Viehhandel; im Nebenerwerb betrieben sie meist eine kleine Landwirtschaft, die ihnen nach 1933 noch ein Auskommen sicherte. In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts hatten einige jüdische Familien am Ort kleine Geschäfte eröffnet.

Im Gegensatz zu den Nachbarorten soll zwischen „arischen“ und jüdischen Einwohnern ein ‚normales’ Verhältnis bestanden haben.

In der Pogromnacht zerstörten SA-Leute die Inneneinrichtung der Synagoge und vernichteten die rituellen Gegenstände; die Juden wurden gezwungen, eigenhändig die Thorarollen zu verbrennen. Die meisten jüdischen Männer wurden „in Schutzhaft“ genommen und anschließend ins KZ Dachau überführt. Einige verängstige jüdische Bewohner fanden vorläufige Aufnahme bzw. ein Versteck bei einigen Bauernfamilien, andere hatten sich aus Ermershausen schleusen lassen. Die meisten Ermershausener Juden konnten emigrieren, vor allem in die USA. Diejenigen, die im Dorf zurückblieben, wurden Ende April 1942 von Würzburg in Richtung Izbica (bei Lublin) deportiert. Drei alte Leute wurden in ein Altersheim nach Schweinfurt gebracht, von wo sie ins Ghetto Theresienstadt abtransportiert wurden. 1942 wurde die jüdische Gemeinde offiziell aufgelöst.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 37 gebürtige bzw. längere Zeit in Ermershausen ansässig gewesene jüdische Bürger Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/fermershausen_synagoge.htm).

 

Das einstige Synagogengebäude in der Hauptstraße blieb äußerlich erhalten und wurde zum Wohnhaus umgebaut.

Auf dem mehr als einen Kilometer vom Ortsausgang liegenden Friedhof - er besitzt eine Fläche von ca. 2.000 m² - sind noch ca. 220 Grabsteine erhalten. Eine Gedenktafel an der Außenmauer des Friedhofs weist auf die frühere Existenz der jüdischen Gemeinde hin; die Beschriftung lautet:

Zum Gedenken an unsere ehemaligen jüdischen Mitbürger

aus Ermershausen und Maroldsweisach

ZUR ERINNERUNG UND MAHNUNG

Ermershausen-5926.jpg

Eingangstor zum jüdischen Friedhof (Aufn. J. Hanke) und Teilansicht (Aufn. Dietrich Krieger, 2012, aus: wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)

Ermershausen-5950.jpgErmershausen-5930.jpgErmershausen-5943.jpgalte Grabsteine (Dietrich Krieger, 2012)

Die Kommune Ermershausen hat sich - wie zahlreiche andere unterfränkische Kommunen – mit einer „Koffer-Skulptur“ am Erinnerungsprojekt „DenkOrt Deportationen 1941-1944“ beteiligt; diese wurde zusammen mit einer Gedenktafel, die an die deportierten 18 Männer, Frauen und Kinder aus Ermershausen erinnert, am Volkstrauertag 2020 der Öffentlichkeit übergeben.

Die Doublette des Gepäckstückes (Aufn. Rotraud Ries, 2020) befindet sich am zentralen Gedenkort nahe des Würzburger Hauptbahnhofs (zum Projekt vgl. Würzburg).

 

 

 

Weitere Informationen:

Baruch Z.Ophir/F. Wiesemann (Hrg.), Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München/Wien 1979, S. 286/287

Gerhard Wilhelm Daniel Mühlinghaus, Der Synagogenbau des 17. u. 18.Jahrhunderts im aschkenasischen Raum, Dissertation, Philosophische Fakultät Marburg/Lahn, 1986, Band 2, S. 115

Martin Meiser/Adolf Höhn (Bearb.), Jüdische Familien in Ermershausen, Maschinenmanuskript (unveröffentlicht), um 1988

Israel Schwierz, Steinerne Zeugen jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 54/55

Michael Trüger, Der jüdische Friedhof in Ermershausen, in: "Der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern", 8.Jg., No. 58/1993, S. 26

Cordula Kappner, Aus der jüdischen Geschichte des heutigen Landkreises Hassberge, Hrg. Landratsamt Hassberge, Hassfurt 1998

Cordula Kappner, Die jüdische Gemeinde in Ermershausen, in: Hans Staritz (Hrg.), 950 Jahre Ermershausen. Chronik der Gemeinde Ermershausen (Festschrift), Ermershausen 1999, S. 136 - 157

Dirk Rosenstock (Bearb.), Die unterfränkischen Judenmatrikeln von 1817. Eine namenkundliche und sozialgeschichtliche Quelle, in: "Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg", Band 13, Würzburg 2008, S. 155/156

Ermershausen, in: alemannia-judaica.de (mit diversen, zumeist personenbezogenen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Landkreis Haßberge (Hrg.), Die jüdischen Friedhöfe im Landkreis Haßberge, 2014, S. 7 (als PDF-Datei vorhanden)

Beate Dahinten (Red.), Ein Koffer für Ermershausen. Gedenken an ermordete Juden, in: "Main-Post" vom 11.4.2018

Beate Dahinten (Red.), Die Verfolgung der Ermershäuser Juden, in: „Main-Post“ vom 3.12.2019

Gerhard Schmidt (Red.), Als die „Schmuser“ noch aktiv waren, in: „Neue Presse“ vom 15.2.2020

Beate Dahinten (Red.), „Koffer aus Stein“ soll am 21.April übergeben werden, in: „Main-Post“ vom 16.2.2020

Beate Dahinten (Red.), Ermershausen gedenkt der deportierten jüdischen Mitbürger, in: „Main-Post“ vom 15.11.2020

Axel Töllner/Hans-Christof Haas (Bearb.), Ermershausen, in: W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … - Synagogengedenkband Bayern, Teilband III/2.1: Unterfranken, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2021, S. 471 - 484