Eschau (Unterfranken/Bayern)

Datei:Eschau in MIL.svgEschau Schilder Eschau ist ein Markt mit derzeit ca. 4.000 Bewohnern im unterfränkischen Landkreis Miltenberg – ca. 25 Kilometer südöstlich von Aschaffenburg gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Miltenberg', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org CC BY-SA 3.0).

 

In dem Dörfchen Eschau haben sich vermutlich bereits im späten Mittelalter jüdische Händler zeitweilig aufgehalten, die auf dem Weg durch das Untermaingebiet und den Spessart waren. Bei der Erstellung der Matrikellisten (1817) waren für Eschau acht jüdische Familienvorstände aufgeführt. Die jüdischen Familien standen unter dem Schutz der evangelischen Grafen von Erbach-Erbach, denen sie abgabenpflichtig waren.

Wann genau eine israelitische Gemeinde in Eschau und Sommerau entstanden ist, lässt sich nicht eindeutig belegen; sicher ist, dass um 1820 im Hinterhof eines bäuerlichen Anwesens am heutigen Mathenberg ein kleines, zweigeschossiges Gebäude als gottesdienstlicher Versammlungsort diente. Der Betraum hatte hohe Fenster mit blauer Verglasung und war ebenerdig gelegen; eine schmale Empore mit Sichtgitter befand sich im rückwärtigen Teil des Raumes. In der Synagoge erhielten die jüdischen Kinder Eschaus und Sommeraus zweimal wöchentlich Religionsunterricht; auch in Röllbach, Klingenberg und Wörth, den umliegenden kleinen Ortschaften hielt der Eschauer Lehrer und Kantor regelmäßig Unterricht ab.

aus: „Der Israelit“ vom 17.5.1876 und 1.11.1882

Von dem mehr als vier Jahrzehnte in Eschau tätigen Lehrer Leopold Lehmann, der sich in der Gemeinde sozial engagierte, stammte der Aufruf zur Unterstützung eines in Not geratenen Gemeindemitglieds (vom Juni 1908). Eine Würdigung seiner Verdienste um die Gemeinde wurde ihm anlässlich seines 50jährigen Dienstjubiläums zu teil.

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aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25.6.1908 und vom 26.4.1934

Zu den gemeindlichen Einrichtungen der Eschauer Judenschaft gehörte auch eine Mikwe, die zwischen Eschau und dem Flüsschen Elsava gelegen war.

Über ein eigenes Begräbnisgelände verfügten die Eschauer Juden nicht; sie begruben ihre Verstorbenen auf dem bereits im 16.Jahrhundert angelegten Bezirksfriedhof in Reistenhausen. Auf dem Weg zum Begräbnis mussten die Trauernden den um den Mönchsberg führenden „Judenpfad“ benutzen, da der Leichenzug nicht durch den Ort ziehen durfte.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20148/Reistenhausen%20Friedhof%20124.jpghttp://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20148/Reistenhausen%20Friedhof%20120.jpg

jüdischer Friedhof Reistenhausen (Aufn. J. Hahn, 2008, aus: alemannia-judaica.de)

Zuletzt unterstand die kleine Gemeinde dem Distriktrabbinat Aschaffenburg.

Juden in Eschau:

         --- 1808 ........................  9 jüdische Familien,

    --- 1817 ........................  8     "        "   ,

    --- 1824 ........................ 77 Juden,

    --- um 1830 ..................... 96   "  (in 17 Familien),

    --- 1838 ........................ 84   "  ,

    --- 1848 ........................ 71   "  (in 15 Familien),

    --- 1867 ........................ 41   “  (in 10 Familien),

    --- um 1900 ..................... 31   "  (in 5 Familien),

    --- 1910 ........................ 22 Juden,

    --- 1925 ........................ 21   "  ,

    --- um 1930 ................. ca. 20   “  ,

    --- 1938 ........................ eine Jüdin.

Angaben aus: Eva Maria Schlicht, “Diese Worte sollst du zu Herzen nehmen ..."

und                 Synagogen-Gedenkband Bayern (Unterfranken), Band III/1, S. 391

 

 


 

 

 

 

 

 

Hauptstraße in Eschau um 1900 (hist. Aufn., aus: otto-pfeifer.de) 

Wichtigster Gewerbezweig der Eschauer Juden war der Vieh- und Pferdehandel und die Metzgerei; so soll es um 1900 im Ort fünf koschere Metzgereien gegeben haben. Zu Beginn der 1930er Jahre lebten in Eschau nur noch ca. 20 Juden. Als dann auch hier die ersten antisemitischen „Aktionen“ einsetzten und potenzielle Käufer von den wenigen jüdischen Geschäften ferngehalten wurden, wanderten auch die letzten Familien aus. Sachbeschädigungen und Diebstähle jüdischen Eigentums und die für alle sichtbare Plakatierung „Eschau hat Juden abzugeben“ hatten dazu beigetragen.

Die kleine Synagoge wurde bis 1934 genutzt; Jahre zuvor hatten sich hier auch Juden aus Sommerau zu Gottesdiensten eingefunden, da ihre eigene Synagoge zu diesem Zeitpunkt bereits geschlossen war. Als auch die letzten jüdischen Familien abwanderten, gab der Kantor Leopold Lehmann die hiesige Synagoge auf; Ritualien waren zuvor der Aschaffenburger Kultusgemeinde übergeben worden; dort wurden sie während des Novemberpogroms 1938 zerstört. Nur eine hochbetagte Jüdin blieb allein im Dorf zurück; sie wurde Ende 1938 in ein Altersheim nach Aschaffenburg eingewiesen.

Am 23. November 1938 meldete die Gendarmeriestation Eschau: „Der ganze Dienstbezirk ist jetzt judenfrei.“

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden sechs gebürtige jüdische Bewohner von Eschau Opfer der "Endlösung" (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/eschau_synagoge.htm).

 

Das an einen Nachbarn veräußerte, inzwischen marode gewordene Synagogengebäude wurde lange Jahre als Scheune/Stallung genutzt und in den 1970er Jahren abgerissen. Beim Abriss des Gebäudes fand man im Dachboden Reste einer Genisa.

An der Außenfront des Historischen Rathauses erinnert der Markt Eschau an ehemalige jüdische Bewohner, die in der NS-Zeit deportiert und ermordet wurden; der Inschriftentext lautet: "Der MARKT ESCHAU widmet diese Gedenktafel seinen durch nationalsozialistische Gewaltherrschaft vertriebenen jüdischen Mitbürgern und ihren verfallenen Kultstätten in den Ortsteilen  ESCHAU – Am Matzberg 4  -  HOBBACH – Dorfstraße 52 und Brunnenstraße (fr. Judengasse)  -  SOMMERAU – Elsavastr.141."

Auf die Verlegung von sog. „Stolpersteinen“ wurde von der Ortsvertretung bewusst verzichtet. Wie zahlreiche andere unterfränkische Kommunen hat sich auch Eschau am zentralen Projekt "DenkOrt Deportationen 1941-1944" mit einer Koffer-Skulptur beteiligt, die von der Künstlerin Karin Günther aus Sommerau gestaltet wurde. Seit 2023 ist nun auch in Eschau die Doublette der Skulptur zu sehen.

           Aufn. Wolfgang Günther, 2021, aus: denkort-deportationen.de

 

 

 

In Sommerau (heute ein Ortsteil von Eschau) bestand in enger Verbindung zur israelitischen Gemeinde Eschau eine kleine Kultusgemeinde, deren Entstehung in die letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts zurückreicht. Die hiesigen Juden unterstanden den Freiherren von Fechenbach und dem Kurfürstentum Mainz, denen sie Schutzgeld und Gebühren (Miete für ihre Wohnungen) zu entrichten hatten. Neben 20 christlichen Familien waren um 1800 14 jüdische Familien im Dorf wohnhaft.

Bei der Erstellung der Matrikellisten (1817) sind für Sommerau zwölf Familien genannt, die vor allem mit Viehhandel ihren Lebensunterhalt bestritten. Die kleine Gemeinde zählte gegen Ende des 19.Jahrhunderts noch ca. 30 Angehörige; sie gehörte - wie auch Eschau - dem Rabbinat in Aschaffenburg an..
Trotz ihrer nur wenigen Gemeindemitglieder verfügte die Gemeinde in Sommerau über eine Synagoge/Betraum (eingerichtet um 1790), sowie vermutlich auch über ein rituelles Bad. Zur Verrichtung religiöser Aufgaben war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts - gemeinsam mit Eschau und anderen Nachbarorten - ein Religionslehrer angestellt. Elementarunterricht erhielten die jüdischen Kinder in der katholischen Schule in Eschau.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20113/Eschau%20Israelit%2017051876.jpg Stellenanzeige aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 17.März 1876

Verstorbene wurden auf dem jüdischen Friedhof in Reistenhausen beerdigt.

Um 1925 lebten im Dorf noch zehn Jüdinnen/Juden, Anfang der 1930er Jahre waren es dann nur noch vier Personen. 1934 wurde die jüdische Gemeinde Sommerau offiziell aufgelöst, ein Jahr später das Synagogengebäude an eine Privatperson veräußert, die es zum Wohnhaus umbauen ließ.

Während der Novembertage 1938 wurde das Wohnhaus des einzigen hier noch lebenden jüdischen Ehepaares von NSDAP-Angehörigen ausgeraubt und die Einrichtung demoliert.

Die an den Gewalttätigkeiten vom Nov. 1938 beteiligten Männer wurden 1948 vom Landgericht Aschaffenburg zu kurzzeitigen Gefängnisstrafen verurteilt.

 

 

 

In Hobbach (heute Ortsteil von Eschau mit derzeit ca. 800 Einwohnern) bestand von ca. 1700 bis kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges eine jüdische Kultusgemeinde. Gegen Mitte des 18.Jahrhunderts lebten im Dorf 14 jüdische Familien. Aus dieser Zeit stammte auch die Synagoge, die eigentlich in den 1860er Jahren durch einen Neubau ersetzt werden sollte; doch zunehmende Abwanderung der Gemeindeangehörigen machten diese Pläne zunichte.

Bis gegen Ende der 1870er Jahre beschäftigte die kleine Gemeinde – gemeinsam mit Nachbarorten - auch einen eigenen Lehrer/Vorbeter; danach wurden die jüdischen Kinder vom Eschauer Lehrer unterrichtet.

                        http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20113/Eschau%20Israelit%2001111882.jpg

Anzeigen aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 11.Sept. 1872 und vom 1.November 1882

Mit der Auflösung der Gemeinde (1920) ging das Synagogengebäude in private Hände über; wenige Jahre danach wurde es abgerissen und auf dem Gelände ein landwirtschaftlich genutztes Gebäude erstellt.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind drei aus Hobbach stammende Jüdinnen der "Endlösung" zum Opfer gefallen (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/hobbach_synagoge.htm).

 

 

 

Weitere Informationen:

Baruch Z.Ophir/F. Wiesemann (Hrg.), Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München/Wien 1979, S. 288

Eva Maria Schlicht, “Diese Worte sollst du zu Herzen nehmen und sollst sie über deines Hauses Pfosten schreiben und an deine Tür”. Der alte David Strauß II in Eschau hat das getan, an seiner Haustür war eine Mesusah, in: "Spessart - Monatszeitschrift für die Kulturlandschaft Spessart", No.9/1982, S. 8 - 13

Eva Maria Schlicht, Die tödliche Idylle. Das Jendele von Eschau und ....., in: Sendung im "Bayrischen Rundfunk" am 10.März 1983

Gerhard Wilhelm Daniel Mühlinghaus, Der Synagogenbau des 17. u. 18.Jahrhunderts im aschkenasischen Raum, Dissertation, Philosophische Fakultät Marburg/Lahn, 1986, Band 2, S. 118

Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 55 (Eschau) und S. 71 (Hobbach)

Eschau, in: alemannia-judaica.de (mit zumeist personenbezogenen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Fotosammlung historischer Aufnahmen vom Heimatforscher Otto Pfeifer, online abrufbar unter: otto-pfeifer.de

Sommerau, in: alemannia-judaica.de

Hobbach, in: alemannia-judaica.de

Dirk Rosenstock (Bearb.), Die unterfränkischen Judenmatrikeln von 1817. Eine namenkundliche und sozialgeschichtliche Quelle, in: "Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg", Band 13,. Würzburg 2008, S. 181

Axel Töllner/Cornelia Berger-Dittscheid (Bearb.), Eschau und Sommerau, in: W.Kraus/H.-Chr.Dittscheid/G.Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine ... Synagogen-Gedenkband Bayern, Band III/1 (Unterfranken), Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2015, S. 383 - 394

Eine Gedenktafel erinnert an die Opfer des Holocaust aus Eschau und Sommerau (2015) - mit Text- u. Bilddokumenten der Wanderausstellung „Mitten unter uns. Landjuden in Unterfranken vom Mittelalter bis ins 20.Jahrhundert", online abrufbar unter: docplayer.org/4343241

Otto Pfeifer, Vortrag zu den NS-Opfern aus Eschenau-Hobbach-Sommerau am 9.6.2015 (online unter: docplayer.org/43432410)

N.N. (Red.), Holocaust-Gedenkkoffer in Eschau enthüllt – Kunstwerk erinnert an Deportation von vier jüdischen Bürgern, in: „Main-Echo“ vom 2.5.2023