Eschweiler (Nordrhein-Westfalen)

Datei:Eschweiler in AC (2009).svg Eschweiler ist eine Stadt mit derzeit ca. 56.000 Einwohnern in der Region Aachen (Ausschnitt aus hist. Landkarte von 1905, aus: wikipedia.org gemeinfrei  und  Kartenskizze 'Städteregion Aachen', TUBS 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

Ansicht von Eschweiler um 1900 (Abb. Institut für Landeskunde u. Regionalgeschichte)

 

In Eschweiler sind erstmals gegen Mitte des 18.Jahrhunderts jüdische Bewohner nachweisbar; erstmals namentlich genannt wurde 1768 ein gewisser Isaac Cossmann. Mit der industriellen Entwicklung der Stadt ab Mitte des 19.Jahrhunderts zogen nun mehr jüdische Familien nach Eschweiler; sie ließen sich bevorzugt in der "Judenstraße", der heutigen Indestraße, nieder, wo sie ihre Geschäfte und Gewerbebetriebe hatten.

Nachdem die Eschweiler Gemeinde um 1870 zunächst ein Gebäude zu gottesdienstlichen und pädagogischen Zwecken erworben hatte, ließ die Gemeinde 1890/1891 einen Synagogenneubau in der heutigen Moltkestraße - direkt neben der evangelischen Kirche - errichten. Das neue Gotteshaus wurde im September 1891 durch den Kölner Rabbiner Dr. Abraham Frank feierlich eingeweiht.

                                Synagoge (Ausschnitt aus hist. Bildpostkarte)

Schulunterricht für die jüdischen Kinder fand zunächst in ständig wechselnden Privaträumen statt; ab 1870 war in dem Gebäude „Am Langwahn 43“ neben einem Betsaal auch eine private Elementarschule untergebracht. Um 1905 erhielt diese Bildungseinrichtung öffentlichen Status und wurde damit von der Kommune finanziert. Zunächst gehörten die Eschweiler Juden dem Synagogenverband Jülich an; nach mehrmaligen vergeblichen Versuchen, sich vom Synagogenverband zu lösen, erlangte die Eschweiler Synagogengemeinde gegen Mitte der 1920er Jahre ihre Selbstständigkeit; ihr gehörten auch die Juden von Gressenich und Kinzweiler an.

Ein eigener Friedhof ist seit ca. 1820 an der Straße nach Langerwehe nachweisbar. Neben der Chewra Kadischa (Beerdigungsbruderschaft) gab es bis in die 1930er Jahre in Eschweiler noch zwei weitere Vereine der jüdischen Gemeinde, nämlich die Chewra Dallim (sog. Wanderfürsorge-Verein) und den Israelitischen Frauenverein.

Juden in Eschweiler:

         --- um 1805 ........................   30 Juden,

    --- 1926 ...........................   31   "  ,

    --- 1850 ........................... einige (?) jüdische Familien,

    --- 1872 ...........................  150 Juden,

    --- 1895 ...........................  155   “  ,

    --- 1905 ...........................  133   “  ,

    --- 1911 ...........................  143   “  ,

    --- 1933 ...........................  122   “  ,*       * andere Angabe: 107 Pers.

    --- 1939 ....................... ca.   45   "  ,

    --- 1943 ...........................   keine.

Angaben aus: Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil I: Reg.bez. Köln, S. 57

 

Der autonome Status wurde der Gemeinde - zeitgleich mit der Boykottierung jüdischer Geschäfte - am 1.April 1933 aberkannt. Die Schule wurde geschlossen. Noch am Vortage hatte die Synagogengemeinde Eschweiler die folgende Verlautbarung veröffentlicht, in der es hieß:

Wir erheben hiermit feierlich Protest gegen die Greuelmeldungen des Auslands und gegen jede feindselige Einstellung gegenüber unserem deutschen Vaterlande. Wir sind aufs innerste überzeugt, daß die deutschen Juden in ihrer gefühlsmäßigen Verbundenheit mit dem deutschen Volke gewillt und entschlossen sind, an dem Aufbau und Aufstieg des Vaterlandes mitzuarbeiten. Wir verbitten uns jede Einmischung in die inneren Verhältnisse Deutschlands. Ein Telegramm ist bereits am 29. März 1933 an den Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubensbekenntnisses abgegangen.

                                                                                                       Ortsgruppe und Synagogengemeinschaft Eschweiler

Diese Verlautbarung konnte nicht verhindern, dass am Morgen des 1.April SA-Posten vor jüdischen Geschäften aufzogen. Ende des Jahres startete die Eschweiler Kaufmannschaft die Aktion „Deutsche, kauft nur in deutschen Geschäften“ ; sie wurde von einer von der „Reichsbetriebsgemeinschaft Handel und Handwerk“ initiierten Versammlung begleitet, die die Eschweiler Bürger auf antijüdischen Kurs bringen sollte. 1933/1934 wanderten nur wenige jüdische Familien aus; die meisten blieben.

In der Pogromnacht wurde die Eschweiler Synagoge in der Moltkestraße von SA-Angehörigen in Brand gesetzt und völlig zerstört. Auf Anweisung der NSDAP-Ortsgruppenleitung durfte die angerückte Feuerwehr den Synagogenbrand nicht bekämpfen, sondern sich nur auf ein Übergreifen der Flammen auf die Nachbarhäuser beschränken. Zunächst wurden Eschweiler Juden in einer Baracke kaserniert, danach in ein anderes Sammellager umquartiert und von dort abtransportiert; mehr als 50 Juden Eschweilers wurden in die „Lager des Ostens“ deportiert.

 

Der jüdische Friedhof in Eschweiler an der Talstraße/Grachtstraße war 1945 fast völlig zerstört, wurde nach dem Kriege aber wiederhergerichtet; die Grabsteine wurden flach auf den Erdboden gelegt.

             Friedhof in Eschweiler (Aufn. P., 2010, aus: wikipedia.org, CC BY 3.0)

Im Jahre 1960 stellte man einen großen, mit einem Relief versehenen Gedenkstein auf.

Seit November 1988 erinnert ein großer Felsblock vor der evangelischen Dreieinigkeitskirche/Martin-Luther-Haus (Moltkestr.) an die einstige Synagoge Eschweilers (Aufn. 2006, aus: wikipedia.org, CCO); eine dort angebrachte Tafel trägt die folgende Inschrift:

An der Moltkestraße befand sich die Synagoge unserer jüdischen Mitbürger.

Sie fiel am 9.Nov. 1938 dem NS-Terror zum Opfer.

 

Beginnend 2008 wurden im Stadtgebiet von Eschweiler bislang insgesamt mehr als 60 sog. „Stolpersteine“ in die Gehwegpflasterung verlegt (Stand 2023); die meisten messingfarbenen Steinquader erinnern an jüdische NS-Opfer.

Abb. aus: eschweiler-juden.de

            undefined verlegt in der Grabenstraße (Aufn. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

 

Im Ortsteil Weisweiler wohnten - noch früher als in Eschweiler - jüdische Familien; die ersten sollen sich hier schon ab Mitte des 16.Jahrhunderts hier angesiedelt haben. Ihren zahlenmäßigen Höchststand erreichte die Weisweilerer Gemeinde gegen Mitte des 19.Jahrhunderts mit knapp 70 Personen. Die Weisweiler Juden waren vor allem als Kaufleute und als Vieh- und Pferdehändler tätig. Einen Synagogenraum gab es bereits um 1760 in einem Hinterhaus eines Gebäudes in der Hauptstraße; etwa 100 Jahre später wurde eine neue Synagoge eingerichtet. Seit 1844 existierte es eine jüdische Privatschule am Ort. Der jüdische Friedhof von Weisweiler - einer der ältesten im Rheinland - war direkt neben der Zeche (Langerweher Straße) gelegen; die ältesten noch vorhandenen Grabsteine stammen aus der Zeit gegen Ende des 17.Jahrhunderts.

Jüdischer Friedhof Weisweiler 01.JPG

Jüdischer Friedhof Weisweiler - Informationstafel (beide Aufn. P., 2010, aus: wikipedia.org, CC BY 3.0)

Anm.: Im Rahmen eines Schulprojektes (1998) entdeckten Schüler des Franziskus-Gymnasiums auf dem ältesten Teil des Friedhofes 14 bis dahin unbekannte Grabsteine; diese wurden restauriert und wieder aufgestellt.

Zu Beginn der NS-Zeit lebten nur noch 23 Juden in Weisweiler. Während der Novembertage 1938 demolierten Nationalsozialisten den Betsaal und verbrannten die gesamte Einrichtung auf dem Marktplatz.

Heute erinnert eine schlichte Tafel an der Hauptstraße 42 daran, dass sich im Hinterhof ehemals der jüdische Betraum befand; das Gebäude war im Krieg stark zerstört worden.

 

 

 

Weitere Informationen:

Yehuda Radday, Hebräische Grabinschriften auf den jüdischen Friedhöfen in Weisweiler und Langerwehe, in: "Dürener Geschichtsblätter", No. 69/1980, S. 5 – 61

Simon Küpper, Sie lebten mitten unter uns - Juden in Eschweiler, in: "Schriftenreihe des Eschweiler Geschichtsvereins", Band 11/1989, S. 78 - 95

Pütz/Wanka/Schröteler (Autorenteam), Friedhof Weisweiler. Jüdische Kultur in Deutschland einst und jetzt am Beispiel einer Landgemeinde im rheinischen Großraum - Dokumentation eines Annäherungsversuches, Düren 1995

Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil I: Regierungsbezirk Köln, J.P.Bachem Verlag, Köln 1997, S. 57 - 65

Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 in Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 159 – 161 und S. 553

Eschweiler Geschichtsverein (Hrg.), Vom Rheinland ins Heilige Land - Erinnerungen von Julius Kaufmann-Kadmon aus Eschweiler 1887 - 1955, Eschweiler 2004

Andreas Gabbert (Red.), Stolpersteine: Damit die Opfer nicht vergessen werden, in: „Aachener Nachrichten“ vom 13.12.2011

Friedhelm Ebbecke-Bückendorf (Bearb.), Stolpersteine in Eschweiler, in: eschweiler-juden.de (mit biografischen Angaben zu den Opfern)

Friedhelm Ebbecke-Bückendorf (Bearb.), Die Vereine der Synagogengemeinde in Eschweiler, online abrufbar unter: eschweiler-juden.de/pages/posts/die-vereine-der-synagogengemeinde-in-eschweiler-20.php

Horst Schmidt (Bearb.), Juden in Eschweiler. Eine Zeittafel, in: "Schriftenreihe des Eschweiler Geschichtsvereins", Band 29/2014

Sonja Essers (Red.), Stolpersteine: Erinnerungen an Opfer der Nazi-Häscher, in: „Aachener Zeitung“ vom 25.5.2015

Rudolf Briefs, Vom Schicksal der Juden in Eschweiler und Wiesweiler in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts. Ein Beitrag zum Thema Zeitgeschichte, 2016

Haro von Laufenberg, „Reichskristallnacht“ 1938 in Eschweiler, online abrufbar unter: laudismonte.de/bibliothek/studientexte/novemberpogrom-1938-die-brandstiftung-an-der-eschweiler-synagoge.html

Friedhelm Ebbecke-Bückendorf (Bearb.), Juden in Eschweiler, online abrufbar unter: eschweiler-juden.de

Auflistung der in Eschweiler verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Eschweiler

Friedhelm Ebbecke-Bückendorf (Bearb.), Stolpersteine, online abrufbar unter: eschweiler-juden.de/pages/stolpersteine.php (Anm. Namensliste mit biografischen Angaben)

Friedhelm Ebbecke-Bückendorf (Bearb.), Reichskristallnacht 1938 in Eschweiler – eine Übersicht, in: "Schriftenreihe des Eschweiler Geschichtsvereins", Band 31/2018

Friedhelm Ebbecke-Bückendorf (Red.), Neue Spuren von Eschweiler Opfern der NS-Zeit entdeckt, in: „Aachener Nachrichten“ vom 31.7.2018

Friedhelm Ebbecke-Bückendorf (Red.), Vier weitere Stolpersteine in Eschweiler. Nazi-Gegner wurden in Konzentrationslagern umgebracht, in: „Aachener Zeitung“ vom 4.7.2019

Friedhelm Ebbecke-Bückendorf (Red.), Neue Stolpersteine für Eschweiler. in: „Aachener Zeitung“ vom 25.11.2020

Friedhelm Ebbecke-Bückendorf (Red.), Sechs Gedenktafeln, sechs Menschen, sechs Schicksale, in: „Aachener Nachrichten“ vom 1.11.2021

Friedhelm Ebbecke-Bückendor (Red.), Neuer Platz gefunden – Die zehn Gebote aus der Weisweiler Synagoge, in: "Aachener Zeitung“ vom 5.4.2023