Essingen (Rheinland-Pfalz)
Essingen mit derzeit ca. 2.300 Einwohnern ist heute Teil der Verbandsgemeinde Offenbach a.d. Queich im Landkreis Südliche Weinstraße – knapp zehn Kilometer östlich von Landau (Ausschnitt aus hist. Karte von 1914 ohne Eintrag von Essingen, aus: stadtgrenze.de/Archiv und Kartenskizze 'Landkreis Südliche Weinstraße', Lencer 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
In den Jahrzehnten vor Mitte des 19.Jahrhunderts besaß die israelitische Gemeinde ihren personellen Höchststand; damals gehörte jeder 5. Ortsbewohner dem mosaischen Glauben an.
Erstmals urkundlich erwähnt wurden Juden in Essingen im Jahre 1548; damals erhielten vier hier ansässige Juden vom Kurfürsten Friedrich II. von der Pfalz Schutzbriefe. Gemäß einem Schutzbrief (1684) wurden sechs jüdische Familien durch die Ortsherrschaft von Woellwarth in Essingen aufgenommen; als Gegenleistung waren jährliche Schutzgelder zu zahlen. In diesem Schutzbrief hieß es : „Zu Wissen, dass die allhiesige Essinger Gemeind bey seinen inhiesigen sechs aufeinand angenommenen sechs Juden allda sind Zägg, Mair Moses, Moses Polagg, Lazarus, Ezechiel und Süßlin, jährlichen Zins allwährend auf Martini folgende Jahresforderung sich bei ihren Juden zu nehmen haben ...“ Allerdings schien der Aufenthalt der jüdischen Familien nur von kurzer Dauer gewesen zu sein. Nach dem Wegzug der Juden aus Essingen (Ende der 1680er Jahre) lassen sich danach nur noch Handelskontakte mit Juden nachweisen, die nicht in Essingen wohnhaft waren - mit Ausnahme eines Handelsmannes, namens Alexander Hirsch.
Seit Beginn des 19.Jahrhunderts wuchs die Essinger Judengemeinde schnell an; von 1815 bis 1835 hatte sich die Zahl der jüdischen Bewohner Essingens nahezu verdoppelt. Während einige jüdische Familien wohlhabend waren, lebte die überwiegende Mehrheit in bescheidenen bis ärmlichen Verhältnissen. Beruflich setzten sich die Essinger Juden aus Alteisen-, Vieh- und Gewürzhändlern und Kaufleuten zusammen. Die inzwischen auf fast 200 Angehörige angewachsene jüdische Gemeinde - sie stellte im 19. Jahrhundert zeitweise mehr als ein Fünftel der Ortsbevölkerung und gehörte damals zu einer der größten der Pfalz - errichtete 1820/1821 einen Synagogenbau auf einem rückwärtigen Grundstück der Gerämmestraße (früher Krämerstraße); das eher unauffällige Gebäude war im spätklassizistischen Rundbogenstil gebaut und war innen eher karg ausgestattet.
Rückansicht der ehem. Essinger Synagoge (Aufn. O. Weber)
Die Mikwe befand sich im Keller des Hauses, in dem auch der Vorsänger der Gemeinde wohnte. Auf Grund des Kinderreichtums hatte man 1823 in Essingen auch eine jüdische Elementarschule eingerichtet.
Gemeindliche Stellenausschreibung aus dem Jahre 1868
In Essingen existierten zwei jüdische Begräbnisstätten: der alte Friedhof wurde zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges angelegt und im Laufe seines Bestehens mehrfach erweitert; ein neuer wurde dann um 1865 gegenüber dem inzwischen belegten alten Begräbnisareal geschaffen. Das am Ortsrand liegende ältere große Begräbnisgelände (mit einer Fläche von ca. 8.500 m²) hatte als Verbandsfriedhof zeitweise etwa 30 Gemeinden in der Region als letzte Ruhestätte gedient, so z.B. Arzheim, Altdorf, Böbingen, Böchingen, Edesheim, Gommersheim, Kirrweiler, Freimersheim und Edenkoben.
Novemberstimmung (Aufn. aus: fotocommunity.de 2010)
Juden in Essingen:
--- um 1550 ...................... 4 jüdische Haushalte,
--- 1718 ......................... 44 Juden,
--- 1760 ......................... 70 “ ,
--- 1781 ......................... 80 “ ,
--- 1818 ......................... 156 “ (ca. 14% d. Bevölk.),
--- 1825 ......................... 254 “ (ca. 19% d. Bevölk.),
--- 1836 ......................... 323 “ ,
--- 1847 ......................... 342 “ ,
--- 1875 ......................... 217 “ ,
--- 1900 ......................... 82 “ ,
--- 1925 ......................... 28 “ ,
--- 1932 ......................... 38 “ ,
--- 1933 ......................... 4 jüdische Familien,
--- 1936 ......................... 7 Juden,
--- 1938 ......................... 5 “ ,
--- 1940 (Nov.) .................. keine.
Angaben aus: Karl Fücks/Michael Jäger, Synagogen der Pfälzer Juden, S. 76
und Hermann Arnold, Juden in der Pfalz - Vom Leben pfälzischer Juden, S. 55
Die jüdische Gemeinde - ihre Angehörigen lebten zumeist in recht bescheidenen Verhältnissen - erreichte gegen Mitte des 19.Jahrhunderts ihren zahlenmäßigen Höchststand; von da an ging die Zahl der Gemeindeangehörigen kontinuierlich zurück. Gegen Ende des Jahrhunderts zählte die jüdische Gemeinde nur noch etwa 80 Angehörige; fast ausschließlich wirtschaftliche Gründe waren für die zunehmende Abwanderung verantwortlich gewesen.
Im Jahre der NS-Machtübernahme lebten nur noch vier jüdische Familien in Essingen. Da nun kein Minjan mehr zustande kam, fanden auch seit Anfang der 1930er Jahre keine Gottesdienste mehr in der Synagoge statt; die Kultgeräte wurden nach Ludwigshafen ausgelagert. Das Synagogengebäude wurde 1937 an einen Landwirt verkauft, der es fortan als Scheune nutzte. Die letzten beiden jüdischen Bewohner Essingens wurden im Oktober 1940 nach Gurs deportiert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 15 aus Essingen stammende bzw. hier längere Zeit ansässig gewesene jüdische Bürger Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/essingen_synagoge.htm).
An die frühere Synagoge erinnert heute nur noch eine in Sandstein gehauene hebräische Inschrift.
Der größte und auch einer der schönsten jüdischen Verbandsfriedhöfe der Pfalz befindet sich am Ortsrand Essingens. Heute zeugen noch ca. 1.900 Grabsteine von der früheren Bedeutung dieser Begräbnisstätte; der älteste Stein datiert aus dem Jahre 1647.
Auf dem jüdischen Friedhof in Essingen, älterer Teil (Aufn. Dietrich Krieger, 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
jüdischer Friedhof in Essingen, neuer Teil (Aufn. J. Hahn, 2004)
Hinweis: Im gleichnamigen Essingen (Ostalbkreis) gab es auch eine kleine israelitische Gemeinde.
[vgl. Oberdorf a. Ipf (Baden-Württemberg)]
Weitere Informationen:
Hermann Arnold, In Essingen gab es eine Synagoge - Aus der Geschichte der Juden des Dorfes, in: "Die Rheinpfalz - Ausgabe Landau", 24/1968, No. 46
Hermann Arnold, Juden in der Pfalz - Vom Leben pfälzischer Juden, Pfälzische Verlagsanstalt, Landau 1986, S. 175/177 und S. 195 f.
Karl Fücks/Michael Jäger, Synagogen der Pfälzer Juden - Vom Untergang ihrer Gotteshäuser und Gemeinden, Hrg. Jüdische Kultusgemeinde der Rheinpfalz, Neustadt/Weinstraße, 1988, S. 74 - 76
Alfred Hans Kuby (Hrg.), Juden in der Provinz. Beiträge zur Geschichte der Juden in der Pfalz zwischen Emanzipation und Vernichtung, Verlag Pfälzische Post, 2.Aufl. Neustadt a.d.W. 1989
Franz Schmidt, Die Steine reden. Zeugnisse jüdischen Lebens im Landkreis Südliche Weinstraße, Hrg. Landkreis Südliche Weinstraße, Rhodt 1989
Helmut Husenbeth, Die jüdischen Friedhöfe in Essingen - Nachdenkliches beim Gang über die Gräberfelder, in: "Heimatjahrbuch", 11/1989, S. 32 f.
Alfred Hans Kuby (Hrg.), Pfälzisches Judentum gestern und heute, in: Beiträge zur Regionalgeschichte des 19./20.Jahrhunderts, Verlag Pfälzische Post, Neustadt a.d.Weinstraße 1992
Bernhard Kukatzki, Der alte jüdische Friedhof in Essingen, in: "SACHOR - Beiträge zur jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit in Rheinland-Pfalz", Heft 7 (2/1994), S. 33 - 41
Frowald G. Hüttenmeister, Jüdischer Friedhof Essingen, in: Landesamt für Denkmalpflege Rheinland-Pfalz (Hrg.), ‘Ein edler Stein sei sein Baldachin’, Mainz 1996, S. 155 - 161
Tobias Brenner, Spuren jüdischer Geschichte in Essingen, in: "SACHOR - Beiträge zur jüdischen Geschichte und zur Gedenkstättenarbeit in Rheinland-Pfalz", Heft 14 (2/1997), S. 71 - 77
Klaus Cuno, Zum ältesten bekannten Epitaph des jüdischen Friedhofs in Essingen, in: Walter Röll (Hrg.), Jiddische Philologie, Tübingen 1999, S. 98 - 109
Essingen, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie u. zahlreichen Aufnahmen von den beiden jüdischen Friedhöfen)
Michael Brocke/Christiane E. Müller, Haus des Lebens - Jüdische Friedhöfe in Deutschland, Reclam Verlag, Leipzig 2001, S. 143/144
Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “. Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 148/149
Otmar Weber, Die Synagogen in der Pfalz von 1800 bis heute unter besonderer Berücksichtigung der Synagogen in der Südpfalz, Hrg. Gesellschaft für Christlich-jüdische Zusammenarbeit Pfalz in Landau, Landau 2005, S. 65 und S. 70
Stefan Meißner/Bernhard Gerlach, Jüdisches Leben in der Pfalz, Speyer 2013, S. 67 f.
Heinz Bohn, Schutzjuden im ehemals woellwarthschen Essingen, books on demand 2018