Feuchtwangen (Mittelfranken/Bayern)
Feuchtwangen – an der sog. Romantischen Straße gelegen - ist eine derzeit von ca. 12.500 Menschen bewohnte Kleinstadt im mittelfränkischen Landkreis Ansbach; die flächenmäßig größte Kommune des Landkreises liegt etwa 30 Kilometer südwestlich von Ansbach (Kartenskizze 'Landkreis Ansbach', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Zum ersten Mal wurde ein Jude in Feuchtwangen 1274 im Achtbuch des Landgerichts Rothenburg erwähnt; ob weitere Juden in Feuchtwangen im 13.Jahrhundert gelebt haben und evtl. den sog. „Rindfleisch-Unruhen“ von 1298 zum Opfer gefallen sind, kann nicht belegt werden. Die in Franken in den 1330er Jahren stattgefundenen antijüdischen Exzesse schienen an Feuchtwangen spurlos vorübergegangen zu sein; so sind namentlich zwei Juden, Wolflin von Bamberg und Selmlin von Eggolsheim, bekannt, die damals in Feuchtwangen als Geldverleiher tätig waren. Beim Pestpogrom von 1348/49 wurden in der Stadt Juden umgebracht bzw. von hier vertrieben. In den folgenden Jahrzehnten haben in Feuchtwangen dann keine Juden mehr gelebt. Erst im Laufe des 15.Jahrhunderts soll es zu einer - allerdings nur zeitlich begrenzten - Ansiedlung gekommen sein. Ausweisungsanordnungen der Landesherrschaft wurden vom Rat der Stadt Feuchtwangen nicht immer befolgt. Im 16. und 17.Jahrhundert wurden Juden teils geduldet, wenn auch wirtschaftlich ausgenutzt, teils aber auch von hier ferngehalten.
Unter dem Markgrafen Georg Friedrich wurden um 1600 wieder Juden – nun dauerhaft – in der Stadt aufgenommen; sie bildeten die Wurzeln einer Gemeinde.
1601 hatte sich in Feuchtwangen ein „Löw Jud“ mit seiner Familie taufen lassen; unter seinem neuen Namen Samuel Friedrich Brenz diente er dann als Beamter den Grafen von Oettingen und hetzte 1612 in seiner Schrift „Jüdischer abgestreiffter Schlangen-Balg“ gegen seine einstigen Glaubensgenossen!
Seit der Zeit des Dreißigjährigen Krieges gab es in Feuchtwangen eine Synagoge. Die damalige jüdische Gemeinde, die von zwei Rabbinern geführt wurde, zählte zu den wohlhabendsten der Region. Wiederholt musste sich die hiesige Judenschaft gegen Diffamierungen und Übergriffe seitens der christlichen Bevölkerung zur Wehr setzen. Ihre neue Synagoge in der heutigen Museumsstraße weihte die Judenschaft 1833 ein; sie befand sich am Standort der früheren „Judenschule“, die die wachsende Zahl der Gemeindeangehörigen nicht mehr aufnehmen konnte und sich zudem in einem baulich maroden Zustand befand. Im Programm-Heft zur „feyerlichen Einweihung der Synagoge in Feuchtwang“ vom 30.August 1833 hieß es:
... Die Synagoge zu Feuchtwang, welche vor ohngefähr 200 Jahren von einer ledigen älternlosen Frauensperson gestiftet wurde, diente der hiesigen israelitischen Gemeinde einer langen Reihe von Jahren zur Ausübung des Gottesdienstes. Trotz der vor 30 Jahren vorgenommenen Reparatur an derselben konnte dieselbe wegen Baufälligkeit und sehr beschränkten Raumes nicht langer zu diesem Zwecke verwendet werden. Eine allerhöchste - für die israelitischen Glaubensbekenner sehr angemeßene landesväterliche Verordnung ... erregte schon vor 6 Jahren in den Herzen mehrerer wohlmeinenden israelitischen Gemeindemitglieder den Wunsch eine neue Synagoge verbunden mit einem wohleingerichteten Lehrlokale und Quellenbad- Anstallt, zu erbauen. ...
Auffällig ist die Inschrift in hebräischer und deutscher Sprache über dem Synagogeneingang (Psalm 118,20: „Dies ist das Tor zum Herrn, Gerechte gehen durch es hinein“).
Synagoge Feuchtwangen und Almemor (Aufn. um 1930/1935, Stadtarchiv Nürnberg)
Im Synagogengebäude war auch eine Warmwassermikwe eingebaut, die aber einige Jahre später durch eine neue, im Hof des Synagogengrundstücks erbaute ersetzt wurde.
Stellenausschreibung aus: „Allgemeine Zeitung des Judentums" vom 9.Sept. 1850
Stellenausschreibungen in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 27. Nov. 1890 und vom 18.Febr. 1915
Der 1828 erfolgte Versuch, eine eigene Elementarschule einzurichten, war aber aus finanziellen Gründen alsbald zum Scheitern verurteilt.
Ihre verstorbenen Gemeindeangehörigen begrub die Gemeinde auf dem jüdischen Friedhof in Schopfloch.
Seit den 1830er Jahren gehörte Feuchtwangen zum Ansbacher Distriktrabbinat; nach zwischenzeitlicher Zugehörigkeit zum 1841 neugegründeten Distriktrabbinat Schopfloch, übernahm 1872 der Ansbacher Rabbiner Aaron Grünbaum erneut die Funktion. Nach Auflösung der jüdischen Gemeinden in Colmberg und Leutershausen (1931) gehörten die dort noch lebenden jüdischen Einwohner der Kultusgemeinde Feuchtwangen an.
Juden in Feuchtwangen:
--- 1707 .......................... 23 jüdische Familien,
--- 1714 .......................... 18 “ “ ,
--- 1809 .......................... 26 “ “ (ca. 125 Pers.),
--- 1833 .......................... 170 Juden (ca. 6% d. Bevölk.),
--- 1858 .......................... 30 jüdische Familien,
--- 1880 .......................... 120 Juden,
--- 1890 .......................... 76 “ (ca. 3% d. Bev.),
--- 1900 .......................... 83 “ ,
--- 1910 .......................... 71 “ ,
--- 1925 .......................... 46 “ ,
--- 1933 .......................... 39 “ (in 16 Familien),
--- 1937 (Aug.) ................... 16 “ ,
--- 1938 (Jan.) ................... 12 “ ,
(Juni) ................... keine.
Angaben aus: Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945, S. 176
und Dietrich Weiß, Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde von Feuchtwangen 1274 - 1938
Zu Beginn des 19.Jahrhunderts bestritten die Juden Feuchtwangens ihren Lebensunterhalt mit Geld-, Leinwand- und Garnhandel, Schnittwaren- und Viehhandel.
Offener Antisemitismus trat in Feuchtwangen bereits ab den 1860er Jahren auf. „ ... Nur die hiesigen Israeliten treiben einzig u. allein blos Handel entweder mit Vieh oder mit Gütern, und wiederum Geldgeschäfte, in welchen dieselben die Noth bedrängter Familien auf ebenso vortheilhafte, als schamlose Weise auszubeuten wissen, und sich zu großem Reichthum trotz müßigen Straßenlungerns emporgeschwungen haben.” (aus einem Bericht des Landgerichtsrates Dr. Handschuch von 1860) Trotz der ablehnenden Haltung gewisser Kreise beteiligten sich jüdische Bewohner Feuchtwangens ab der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts aktiv am öffentlichen gesellschaftlichen und politischen Leben der Kleinstadt.
Marktplatz (hist. Postkarte, aus: wikipedia.org, PD-alt-100) und Stadtzentrum mit Geschäft "Nathan Holzinger's Nachfolger. Inhaber Abraham Gutmann"
Seit 1870/1880 wanderten dann vermehrt Juden in die größeren Städte ab, insbesondere nach Nürnberg und Fürth; dort war das wirtschaftliche Umfeld günstiger als in Feuchtwangen; in diesen Jahrzehnten emigrierten auch einige Feuchtwanger Juden nach Nordamerika. Die meisten der in den 1920er Jahren noch in Feuchtwangen lebenden Juden waren angesehene Geschäftsleute.
Zeitungsinserate im „Bayrischen Grenzboten“:
aus: "Bayrischer Grenzbote - Feuchtwanger Tagblatt" vom 1920
Feuchtwangen galt als eine Hochburg der NSDAP; die Partei gewann bei den Reichstagswahlen im Juli 1932 mehr als 75% (!) der Stimmen; die im Stadtrat Feuchtwangens stark vertretene NSDAP diskriminierte die hiesigen Juden in starkem Maße in ihrem Alltagsleben. Zu diesem Zeitpunkt wohnten noch 16 jüdische Familien in Feuchtwangen.
Erste sichtbare Ausgrenzung war die am 2.4.1933 durchgeführte „Markierung“ jüdischer Geschäfte und Wohnungen: SA-Posten hatten Plakate an jüdischen Häusern befestigt und sich davor postiert. Ein weiterer Höhepunkt der antijüdischen Kampagne war die im August 1935 vom Stadtrat beschlossene Aufstellung von vier Ortseingangstafeln mit der Aufschrift: „Juden sind hier unerwünscht!” Da die Lebensbedingungen sich zunehmend verschlechterten, verließen weitere jüdische Familien die Stadt. Im Dezember 1937 versuchte dann die NSDAP, alle noch verbliebenen Juden Feuchtwangens aus der Stadt zu vertreiben. Der NSDAP-Kreisleiter Trommsdorff initiierte einen Boykottaufruf in der „Feuchtwanger Zeitung”.
Was sich an jenem Tag (Dez. 1937) in Feuchtwangen abspielte, kann folgender Schilderung entnommen werden: „ ... Zu diesem Zwecke rottete sich in den Abendstunden des 20.Dezember 1937 - etwa gegen 20 Uhr - auf den Straßen Feuchtwangens vor den Judenhäusern eine Menschenmenge zusammen und forderte unter Johlen und Drohrufen die Vertreibung der Juden, so dass schließlich die Polizei die Juden zum Schutze ihrer eigenen Person in Schutzhaft nehmen mußte. War ein Jude von der Polizei in Schutzhaft abgeführt, so wälzte sich die Menge zum nächsten Judenhaus und tobte auch dort so lange, bis auch diese Juden in Schutzhaft genommen werden mußten. Die Menge bestand zunächst im wesentlichen aus Angehörigen der HJ; später schlossen sich ihr auch Personen an, die nicht der HJ angehörten, auch Erwachsene, so dass sie schließlich auf etwa 400 Menschen angeschwollen war, ...” (aus: Dietrich Weiß, Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde von Feuchtwangen 1274 - 1938, S. 55 - 57)
Diese Vorgänge brachten die noch in Feuchtwangen lebenden Juden dazu, ihre angestammte Heimatstadt zu verlassen; so verkauften sie in aller Eile ihren Besitz - weit unter Wert. Am 20.Mai 1938 wurde die letzte jüdische Bewohnerin offiziell polizeilich abgemeldet; danach war Feuchtwangen „judenfrei” .
Die Lokalzeitung berichtete:
Ein großer Tag für Feuchtwangen ... Unsere Stadt ohne Juden
... Karl Holz, der Stellvertreter des Gauleiters Streichers, beglückwünschte die Stadt “zu diesem außerordentlichen Erfolg... und vor allem die alten Parteigenossen, “deren unermüdliche Arbeit durch den Auszug der Kinder Israels am schönsten belohnt wurde.”
Obwohl sich keine Juden mehr in Feuchtwangen aufhielten, brannten am 10.Nov. 1938 SA-Angehörige - auf Anweisung des Bürgermeisters/NSDAP-Ortsgruppenleiters Karl Ludwig - die Synagoge nieder. Um das dichtbebaute Altstadtgebiet zu schützen, war zuvor die Feuchtwanger Feuerwehr alarmiert worden; das Synagogengebäude wurden bald darauf abgebrochen.
SA-Angehörige vor der Synagogenruine (Stadtarchiv, Aufn. 1939)
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und jüngst erfolgten Recherchen wurden 30 gebürtige bzw. über einen längeren Zeitraum in Feuchtwangen wohnhaft gewesene jüdische Bürger Opfer des Holocaust (namentliche Nennung der Opfer siehe: alemannia-judaica.de/feuchtwangen_synagoge.htm).
1948 wurden vom Landgericht Ansbach im Zusammenhang des Novemberpogroms vier Hauptbeschuldigte, darunter auch der ehem. Bürgermeister Karl Ludwig, wegen „Verbrechens der Brandstiftung“ zu Gefängnisstrafen verurteilt.
Bis zu ihrer Zerstörung stand die Synagoge auf dem Gelände des Heimatmuseums, dort, wo sich heute der Erweiterungsbau des „Fränkischen Museums“ befindet
Modell der Synagoge (AWO Therapiezentrum & Museum Schloss Cronheim)
Eine dort 1984 angebrachte Gedenktafel trägt (Aufn. J. Hahn, 2003) - neben der Abbildung eines siebenarmigen Leuchters - den folgenden Text:
Hier stand die Synagoge - erbaut 1833,
niedergebrannt in politischer Verblendung am 9./10.11.1938
Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird,
so werden wir sein wie die Träumenden
Psalm 126 A.D. 1984
Seit 2023 erinnern acht “Stolpersteine” vor einem Haus in der Feuchtwanger Altstadt an Angehörige der jüdischen Familie Gutmann; die Familie hatte hier bis 1937 ein Geschäft für Bekleidung und Tuchwaren betrieben. Fünf weitere messingfarbene Steinquader - verlegt vor der ehemaligen Synagoge - halten die Erinnerung an den letzten jüdischen Kantor und Religionslehrer Leo Neumann und seine Familie wach.
verlegt in der Hindenburgstraße (Aufn. R. Weber/ Stadt Feuchtwangen)
Weitere Informationen:
Wilhelm Funk, Feuchtwangen. Werden und Wachsen einer fränkischen Stadt, Feuchtwangen 1954
Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München/Wien 1979, S. 176/177
“Siehe der Stein schreit aus der Mauer”. Geschichte und Kultur der Juden in Bayern. Katalog der Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, Nürnberg 1989, S. 226 und S. 359 f.
Dietrich Weiß/Fritz Wünschenmeyer/Erich Binder (Bearb.), Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde von Feuchtwangen 1274 - 1938, in: "Schriftenreihe der AG für Heimatgeschichte im Verein für Volkskunst und Volkskunde e.V. und des Stadtarchivs Feuchtwangen", Band 3, Feuchtwangen 1991
Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 162
Theodor Harburger, Die Inventarisation jüdischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Bayern, Band 2: Adelsdorf - Leutershausen, Hrg. Jüdisches Museum Franken - Fürth & Schnaittach, Fürth 1998, S. 183 - 186
Dietrich Weiß und( Erich Binder (Bearb.), Das Ende der Feuchtwanger Judengemeinde von 1933 bis 1939, online abrufbar unter: geschichte-feuchtwangen.de/Band3/Band3048.htm (Anm. ergänzte Version von 2000)
Werner Uhlich, Feuchtwangen - Geschichte einer fränkischen Stadt, Feuchtwangen 2001
Karl Ernst Stimpfig, Die Juden in Schopfloch und Feuchtwangen, ihr Rabbinat und Judenfriedhof. Eine Dokumentation (2 Bd.), Herzogenaurach 2003
H.-Chr. Haas/A. Hager/C. Berger-Dittscheid, Feuchtwangen, in: Mehr als Steine ... Synagogengedenkband Bayern, Band 2, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2010, S. 238 - 248
Gunther Reese (Hrg.), Spuren jüdischen Lebens rund um den Hesselberg, in: "Kleine Schriftenreihe Region Hesselberg", Band 6, Unterschwaningen 2011
Feuchtwangen, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Text- und Bilddokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Feuchtwangen, in: Jüdisches Leben in Bayern, Hrg. Haus der Bayrischen Geschichte, in: hdgb.eu/juedisches Leben/synagoge/feuchtwangen
Stefanie Fischer, Ökonomisches Vertrauen und antisemitische Gewalt. Jüdische Viehhändler in Mittelfranken 1919 – 1939, in: A.Brämer/M.Rürup (Hrg.), "Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden", Band XLII, Wallstein Verlag Göttingen 2014
Susanne Klemm (Hrg.), Der Duft von Schabbat. Mit Beiträgen von B. Schübel, V. Erbersdobler, H.-Chr. Haas u. U. Kissling. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung Sept./Dez. 2016 im Fränkischen Museum Feuchtwangen, in: "Schriftenreihe des Vereins für Volkskunst und Volkskunde Feuchtwangen e.V.", Band 3, S. 72 - 89, Feuchtwangen 2016
Annika Svitil/Annalena Sippl (Red.), Stolpersteine in Feuchtwangen: US-Botschafterin gedenkt Familie, in: BR24 vom 30.5.2023 bzw. "Berliner Morgenpost" vom 30.5.2023
N.N. (Red.), In Feuchtwangen zu Hause, in: „Jüdische Allgemeine“ vom 8.6.2023
Stadt Feuchtwangen (Red.), Ein Gedenkstein mit wichtiger Symbolkraft: 13 Stolpersteine verlegt, in: „Amtliches Mitteilungsblatt der Stadt Feuchtwangen“, No. 12 vom 9.6.2023