Flamersheim (Nordrhein-Westfalen)
Flamersheim mit derzeit ca. 2.300 Bewohnern ist heute ein Stadtteil von Euskirchen - nur wenige Kilometer südöstlich der Kernstadt gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 ohne Eintrag von Flamersheim, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Kreis Euskirchen', aus: ortsdienst.de/nordrhein-westfalen/euskirchen).
Die ersten jüdischen Familien siedelten sich im Dorfe Flamersheim seit dem 17.Jahrhundert an. Gemeinsam mit den wenigen Juden des benachbarten Kirchheim, später auch mit denen von Schweinheim und anderen Dörfern, hielten sie ihre Gottesdienste ab; bis in die Mitte des 19.Jahrhunderts befand sich in einem Privathaus in der Nähe des Marktes die „Lehr- und Betstube“ der kleinen jüdischen Gemeinschaft. 1876/1878 errichtete die Gemeinde einen ca. 60 Plätze fassenden Synagogenbau an der Valdergasse nahe des Nähe des Marktes ein; dieser wurde 1878 (oder im Frühjahr 1879) eingeweiht. Vorsteher der Flamersheimer Gemeinde war von 1856 bis zu seinem Tode Michael Wendel; sein Sohn folgte ihn im Amte.
Die jüdischen Kinder besuchten bis zu Beginn des 20.Jahrhunderts die Elementarschule im Synagogengebäude.
Seit Ende des 18.Jahrhunderts gab es in Flamersheim einen jüdischen Friedhof; anfänglich wurde er auch von den Juden aus Kirchheim und Niederkastenholz mitgenutzt. Ein zweites Friedhofsgelände „Im obersten Driefelden” – westlich der Ortschaft - wurde Anfang des 19.Jahrhunderts angelegt; in unmittelbarer Nähe befand sich auch der jüdische Friedhof von Kirchheim.
Juden in Flamersheim:
--- 1806 ........................... 22 Juden,
--- 1843 ........................... 23 “ ,
--- 1854 ........................... 61 “ ,
--- 1885 ........................... 66 “ ,
--- 1900 ........................... 92 “ ,
--- 1911 ........................... 95 “ (ca. 13% d. Bevölk.),
--- 1925 ........................... 67 “ ,
--- 1932 ........................... 62 “ (5,6% d. Bevölk.),
--- 1940 ........................... keine.
Angaben aus: Klaus H.S. Schulte, Dokumentation zur Geschichte der Juden am linken Niederrhein ..., S. 68 und S. 251
Um 1910 lebten fast 100 Juden in Flamersheim, weswegen man die Ortschaft im Volksmund auch „Judendorf“ nannte. Im Ort gab es große Viehhandlungen jüdischer Besitzer, die weit über die Region hinaus von Bedeutung waren.
Bis Mitte der 1930er Jahre gab es in Flamersheim noch die folgenden Geschäfte: Kolonialwaren- u. Manufakturgeschäft Louis Clefmman, Lebensmittelgeschäft Wolfgang Weiss, die Metzgereien Leo Arensberg und Moritz Daniel, Manufakturwarengeschäft Oskar Aron und die Viehhandlungen Arthur Weiss, Wolfgang Weiss und Gustav Oster.
Während des Pogroms von 1938 wurde der Synagogeninnenraum von ortsfremden SA- und SS-Angehörigen zerstört, Kultgegenstände wurden „sichergestellt“; eine Brandlegung unterblieb, da ein Nachbargebäude bedroht war. Dem Vorsteher der Flamersheimer Synagogengemeinde war es gelungen, eine Thorarolle zu retten.* (*Diese wird heute in der Synagoge von Raanana (Israel) aufbewahrt.)
Anschließend ging das Synagogengebäude in Privathand über; kurz darauf erfolgte der Abriss des inzwischen verwahrlosten Gebäudes. 1940 lebten in Flamersheim keine Juden mehr; soweit sie nicht ausgewandert waren, wurden sie zur Zwangsarbeit nach Zülpich überstellt. Im Juli 1942 mussten diese den Weg „in den Osten“ - vermutlich ins Ghetto von Warschau - antreten; hier verloren sich ihre Spuren.
Seit 1984 erinnert am ehemaligen Standort des jüdischen Gotteshauses ein schmiedeeisernes Mahnmal mit der folgenden Inschrift an die jüdischen Bewohner des Ortes:
Zum Gedenken an unsere jüdischen Mitbürger,
durch nationalsozialistische Gewaltherrschaft vertrieben und ermordet.
1933 - 1945
(obige Aufn. GFreihalter, 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Auf dem ca. 900 m² großen jüdischen Friedhofsgelände „Im oberen Driefelden“ sind heute noch etwa 25 Grabsteine erhalten.
Jüdischer Friedhof in Flamersheim (Aufn. GFreihalter, 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
2013 wurde in Flamersheim eine Straße im Neubaugebiet "Im Mühlacker" nach Joseph Weiss benannt und gleichzeitig eine Gedenktafel an dessen Geburtshaus in der Pützgasse angebracht.
Der „letzte Judenälteste“ im KZ Bergen-Belsen, Joseph (‚Jupp’) Weiss, wurde am 16.Mai 1893 in Flamersheim geboren; bereits zu Beginn der NS-Zeit war er in die Niederlande emigriert und hatte sich dort eine Existenz aufgebaut. 1942 wurde er von deutschen Behörden verhaftet und ins Sammellager Westerbork/Niederlande transportiert; hier bekleidete er bereits wichtige Funktionen im Lager. Von dort wurden Joseph Weiss, seine Ehefrau und sein jüngster Sohn Klaus-Albert am 11.Januar 1944 als „wertvolle Juden“ in das Aufenthaltslager Bergen-Belsen deportiert. Zunächst gehörte Joseph Weiss dem zehnköpfigen Ältestenrat des sog. „Sternlagers“ an; bis Mitte Dezember 1944 war er dort stellvertretender Judenältester. Nach zahlreichen Aussagen hat ‚Jupp’ W. sich um die Insassen des „Sternlagers“ verdient gemacht. Mit dem dritten Evakuierungstransport verließ die Familie Weiss am 9.April 1945 das KZ Bergen-Belsen in Richtung Theresienstadt. Inzwischen waren Joseph Weiss und seine Frau an Fleckfieber erkrankt. Bei Tröbitz wurde der Evakuierungszug von sowjetischen Truppen befreit. Da Joseph Weiss später nicht nur der letzte Judenälteste von Bergen-Belsen war, sondern dort auch für die Registratur des Gesamtlagers verantwortlich war, zählt er zu den wenigen Augenzeugen, die kompetent über das Geschehen im Lager zu berichten wussten. Deshalb sind die Kopien seiner Listen, die er nach dem Kriege den Behörden zur Verfügung stellte, von historischer Bedeutung. Nach 1945 emigrierte die Familie Weiss nach Israel. Während des Eichmann-Prozesses (1961) wurde Josef Weiss als Zeuge geladen, brauchte aber nicht vor Gericht zu erscheinen, sondern machte seine Aussagen in seiner Wohnung, weil er Eichmann nicht gegenüberstehen wollte. Joseph Weiss verstarb am 12.September 1976 in Israel. 2013 wurde eine Straße in Flamersheim nach Joseph Weiss benannt und an dessen Geburtshaus in der Pützgasse eine Gedenktafel angebracht.
Im Euskirchener Stadtteil Flamersheim sind etliche sog. „Stolpersteine“ aufzufinden, die an jüdische Opfer der NS-Herrschaft erinnern sollen.
verlegt für Angehörige der Familie Herz (Aufn. R. Dabringaus, 2018, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
Nur wenige hundert Meter vom Flamersheimer Friedhof liegt der Begräbnisplatz der Juden aus Kirchheim, dessen Anlage um 1790 erfolgte. Genutzt wurde das Areal bis um 1905; danach bestatteten die wenigen Kirchheimer Juden ihre Toten auf dem Flamersheimer Friedhof. Nur sieben Grabsteine markieren heute das Gelände des jüdischen Friedhofs von Kirchheim.
Jüd. Friedhof in Kirchheim (Aufn. GFreihalter, 2010, aus: wikipedia,org, CC BY-SA 3.0)
[vgl. Euskirchen (Nordrhein-Westfalen)]
Weitere Informationen:
Klaus H.S. Schulte, Dokumentation zur Geschichte der Juden am linken Niederrhein seit dem 17.Jahrhundert, in: "Veröffentlichungen des Historischen Vereins für den Niederrhein ...", Band 12, Verlag L.Schwann Düsseldorf 1972, S. 66 - 69
Hans-Dieter Arntz, Jupp Weiss aus Flamersheim: der Judenälteste von Bergen-Belsen, in: Judaica - Juden in der Voreifel, Euskirchen 1983, S. 434 - 466
Hans-Dieter Arntz, Juden in Flamersheim, in: Wir in Flamersheim. Ein heimatkundliches Begleitbuch für das Treffen mit ehemaligen jüdischen Mitbürgern 21.- 24.6.1984, Euskirchen 1984
Hans-Dieter Arntz, Judaica - Juden in der Voreifel, Euskirchen 1987
Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil I: Regierungsbezirk Köln, J.P.Bachem Verlag, Köln 1997, S. 348 - 352
Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 in Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 169/170
Hans-Dieter Arntz (Bearb.), Juden in Flamersheim (Auszug aus „Wir in Flamersheim“), online abrufbar unter: hans-dieter-arntz.de/juden_flamersheim.html
Hans-Dieter Arntz, „Reichskristallnacht“. Der Novemberpogrom 1938 auf dem Lande - Gerichtsakten und Zeugenaussagen am Beispiel der Eifel und Voreifel, Helios-Verlag, Aachen 2008
Jüdische Bevölkerung in Flamersheim (Personenliste), als PDF-Datei abrufbar unter: euskirchen.de/fileadmin/user_upload/PDF/service/stadtarchiv/Gegen_das_Vergessen/Juden_Flamersheim_mit_Anhang.pdf
Hans-Dieter Arntz, Der letzte Judenälteste von Bergen-Belsen. Josef Weiss – würdig in einer unwürdigen Umgebung, Helios-Verlag, Aachen 2012
N.N. (Red.), Gedenktafel und Straßentaufe zu Ehren des „letzten Judenältesten“, in: „Euskirchener Wochenspiegel“ vom 24.4.2013
WA. (Red.), Jupp Weiss: Ein großes Vorbild in unmenschlicher Zeit, in: "Euskirchener Wochenspiegel“ vom 22.5.2013
Verlegte Stolpersteine in Euskirchen-Flamersheim (Abb.), online abrufbar unter: commons.wikimedia.org/wiki/Category:Stolpersteine_im_Euskirchener_Stadtteil_Flamersheim