Friedrichstadt (Schleswig-Holstein)

Treene – Wikipedia Bildergebnis für landkreis nordfriesland ortsdienst karte Die Kleinstadt Friedrichstadt – derzeit von etwa 2.500 Menschen bewohnt - liegt zwischen den Flüssen Eider und Treene im Kreis Nordfriesland von Schleswig-Holstein wenige Kilometer südlich von Husum (Kartenskizzen 'Schleswig-Holstein', Ulamm 2016, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0  und  'Kreis Nordfriesland' ohne Eintrag von Friedrichstadt, aus: ortsdienst.de/schleswig-holstein/nordfriesland).

 

Friedrichstadt beherbergte gegen Mitte des 19. Jahrhunderts eine der größten jüdischen Gemeinden im Norden Deutschlands; damals gehörte nahezu jeder 5. Einwohner der Kleinstadt dem mosaischen Glauben an.

Ansicht von Friedrichstadt, um 1895 (Abb. aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei)

Im Gebiet des heutigen Kreises Nordfriesland waren bis Ende des 18.Jahrhunderts keine Juden ansässig; lediglich in der 1621 von niederländischen Glaubensflüchtlingen gegründeten „Holländer-Siedlung“, im nordfriesischen Friedrichstadt, lebten seit dem letzten Drittel des 17.Jahrhunderts Juden. In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts erreichte ihre Zahl mehr als 400 Personen; damit zählte Friedrichstadt zu einer der größten jüdischen Gemeinden auf dänischem Staatsgebiet. Erstmalig siedelte sich um 1675 hier ein jüdischer Händler namens Moses Marx an; ihm war vom Gottorf'schen Herzog Friedrich III. freie Religionsausübung zugestanden worden. (Anm.: In den Jahrzehnten nach der Gründung hatten sieben verschiedene Religionsgemeinschaften die Niederlassungserlaubnis und Religionsfreiheit in Friedrichstadt erhalten.)

Seit 1708 war Friedrichstadt im Bereich der Herzogtümer Schleswig und Holstein der einzige Ort, in dem Juden leben konnten. Ihre Anzahl war nicht beschränkt, sie durften hier Grundbesitz erwerben und ohne Einschränkungen Handel treiben. Um 1805 zählte die Friedrichstädter Judenschaft 38 „Handelsmänner“, die ihre Waren in den kleinen Städten, in Dörfern und Märkten im gesamten Gebiet der Herzogtümer Schleswig und Holstein feilboten. Erst im Laufe des 19.Jahrhunderts eröffneten jüdische Kaufleute eigene Läden und Handlungen in Friedrichstadt selbst. Zu ersten gottesdienstlichen Zusammenkünften traf sich die zunächst kleine jüdische Gemeinschaft im Hause von Moses Markus Levy in der Prinzenstraße. 1734 erwarb die jüdische Gemeinde das Haus an der Ecke Fürstenburgwall/Binnenhafen und richtete hier ihre Synagoge ein.

                        Siegel der Friedrichstadter Gemeinde

Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die jüdische Gemeinde - nach der evangelisch-lutherischen - zur zweitgrößten Glaubensgemeinschaft Friedrichstadts. Im Dezember 1847 wurde dann ein größerer Synagogenneubau von der inzwischen auf 400 Angehörige angewachsenen Gemeinde eingeweiht; die Weihepredigt hielt der Altonaer Oberrabiner Jacok Ettlinger - im Beisein auch der christlichen Honoratioren der Stadt. Durch ein Legat des dänischen Residenten in Hamburg, Hartwig Herz von Essen (Isaac Hartwig), hatte sich die Gemeinde diesen Neubau leisten können. An dessen Stiftung erinnerte eine Tafel (in hebräisch) über dem Eingang in die Synagoge: „Groß sei dieses Hauses Ehre, das zu des Weltenkönigs Ehre vermöge einer Gabe des wacheren Mannes Isaak, Sohn von Herz Essen, im Jahre 5607 (1847) erbaut und seiner Bestimmung übergeben wurde“

 

Westermarktstraße (Synagoge rechts hinten im Bild)   -   Eingang zur Synagoge (hist. Aufn., um 1900)

                  Über die Synagogeneinweihung berichtete die Zeitschrift „Der treue Zionswächter“ in ihrer Ausgabe am 4. Januar 1848:

... Die Synagoge selbst ist, wenn auch einfach, so doch recht geschmackvoll gebaut. ... Die Feier war eine ansprechende und ging dem dazu gegebenen Programme gemäß in größter Ordnung vor sich. Direktor Gotthold nahm in der alten Synagoge in gefälliger Sprache Abschied, um mit dem Panier Israels, der Thora, in den neuen Tempel des Herrn einzuziehen. ... Einige hiesige junge Männer sangen vor und nach der Rede mehrere passende Psalmen ab, und hierauf bewegte sich der Zug in regelmäßiger Folgereihe zur neuen Synagoge hin. Die wahre Weihe indes gab dem Ganzen die in vollem Maße ansprechende, phantasiereiche Rede des Herrn Oberrabbiners Ettlinger. Alle Anwesenden, darunter der hiesige Präsident, Bürgermeister und Rat, wie auch mehrere Geistliche, waren ergriffen von den eindringlichen Worten des allverehrten Redners.

Rituell-religiöse Aufgaben erledigte ein seitens der Gemeinde angestellter Lehrer; zeitweilig war neben dem Lehrer ein Schochet in Anstellung.

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Stellenangebote aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21.Sept. 1864, vom 7.Aug. 1893 und vom 9.Juli 1903

Beiderseits der Synagoge lagen die jüdische Schule und das Rabbinatsgebäude. Die dreiklassige koedukative Schule war in den späten 1830er Jahren eingerichtet worden; in dem Regulativ von 1843 hieß es u.a.: „ ... Der Zweck der Schule ist dahin gerichtet ..., den Kindern beiderlei Geschlechts in allen den Kenntnissen und Fertigkeiten, welche ihnen als künftigen Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft wichtig sind und ihre Brauchbarkeit für die besonderen Berufs-Arten und Verhältnisse des künftigen Lebens befördern und erhöhen können, so wie insbesondere auch den Kindern beiderlei Geschlechts in ihrer Religion Unterricht und Anleitung zu ertheilen. ...

aus: „Allgemeine Zeitung des Judentums" vom 20. Juni 1859 http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20340/Friedrichstadt%20AZJ%2020061859.jpg

Nach dem Tode des Elementarlehrers (1886) wurde die Schule geschlossen; die jüdischen Kinder besuchten fortan gegen ein Entgelt die lutherische Schule. Wenige Jahre nach der Jahrhundertwende wurde dann wieder eine einklassige jüdische Schule ins Leben gerufen.

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zwei Artikel aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25.Jan. 1904 und vom 13.Okt. 1904

Ihre Verstorbenen begruben die Friedrichstadter Juden auf einem 1677 angelegten Beerdigungsgelände im Norden der Stadt am Treeneufer („Op de Klint“), das im Laufe der folgenden zwei Jahrhunderte mehrfach erweitert wurde. Erste gravierende Schäden erlitt der Friedhof im Herbst 1850, als bei der Belagerung der Stadt durch die schleswig-holsteinische Armee die Grabsteine den dänischen Soldaten zur Deckung bei der Verteidigung dienten. Gegen Ende der 1880er Jahre legte man einen neuen Friedhof an, der an den kommunalen Friedhof an der Schleswiger Straße angrenzte.

Juden in Friedrichstadt:

         --- 1803 ............................. 187 Juden (in 47 Familien),

    --- 1835 ............................. 375   “   (ca. 17% d. Bevölk.),

    --- 1845 ............................. 421   “   (in 99 Familien),

    --- 1850 ......................... ca. 500   "  ,

    --- 1871 ............................. 193   “  ,

    --- 1885 ............................. 152   “  ,

    --- 1905 ............................. 117   “  ,

    --- 1925 .............................  40   “  ,

    --- 1932 .............................  32   “  ,

    --- 1939 .............................  14   “  ,

--- 1940 (Dez.) ......................  keine.

Angaben aus: Julius H.Schoeps, Neues Lexikon des Judentums, S. 275/276                            

 

Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts war die Blütezeit der Friedrichstädter jüdischen Gemeinde zu verzeichnen, als sie mit ca. 420 Angehörigen ihren numerischen Höhepunkt erreichte; fast jeder 5.Einwohner Friedrichstadts war damals mosaischen Glaubens. Religiös oder rassisch begründete Konflikte gab es hier so gut wie nicht: Kinder besuchten gemeinsam die Schulen, und Vereine waren geprägt vom Miteinander der verschiedenen Konfessionen. Der Kaufmann Simon Benjamin war der erste jüdische Bürger Friedrichstadts, der hier ein öffentliches Amt bekleidete; er wurde 1871 zum Stadtverordneten gewählt.

Nach dem deutsch-dänischen Krieg - Schleswig-Holstein war nun Teil von Preußen geworden - wanderten zahlreiche jüdische Familien aus Friedrichstadt ab.

Wd b181.JPGKanalbrücke um 1895 (Abb. aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei)

Anlässlich der 300-Jahr-Feier der Gründung Friedrichstadts hielt die Gemeinde einen Festgottesdienst ab; ein Artikel in der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 6.10.1921 berichtete darüber:

Friedrichstadt (Eider), 22. Septbr. Anläßlich der Dreihundertjahrfeier der Gründung Friedrichstadts veranstaltete die hiesige jüdische Gemeinde ... einen Festgottesdienst in der Synagoge, der auf die Gemüter aller Teilnehmer einen nachhaltigen Eindruck gemacht hat. Das Stadtkollegium, die Geistlichkeit aller Konfessionen mit ihren Gemeindevorständen wohnten diesem Gottesdienste bei. Nach Verrichtung des Minchagebetes durch Herrn Lehrer Lubinski bestieg Herr Oberrabbiner Dr. Lerner - Altona die Kanzel zu einer Festrede. Er entwickelte in großen Zügen die Verhältnisse er entrechteten Juden in 17. Jahrhundert, und zeigte, wie Friedrichstadt eine religiöse Freistadt für alle Verfolgten wurde, auch für Juden. So komme es, daß noch heute 5 verschiedene Konfessionen in dieser kleinen Stadt wohnen, die sich gegenseitig Achtung entgegenbringen. Judenhaß und Unduldsamkeit sind hier unbekannte Dinge geblieben. Der Deutsche lebt friedlich mit dem Juden, der Lutheraner begegnet dem Katholiken, Remonstranten, Mennoniten in Eintracht. Redner betonte, daß Nächstenliebe eine alte Forderung der jüdischen Lehrer und insbesondere für unsere heutige Zeit eine wichtige Eigenschaft sei. Die Rede machte auf alle Hörer einen tiefen Eindruck. Ein Schlußgesang von Vorbeter und Gemeinde endete diesen imposanten Gottesdienst.

                   Anm.: Zur Gemeinde gehörten damals auch die 44 Flensburger, neun Kappelner und drei Heider Juden.

In den 1920er Jahre war die jüdische Gemeinde nahezu bedeutungslos geworden. Zum Zeitpunkt des Boykotts am 1.April 1933 gab es in Friedrichstadt vermutlich nur noch fünf Geschäfte mit jüdischen Besitzern. Zwei Tage nach dem Boykott versuchte der jüdische Schlachter Jude Willy Wolff sich in der Lokalpresse durch eine Anzeige gegen die gegen die Juden verbreitete Hetze zu wehren:

„ ... Die deutschen Juden haben niemanden in Deutschland und in der Welt mittelbar oder unmittelbar zu schändlichen Verleumdungen oder gar zu irgend einer Handlung gegen Deutschland veranlaßt. Die deutschen Juden haben, soweit sie es vermochten, dagegen sofort das Äußerste getan, um jede Beleidigung des Heimatlandes, jede Beschimpfung der Regierung, jede Schädigung der deutschen Volkswirtschaft unmöglich zu machen. ... “

Im Jahre 1935 wurde die Agitation gegen die noch bestehenden jüdischen Geschäfte in Friedrichstadt verstärkt. So hieß es in der „Friedrichstädter Zeitung” vom 5.9.1935: „ ... Und nun, Volksgenossen, heißt es danach handeln. Nun meidet sie, haltet Abstand, bringt die Groschen in arische Geschäfte.“ Wer sich dem „Juden-Boykott“ widersetzte, wurde öffentlich gebrandmarkt.

Zur Zeit des Novemberpogroms gab es in Friedrichstadt kaum mehr als 20 jüdische Bewohner. Aus Husum eintreffende SA-Angehörige setzten am Morgen des 10.11.1938 die Synagoge mit einer Explosion in Brand; der Friedrichstädter Bürgermeister sorgte für die Löschung des Feuers, um die nebenliegenden Gebäude nicht zu gefährden. Anschließend zog der SA-Trupp - ihm schlossen sich SS-Angehörige aus Flensburg und Husum an - durch die Straßen, um die wenigen jüdischen Geschäfte und Wohnungen zu demolieren und zu plündern. Nach der Festnahme sämtlicher Juden und ihrer Arrestierung im Rathaus wurden sie dann nach Flensburg verfrachtet. Die meisten konnten nach einigen Tagen wieder nach Friedrichstadt zurückkehren, einzelne wurden ins KZ Sachsenhausen verschleppt. Nach den Ereignissen des 10. November 1938 verließen fast alle Juden Friedrichstadt; wenigen gelang die Emigration ins Ausland, die meisten zogen in die vermeintlich sichere Großstadt Hamburg; von hier aus erfolgte dann ab 1942 ihre Deportation in die Ghettos und Vernichtungslager im besetzten Osteuropa.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ wurden nachweislich 60 gebürtige bzw. längere Zeit am Ort ansässig gewesene jüdische Bewohner Friedrichstadts Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/friedrichstadt_synagoge.htm).

Nur wenige Friedrichstädter Juden sollen den Holocaust überlebt haben.

 

An die ehemals bestandenen jüdischen Einrichtungen in Friedrichstadt erinnert heute ein Gedenkstein am Binnenhafen mit der Inschrift:

Hier gegenüber befanden sich einst die Synagoge (Am Binnenhafen 17), die Juden-Schule (Am Binnenhafen 18) sowie das Rabbinat (Westermarktstraße 24) der Jüdischen Gemeinde Friedrichstadt.

Die Synagoge, zu der im Jahre 1845 - im Jahre 5606 jüdischer Zeitrechnung - der Grundstein gelegt worden war,

wurde in der Frühe des 10.November 1938 von Nationalsozialisten im Innern zerstört.

Lebende, seid tolerant und allzeit wachsam !

Friedrichstadt juedischnfriedhof gedenkstein.jpg Gedenkstein für die jüdischen Opfer aus Friedrichstadt (Aufn. 2002, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Auf dem Areal des alten jüdischen Friedhofs am Treeneufer (am Westersielzug), der von den Nationalsozialisten 1936 teilzerstört und Jahre später eingeebnet bzw. mit Erdreich überdeckt und danach als Kleingartenanlage bzw. Lagerplatz für Baumaterialien benutzt wurde, sind heute 17 wiederaufgefundene alte Grabsteine im Halbkreis aufgestellt worden. Seit 1985 erinnert dort zudem ein Gedenkstein an die ermordeten Juden Friedrichstadts.

 Altes Friedhofsgelände (Aufn. Matthias Böhm, 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Der neue jüdische Friedhof überstand die Zeit des Nationalsozialismus nahezu unversehrt; er befindet sich an der Nordostecke des evangelisch-lutherischen Friedhofs an der Schleswiger Straße außerhalb des ursprünglichen Stadtgebietes.

Neuer Jüdischer Friedhof Friedrichstadt IMGP5248 smial wp.jpgNeuer Jüdischer Friedhof Friedrichstadt IMGP5258 smial wp.jpg

Neuer jüdischer Friedhof in Friedrichstadt (Aufn. smial, 2014, aus: commons.wikimedia.org, FAL)

Inzwischen bedürfen etliche Grabsteine bzw. -stätten einer grundlegenden Sanierung. Die dafür notwendigen erheblichen Finanzmittel sollen durch Spenden bereitgestellt werden; so will die Warburg-Melchior-Olearius-Stiftung das Vorhaben mit einem Spendenbeitrag von 50.000 € unterstützen.

1941 hatte ein Friedrichstädter Bauunternehmer das Synagogengebäude erworben, dort eine Decke einziehen und Wohnungen einrichten lassen. 1985 erwarb die Stadt Friedrichstadt das einstige Synagogengebäude; 2001/2002 wurde es rekonstruiert und zu einer Kultur- und Gedenkstätte umgestaltet; Anfang 2003 konnte das Gebäude seiner neuen Bestimmung übergeben werden. Die Westfassade des Hauses wurde originalgetreu restauriert; die Nord- und Südseite zeigt die Situation nach dem Umbau zum Wohnhaus mit Fenstern auf beiden Etagen. Vorgehängte Rahmen in Form der ursprünglichen großen Rundbogenfenster deuten auf die einstige Nutzung als sakrales Gebäude hin. Auf der ehemaligen Frauenempore ist eine Ausstellung zur Geschichte der Friedrichstädter Juden untergebracht; der nebenliegende Dokumentationsraum informiert detailliert über das Schicksal einzelner Familien.

            

             Ehem. Synagogengebäude (Aufn. J. Hahn, 2003 und D.I.Franke, 2007, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Mehr als 30 sog. „Stolpersteine“ erinnern in den Straßen Friedrichstadts an ehemalige jüdische Bürger, die Opfer der NS-Gewaltherrschaft geworden sind (Stand 2024).

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verlegt am Binnenhafen, Westerhafenstraße u. Prinzenstraße (Aufn. Gmbo, 2017, aus: commons.wikimedia.org, CCO)

 

 

 

Auf der Insel Sylt wurden in Westerland u. Keitum erstmals 2007 sog. „Stolpersteine“ verlegt, die an Opfer der NS-Herrschaft erinnern; unter den derzeit hier aufzufindenden ca. 25 Steinen sind einige auch ehemaligen Bewohnern jüdischen Glaubens gewidmet (Stand 2023).

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verlegt in Westerland und in Keitum (Jt., 2017, aus: wikipedia.org, CCO)

Auf der Insel Sylt haben nur vereinzelt Juden dauerhaft gelebt. Doch als Badeort wurde die Insel – in den 1920er Jahren war der Fremdenverkehr hier wegen der Wirtschaftskrise zwar nahezu zum Erliegen gekommen – auch von zahlreichen jüdischen Kurgästen aufgesucht; denn Westerland hatte bis zur NS-Zeit als "judenfreundlich" gegolten. 1934 beschloss dann die Westerländer Kommunalverwaltung, die Aufnahme von jüdischen Badegästen künftig abzulehnen. Die meisten Hoteliers fügten sich der Aufforderung und erklärten ihre Hotels für „judenfrei“. Doch schienen sich zahlreiche Gastgeber nicht an diese Maßgabe gehalten zu haben; denn noch 1938 verwies die Gestapo darauf, dass „bei der Mentalität der Inselbewohner ein geldlicher Vorteil die nationalsozialistische Weltanschauung aufzuwiegen geeignet erscheint“. In der Reichspogromnacht demolierten SA-Angehörige in Kampen und Westerland Häuser, die jüdischen Besitzern gehörten. In der Lokalzeitung hieß es dazu, „daß wir von einem Wiederauftauchen dieser Parasiten hier auf unserer Nordseeinsel künftig verschont bleiben“.

 

 

 

Auch im holsteinischen Heide - einer ca. 25 Kilometer südlich von Friedrichstadt liegenden Kleinstadt - erinnern seit 2005/2006 mehrere sog. "Stolpersteine" an verfolgte ehem. Einwohner, u.a. auch an Angehörige der jüdischen Familie Stillschweig, die deportiert und in Auschwitz-Birkenau ermordet wurden.

               Stolperstein Heide Friedrichstraße 4 David StillschweigStolperstein Heide Friedrichstraße 4 Frieda AlexanderStolperstein Heide Friedrichstraße 4 Martha StillschweigStolperstein Heide Friedrichstraße 4 Gertrude Stillschweig  Stolperstein Heide Klaus-Groth-Straße 20 Lilly Wolff

fünf Stolpersteine verlegt in der Friedrichstraße bzw. Klaus-Groth-Straße (Aufn. Gmbo, 2017, aus: wikipedia.org, CCO)

 

 

 

In Wyk auf Föhr gab es seit 1927 ein vom Jüdischen Frauenbund eingerichtetes Kinder- u. Erholungsheim. Parolen wie „Hinaus mit den jüdischen Kinderheimen“ waren nach der sog. "Machtübernahme" Ausdruck der Stimmungsmache der NSDAP, die schließlich zur Aufgabe der Einrichtung führte (1938).

Die letzten Bewohner des jüdischen Kinderheims Weinberg wurden am 11.11.1938 von der Insel („Judenaustreibung“) unter den Schmähungen einer hiesigen Schulklasse verjagt.

Der leitende Arzt des Wyker Krankenhauses, der mit einer Jüdin verheiratet war, war auch Ziel antisemitischer Attacken („Judensau“).

 Bild2004 wurde in Wyk vor dem Hotel Atlantis (Sandwall) ein sog. „Stolperstein“ verlegt, der an Elsa von Biela erinnert, die bis 1930 hier gelebt hat und 1942 von ihrem damaligen Wohnort Dresden deportiert wurde.

 

 

 

Weitere Informationen:

Hermann Hansen, Unsere Friedrichstädter Juden, Selbstverlag, Friedrichstadt 1976 (Anm.: historisch kaum brauchbar !)

Ole Harck, Das jüdische Ritualbad von Friedrichstadt, in: "Die Heimat", No.84/1977, S. 335 – 340

Harald Voigt, Der Sylter Weg ins Dritte Reich: Die Geschichte der Insel Sylt vom Ende des Ersten Weltkrieges bis zu den Anfängen der nationalsozialistischen Dkiktatur. Eine Falllstudie (Taschenbuch), 1977

Karl Michelson, Aus der israelitischen Gemeinde, in: "Mitteilungsblatt der Gesellschaft für Friedrichstädter Stadtgeschichte", No.16/1980, S. 11 - 21

Jüdisches Leben und die Novemberpogrome 1938 in Schleswig-Holstein, Hrg. Grenzfriedensbund, Flensburg 2.Aufl., 1988, S. 27 - 29

Juden in Friedrichstadt - Ausstellungskatalog 1988, Hrg. Stadtarchiv Friedrichstadt und Gesellschaft für Friedrichstädter Stadtgeschichte

Karl Michelsohn, Von dem Bau und der Einweihung der Synagoge, in: "Mitteilungsblatt der Gesellschaft für Friedrichstädter Stadtgeschichte", No.41/1992, S. 5 - 34

Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Schleswig-Holstein I (Nördlicher Landesteil), VAS-Verlag, Frankfurt/M. 1993, S. 112 ff.

Ursula Dinse, Das vergessene Erbe. Jüdische Baudenkmale in Schleswig-Holstein, Kiel 1995, S. 166 f.

Miriam Gillis-Carlebach (Bearb.), Memorbuch zum Gedenken an die jüdischen, in der Shoa umgekommenen Schleswig-Holsteiner und Schleswig-Holsteinerinnen, Hrg. Verein jüdischer ehem. Schleswig-Holsteiner in Israel, Hamburg 1996

Heinz Hammer, Nachbarn und Verfolgte. Juden in Friedrichstadt, in: "Nordfriesland", No. 114/1996, S. 14 – 18

Dieter Peters, Der alte jüdische Friedhof in Friedrichstadt an der Eider, Maschinenmanuskript, Aachen 1997 

Karl Michelson, Friedrichstadt in den Jahren 1933 bis 1941. Über das Leben in der Stadt im ‘Dritten Reich’, in: "Mitteilungsblatt der Gesellschaft für Friedrichstädter Stadtgeschichte", No.55/1998, S. 381 - 426

Fiete Pingel/Thomas Steensen, „Es gab einmal Juden in Nordfriesland“. Jüdisches Leben und Antisemitismus in Friedrichstadt und im übrigen Nordfriesland, in: G. Paul/M. Gillis-Carlebach (Hrg.), Menora und Hakenkreuz. Zur Geschichte der Juden aus Schleswig-Holstein, Lübeck und Altona (1918 – 1998), Neumünster 1998, S. 297 - 315

Julius H.Schoeps (Hrg.), Neues Lexikon des Judentums, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2000, S. 275/276

Christiane Thomsen, Friedrichstadt - Ein historischer Stadtbegleiter, Heide 2001

Christiane Thomsen, Friedrichstadts Umgang mit der jüdischen Vergangenheit, in: F. Pingel/Th. Steensen (Hrg.), Jüdisches Leben und Judenverfolgung in den Frieslanden, Verlag Nordfriisk Instituut, Bräist/Bredstedt, NF 2001, S. 131 - 140

Marie-Elisabeth Rehn, Juden in Friedrichstadt - Vorstandsprotokolle der Israelitischen Gemeinde von 1802 – 1860, Hartung-Gorre-Verlag, Konstanz 2001

Marie-Elisabeth Rehn, Juden in Süderdithmarschen. Fremde im eigenen Land. Herzogtum Holstein 1799-1858, Konstanz 2003

Heike Mundzeck (Regisseurin), Wer wohnte in der Synagoge von Friedrichstadt ? Erinnerungen an eine Kindheit, Luzifilm Hamburg 2004 (dt. und engl. Fassung)

Auflistung der in Friedrichstadt verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Friedrichstadt

Akens e.V. (Hrg.), Verlegung von Stolpersteinen in Friedrichstadt, online abrufbar unter: akens.org (mit kurzen biografischen Angaben der betroffenen Personen)

M.Brumlik/R.Heuberger/C.Kugelmann (Hrg.), Reisen durch das jüdische Deutschland, DuMont Literatur- u. Kunstverlag, Köln 2006, S. 263/264

Dorothea Parak, Juden in Friedrichstadt an der Eider: Kleinstädtisches Leben im 19.Jahrhundert, in: "Quellen u. Studien zur Geschichte der Juden in Schleswig-Holstein", Bd. 4, Wachholtz Verlag, Neumünster 2010

Bettina Goldberg, Abseits der Metropolen. Die jüdische Minderheit in Schleswig-Holstein, Wallstein-Verlag, Neumünster 2011, S. 87 - 102

Friedrichstadt, in: alemannia-judaica.de (Anm. mit einer Fülle von Dokumenten zur Gemeindehistorie)

ume (Red.), Friedrichstadt. Die alte Synagoge ist heute ein Treffpunkt, in: „Husumer Nachrichten“ vom 10.4.2013

hn (Red.), Vor 75 Jahren. Nur wenige halfen den Verfolgten, in: „Husumer Nachrichten“ vom 7.11.2013

Frank Deppe, „ … denn deutschen Volksgenossen gehört der Strand!“ Wie der Nationalsozialismus die Insel Sylt eroberte. Eine Dokumentation (Taschenbuch), 2015

Ullrich Meißner (Red.), Alte Bretter stützen Grabsteine, in: „Husumer Nachrichten“ vom 4.12.2016

Auflistung der in Heide verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Heide

Auflistung der auf der Insel Sylt verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Sylt

Inselverwaltung der Gemeinde Sylt (Hrg.), Stolpersteine auf Sylt (mit biografischen Daten der betroffenen Personen), abrufbar unter: gemeinde-sylt.de/stolpersteine/

Stolpern, um zu erinnern. Auf Sylt gibt es 18 Stolpersteine, online abrufbar unter: nordkirche-nach45.de (PDF-Datei)

Christiane Thomsen ( Red.), Neue Stolpersteine für Friedrichstadt, in: „Stadtjournal 1621 Friedrichstadt“ vom 22.5.2019

Karin de la Roi-Frey (Red.), Wehende Fähnchen am Strand, in: „Der Inselbote“ vom 10.10.2019 (betr. Wyk auf Föhr)

Manfred Jakubowski-Tiessen, Die ersten jüdischen Gemeinden in den Herzogtümern Schleswig und Holstein im 17.Jahrhundert, in: „Schriften des Vereins für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte“, Band 63, Husum 2020, S. 83 - 102

Patricia Wagner (Red.), Antisemitismus-Beauftragter Peter Harry Carstensen hat 2021 mit Friedrichstadt viel vor, in: „Husumer Nachrichten“ vom 9.9.2020

Ilse Buchwald (Red.), Zum 27.Januar: Stolpersteine erinnern an die ermordeten Juden von Friedrichstadt, in: „Husumer Nachrichten“ vom 26.1.2021

N.N. (Red.), Als in Friedrichstadt jeder fünfte Einwohner jüdisch war, in: „Lübecker Nachrichten“ vom 14.3.2021

Christiane Thomsen (Red.), 400 Jahre Friedrichstadt – Was einst mit der jüdischen Gemeinde und ihrer Synagoge in der Treenestadt passierte, in: „Husumer Nachrichten“ vom 1.11.2021

Frank Deppe (Red.), Wie Silke von Bremen mehr Raum für Sylter Gedenkkultur erschaffen will, in: „Sylter Rundschau“ vom 29.11.2021

Helmuth Möller/Ilse Buchwald (Red.), Friedrichstadt. Die jüdischen Friedhöfe sollen saniert werden: Es werden Spenden benötigt, in: „Husumer Nachrichten“ vom 18.1.2022

Inga Kausch (Red.), Stolpersteine auf Sylt erinnern an Opfer des Nationalsozialismus, in: „Sylter Rundschau“ vom 27.1.2022

Jonas Salto (Red.), Zeitreise: Auf den Spuren des jüdischen Friedrichstadt, in: ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein vom 7.10.2023

Lea Sarah Pischel (Red.), Mit Video: Gunter Demnig (76) verlegt auf Sylt vier Stolpersteine, in: „Sylter Rundschau“ vom 27.10.2023