Friesenheim (Baden-Württemberg)

Bildergebnis für ortenaukreis ortsdienst  Friesenheim ist eine Kommune mit derzeit ca. 14.000 Einwohnern im Ortenaukreis – zwischen Offenburg (im N) und Lahr/Schwarzwald (im S) gelegen (Kartenskizze 'Ortenaukreis', aus: ortsdienst.de/baden-wuerttemberg/ortenaukreis).

 

Juden im Raum Friesenheim wurde erstmals in der Mitte des 15.Jahrhunderts erwähnt. Der erste urkundliche Beleg für die Existenz von Juden im Orte Friesenheim ist ein Schutzbrief aus dem Jahre 1581, den der Markgraf von Baden-Baden und der Graf von Nassau-Weilburg drei jüdischen Familien befristet ausgestellt hatte. Schon wenig später waren die Friesenheimer Juden tätlichen Angriffen ausgesetzt. Aus einem Eintrag im Kirchenbuch der evang. Gemeinde: ... Den 25.Februar (Anm.: 1586) Samstag zur Nacht haben ihrer viele aus der Herrschaft Lahr, sich zusammen verbunden, wider die Juden zu Friesenheim, denen sie schuldig, dieselben überfallen, berauben und erschlagen wollen, aber ist ihnen übel gelungen, denn etliche getüret, etliche um geld gestraft, etliche ihrer Ehren entsetzt, aber keiner am Leben gestraft worden.”  Binnen Jahresfrist - noch vor Ablauf der zugesicherten Niederlassungszeit - mussten die drei jüdischen Familien Friesenheim wieder verlassen. Zu Beginn des 18.Jahrhunderts lebten die wenigen jüdischen Familien in Friesenheim getrennt von christlichen, wie es die Judenordnung von 1714 vorschrieb; in dieser hieß es u.a.:

„ ... Also befehlen und verordnen wir, dass in unseren Städten, Flecken und Dörfern kein Jud beim Christen in einem Haus, viel weniger nahe einer katholischen Kirche oder Kirchhof wohnen, sondern entweder eine eigene, von Kirchen und Kirchhöfen entfernte Wohnung selbst aufbauen ... oder aber von Christen zu ihrer Wohnung ein Haus miethen oder mit unserem gnädigsten Consens kaufen sollen ... also verordnen wir und befehlen wir unseren Beamten, dass sie hierunter die gehörige Sorgfalt vorkehren und keinem Juden ohne sonderbare unsere gnädigste Erlaubnis eine zwischen Christen auf der Hauptstrass liegende Wohnung verstatten sollen. ...”

Das Wohngebiet der Friesenheimer Juden war die „Judengasse“, ein Teil der Lahrgasse; erst im Zuge der Emanzipation löste sich das jüdische Wohnviertel auf. Nachdem zunächst Gottesdienste in Privathäusern (ab ca. 1805 im Hause der wohlhabenden Familie Lazarus Kallmann) abgehalten worden waren, errichtete die kleine orthodox ausgerichtete jüdische Gemeinde im Jahre 1820 ihre Synagoge in der Lahrgasse; sie grenzte - kaum sichtbar - als rückwärtiger Anbau an ein schon bestehendes Wohnhaus; je ein Eingang führte in die Männer- und die Frauenabteilung, beide waren durch einen Vorhang voneinander abgetrennt. Die schlichte Synagogenfassade stand ganz im Gegensatz zur Innenraumgestaltung.

Synagogengebäude (Skizze von 1941, aus: Stude, Die jüdische Gemeinde Friesenheim ..)

In der Nähe der Synagoge, in der Mühlgasse, existierte auch eine Mikwe.

                            Ausschreibungen der Lehrerstelle von 1901 und 1907

Verstorbene Friesenheimer Juden fanden ihre letzte Ruhe auf dem jüdischen Verbandsfriedhof in Schmieheim bzw. in Diersburg; die Gemeindemitglieder begleiteten dann jeweils den Totenwagen auf dem Weg zum 15 Kilometer entfernten Beerdigungsgelände.

Seit den 1820er Jahren gehörte die Friesenheimer Gemeinde dem Rabbinatsbezirk Schmieheim an; nach dessen Auflösung um 1890 befand sich der Rabbinatssitz nun in Offenburg.

Juden in Friesenheim:

    --- 1581 .............................   3 jüdische Familien,

    --- um 1740 ..........................   5     “       “    ,

    --- um 1790 ..........................   5     “       “    ,

    --- um 1820 ...................... ca.  50 Juden,

    --- um 1865 ...................... ca. 110   “   ,

    --- um 1880 ...................... ca. 135   “   (ca. 13% d. Bevölk.),

    --- um 1900 ...................... ca.  75   “   ,

    --- um 1925 ...................... ca.  50   “   ,

    --- 1933 (Jan.) ....................... 33   “   ,

    --- 1940 (Sept) ....................... 11   “   ,

             (Nov.) .......................  2   “   .

Angaben aus: Jürgen Stude, Die jüdische Gemeinde Friesenheim

 

Während der politischen Unruhen von 1848 in Baden richtete sich die Wut vieler Landesbewohner auch gegen die Juden. Die Friesenheimer Juden mussten sich den Gewaltandrohungen beugen und unter dem Druck der Straße auf ihre zugestandenen Bürgerrechte wieder verzichten. Erst 15 Jahre später erhielten sie das volle und allgemeine Ortsbürgerrecht zugestanden. Mit dem Zugeständnis der Freizügigkeit ab den 1880er Jahren setzte dann die Abwanderung jüdischer Familien Friesenheims in die größeren Städte ein. - Viehhandel war die Erwerbsquelle der Friesenheimer Judenschaft seit dem 18.Jahrhundert; auf den Viehmärkten von Kehl, Offenburg und Emmendingen wurden die Tiere von jüdischen Händlern angekauft und an die Bauern um Friesenheim weiterverkauft. In diesem Zusammenhang wurden auch Kreditgeschäfte betrieben; d.h. finanzschwache Landwirte konnten Vieh erwerben, das ihnen gegen Ausstellung eines Schuldscheins überlassen wurde. Bis in die 1920/1930er Jahre hinein blieb der Viehhandel der wichtigste Handelsbereich der Friesenheimer Juden; daneben spielte auch der Textilhandel eine Rolle.

Bis zu Beginn der 1930er Jahre bestand ein zumeist friedliches Zusammenleben zwischen jüdischer Minderheit und christlicher Mehrheit; es gab freundschaftliche Kontakte zwischen den Familien, die sich bei gemeinsamer Teilnahme an Feiern dokumentierten. Mit dem Boykott am 1.4.1933 setzte auch in Friesenheim die Ausgrenzung der wenigen jüdischen Familien ein; eine Folge war die alsbaldige Ab- und Auswanderung jüdischer Familien.

Anders als in den allermeisten Orten mit jüdischer Bevölkerung kam es in Friesenheim in den Novembertagen 1938 zu keinem „offenen“ Pogrom; das Synagogengebäude blieb von einer Inbrandsetzung verschont, obwohl mehrere Angehörige der örtlichen HJ das Gebäude aufgebrochen, die Fenster eingeworfen und das dortige Inventar verbrannt hatten. Einige jüdische Männer wurden von der Lahrer SS festgesetzt, von der Gestapo in „Schutzhaft“ genommen und vier von ihnen nach Dachau verschleppt.

Mit der Deportation von neun jüdischen Einwohnern Friesenheims nach Gurs im Oktober 1940 endete - bis auf zwei noch am Orte verbliebene - die Geschichte der jüdischen Gemeinde Friesenheim.

Das Synagogengebäude ging für 1.000,- RM im Jahre 1940 in kommunale Hand über und wurde ein Jahr später abgerissen; auf den Fundamenten wurde ein Geräteschuppen errichtet.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ kamen 37 aus Friesenheim stammende bzw. längere Zeit hier ansässig gewesene jüdische Bewohner während der NS-Zeit gewaltsam ums Leben (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/friesenheim_synagoge.htm).

 

Seit 1995 trägt der Weg, der früher zur Synagoge führte, die Bezeichnung „Synagogengasse“. Die am Gebäude angebrachte Gedenktafel trägt die folgenden Worte:

ZUR MAHNUNG GEGEN RASSISMUS UND GEWALT

In einem Anbau an diesem Haus befand sich von 1820 bis 1944 die Synagoge der jüdischen Gemeinde Friesenheim.

Zur Erinnerung an unsere jüdischen Bürger, die der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zum Opfer fielen.

8. Mai 1995

 Im Jahre 2006 wurde im Rahmen eines ökumenischen Projektes nahe des Rathauses in Friesenheim eine von einer evangelischen Jugendgruppe erstellte, in zwei Teile zerbrochene Gedenkstele enthüllt, die an die nach Gurs Deportierten erinnern soll; die Doublette befindet sich beim zentralen Mahnmal für die badischen Deportierten in Neckarzimmern (Abb. aus: mahnmal-neckarzimmern.de).

 Ein Gedenkstein erinnert an die jüdisc...ober 1940 nach Gurs deportiert wurden.  | Foto: Ekkehard Klem In umittelbarer Nähe des "Gurs-Memorialsteins" befindet sich eine Tafel, die an die neun jüdischen Bürger/innen erinnert, die nach Gurs deportiert wurden: Blandina Greilsheimer, Flora Agatha Greilsheimer, Ludwig Greilsheimer, Flora Greilsheimer, Lieselotte Greilsheimer, Delphine Haberer, Marie Haberer, Alfred Levi und Brunhilde Levi (obige Aufn. Ekkehard Klem, 2020).

Zehn sog. „Stolpersteine“ erinnern an sechs Standorten in Friesenheim an ehemalige jüdische Einwohner, die zu den Opfern der NS-Gewaltherrschaft zählen.

Stolperstein für Blandina GreilsheimerStolperstein für Flora Agatha Greilsheimerzwei Gedenkquader (Aufn. Chr. Michelides, 2022, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

 

 

 

Weitere Informationen:

F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1968, S. 96 - 98

Jürgen Stude, Die jüdische Gemeinde Friesenheim. Geschichte - Schicksale - Dokumente, in: "Beiträge zur Heimatgeschichte Friesenheim", Band 4, Hrg. Gemeindeverwaltung Friesenheim 1988

Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 400/401

Uwe Schellinger (Red.), Nichts im Ort erinnert mehr an die jüdische Gemeinde, in: „Badische Zeitung“ vom 10.11.1994

Diersburg - Die Geschichte einer jüdischen Landgemeinde 1738 - 1940, Hrg. Historischer Verein für Mittelbaden, Mitgliedergruppe Hohberg, Verlag Medien und Dialog (Klaus Schubert), Haigerloch 2000, S. 13/14

Ulrich Baumann, Zerstörte Nachbarschaften. Christen und Juden in badischen Landgemeinden 1862 - 1940, in: " Studien zur jüdischen Geschichte", Band 7, Dölling und Galitz Verlag, Hamburg 2001

Friesenheim (Ortenau-Kreis), in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Uwe Schellinger, Familienfoto. Zur Geschichte der jüdischen Familie Greilsheimer aus Friesenheim, in: "Geroldsecker Land. Jahrbuch einer Landschaft", 47/2005, S. 74 - 89

Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 136 – 138

Peter Bomans (Red.), Friesenheim: Stolpersteine, in: "Badische Zeitung" vom 6.6.2008

Geschichte der Juden in Friesenheim. Erinnerungsplätze und Spuren – Schülerprojekt der Realschule Friesenheim in Verbindung mit dem Historischen Verein, 2009/2010

Heidi Beck-Braach/Rosita Dienst-Demuth (Hrg.), 98 Briefe ins englische Exil – die gewaltsame Trennung der jüdischen Familie Levi aus Friesenheim. Zum Gedenken an die Deportation Alfred und Brunhilde Levis nach Gurs, Rivesaltes und Auschwitz, Hartmut-Gorre Verlag, Konstanz 2010

Sich verbeugen vor den Opfern – Stolpersteine gedenken den Friesenheimer Nazi-Opfern, in: „Badische Zeitung“ vom 13.7.2010

Frank Leonhardt (Red.), Wo einst jüdisches Leben wirkte, in: „Badische Zeitung“ vom 22.10.2016

Ekkehard Klem (Red.), Beispiel Friesenheim. So lief das Novemberpogrom 1938 in einer südbadischen Gemeinde ab, in: „Badische Zeitung“ vom 9.11.2018

Christine Ehlenbröker (Red.), Erinnerung darf nicht verschwinden, in: „Badische Zeitung“ vom 12.11.2018

Ekkehard Klem (Red.), In Friesenheim gab es mehr als 400 Jahre jüdisches Leben, bis die Nazis kamen - Als die Synagoge zerstört wurde, in: „Badische Zeitung“ vom 20.10.2020