Gangelt (Nordrhein-Westfalen)
Gangelt ist mit derzeit ca. 13.500 Einwohnern eine Kleinstadt im nordrhein-westfälischen Kreis Heinsberg – unweit der Landesgrenze zu den Niederlanden und Belgien (Ausschnitt aus hist. Landkarte von 1905, aus: wikipedia.org CCO und Kartenskizze 'Kreis Heinsberg', TUBS 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Flecken Gangelt um 1720 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Nachweislich lebten im Flecken Gangelt gegen Mitte des 17.Jahrhunderts jüdische Familien, die ihren bescheidenen Lebensunterhalt durch Handel mit Viehhandel und Landesprodukten bestritten. In der dörflichen Bevölkerung waren die Juden zeitweilig schwer gelitten; so soll es Anfang der 1780er Jahre schwere Ausschreitungen gegen die ortsansässigen Juden gegeben haben, die nur durch Einsatz von Militär beendet werden konnten. Auch in den 1820er Jahren gab es eine judenfeindliche Grundstimmung im Ort.
Die Judenschaft Gangelts verfügte vermutlich seit 1810/1820 über eine kleines, aus Backsteinen gemauertes Synagogengebäude, das auf einem Hinterhofgelände der Heinsberger Straße stand. Nach einer schweren Schändung wurde das kleine Gotteshaus 1824 erneut eingeweiht.
Der jüdische Friedhof, der weit außerhalb der Ortschaft (am Wirtsberg) lag, wurde erst im Jahre 1877 angelegt. In den Jahrzehnten zuvor hatten die Juden aus Gangelt ihre Toten auf dem jüdischen Friedhof in Heinsberg begraben.
Seit Anfang der 1860er Jahre gehörten die Gangelter Juden als Filialgemeinde zur Synagogengemeinde des Kreises Geilenkirchen-Heinsberg-Erkelenz.
Juden in Gangelt:
--- um 1750 ....................... wenige Familien,
--- 1857 .......................... 63 Juden,
--- 1872 .......................... 66 “ ,
--- 1895 .......................... 67 “ ,
--- 1905 .......................... 45 “ ,
--- 1911 .......................... 37 “ ,
--- 1933 .......................... 40 “ .
Angaben aus: Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil I: Reg.bez. Köln, S. 429
Seit der Jahrhundertwende war die Zahl der jüdischen Bewohner Gangelts rückläufig; zur Zeit der NS-Machtübernahme lebten hier ca. 40 Bewohner jüdischen Glaubens. Während der „Reichskristallnacht“ drangen Nationalsozialisten gewaltsam in die Synagoge ein und verwüsteten den Innenraum; eine Inbrandsetzung unterblieb wegen der unmittelbaren Nähe zu anderer Bebauung. 1940 wurde das Synagogengrundstück an der Heinsberger Straße an Privatleute verkauft; das Gebäude wurde mehrfach umgebaut, blieb aber baulich erhalten und steht seit 1993 unter Denkmalschutz.
Ehem. Synagogengebäude (Aufn. L., 2015, in: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Der jüdische Friedhof am Wirtsberg, der von 1879 bis in die NS-Zeit belegt wurde, wurde Ende der 1930er Jahre geschändet und Grabsteine teilweise zerstört. Nach dem Krieg wurde das Gelände auf Betreiben der überlebenden Jüdin Emilia Lichtenstein wieder hergerichtet; es weist heute noch etwa 30 Steine auf.
Jüdischer Friedhof (Aufn. F. Janssen, 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
2010 und 2019 wurde der jüdische Friedhof geschändet: Grabsteine wurden umgeworfen und/oder mit NS-Symbolen beschmiert.
Geschändete Gräber (Aufn. aus: "Aachener Zeitung" vom 16.7.2019)
Erstmalig wurden Anfang 2016 in den Gehwegen von Gangelt 14 sog. „Stolpersteine“ verlegt. In den beiden folgenden Jahren kamen weitere hinzu, so dass nun mit mehr als 40 messingfarbenen Steinquadern an Opfer der NS-Gewaltherrschaft erinnert wird (Stand 2024). Allein für Angehörige der Familie Falkenstein (Katharina-Kasper-Straße, früher Bruchstraße), der Familie Josephs (Heinsberger Straße) und der Familie Rosendahl (Sittarader Straße) wurden jeweils sechs Steine in das Gehwegpflaster eingefügt.
in Erinnerung an die Familien Josephs und Rosendahl (Aufn. Th., 2018, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
und in der Wallstraße (Aufn. Gmbo, 2018, aus: wikipedia.org, CCO)
Weitere Informationen:
Wilhelm Frenken, Vom gelben Ring zum gelben Stern - Die Geschichte der Juden im Heinsberger Land, in: "Heimatkalender des Kreises Heinsberg 1981", S. 103 - 119
W.Frenken/H.P.Funken/u.a., Der Nationalsozialismus im Kreis Heinsberg, in: "Museumsschriften des Kreises Heinsberg", No.11/1990, Heinsberg 1990
Horst Seferens, Tat-Beobachtungen. Die Entrechtung, Vertreibung und Ermordung der jüdischen Kaufmannsfamilie Josephs aus Gangelt während des NS-Regimes, in: "Heimatkalender des Kreises Heinsberg 1993", S. 113 - 121
Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil I: Regierungsbezirk Köln, J.P.Bachem Verlag, Köln 1997, S. 429 - 432
Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 176/177
N.N. (Red.), Entsetzen in Gangelt: Jüdischer Friedhof geschändet, in: „Aachener Zeitung“ vom 2.5.2010
Barbara Hamacher, Stolpersteine sollen an jüdisches Leben erinnern, in: „Aachener Zeitung“ vom 6.8.2015
Erinnerung an dunkle Zeiten: 42 Stolpersteine für Gangelt, in: „Aachener Zeitung“ vom 16.2.2016
Renate Kolodzey (Red.), Gunter Demnig setzt neue Stolpersteine: Ein Zeichen gegen das Vergessen, in: „Aachener Zeitung“ vom 6.2.2017
N.N. (Red.), 42 Stolpersteine erhalten die Erinnerung wach, in: „Aachener Nachrichten“ vom 2.2.2018
Auflistung aller in Gangelt verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Gangelt
N.N. (Red.), Erinnerung an das Schicksal jüdischer Mitbürger. Gangelter Initiativkreis verlegt nicht nur Stolpersteine, in: „Aachener Zeitung“ vom 6.2.2019
Marie Eckert (Red.), Jüdischer Friedhof geschändet. Kaputte Gräber in Gangelt, aber die Erinnerung lebt, in: „Aachener Nachrichten“ vom 17.7.2019
Dettmar Fischer (Red.), Erinnerungskultur. Zwei Gangelter Straßen sollen Namen jüdischer Mitbürger tragen, in: „Aachener Zeitung“ vom 1.4.2023
Helge Fabian Hertz (Bearb.), Zwischen Zerstörung und Erhalt: Der jüdische Friedhof in Gangelt von 1945 bis heute, online abrufbar unter: netolam.hypotheses.org/2099 (vom 20.1.2024)
Marc-Alexander Heckert (Red.), Den Geheimnissen des alten jüdischen Friedhofs auf der Spur, in: „Aachener Zeitung“ vom 26.1.2024