Gartz/Oder (Brandenburg)

 Landkreis Randow - WikiwandPostleitzahl von Gartz (Oder): PLZ und KarteGartz (Oder) ist ein Landstädtchen mit derzeit ca. 2.500 Einwohnern im brandenburgischen Landkreis Uckermark und Verwaltungssitz des Amtes Gartz (Oder), dem noch vier weitere Gemeinden angehören - zwischen Stettin (im N) und Schwedt (im S) gelegen (Ausschnitt aus hist. Landkarte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei).

 

Im an der Oder gelegenen Gartz hatten bereits um 1485 einzelne jüdischen Familien ein Aufenthalts- und Wohnrecht erhalten.

      Gartz um 1618 (Abb. aus: wikipedia.org, PD-100-alt)

Eine neuzeitliche jüdische Kultusgemeinde bildete sich aber erst um 1840/1850 heraus; wenige Jahrzehnte später erreichte diese mit mehr als 100 Angehörigen ihren personellen Höchststand. Zu den gemeindlichen Kultuseinrichtungen zählten der in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts in Richtung Heinrichshof angelegte Friedhof und die 1862 eingerichtete Synagoge, die mitten im Ort (im Hinterhof eines Hauses in der Königsstraße) lag.

Juden in Gartz:

         --- 1816 ............................   2 Juden,

    --- 1843 ............................  44   “  ,

    --- 1852 ............................  94   “  ,

    --- 1861 ............................ 114   “  ,

    --- 1892 ............................ 122   “  ,

    --- 1895 ............................  86   “  ,

    --- 1909 ............................  64   “  ,

    --- 1932 ............................  26   “  .

Angaben aus: Wolfgang Wilhelmus, Geschichte der Juden in Pommern (Statistik S. 251)

            Ansichtskarte / Postkarte Gartz an der Oder, Amtsgericht, | akpool.de historische Ansichtskarte (Abb. aus: akpool.de)

 

In den 1920er Jahren war die Gartzer israelitische Gemeinde in Auflösung begriffen. Um 1930 gab es im Oderstädtchen noch sechs von Juden geführte Geschäfte, zumeist in der Textilbranche.

Während des Novemberpogroms wurde auch die Synagoge in Gartz in Brand gesetzt. Aus einem Augenzeugenbericht: „ ... Der Tordurchgang zum Hinterhof des Hauses 175 in der Königsstraße war zwar weit geöffnet, aber abgesperrt, so daß wir in respektvoller Entfernung den gesamten Verlauf trotzdem noch gut überblicken konnten. Kannten wir den Tempel bisher nur vom Hörensagen, und war uns ‘Andersdenkenden’ der Zutritt verwehrt gewesen, so sahen wir erstmalig, durch das Feuer taghell erleuchtet, die kostbare innere Ausgestaltung: der Fußboden mit roten Teppichen belegt, den Altar zierten unter anderem zwei mehrarmige goldene Kandelaber und von der Decke vor dem Altar hing ein mit vielen Kristallen verzierter Kronleuchter. Die herbeigeeilten Gartzer Bürger konnten nicht begreifen, daß die Feuerwehr, die ja alarmiert war und an der Brandstätte bereitstand, nur die Nachbarhäuser vor Funkenflug schützte. ...”  Noch im November 1938 verließen die letzten jüdischen Bewohner Gartz.

Nachweislich wurden mindestens 28 jüdische Bewohner Opfer der NS-Verfolgung.

 

An die jüdische Vergangenheit von Gartz erinnern nur ca. 25 Grabsteine bzw. -relikte auf dem lange Jahre verwilderten Friedhof an der Heinrichshofer Straße; das ca. 1.000 m² große Gelände - seit Ende der 1980er Jahre "gärtnerisch aufgewertet" - ist mit einer Mauer aus roten Backsteinen umgeben.

Friedhofseingang (Aufn. Florian Koppe, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Vom einstigen Synagogengebäude gibt es keinerlei bauliche Überreste mehr.

2011 wurden fünf sog. „Stolpersteine“ verlegt, die an ehemalige jüdische Bewohner der Kleinstadt erinnern, die Opfer der NS-Diktatur geworden sind.  

Stolperstein für Georg Moses (Gartz (Oder)).jpgStolperstein für Hertha Moses (Gartz (Oder)).jpgStolperstein für Gerd Joachim Moses (Gartz (Oder)).jpg  Stolperstein für Alfred Isaac (Gartz (Oder)).jpgStolperstein für Frieda Isaac (Gartz (Oder)).jpg

verlegt Pommernstraße und Brückenstraße (Aufn. Chr. Michelides, 2020, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)                   

Seit 2013 erinnert eine schlichte Gedenkplatte an den Standort der ehemaligen Gartzer Synagoge.

                                                            Gedenktafel (Aufn. Michael Knöfel, 2013)

 

 

 

Im ehemaligen Ackerbaustädtchen Fiddichow (poln. Widuchowa) - am östlichen Oderufer gelegen - lebten im 19.Jahrhundert einige jüdische Familien; erstmals fanden Juden hier im Jahre 1718 Erwähnung. Neben einem um 1740 eingerichteten Bethaus war auch ein kleines Begräbnisgelände am Mühlenweg vorhanden. Um 1850/1860 setzte sich die israelitische Gemeinschaft aus ca. 50 Personen zusammen; danach schrumpfte die Zahl ihrer Angehörigen wieder arg zusammen, so dass sich die autonome Gemeinde auflöste und nun als Filialgemeinde der von Greifenberg angeschlossen wurde. Gegen Ende des 19.Jahrhunderts wurde das Bethaus in Fiddichow an einen Landwirt verkauft. Im Jahre 1939 lebten noch drei jüdische Bewohner in Fiddichow. 

Spuren vom ehemaligen jüdischen Friedhof sucht man heute vergebens.

 

 

 

In Penkun – nur wenige Kilometer nordwestlich von Gartz gelegen, heute zum Amt Löcknitz-Penkun gehörig - gab es in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts eine kleine jüdische Gemeinschaft, die sich aus kaum mehr als 50 Personen zusammensetzte. Ihr Betraum war in einem Haus in der Sandkuhlenstraße untergebracht. Ein kleinflächiger Friedhof lag südlich der Ortschaft am Wartiner Weg.

Dorfstraße in Penkun (Abb. aus: commons.wikimedia.org CCO)

Die jüdischen Bewohner Penkuns wurden im Febr. 1942 deportiert.

Das Friedhofsgrundstück mit seinen wenigen Grabsteinen wurde vermutlich in den 1950er Jahren eingeebnet. Seit 2007 erinnert eine Tafel am ehemaligen Bethaus an einstiges jüdisches Leben in der Ortschaft.

2022 wurden in Penkun zehn sog. „Stolpersteine“ verlegt, die an ehemalige jüdische Bewohner erinnern, die Opfer der NS-Gewaltherrschaft geworden sind.

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Weitere Informationen:

H. Gloede, Aus Fiddichows Geschichte, Fiddichow 1897

M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum," Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 356/357

Wiltraut Fiebelkorn, ‘ ... und wohnten unter uns’, in: Festschrift zur 750-Jahrfeier der Stadt Gartz, Gartz 1999, S. 43 f.

Angaben der Kommune Gartz (2005)

Gerhard Salinger, Die einstigen jüdischen Gemeinden Pommerns. Zur Erinnerung und zum Gedenken, Teilband 2, Teil III, New York 2006, S. 403 - 406 (Fiddichow)

Eva-Martina Weyer (Red.), Funkelnde Namenszüge (Stolpersteine), in: „MOZ - Märkische Oderzeitung“ vom 9.8.2011 

Michael Knöfel (Red.), Gedenken an die Pogromnacht vor 75 Jahren, in: tantower-wordpress.com vom 9.11.2013

Eva-Martina Weyer (Red.), Stolpersteine geben Anstöße bis nach Potsdam, in: "MOZ - Märkische Oderzeitung“ vom 18.11.2017

Rainer Marten (Red.), Penkun erinnert an die Deportation der Juden, in: „Nordkurier“ vom 16.2.2020

Konstantin Kraft (Red.), Jüdisches Leben in Gartz. Wo heute Wäsche trocknet, wurde einst gebetet, in: „Uckermark-Kurier“ vom 1.8.2020

Dietmar Roglitz, (Stolper-) Steine gegen das Vergessen in Penkun, in: Zeitgeschichte regional, Band 22/2022, S. 99 f.

Mathias Scherfling (Red.), Jetzt hat auch die kleine Stadt Penkun Stolpersteine, in: „Nordkurier“ vom 24.5.2022

Dietmar Roglitz, Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Penkun, in: „Pommern – Zeitschrift für Kultur und Geschichte“, Band 61/2023, S. 32 - 38