Gaya (Mähren)
Der Marktflecken Gaya (auch Geyen) - Mitte des 16.Jahrhunderts von Kaiser Ferdinand I. zur königlichen Stadt erhoben - ist das heutige tsch. Kyjov (Distrikt Hodonin/Göding) mit derzeit ca. 11.000 Einwohnern (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: europe1900.eu und Kartenskizze 'Kreis Hodonin', aus: mesta.obce.cz).
Jüdische Ansässigkeit in Gaya bestand vermutlich seit dem 16.Jahrhundert; als dann zu Beginn des 17.Jahrhunderts die Stadt auf Grund neuer kaiserlicher Privilegien zum wirtschaftlichen Mittelpunkt der Region aufstieg, waren an der Entwicklung auch zunehmend jüdische Händler beteiligt. Als christliche Stadtbewohner Gayas die Handelstätigkeit der hiesigen Juden einzuschränken versuchten, wandte sich die Judenschaft an den Kaiser Matthias II., der ihnen 1613 in einem Schutzbrief „die erworbenen Rechte der Vorfahren“ bestätigte. Auch die Absicht der Bürgerschaft, Juden aus der Stadt zu entfernen, wurde vom Kaiser ablehnend beschieden:„ ... Dahero befehlen wir... , im Namen und anstatt unser zu verordnen, auf daß Bürgermeister und Rat der Stadt Gaya erwähnte Juden in Bewohnung jener Häuser, in welchen sie von altershero gewohnt oder selbte in den Stadtbüchern eingeschrieben haben, nicht hindern.” Trotz dieses kaiserlichen Entscheides blieben die Spannungen zwischen christlichen und jüdischen Bewohnern erhalten; nur die Not des Dreißigjährigen Krieges ließ die Differenzen in den Hintergrund treten. Der Ausweisungsbefehl für Juden in Mähren - von Kaiser Ferdinand III. 1650 erlassen - betraf die jüdischen Familien in Gaya nicht, da diese bereits vor 1618 hier ansässig und außerdem im Besitz des kaiserlichen Schutzbriefs von 1613 waren.
Gaya - Stich um 1730 (aus: commons.wikimedia.org, CCO)
Nach Ende des Dreißigjährigen Krieges brachen die Streitigkeiten zwischen Juden und dem Magistrat der Stadt wieder auf; Ursache waren wieder rein wirtschaftliche Motive. Der Konflikt eskalierte dermaßen, sodass eine Entscheidung Kaiser Josef I. eingeholt wurde; dieser verbot eine Vertreibung jüdischer Bewohner aus der Stadt und bezog seine Entscheidung auf den Schutzbrief aus dem Jahre 1613. Dieses kaiserliche Patent führte nur kurzzeitig zu einer Beruhigung der Situation. Durch eine Entscheidung Kaiser Karls VI. erlangte 1717 der Magistrat der Stadt die Gerichtsbarkeit über Juden der Stadt. Wenige Jahre später gestand der Stadtrat nur 18 jüdischen Familien in einem eigenen Bezirk das Wohnrecht zu; jede weitere Familie wurde vertrieben.
Ehem. Ghettobezirk (hist. Aufn. um 1930, aus: zanikleobce, cz)
Jahrzehnte später erhöhte der Magistrat das Ansässigkeitsrecht in Gaya auf bis zu 75 Familien - eine Folge des Josephinischen Toleranzpatents; nach 1848 mussten die Juden in Gaya auch nicht mehr im Ghetto wohnen. Deren Zahl erreichte ihr Maximum in den Jahrzehnten unmittelbar nach der Jahrhundertmitte.
An Stelle eines seit ca. 1610 bestehenden Tempels ließ die Judengemeinde 1852 ihre neue Synagoge errichten.
Neuer Tempel in Gaya (hist. Aufnahmen)
Der Bau eines neuen Gebäudes für die jüdische Volksschule datiert aus dem Jahre 1865.
Ein jüdischer Friedhof bestand in Gaya vermutlich seit der frühesten Ansiedlung jüdischer Bewohner; die ältesten noch vorhandenen Grabsteine stammen aus dem ausgehenden 17.Jahrhundert. Die Existenz einer Beerdigungsbruderschaft (Chewra Kadischa) kann seit 1697 urkundlich nachgewiesen werden.
Juden in Gaya:
--- um 1650 .................. ca. 200 Juden,
--- um 1715 ...................... 18 "Judenhäuser",
--- 1787 ......................... 74 jüdische Familien,
--- 1792 ......................... 331 Juden,
--- 1830 ......................... 427 “ ,
--- 1848 ......................... 510 “ ,
--- 1857 ......................... 590 “ ,
--- 1869 ..................... ca. 880 “ ,
--- 1890 ......................... 820 “ ,
--- 1900 ......................... 620 “ ,
--- 1930 ......................... 319 “ .
Angaben aus: Hugo Gold, Die Juden und Judengemeinden Mährens in Vergangenheit und Gegenwart, S. 202
und Encyclopedia Judaica, Jerusalem 1972
Stadtzentrum/Marktplatz und Hauptstraße in Kyjov/Gaya, hist. Postkarte (Abb. aus: akpool.de)
Seit Ende des 19.Jahrhunderts ist ein steter Rückgang der jüdischen Bewohner Gayas festzustellen. In den Jahren des Ersten Weltkrieges nahm kurzzeitig die Zahl der in der Stadt sich aufhaltenden Juden enorm zu, als etwa 6.000 jüdische Flüchtlinge hier eine vorläufige Aufnahme fanden. In den 1920er Jahren setzten sich die Abwanderungstendenzen dann verstärkt fort, und die jüdische Gemeinde verkleinerte sich erheblich.
Nach der deutschen Okkupation fungierte die Stadt Gaya als Sammelpunkt für die mährischen Juden auf dem Weg in die Konzentrations- und Vernichtungslager. Zu Beginn des Jahres 1943 wurden von Gaya aus - in vier großen Transporten - etwa 2.800 Juden aus der gesamten Region nach Theresienstadt deportiert.
Die unweit des Rathauses gelegene Synagoge wurde während der Besatzungszeit durch Vandalismus beschädigt; ihr Abriss erfolgte Anfang der 1960er Jahre im Rahmen der Stadtsanierung. Seit 2002 erinnert an sie und an die einstige jüdische Gemeinde ein Gedenkstein in Form eines Davidsterns.
beschrifteter Gedenkstein (Aufn. M. 2004 und R.Linner, 2019, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)
Jüngst wurde auf dem ehemaligen jüdischen Friedhof ein Mahnmal eingeweiht.
Aufn. Radek Linner, 2015, aus: commons.wikimedia.org
Emil Singer (geb. 1881 in Gaya) war ein bekannter Graphiker und Radierer. Seine Jugendjahre verbrachte er in Brünn, übersiedelte dann nach Wien, wo er zunächst an einer Privatschule Malunterricht nahm und danach an die Graph. Lehr- und Versuchsanstalt überwechselte. Singer arbeitete dann als Heliogravurtechniker, zeichnete Karikaturen für deutsche u. österreichische satirische Zeitschriften und fertigte zudem farbige Radierungen an (Stadt- und Architekturdarstellungen von Wien und Brünn). Im Wiener Künstlerhaus waren seine Werke bei Ausstellungen vertreten. Emil Singer war Mitglied zahlreicher Organisationen, so gehörte er u.a. der Vereinigung Deutsch-Mährisch bildender Künstler und dem Zentralverband bildender Künstler Österreichs an. Zusammen mit seiner Ehefrau wurde er Mitte Mai 1942 nach Izbica deportiert und dort ermordet.
In der Nähe von Gaya, im Dorfe Kosteletz (älter auch Kostellitz, tsch. Kostelec u Kyjova, derzeit ca. 900 Einw.), existierte von ca. 1780 bis 1850 eine jüdische Gemeinde; anfänglich setzte sie sich ausschließlich aus Familien zusammen, die aus Göding vertrieben worden waren. Zu den gemeindlichen Einrichtungen der kleinen Gemeinde gehörten ein Bethaus und ein Friedhof. Durch den Wegzug ins benachbarte Gaya oder in andere Städte löste sich die Gemeinde völlig auf.
Weitere Informationen:
Theodor Haas, Juden in Mähren - Darstellung der Rechtsgeschichte und Statistik unter besonderer Berücksichtigung des 19.Jahrhunderts, Brünn 1908
Heinrich Flesch (Bearb.), Die Tekkanoth (Statuten) der Gemeinde Gaya, in: Hugo Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Mährens in Vergangenheit und Gegenwart, Jüdischer Kunst- und Buchverlag Brünn, 1929, S. 31 - 44
Alfred Ehrlich/Ernst Hayek (Bearb.), Geschichte der Juden in Gaya, in: Hugo Gold, Die Juden und Judengemeinden Mährens in Vergangenheit und Gegenwart, Jüdischer Kunst- und Buchverlag Brünn, 1929, S. 199 - 205
Hugo Gold, Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden Mährens, Olamenu-Verlag, Tel Aviv 1974, S. 48 – 54 und S. 71
P.Ehl/A.Parík/Jirí Fiedler, Alte Judenfriedhöfe Böhmens und Mährens, Paseka-Verlag, Prag 1991
Axel Junghans, Emil Singer 1881 – 1942: Biographie, Werkverzeichnis, Dokumentation, Abbildungen, 2015
Axel Junghans, Emil Singer 1881 – 1942. Maler – Radierer – Holocaustopfer, 2.Teil, Selbstverlag A.Junghans Wiesbaden 2018