Gehrden (Niedersachsen)

Datei:Gehrden in H.svg Bebauungsplan Nr. 43 Alt-Gehrden Die Stadt Gehrden mit derzeit ca. 15.000 Einwohnern liegt im Calenberger Land und gehört zur Region Hannover (Kartenskizze 'Region Hannover', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0 und aktuelle Karte 'Stadt Gehrden', aus: gehrden.de).

 

Zu Beginn des 18.Jahrhunderts wurde die erste jüdische Familie im Flecken Gehrden bei Hannover ansässig. Für mehr als ein Jahrhundert lebten hier nur sehr wenige Juden, da die christlichen Bewohner stets gegen jeden weiteren Zuzug opponierten; sie sahen in den jüdischen Familien eine wirtschaftliche Konkurrenz. Seit dem beginnenden 19.Jahrhundert nahm die Zahl der Familien dann stetig zu; so erreichte die Gemeinde in den 1850er Jahren mit mehr als 100 Angehörigen ihren zahlenmäßigen Höchststand. Der Synagogengemeinde Gehrden gehörten in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts auch Juden folgender Ortschaften an: Groß Goltern, Hohenbostel, Landringhausen, Ronnenberg und Winninghausen; ab 1871 wurden noch Empelde und Holtensen angeschlossen.

1850 erfolgte die „Tempelweihe“ der neuen Synagoge; in den Jahrzehnten zuvor muss bereits ein Synagogengebäude bestanden haben, das vermutlich neben der Abhaltung von Gottesdiensten auch als Schulhaus und Lehrerwohnung gedient hatte.

Aus dem „Sonntagsblatt für Bürger und Landmann” vom 22.12.1850:

Tempelweihe in Gehrden am 3.Dec. 1850.

Lieber Freund !

Soeben zurückgekehrt von Gehrden, setze ich mich gleich, um Dir zu schreiben, was ich heute gehört und gesehen. - Es ist nämlich das dortige neu erbaute Gotteshaus der Juden heute eingeweiht worden. Laß mich denn von dieser Feierlichkeit Dir Einiges mittheilen. Eine ziemlich große Menge Theilnehmer des Festes, sowohl Juden als Christen, hatte sich aus der Umgebung eingefunden. Zuerst versammelten Jene sich beim alten Tempel, um von ihm Abschied zu nehmen, zogen dann mit Gesang zum neuen, der sich nicht weit von unserer Kirche klein, einfach und doch schön erhebt. Der jüdische Sängerchor aus Hannover sang im Tempel mehre Psalmen. Nachdem gebetet, ein Psalm gelesen und wieder gesungen war, ward die Einweihungsrede vom Oberrabbiner Meyer aus Hannover gehalten. ...”

Eine Mikwe war der Synagoge angeschlossen. Auch eine eigene jüdische Schule war von der Gemeinde eingerichtet worden.

Gegen Mitte des 18.Jahrhunderts wurde ein jüdisches Begräbnisgelände am Köthnerberg - weitab von der damaligen Bebauung - in Nutzung genommen und diente nahezu zwei Jahrhunderte als "Guter Ort".

Juden in Gehrden:

         --- 1776 ...........................  11 Juden,

    --- 1810 ...........................   6 jüdische Familien (ca. 65 Pers.),

    --- 1825 ...........................  16     “       “    ,

    --- 1842 ...........................  58 Juden,

    --- 1858 ...........................  95   “  ,

    --- 1861 ........................... 110   “  ,

    --- 1871 ...........................  74   “  ,

    --- 1885 ...........................  49   “  ,

    --- 1895 ...........................  48   “  ,

    --- 1905 ...........................  29   “  ,

    --- 1925 ...........................  14   “  ,

    --- 1933 ...........................  12   “  ,

    --- 1939 ...........................   8   “  .

Angaben aus: Hans-Erich Wilhelm, Die Gehrdener Israelitische Synagogengemeinde, S. 81

Gehrdener Ansichten - Gehrden bis 1960Steinweg in Gehrden (Abb. aus: gehrdener-ansichten.de)

 

Hatte gegen Mitte des 19.Jahrhunderts die Zahl der Gehrdener Gemeindemitglieder ihren Höchststand erreicht, so ging danach ihre Anzahl stetig zurück; Grund dafür war eine Abwanderung, vornehmlich ins nahe Hannover.

Gottesdienste haben vermutlich nur bis in die Jahre des Ersten Weltkrieges in Gehrden stattgefunden; denn zu diesem Zeitpunkt war die Zahl der Gemeindemitglieder nicht mehr ausreichend, um nach den religiösen Vorschriften Gottesdienste durchzuführen. Auch die jüdische Schule hat wohl zu dieser Zeit nicht mehr bestanden. Das um 1920 veräußerte Synagogengebäude diente nach einem Umbau geschäftlichen Zwecken.

Zu Beginn der NS-Machtübernahme lebten nur noch zwölf Juden in Gehrden. Während des Novemberpogroms wurden Fenster und Einrichtung des ehemaligen Synagogengebäudes und eines jüdischen Geschäfts- und Wohnhauses zerstört; von einer Inbrandsetzung nahm man wegen der Nähe zu umliegenden Gebäuden (Margarathenkirche, Rathaus) Abstand. 

Mindestens 17 gebürtige bzw. über einen längeren Zeitraum hinweg in Gehrden wohnhaft gewesene jüdische Bürger wurden Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betreffenden Personen siehe: wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Juden_in_Gehrden).

             

Das ehemalige Synagogengebäude am Steinweg wurde 1979 abgebrochen; dort, wo heute Neubauten stehen, befindet sich heute eine kleine Gedenkstätte.

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Gedenkstätte und -tafel (Aufn. A. Hindemith, 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

In der Dammstraße erinnern seit 2008 zwei sog. „Stolpersteine“ an Amalie Dammann (geb. Löwenstein) und ihren Sohn Ludwig; beide wurden Opfer der NS-Gewaltherrschaft.

Gehrden Stolperstein A Dammann.jpgGehrden Stolperstein L Dammann.jpg Aufn. A.Hindemith, 2017, aus: commons.wikimedia.org, CC BY 3.0

Auf dem jüdischen Friedhof in Gehrden (Köthnerberg) befinden sich heute noch ca. 75 Grabsteine; der älteste datiert von 1752.

Gehrden jüdischer Friedhof Gräber.jpg

Jüdischer Friedhof in Gehrden (Aufn. Axel Hindemith, 2014, aus: commons.wikimedia.org, CC BY 3.0)

 

 

 

Datei:Ronnenberg in H.svg Erster schriftlicher Nachweis eines (aber nicht namentlich genannten) Juden in Ronnenberg datiert von 1758. Mit dem aus dem bayrischen Demmelsdorf (Region Bamberg) stammenden Juden Samuel Aron Seligmann, der 1794 einen Schutzbrief erhielt und sich in Ronnenberg niederließ, begann die eigentliche Historie der kleinen jüdische Gemeinschaft im Dorf. Neben dem Hausierer- und Schlachtgewerbe betrieb Seligmann einen kleinen Textilhandel. Auch seine Nachfahren, die in der Folgezeit im wesentlichen die jüdische Ortsgeschichte bestimmten, übten diese genannten Tätigkeiten aus.

Im Obergeschoss des Wohnhauses der Familie Seligmann (Velsterstraße) befand sich seit ca. 1920 der Betraum der jüdischen Familien von Ronnenberg, die seit 1833 offiziell zur Synagogengemeinde Gehrden gehörten.

Auf einem kleinflächigen Friedhofsgelände an der Straße „Im Dorfe“, das der jüdische Kaufmann Feissel Seligmann von der evang. Kirchengemeinde gekauft hatte, fanden seit 1846 Begräbnisse statt (zuvor war der Friedhof in Gehrden genutzt worden); die letztmalig hier erfolgte Beerdigung war 1933.

In der Pogromnacht wurden fünf Juden aus Ronnenberg verhaftet und ins KZ Buchenwald eingeliefert. Während der Jahre 1937 bis Kriegsbeginn wurden aus Ronnenberg 25 jüdische Bewohner vertrieben; drei* von ihnen fielen der NS-Gewaltherrschaft zum Opfer. (*andere Angabe: 13 Pers.)

Am früheren Wohnhaus von Siegfried Seligmann ist eine Gedenktafel angebracht; sie trägt die Worte: „ Höre Israel. So beteten bis zum Jahre 1938 im Betsaal in diesem Hause unsere jüdischen Bürgerinnen und Bürger. Zur Erinnerung - Stadt Ronnenberg 1998

             undefined (Aufn. A.Hindemith, 2024, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Als erste Kommune in der Region Hannover hat Ronnenberg im Jahre 2005 drei sog. „Stolpersteine“ verlegen lassen, die den ermordeten jüdischen Bewohnern Max und Rosie Seligmann und Lina Cohen gewidmet sind. Ende 2019 kamen weitere 22 Steine hinzu, die an 22 aus Ronnenberg vertriebene und ins Exil gegangene Juden (zumeist aus den Familien Seligmann) erinnern.

 Stolperstein Hermann SeligmannStolperstein Siegfried SeligmannStolperstein Alma SeligmannStolperstein Else SeligmannStolperstein Ursula Seligmann

verlegt in der Velsterstraße (Aufn. T. Rademacher, 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Stolperstein Max SeligmannStolperstein Rosa Seligmann  

 verlegt 'Über den Beeken' (Aufn. Dmt 2016, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0 und  G., 2021, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

Auf dem kleinflächigen jüdischen Friedhof in Ronnenberg (ca. 150 m²) befinden sich 13 Grabstätten mit neun Grabsteinen. Zudem errichteten Holocaust-Überlebende für drei ihrer Angehörigen hier symbolische Grabstätten.

Jüd. Friedhof (Aufn. G., 2023, aus: commons. wikimedia.org, CC BY- SA 4.0)

  Nahe dem jüdischen Friedhof an der Straße Am Weingarten/Ecke Velsterstraße wurde 2013 eine Gedenkstele errichtet, die die Namen der verfolgten, vertriebenen und ermordeten Juden aus Ronnenberg trägt (Aufn. A.Hindemith, 2024, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0 und aus: leine-on.de).

 

 

 

In Wennigsen (Deister) – nur wenige Kilometer südlich von Gehrden – haben zeitweise nur vereinzelt jüdische Bewohner gelebt.

Seit 2022 findet man in der Neustadtstraße im Ort zwei sog. „Stolpersteine“, die an die verfolgte Jüdin Laya Semler und ihren Ehemann erinnern; beide haben die NS-Zeit überlebt und sind hochbetagt 1975 bzw. 1980 verstorben.

Stolperstein Adolf Semler, 1, Neustadtstraße 15, Wennigsen, Region Hannover.jpgStolperstein Laya Semler, 1, Neustadtstraße 15, Wennigsen, Region Hannover.jpg Aufn. G., 2022, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0

 

 

 

Weitere Informationen:

Georg Meyer, Festschrift zur 1400-Jahrfeier Ronnenbergs, Ronnenberg 1930

Günter Köster, Die jüdische Gemeinde in Gehrden, in: Werner Fütterer (Hrg.), Gehrden - Vom Flecken zur Großgemeinde, Gehrden 1976

Friedel Homeyer, Der Jüdische Friedhof in Gehrden, in: Gestern und Heute. Juden im Landkreis Hannover, Hannover 1984, S. 219 - 224

Friedel Homeyer, Der Jüdische Friedhof in Ronnenberg, in: Gestern und Heute. Juden im Landkreis Hannover, Hannover 1984, S. 246 - 248

Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Niedersachsen II (Regierungsbezirke Hannover und Weser-Ems), Pahl-Rugenstein Verlag, Köln 1986, S. 61

Hans-Erich Wilhelm, Die Gehrdener Israelitische Synagogengemeinde - Leben und Leiden jüdischer Mitbürger, Hrg. Deutsch-Israelische Gesellschaft, AG Hannover, 1992

Claus Füllberg-Stollberg, Die Rolle der Oberfinanzbehörden bei der Vertreibung der Juden: Familie Seligmann aus Ronnenberg bei Hannover, in: "zeitenblicke", No.3/2004 (online unter: zeitenblicke.historicum.net)

Nancy Kratochwill-Gertich/Antje C. Naujoks (Bearb.), Gehrden, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 1, S. 595 – 603

Stolpersteine erinnern an die Schicksale – Gehrden Teil des dezentralen Denkmals, in: „Deister-Leine-Zeitung“ vom 13.11.2008

Auflistung der in Gehrden verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter. wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Gehrden

Auflistung der in Ronnenberg verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Ronnenberg

Peter Hertel, Die Juden von Ronnenberg, Teil 1 (1700-1933) und Teil 2 (1933-1939-2012), in: "Schriften zur Stadtentwicklung", Bd. 4 + 5, Ronnenberg 2012

Ingo Rodriguez (Red.), Ausstellung zeigt Schicksal der Juden, In: „Hannoversche Allgemeine“ vom 5.11.2013 (betr. Ausstellung zur 150jährigen Geschichte der Juden in Ronnenberg anlässlich des 75.Jahrestages der Reichspogromnacht)

Carsten Fricke (Red.), Gedenkstein erinnert an Schicksal der Juden, in: „Hannoversche Allgemeine“ vom 7.11.2013 (betr. Ronnenberg)

Peter Hertel/Christiane Buddenberg-Hertel, Die Juden von Ronnenberg: Eine Stadt bekennt sich zu ihrer Vergangenheit, in: "Schriftenreihe der Gedenkstätte Ahlem", 2016

Peter Hertel/Christiane Buddenberg-Hertel (Bearb.), Ausstellung „Juden in Ronnenberg – Flucht oder KZ“ (gezeigt in der Celler Synagoge Aug./Sept. 2018)

Heidi Rabenhorst (Red.), Ehepaar Hertel leistet viel Erinnerungsarbeit, in: „Neue Presse“ vom 26.10.2018

Ann Kathrin Wucherpfennig/Heidi Rabenhorst (Red.), Ronnenberg bekommt neue Stolpersteine, in: „Hannoversche Allgemeine“ vom 5.6.2019

Peter Hertel/Christiane Buddenberg-Hertel, Stolpersteine in Ronnenberg, Hrg. Förderverein Erinnerungsarbeit Ronnenberg e.V., 2019 (vgl. dazu: con-nect.de/nachricht/27783-22-neue-stolpersteine-fuer-ronnenberg.html)

N.N. (Red.), Erinnerungsverein verlegt 22 Stolpersteine in Ronnenberg, in: „Hannoversche Allgemeine“ vom 13.11.2019

FER - Förderverein Erinnerungsarbeit Ronnenberg e.V. (Hrg.), Die Ronnenberger Juden (1758-1939), Flyer 2021 (auch online abrufbar unter: cdn.max-e5.info/damfiles/default/kg_empelde/2021/Juedisches-Leben-in-Ronnenberg)

Auflistung der in Wennigsen verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Wennigsen_(Deister)

N.N. (Red.), Nach eineinhalb Jahren Verzögerung: Wennigsen bekommt zwei Stolpersteine für Laya und Adolf Semler; in: „Hannoversche Allgemeine“ vom 16.6.2022