Gelsenkirchen (Nordrhein-Westfalen)
Gelsenkirchen ist heute eine Großstadt mit derzeit ca. 265.000 Einwohnern (Reg.bezirk Münster); die im Kernraum des Ruhrgebiets liegende Stadt wies eine starke Entwicklung seit dem ausgehenden 19.Jahrhundert auf (Kartenskizze des zentralen Ruhrgebietes, aus: suche-postleitzahl.org).
Die ersten urkundlich erwähnten Namen von jüdischen Familien finden sich in einer Aufstellung von „Schutzjuden“ der Grafschaft Mark/Cleve aus dem Anfang des 18.Jahrhunderts. Mit der beginnenden Industrialisierung nahm auch die Zahl der jüdischen Einwohner in Gelsenkirchen zu. Doch erst 1874 gründete sich eine selbstständige jüdische Gemeinde; die Zahl der jüdischen Bewohner lag damals bei ca. 250 Personen.
Bis dato hatten die nur sehr wenigen Gelsenkirchener Juden zur israelitischen Gemeinde in Wattenscheid im Synagogenbezirk Hattingen gehört, wo sie auch an den dort abgehaltenen Gottesdiensten teilnahmen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die jüdische Gemeinde von Gelsenkirchen zur größten Synagogengemeinde im heutigen Regierungsbezirk Münster. Die Gründung der jüdischen Volksschule in Gelsenkirchen ist nicht genau datiert; sicher ist aber, dass die Kinder Gelsenkirchener Juden zunächst die jüdische Schule in Wattenscheid besuchten. Mit der Zunahme der jüdischen Bevölkerung war dann auch die Einrichtung einer eigenen privaten Schule in der Neustraße verbunden. Diese wurde 1884 zur öffentlichen Schule erklärt. Anfang der 1890er Jahre besuchten etwa 80 Kinder die Schule, später wuchs ihre Zahl auf ca. 120 an; dabei wurden zunächst alle Altersklassen in einem einzigen Raume unterrichtet, ehe man 1894 ein neues Schulgebäude in der Ringstraße bezog. 1908 wurde die jüdische Schule in eine städtische Schule umgewandelt. Im Sommer 1885 weihte der Kölner Rabbiner Dr. Abraham Frank die neue Synagoge in der Neustraße, der späteren Gildenstraße, ein. Der nach Plänen des Essener Architekten Peter Zingel erstellte Bau im maurischen Stil mit zwei Türmen bot mehr als 400 Gläubigen auf zwei Etagen Platz.
Bauskizze u. Zeichnung der Synagoge (von Hermann Peters) und Innenraum (hist. Aufn.)
Ab 1914 arbeitete Dr. Siegfried Galliner (geb. 1875 in Zinten/Ostpr.) als Rabbiner in Gelsenkirchen; er hatte dieses Amt bis zu seiner Emigration nach London (Frühjahr 1939) inne.
Dr.Galliner mit einer Schülergruppe (aus: stolpersteine-gelsenkirchen.de)
Siegfried Julius Galliner wurde 1875 als Sohn des Kantors der Gemeinde Zinten geboren. Nach Besuch des Gymnasiums in Posen besuchte das Berliner Rabbinerseminar und studierte an der Universität Berlin Sprachen und Philosophie. Nach seiner Promotion (1902 an der Universität Erlangen) wurde er als Rabbiner ordiniert. Zunächst war er als Lehrer an der Schule der Berliner Gemeinde Adass Jisroel tätig; anschließend wechselte er an die israelitische Religionsschule in Beuthen/Bytom. Im Jahre 1914 wurde Dr. Galliner dann zum ersten Rabbiner der liberalen Synagogengemeinde Gelsenkirchen berufen; dieses Amt führte er ca. 25 Jahre aus. Vor Beginn des Zweiten Weltkrieges gelang ihm die Emigration nach England; er starb 1960 in London .
Bis zur Erlangung der Selbstständigkeit der Gemeinde wurden die Gemeindeangehörigen auf dem jüdischen Friedhof in Wattenscheid beigesetzt; 1876 entstand der erste Friedhof in Bulmke-Hüllen an der Wanner Straße/Oskarstraße; eine Trauerhalle wurde hier 1904 erstellt. Ende der 1920er Jahre wurde die neue Friedhofsanlage am Stadtrand in Ückendorf (als Teil des Südfriedhofs) eingerichtet, da das Begräbnisgelände in Bulmke vollständig belegt war. (Anm. Aber noch bis 1936 wurden auf dem Friedhof in Bulmke-Hüllen Beerdigungen in Familiengräbern vorgenommen.)
Trauerhalle auf dem Friedhof Bulmke-Hüllen
(beide Abbildungen aus: Marlies Mrotzek, Der jüdische Friedhof in Gelsenkirchen-Bulmke)
Trauerhalle - jüd. Friedhof in Gelsenkirchen-Ückendorf (Aufn. U. Knufinke, um 2010)
Juden in Gelsenkirchen:
--- 1818 ............................ 4 Juden,
--- 1843 ............................ 31 “ ,
--- 1855 ............................ 35 “ ,
--- 1876 ............................ 36 jüdische Familien,
--- 1880 ............................ 401 Juden,
--- 1890 ............................ 701 “ ,
--- 1903 ............................ 1.116 “ ,
--- 1918 ............................ 1.173 “ ,
--- 1925 ............................ 1.415 “ ,
--- 1929 ............................ 1.778 “ ,* * nach Eingemeindung von Buer u. Horst
--- 1932 ........................ ca. 1.400 “ ,
--- 1935 ............................ 1.287 “ ,
--- 1938 ............................ 1.026 “ ,
--- 1939 ............................ 720 “ ,
--- 1940 ............................ ? “ .
Angaben aus: Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Reg.bez. Münster, S. 245
und Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 ... , S. 619
Alt-Gelsenkirchen: Bahnhofstr/Dickampstr. - Neumarkt (Sammlung Karlheinz Weichelt, aus: gelsenkirchener-geschichten.de)
Neben einer großen liberalen Synagogengemeinde existierten in Gelsenkirchen mindestens noch drei kleinere orthodoxe Gemeinschaften, deren genaue Mitgliederzahl aber unbekannt ist. Eine der orthodoxen Gruppierungen setzte sich aus polnischen Juden zusammen und hatte ihr Domizil in der Arminstraße, eine zweite, die sog. „Amos-Loge“, in der Bahnhofstraße. Die größte und einflussreichste war in der Husemannstraße beheimatet; ihr Versuch, eine eigene „Israelitische Religionsgemeinschaft” zu gründen, scheiterte jedoch an ihrer geringen Mitgliederzahl. Zwischenzeitlich wirkte in Gelsenkirchen, etwa ab 1922, Dr. Joseph Weiß als orthodoxer Rabbiner des „Vereins zur Wahrung der religiösen Interessen des Judentums in Westfalen“. Um 1900 stellten unter der jüdischen Bevölkerung Gelsenkirchens – neben Angestellten und Handwerkern – vor allem Kaufleute und Handelstreibende die größten Berufsgruppen; in den 1920er Jahren lassen sich in der Stadt ca. 80 Geschäfte jüdischer Eigentümer nachweisen. Der Anteil der Juden in der Arbeiterschaft war nahezu bedeutungslos. Unmittelbar vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten lebten in der Stadt Gelsenkirchen etwa 1.400 jüdische Bürger.
Bekleidungshaus Silberberg (hist. Aufn., um 1925)*
*Die Firma Silberberg wurde erst 1908 gegründet; mit dem wirtschaftlich-industriellen Aufschwung der Stadt ging die Expansion des Geschäftes innerhalb kürzester Zeit einher.
Anzeigen jüdischer Geschäftsleute:
Im Rahmen organisierter Boykott-Aufrufe fand am 23.März 1933 eine der ersten „wilden Aktionen“ gegen das jüdische Kaufhaus der Gebrüder Alsberg statt; andere antijüdischen Maßnahmen folgten. Seit 1936 setzten auch in Gelsenkirchen die „Arisierungen“ jüdischer Betriebe ein. In einer Kurzmitteilung der „National-Zeitung“ vom 18.10.1936 hieß es:
Die repräsentativen Geschäftsräume des Schuhjuden Gross hat das Porzellanhaus Kettgen übernommen, während der Möbeljude Broch in der Glaspassage dem arischen Möbelhändler Heiland gewichen ist. Damit ist ein weiterer erfolgreicher Schritt zur Entjudung der Bahnhofstrasse getan worden, der um so mehr zu begrüßen ist, als diese größte Geschäftsstraße unserer Vaterstadt nicht zu Unrecht als ihr Aushängeschild angesehen werden kann.
Knapp zwei Jahre später – am 26. August 1938 - hieß es in einer Zeitungsmeldung:
Das jüdische Kaufhaus Höfling in der Wilhelm-Gustloff-Straße ist nach Übereinkunft mit den zuständigen Parteistellen und Behörden in den Besitz des langjährigen Geschäftsführers, des Pg. Joh. Rensmann, übergegangen. So erfreulich diese Tatsache ist, so wenig angenehm wird man überrascht, wenn man hört, dass sich zurzeit noch rund 160 jüdische Betriebe in Gelsenkirchen befinden.
Im Rahmen der sog. „Polenaktion“ wurden Ende Oktober 1938 etwa 70 Gelsenkirchener Juden abgeschoben.
In der Nacht vom 9./10.November 1938 wurde auch die Synagoge in Gelsenkirchen zerstört; die Feuerwehr beschränkte sich nur darauf, die Nachbargebäude zu schützen.
In einem Bericht der „Gelsenkirchener Allgemeinen Zeitung” vom 11.11.1938 hieß es:
.... Auch in Gelsenkirchen setzten diese Aktionen gestern in den frühen Morgenstunden ein: dabei wurde wohl keines der noch vorhandenen jüdischen Geschäfte verschont. Besonders augenfällig, weil hier noch die meisten Geschäfte dieser Art vorhanden, waren die Kundgebungen in der Schalker Straße, der Kirchstraße, der Wilhelm-Gustloff-Straße und der Karl-Laforee-Straße. In der Bahnhofsstraße wurden ebenfalls, zum Teil auch in sog. Etagen-Geschäften die Schaufensterscheiben zertrümmert. Die Synagoge an der Ecke Stürmer- und Georgsstraße (Anm.: ‘Stürmerstraße’ = Gildenstraße) brannte völlig aus. In den Nachmittagsstunden wurden die leeren Fensterhöhlen in den Geschäften größtenteils durch Bretterverschläge provisorisch geschlossen.- Starke Menschenmassen zogen im Laufe des gestrigen Tages an den Stätten der Aktionen vorüber. Schutzpolizeibeamte hielten überall die Ordnung aufrecht.
Brennende Synagoge Nov. 1938 (Stadtarchiv)
Anschließend forderte der Oberbürgermeister die jüdische Gemeinde auf, „aus sicherheitspolizeilichen Gründen” die baufällige Synagoge abzureißen; die hohen Abrisskosten wurden der Kultusgemeinde auferlegt. Ende Januar 1942 erfolgten die ersten Deportationen aus Gelsenkirchen. Bei den städtischen Hallen auf dem Wildenbruchplatz wurde der erste „Juden-Sammeltransport in Lager des Ostens“ zusammengestellt; darunter befanden sich allein ca. 350 jüdische Einwohner Gelsenkirchens. Etwa die Hälfte aller Gelsenkirchener Juden wurde deportiert, die meisten kamen ums Leben; nur ca. 50 Personen sollen überlebt haben.
Nach Kriegsende kehrten etwa 100 überlebende Juden nach Gelsenkirchen zurück; zusammen mit anderen schlossen sie sich in Recklinghausen zu einer Gemeinde zusammen, der Jüdischen Kultusgemeinde Bochum-Herne-Recklinghausen. Langjähriger Vorsitzender der unter seiner Mitwirkung wieder aufgebauten jüdischen Kultusgemeinde Gelsenkirchen war der Unternehmer Kurt Neuwald (geb. 1906 in Gelsenkirchen, gest. 2001). Nur er und sein Bruder überlebten die NS-Zeit, 24 Familienangehörige wurden Opfer der Shoa. Im Jahre 2005 wurde auf dem nach ihm benannten Kurt-Neuwald-Platz eine Gedenktafel angebracht.
Abb. J. 2016, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Am ehemaligen Standort der Synagoge in Gelsenkirchen an der Gildenstraße erinnert seit 1963 eine Steinmauer mit einer Gedenktafel an die Brandnacht 1938; die in goldfarbenen Lettern angebrachte Inschrift lautet:
An dieser Stelle stand die Synagoge der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen.
Sie wurde am 9.November 1938 ein Opfer des Rassenwahnes.
Möge sich solche Tat nie wiederholen.
Gelsenkirchen, den 9.November 1963
1993 wurde das Synagogengrundstück in „Platz der Alten Synagoge” umbenannt; der Leopold-Neuwald-Platz (zwischen dem Bildungszentrum und den Stadtwerken Gelsenkirchen) erinnert an die Verfolgung und Ermordung jüdischer Bürger Gelsenkirchens.
Seit 1958 hielt die Jüdische Gemeinde ihre Gottesdienste in der neuen Synagoge an der Von-der-Recke-Straße ab.
Der erste und auch älteste jüdische Friedhof auf Gelsenkirchener Stadtgebiet - in Bulmke-Hüllen an der Wanner Straße/Oskarstraße – steht mit seinen 400 Grabstätten seit 1995 unter Denkmalschutz. Der älteste vorhandene Grabstein datiert von 1874.
alter jüdischer Friedhof (Aufn. Strickling 2020, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Auf dem im Stadtteil Ückendorf gelegenen neuen jüdischen Friedhof befinden sich ca. 200 Grabsteine.
neuer jüdischer Friedhof (Aufn. Strickling 2020, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Durch die Zuwanderung von Juden aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion ist die Existenz der Gemeinde gesichert; 2004 gehörten ihr fast 500 Mitglieder an, 15 Jahre später waren es aber nur noch ca. 300.
In der Gildenstraße, dem Standort der 1938 zerstörten Synagoge, wurde am 9.November 2004 der Grundstein für ein neues Gebets- und Gemeindehaus gelegt und nach etwa zweijähriger Bauzeit am 1. Februar 2007 in Anwesenheit der Präsidentin des Zentralrates, Charlotte Knobloch, des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Jürgen Rüttgers u.a. in einem Festakt eingeweiht. In seiner Rede sagte Rüttgers: „... Der Bau der Synagoge ist ein großer Vertrauensbeweis in die Stabilität unserer Demokratie und ist ein klares Bekenntnis zu unseren kulturellen Grundlagen. Wer eine Synagoge baut, will auch, dass seine Kinder und Enkelkinder bleiben.“
neue Synagoge (Aufn. D. Ullrich, 2007, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0) und Einbringen der Thora-Rollen (Aufn. Chajm Guski, 2007)
Glasfenster im Betraum (Aufn. Martin Möller, aus: derwesten.de)
Aus Anlass des 70. Jahrestages des Novemberpogroms wurde im Innenhof der Neuen Synagoge eine „Gedenkwand“ enthüllt und der Öffentlichkeit präsentiert, die die Namen der 492 Gelsenkirchener Deportationsopfer trägt. Seit 2020 erinnert die Stadt Gelsenkirchen mit einem Gedenkbuch an alle Opfer der Verfolgung. Zwei Jahre später wurde am Wildenbruchplatz eine Gedenktafel angebracht, die daran erinnert, dass von hier aus die erste Deportation mehrerer hundert Juden ins Ghetto Riga erfolgte.
Auch Gelsenkirchen gehört zu den Städten, in denen sog. „Stolpersteine“ verlegt wurden; beginnend im Jahre 2009 sind im gesamten Stadtgebiet inzwischen ca. 320 solcher messingfarbenen Namenstäfelchen (Stand 2023) in das Gehwegpflaster eingefügt worden. Zudem erinnert eine "Stolperschwelle" an die Zehntausende von Zwangsarbeitern, die hier zumeist in der Rüstungsproduktion eingesetzt waren.
Aufn. aus: gelsenblog.de
"Stolpersteine", die an Kinder/Jugendliche aus Gelsenkirchen erinnern (Aufn. G., 2013, aus: wikipedia.org, CCO)
Im Jahre 2008 wurde mit der Restaurierung und dem Umbau des Gebäudes der Alten Synagoge begonnen; zwei Jahre später konnte die neue Begegnungsstätte „Alter Jüdischer Betsaal“ eingeweiht werden.
Im Jahre 2013 hat der FC Schalke 04 vor der Veltins-Arena eine Gedenktafel angebracht, die an ehemalige jüdische Mitglieder und Förderer des Vereins erinnert.
Kurt Neuwald wurde 1906 in Gelsenkirchen geboren. 1942 wurde er - wie viele andere Angehörige seiner Familie - nach Riga deportiert. Er überlebte und kehrte 1945 in seine Geburtsstadt zurück, wo er - zusammen mit anderen - am Wiederaufbau der jüdische Gemeinde aktiv mitwirkte. Kurt Neuwald wurde alsbald Vorsitzender der Jüdischen Gemeinden in Westfalen-Lippe und Gründungsmitglied des Zentralrates der Juden in Deutschland. 1995 wurde er Ehrenbürger der Stadt Gelsenkirchen. Kurt Neuwald starb am 6. Februar 2001 in Gelsenkirchen.
In Gelsenkirchen-Buer existierte auch eine halb-autonome jüdische Gemeinde. Seit Mitte des 19.Jahrhunderts gehörten die nur sehr wenigen jüdischen Bewohner Buers zur Synagogengemeinde Dorsten. In den 1920er Jahren bildete sich eine Art ‚Untergemeinde’ in Buer, die ein neues Synagogengebäude errichten ließ und 1922 einweihte; die jüdische Bevölkerung lag zu diesem Zeitpunkt bei ca. 150 Personen.
Skizze der Synagoge und Innenraum (Skizze und hist Aufn. aus: gelsenkirchener-geschichten.de)
Die Bueraner Juden wurden erst 1932 selbstständig, nachdem von der Vertreterversammlung der Dorstener Hauptgemeinde deren Auflösung beschlossen worden war.
Kaufhaus der Gebr. Alsberg (Aufn. um 1910) und Modewaren-Geschäft Geschwister Rennberg (Abb. aus: isso-online.de)
Am späten Abend des 9. November 1938 wurde die Maelostraße durch SA-Leute abgesperrt; nur die nächsten Nachbarn konnten beobachten, dass die Synagoge verwüstet und angezündet wurde und bis auf Reste der Außenmauern abbrannte.
Zusammen mit jüdischen Bewohnern aus Recklinghausen, Gelsenkirchen, Herne und Bochum wurden Ende Januar 1942 die Mitglieder der Gemeinde Buer zum Güterbahnhof Gelsenkirchen gebracht; von dort wurden sie in die Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert.
Auf dem ehemaligen jüdischen Friedhof in Gelsenkirchen-Buer an der Mühlenstraße steht ein Gedenkstein; seine Inschrift lautet auf deutsch und hebräisch:
Das Andenken der Gerechten ist zum Segen
Zum ewigen Gedenken an unsere feige dahingemordeten Schwestern und Brüder
Nach Gustav Bär, Lehrer und Prediger in Buer (er emigrierte 1938 in die USA) ist der Platz vor dem heutigen Mahnmal benannt. Dieses war 1992 – am 70.Jahrestag der Einweihung der ehem. Synagoge - eingeweiht worden und ersetzte damit eine 1988 dort angebrachte Gedenktafel.
Denk- u. Mahnmal (Aufn. aus: gelsenkirchener-geschichten.de, 2008)
Mehrere "Stolpersteine" in Buer weisen auf verfolgte jüdische Personen hin (G., 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Stolpersteine an der Horster Straße
Im Stadtteil Gelsenkirchen-Horst (auch: Horst-Emscher) erreichte die jüdische Bevölkerungszahl um 1930 fast 100 Personen. Bis 1920 gehörten die hier ansässigen jüdischen Bewohner zur Synagogenuntergemeinde Buer, danach zum Synagogenverband Dorsten; als dieser 1932 aufgelöst wurde, bildeten sie dann eine autonome Gemeinde. Ihren Betsaal besaßen die Horster Juden in einem angepachteten Gebäude der evangelischen Kirchengemeinde; ein Teil der Gemeindemitglieder suchte aber die Gottesdienste in Essen und Gelsenkirchen auf.
Jüdische Bürger waren Inhaber von Geschäften des täglichen Bedarfs, auch der Textil-, Schuh- und Möbelbranche; hauptsächlich befanden sich die Ladengeschäfte an der Essener Strasse und der Markenstraße in Horst-Süd.
Schuhgeschäft Moritz Stein in der Markenstraße (hist. Aufn.)
Nach der NS-Machtübernahme schrumpfte die kleine Gemeinde vor allem infolge Auswanderung. Die seit 1939 in zwei „Judenhäusern“ ghettoisierten jüdischen Bewohner von Horst wurden ab Januar 1942 – gemeinsam mit denen aus Gelsenkirchen – deportiert. - Auf dem ehemaligen jüdischen Friedhofsareal erinnert seit 1948 ein Mahnmal an den Tod von ca. 150 jüdischen Zwangsarbeiterinnen aus Ungarn, die Mitte Sept. 1944 bei der Bombardierung des Hydrierwerkes Gelsenberg ums Leben kamen.
Die ersten sog. „Stolpersteine“ in Gelsenkirchen wurden 2009 in den Ortsteilen Horst und Beckhausen verlegt.
Aufn. Petra Klawikowski, 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0
Weitere Informationen:
Max Kaufmann, Geschichte der Synagogen-Gemeinde, in: Festschrift anläßlich des 50jährigen Bestehens der Synagogen-Gemeinde, Gelsenkirchen 1924
Hans Ch. Meyer, Aus Geschichte und Leben der Juden in Westfalen, ner-tamid-verlag, Frankfurt/M. 1962
Ursula Gatzemeier, Zur Geschichte der Juden in Gelsenkirchen - Von den Anfängen bis 1933, Heft 4 der Reihe: Jüdisches Leben in Gelsenkirchen, Hrg. Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V., o.J. (Hausarbeit zur 1.Staatsprüfung für das Lehramt, Duisburg 1983)
Heike Breucker/ u.a., Die Novemberpogrome in Gelsenkirchen - Dokumente zur Reichskristallnacht, Hrg. Stadt Gelsenkirchen, Schul- und Kulturdezernat, Gelsenkirchen 1988
Gisela Wilbertz, Synagogen und jüdische Volksschulen in Bochum und Wattenscheid - Ein Quellen- und Lesebuch, Studienverlag Dr.N.Brockmeyer, Bochum 1988, S. 23
Hartmut Hering, Zur Aufarbeitung der NS-Geschichte in Gelsenkirchen, in: "Geschichtsrundbrief Neue Folge", No. 2/1990
Hartmut Stratmann, Die Synagoge in Buer 1922 - 1938, Hrg. Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Gelsenkirchen, Gelsenkirchen 1992
Benno Reicher, Jüdische Geschichte und Kultur in NRW - ein Handbuch, in: Sekretariat für gemeinsame Kulturarbeit in NRW (Hrg.), Kulturhandbücher NRW, Band 4/1993, S. 130 – 134
Hartmut Stratmann, Die Synagoge in Gelsenkirchen 1885 - 1938, in: "Jüdisches Leben in Gelsenkirchen", Heft 2, Hrg. Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Gelsenkirchen e.V., Gelsenkirchen 1995
Marlies Mrotzek, Jüdische Friedhöfe in Gelsenkirchen, hrg. vom Verein für Kulturgeschichte und Landschaftskunde, Gelsenkirchen 1996
Günter Birkmann/Hartmut Stratmann, Bedenke vor wem du stehst - 300 Synagogen und ihre Geschichte in Westfalen und Lippe, Klartext Verlag, Essen 1998, S. 215 - 221
Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 in Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 186 - 190
Hannelore Künzl, Synagogen im Ruhrgebiet. Vom Zeitalter der Aufklärung bis zur Gegenwart, in: J.-P.Barbian/M.Brocke/L.Heid (Hrg.), Juden im Ruhrgebiet. Vom Zeitalter der Aufklärung bis in die Gegenwart, Klartext Verlag, Essen 1999, S. 469 - 490
Ursula Gatzemeier-Matthes, Zur Geschichte der Juden in Gelsenkirchen - Von den Anfängen bis 1933, in: "Jüdisches Leben in Gelsenkirchen", Heft 4, Hrg. Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V., Gelsenkirchen 2000
Andrea Niewerth, Emigration oder Deportation ? Gelsenkirchener Juden im Nationalsozialismus: Eine kollektivbiographische Analyse über Verfolgung, Emigration und Deportation, hrg. vom Institut für Stadtgeschichte Gelsenkirchen, Band 11, Klartext-Verlag, Essen 2002
Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen. Regierungsbezirk Münster, J.P.Bachem Verlag, Köln 2002, S. 245 - 276
Willi Everding, Haus der Ewigkeit: Der jüdische Friedhof in Gelsenkirchen-Bulmke, Hrg. Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V., Gelsenkirchen 2003
Stefan Goch, Jüdisches Leben. Verfolgung - Mord - Überleben: Ehemalige jüdische Bürgerinnen und Bürger Gelsenkirchens erinnern sich, in: "Schriftenreihe des Instituts für Stadtgeschichte - Materialien", Band 8/2004, Klartext-Verlag, Essen 2004
Andreas Jordan, Die frühere jüdische Gemeinde. Informationen des ISG zum Mahnmal Maelostraße Buer, Informationsschrift des Instituts für Stadtgeschichte (ISG), Gelsenkirchen 2007
Marlies Mrotzek, Der jüdische Friedhof in Gelsenkirchen-Bulmke, in: "Gelsenzentrum – Portal für Stadt- u. Zeitgeschichte", 2008 (online abrufbar)
Heinz-Jürgen Priamus (Hrg.), Was die Nationalsozialisten „Arisierung“ nannten. Wirtschaftsverbrechen in Gelsenkirchen während des „Dritten Reiches“, in: "Schriftenreihe des Instituts für Stadtgeschichte – Beiträge", Band 13, Klartext-Verlag, Essen 2007
Andrea Niewerth (Bearb.), Gelsenkirchen – Gelsenkirchen-Buer und Gelsenkirchen-Horst, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Münster, Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen XLV, Ardey-Verlag, München 2008, S. 337 – 356
Arbeitskreis Stolpersteine Gelsenkirchen – ein Projekt von GELSENZENTRUM, 2009
Chajm Guski, Geschichte des Judentums in Gelsenkirchen (online abrufbar unter: talmud.de/gelsenkirchen)
Kerstin Halstenbach (Red.), Historiker veröffentlicht Buch über Gelsenkirchens jüdische Zwangsarbeiter, in: „WAZ – Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ vom 27.9.2013
Andreas Jordan/Projektgruppe STOLPERSTEINE in Gelsenkirchen (Hrg.), Hier wohnte …. Stolpersteine in Gelsenkirchen, online abrufbar unter: stolpersteine-gelsenkirchen.de/stolpersteine_gelsenkirchen.htm
Auflistung der in Gelsenkirchen verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Gelsenkirchen
Anne Bolsmann (Red.), Das jüdische Leben ist in Gelsenkirchen wieder aufgeblüht, in: "WAZ - Westdeutsche Allgemeine Zeitung" vom 18.1.2017
Inge Ansahl (Red.), 25 neue Stolpersteine gegen das Vergessen, in: „WAZ - Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ vom 26.10.2017
Nadja Juskowiak (Red.), Mahnmal aus Sandstein - Steinmetzlehrlinge gestalten Denkmal für jüdische Zwangsarbeiterinnen, in: „Jüdische Allgemeine“ vom 20.9.2018
Olaf Ziegler (Red.), 17 neue Stolpersteine wurden in Gelsenkirchen verlegt, in: „WAZ – Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ vom 23.5.2019
Spurensuche – Jüdische Schicksale auf Schalke“ -, Hrg. FC Gelsenkirchen-Schalke 04 e.V., 2019 (auch als PDF-Datei verfügbar)
Sibylle Raudies (Red.), Gedenken an den mutigen Gelsenkirchener Nazi-Überlebenden, in: „WAZ – Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ vom 13.1.2020
N.N. (Red.), „Antisemitismus niemals dulden“ - Regierungspräsidentin besuchte den jüdischen Friedhof in Gelsenkirchen-Bulmke, in: „Stadtspiegel“ vom 6.7.2020
Bastian Rosenkranz (Red.), Stolperstein: Wolfgang Maas‘ Geschichte von Liebe und Verrat, in: „WAZ – Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ vom 20.7.2020
Bastian Rosenkranz (Red.), Stolperstein-Patin aus Schalke:“ Mein Vater war ein Nazi“, in: „WAZ – Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ vom 20.7.2020
Bastian Rosenkranz (Red.), Stolpersteine: Vom Schalker Metzger und engagierten Schülern, in: „WAZ – Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ vom 20.7.2020
ja (Red.), Gelsenkirchen. Ein Stück Familien- und Firmengeschichte, in: „Jüdische Allgemeine“ vom 6.8.2020
Sibylle Raudies (Red.), Jubiläum. Vor 150 Jahren jüdisches Leben in Gelsenkirchen etabliert, in: „WAZ – Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ vom 28.8.2020
Silke Sobotta (Red.), Gedenkbuch erinnert an NS-Opfer. Institut für Stadtgeschichte erstellt Datenbank zu Recherche, in: „Stadtspiegel“ vom 29.8.2020
Karl-Heinz Rotthoff (Bearb.), Gedenkbuch für die jüdischen Opfer der Nationalsozialisten in Gelsenkirchen, 2020
Stadt Gelsenkirchen, Eine neue Datenbank des Instituts für Stadtgeschichte erleichtert Recherchen, in: "Stadt-Spiegel“ vom 26.8.22020
Stefan Goch/Stefan Nies, Selbstbehauptung nach dem Holocaust: Die jüdische Gemeinde Gelsenkirchen nach 1945, in: "Schriftenreihe des Instituts für Stadtgeschichte", No. 13, Klartext-Verlag Essen 2021
N.N. (Red.), Holocaust: In Gelsenkirchen werden „Stolpersteine“ verlegt, in: „WAZ – Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ vom 8.6.2021
Franz Leszinski (Red.), Schalker Initiative: Enthüllung der Gedenktafel am Wildenbruchplatz, in: „Ruhr-Nachrichten“ vom 24.1.2022
Kira Schmidt (Red.), Gelsenkirchen: 16 Jahre lang hatte Buer eine eigene Synagoge, in: „WAZ – Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ vom 25.3.2022
Oliver Mengedoht (Red.), Erinnerung: Gelsenkirchen bekommt weitere Stolpersteine, in: „WAZ – Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ vom 31.5.2022
Andreas Jordan (Bearb.), Stolpersteine Gelsenkirchen – Ausgrenzung und Verfolgung erinnern (aktuelle Vorhaben/Aktionen), online abrufbar unter: stolpersteine-gelsenkirchen.de/aktuelles.htm (mit ins Detail gehenden Angaben zu den einzelnen Verlegeaktionen in Gelsenkirchen, Stand Febr. 2023)
Heinz Kolb (Red.), Einweihung jüdischer Erinnerungsort am Virchowbogen, in: „Stadtspiegel“ vom 15.10.2022
Martin Möller (Red.), Gelsenkirchen-Buer: Erinnerung an die alte Synagoge, in: „WAZ – Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ vom 7.11.2022
Lutz Heidemann, Die jüdische Gemeinde von Buer und ihr Bethaus an der Maelostraße - eine Spurensuche, in: Reihe "Heimat Gelsenkirchen", 2023
Denise Klein (Red.), Neues Buch von Stadthistoriker Lutz Heidemann erzählt eine fast vergessene Geschichte; in: „ISSO – Stadtmagazin für Gelsenkirchen“ vom 8.2.2023
Matthias Heselmann (Red.), Gelsenkirchen: So lebten die jüdischen Familien in Buer, in: „WAZ – Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ vom 18.2.2023
N.N. (Red.), Gelsenkirchen: 38 weitere Stolpersteine erinnern an Opfer, in: „WAZ – Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ vom 24.2.2023