Gleicherwiesen (Thüringen)

Kreis Hildburghausen.PNGBildergebnis für hildburghausen ortsdienst karte Gleicherwiesen ist mit derzeit ca. 350 Einwohnern seit 2012 ein Ortsteil der Stadt Römhild im Landkreis Hildburghausen - ca. 15 Kilometer südlich der Kreisstadt und nahe der thüringisch-hessischen Landesgrenze gelegen (Kartenskizzen 'Südwest-Thüringen', M. Sander 2006, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0  und  'Landkreis Hildburghausen' ohne Eintrag von Gleicherwiesen, aus: ortsdienst.de/thueringen/kreis-hildburghausen).

 

Während des 19.Jahrhunderts machte der jüdische Bevölkerungsanteil im Dorf Gleicherwiesen zeitweise mehr als 40% (!) aus.

Im kleinen Dorfe Gleicherwiesen - im äußersten Süden Thüringens gelegen - erteilten die Adelsherren von Bibra im ausgehenden 17.Jahrhundert den ersten jüdischen Familien ein Bleiberecht. Die Dorfherren sorgten dafür, dass sie als "Schutzjuden" auf ihrem Herrschafdtsgebiet unbehelligt leben und ihren Geschäften nachgehen konnten Ihren Lebensunterhalt bestritten. Diese zunächst mit Handel mit Vieh oder Kram- und Schnittwaren sowie Geldgeschäften. Bei den seit 1743 viermal jährlich stattfindenden Jahr- und Viehmärkten versorgten sie die bäuerliche Bevölkerung mit lebensnotwendigen Dingen. Bis in die 1840er Jahre mussten die Juden des Dorfes jeweils zu drei Terminen Schutzgelder zu entrichten. Infolge Zuzugs weiterer Familien wurde es der jüdischen Gemeinschaft möglich, 1787 ihre erste Synagoge einzuweihen; sie wurde ca. 30 Jahre später erweitert.

Im Jahre 1786 schlossen sich die Juden Simmershausens der Gleicherwiesener Gemeinde an, die zu Beginn des 19.Jahrhunderts die zweitgrößte jüdische Gemeinde Sachsen-Meiningens war.

[vgl. Simmershausen (Thüringen)]

Die zunehmende Zahl der Gemeindemitglieder machte es dann notwendig, eine neue Synagoge zu bauen. Sie wurde um 1865 eingeweiht und diente den fast 250 Dorfjuden als gottesdienstlicher Mittelpunkt. Ganz in der Nähe befand sich auch die jüdische Schule und ein Backhaus. Als im Jahre 1839 die Gemeinde eine neue Mikwe eingerichtet hatte, mussten auf behördliche Anweisung die privaten Kellerbäder zugeschüttet werden.

Ein seitens der Gemeinde angestellter Lehrer war für die Besorgung der religiös-rituellen Aufgaben zuständig.

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20467/Gleicherwiesen%20Israelit%20Famblatt%2019130710.jpg https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20467/Gleicherwiesen%20Neue%20jued%20Presse%2019170817.jpg aus der Zeitschrift "Der Israelit" von 1913 und 1917

Der jüdische Friedhof am „Judenberg“ westlich des Dorfes wurde - gegen den Widerstand der Ortsbehörden - 1846/1847 angelegt; zuvor waren verstorbene Gemeindeangehörige zumeist auf dem israelitischen Sammelfriedhof im unterfränkischen Kleinbardorf (bei Königshofen/Grabfeld) beerdigt worden. Auf dem Begräbnisgelände in Gleicherwiesen fanden (seit den 1880er Jahren) auch verstorbene Juden aus Simmershausen ihre letzte Ruhe.

Juden in Gleicherwiesen:

         --- 1681 ...........................   4 jüdische Familien,

    --- 1818 ...........................  26     “       “   (ca. 140 Pers.),

    --- 1833 ........................... 189 Juden (ca. 42% d. Dorfbev.),

    --- 1853 ........................... 188   “  ,

    --- 1875 ........................... 233   “  ,

    --- 1895 ........................... 147   “  ,

    --- 1900 ........................... 140   “  ,*   *incl. der Nachbardörfer

    --- 1920 ...........................  86   “  ,

    --- 1925 ...........................  46   “   (ca. 20 Familien),

    --- 1933 ...........................  26   “  ,*   *andere Angabe: 42 Pers.

--- 1942 (Okt.) ....................  keine.

Angaben aus: Helmut Eschwege, Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR, Band II, S. 942 f.

und                  Karl-Heinz Roß, “Seit Gleicherwiesen Juden hat wird es berühmte Handelsstadt”

 

Im letzten Viertel des 19.Jahrhunderts setzte eine Abwanderung der hiesigen jüdischen Familien, zumeist in größere Städte, ein; verstärkt wurde diese Tendenz noch dadurch, dass Gleicherwiesen seine Bedeutung als Marktflecken teilweise einbüßte. Doch noch bis ins beginnende 20.Jahrhundert gehörte das kleine Dorf zu den zentralen Terffpunkten jüdischer Viehhändler in Südthüringen.

Das ehemalige Schloss der Herren zu Bibra war um 1900 Wohn- u. Geschäftshaus der jüdischen Familie Bachmann.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20292/Gleicherwiesen%20Bachmann%20011.jpg Haus Bachmann“ in Gleicherwiesen (hist. Aufn. um 1900)

Private Kleinanzeigen jüdischer Familien ais Gleicherwiesen:

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20192/Gleicherwiesen%20Israelit%2005111900.jpg https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20467/Gleicherwiesen%20Israelit%20Famblatt%2019240925.jpghttps://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20467/Gleicherwiesen%20Der%20Israelit%2019250115.jpg1900/1924/1915

Bereits vor der NS-Machtübernahme kam es in Gleicherwiesen zu antisemitischen ‚Vorfällen’, die u.a. zur teilweisen Verwüstung des jüdischen Friedhofs führten.

              http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20338/Gleicherwiesen%20Juedlib%20Ztg%2016031928.jpg aus: "Jüdisch-liberale Zeitung" vom 16. März 1928

In den Jahren nach 1933 verkauften die allermeisten der hier noch lebenden Juden ihren Besitz und verließen das Dorf, um entweder in Städte zu ziehen oder zu emigrieren; die einst große Landgemeinde löste sich nun zusehends auf.

Während des Novemberpogroms wurde die Synagoge im Dorfe geschändet; eine Inbrandsetztung des Gebäudes unterblieb aber wegen der Feuergefahr für angrenzende Scheunen. Deshalb schleppten vermutlich aus Hildburghausen kommende SA-Angehörige die im Gebäude befindlichen Ritualgegenstände zum Milzufer und setzten diese dort in Brand. Danach drangen sie gewaltsam in die Gehöfte der noch am Ort verbliebenen Juden ein und verübten Plünderungen. Das Synagogengebäude wurde 1943 wegen Baufälligkeit abgerissen; eigentlich sollte es als Feuerwehrgerätehaus dienen.

Im Mai bzw. September 1942 wurden die letzten noch in Gleicherwiesen verbliebenen jüdischen Bewohner "in den Osten" deportiert; ihre Schicksale sind zumeist ungeklärt.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden nachweislich 41 gebürtige bzw. längere Zeit in Gleicherwiesen ansässig gewesene jüdische Bürger Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/gleicherwiesen_synagoge.htm).

 

In der Dorfkirche findet man heute einen Hinweis auf die jüdische Vergangenheit der Ortschaft: seit 1998 erinnert eine Gedenktafel mit den Worten: „Im Gedenken an die jüdischen Frauen, Männer und Kinder, die hier lebten 1848 - 1943

An die jüdische Vergangenheit Gleicherwiesens erinnert noch der von einem Holzzaun umgebene Friedhof am Streufdorfer Weg mit ca. 180 zumeist stark verwitterten Grabsteinen; die letzte Beisetzung fand hier im Jahre 1940 statt.


Jüdischer Friedhof in Gleicherwiesen (Aufn. S., 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

 

 

Weitere Informationen:

Helmut Eschwege, Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR, Dresden 1990, Band II, S. 942 f.

M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 363

Karl-Heinz Roß, “Seit Gleicherwiesen Juden hat wird es berühmte Handelsstadt”, in: H.Nothnagel (Hrg.), Juden in Südthüringen geschützt und gejagt, Band 2: Juden in den ehem. Residenzstädten Römhild, Hildburghausen und deren Umfeld, Verlag Buchhaus Suhl, Suhl 1998, S. 75 - 91

Gabriele Olbrisch, Landrabbinate in Thüringen 1811 - 1871. Jüdische Schul- und Kulturreform unter staatlicher Regie, in: "Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen - Kleine Reihe", Band 9, Böhlau Verlag, Köln - Weimar - Wien 2003, S. 43 – 45

Studienkreis Deutscher Widerstand (Hrg.), Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 – 1945, Band 8 Thüringen, Frankfurt/M. 2003, S. 124

Israel Schwierz, Zeugnisse jüdischer Vergangenheit in Thüringen. Eine Dokumentation, hrg. von der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen, Sömmerda 2007, S. 135 – 138

Gleicherwiesen mit Simmershausen, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen, zumeist personenbezogenen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Eckhard Witter (Red.), Aus der Geschichte der Juden in Gleicherweisen – Ortschronisten berichten aus vergangenen Tagen, online abrufbar unter: stadt-roemhild.de (2015)

Wolfram Nagel (Red.), Thüringen. Besuch in Gleicherweisen – Im Kreis Hildburghausen gab es ein ausgeprägtes Landjudentum, in: „Jüdische Allgemeine“ vom 18.6.2020

MDR (Red.), Spurensuche: Jüdisches Leben in der Thüringischen Rhön, in: mdr.de/religion/religion/juedisches-leben-thueringische-rhoen-grabfeld-thueringen100.html (vom 19.1.2021 und vom 26.4.2021)

MDR (Red.), Jüdisches Leben in der Thüringischen Rhön, online abrufbar unter: mdr.de/religion/juedisches-leben/ vom 6.2.2024