Graben (Baden-Württemberg)
Graben ist seit 1972 ein Ortsteil der Kommune Graben-Neudorf im Landkreis Karlsruhe (Kartenskizze 'Landkreis Karlsruhe', F. Paul 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).
Seit den 1730er Jahren waren jüdische Bewohner nachweislich im zu Baden-Durlach gehörenden Graben ansässig; allerdings haben im Laufe der Zeit immer nur relativ wenige Familien im Ort gelebt; die kleine Gemeinde bestand zu keiner Zeit aus kaum mehr als 50 Angehörigen.
Bis in die 1930er Jahre besaß die Grabener Judenschaft in einem Privathaus in der Hauptstraße einen Betraum. Über längere Zeit konnte kein Lehrer/Vorsänger für Graben gefunden werden; so fanden keine Gottesdienste und auch kein Religionsunterricht statt. Der Grabener Bürgermeister führte deshalb Klage, weil nach seiner Meinung auf Grund der fehlenden Gottesdienste "beständige Zerwürfnisse dieser wenigen Personen gegeneinander" festzustellen seien. 1850 konnte dann ein junger Lehrer verpflichtet werden, der jeweils am Schabbat und an den Feiertagen den Gottesdienst zu leiten und dazu einen "religiös moralischen Vortrag" zu halten hatte. Um einen Minjan zu gewährleisten, musste man auf religionsmündige Männer aus Nachbardörfern zurückgreifen. Der in Graben tätige Lehrer blieb allerdings nur kurze Zeit im Dorf.
Ausschreibung der Lehrerstelle von 1836
Einen eigenen Kantor bzw. Lehrer konnte sich die kleine Gemeinde auf Dauer nicht leisten; deshalb griff man auf den jüdischen Lehrer aus Philippsburg zurück.
aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 1.4.1889
Über ein eigenes Beerdigungsgelände am Ort verfügte die Gemeinde nicht; verstorbene Gemeindemitglieder wurden auf dem jüdischen Verbandsfriedhof in Obergrombach beerdigt.
Die Juden Grabens waren nach 1827 dem Rabbinatsbezirk Karlsruhe, nach dessen Auflösung 1885 dem von Bruchsal zugeordnet.
Juden in Graben:
--- 1801 .......................... 16 Juden,
--- 1825 .......................... 28 “ (ca. 2% d. Bevölk.),
--- 1875 .......................... 36 “ ,
--- 1887 .......................... 49 “ ,
--- 1895 .......................... 54 “ ,
--- 1900 .......................... 44 “ (ca. 2% d. Bevölk.),
--- 1910 .......................... 26 “ ,
--- 1933 .......................... 22 “ ,
--- 1940 (Okt.) ................... 2 “ .
Angaben aus: F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden, S. 111
Hauptstraße in Graben - hist. Ansichtskarte (aus: de.nailkon.com)
Zu den für den Ort wirtschaftlich bedeutsamen jüdischen Unternehmen gehörten zum einen die Likörfabrik und Branntweinbrennerei Baer & Co. und zum anderen die Zigarrenfabrik Isaak Weil.
Flaschenetikett der Brennerei A. Baer & Co. (aus: alemannia-judaica.de)*
* weitere Bilddokumente zur Fam. Baer siehe: alemannia-judaica.de/graben_synagoge.htm
Zur Zeit der NS-Machtübernahme lebten nur noch wenige jüdische Familien in Graben. Zwar soll es hier nicht zu antijüdischen Ausschreitungen gekommen sein, doch wurde die einheimische christliche Bevölkerung derart eingeschüchtert, dass nun bis dahin bestehende persönliche Kontakte abgebrochen wurden. Während einige jüdische Familien nach Argentinien emigrieren konnten, suchten andere Zuflucht in der Anonymität der Großstadt Karlsruhe. Der Grabener Betsaal wurde bis Mitte der 1930er Jahre genutzt; wenige Tage vor dem Pogrom war das Gebäude verkauft worden und entging deshalb der Zerstörung.
Als Ende Oktober 1940 die Deportationen der badischen Juden erfolgten, mussten sich die in Graben verbliebenen Juden/Jüdinnen anschließen; nur eine „in Mischehe“ verheiratete Jüdin blieb zurück. Als diese dann im Februar 1945 nach Theresienstadt deportiert werden sollte, ließ sie sich von ihrem „arischen“ Ehemann erschießen.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 19 gebürtige bzw. längere Zeit in Graben ansässig gewesene jüdische Bürger Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/graben_synagoge.htm).
Das Gebäude, in dem sich der Betraum befunden hatte, war bis zu seinem Abbruch 1972 zu Wohnzwecken genutzt worden.
An die jüdische Geschichte Grabens erinnert das einstige jüdische Gasthaus „Zur Sonne“; im Torbogen ist noch eine hebräische Inschrift von 1786 erhalten.
Auf dem Gelände des in Neckarzimmern befindlichen zentralen Mahnmals - in Erinnerung an die Deportationen vom Oktober 1940 ins südfranzösische Gurs - haben auch Schüler/innen der Pestalozzi-Gemeinschaftsschule Graben-Neudorf im Jahre 2015 einen Beitrag geleistet.
Memorialstein (Abb. aus: mahnmal-neckarzimmern.de)
Weitere Informationen:
Friedrich Kemm, Burg und Dorf Graben einst und jetzt, o.O. 1920
F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Stuttgart 1968, S. 111
Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988
Jürgen Stude, Geschichte der Juden im Landkreis Karlsruhe, Hrg. Landratsamt, Karlsruhe 1990, S. 287 ff. und S. 356/357
Graben, in: alemannia-judaica.de
Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 162 - 164
Pestalozzi-Gemeinschaftsschule Graben-Neudorf (Red.), Das Geheimnis der Erlösung ist die Erinnerung, Okt. 2015 (betr: Mahnmal-Projekt in Neckarzimmern)
Gemeindeverwaltung Graben-Neudorf (Red.), Gedenken an die Deportation und Ermordung von Bürgerinnen und Bürgern jüdischen Glaubens, Pressemitteilung vom 3.11.2020
Alexander Werner (Red.), Welche Spuren haben Juden im nördlichen Landkreis Karlsruhe hinterlassen? in: „Badische Neueste Naschrichten“ vom 8.11.2023
Alexander Werner (Red.), Lebensläufe Grabener Juden offenbaren schreckliche Schicksale, in: „Badische Neueste Nachrichten“ vom 27.1.2024