Graz/Steiermark (Österreich)
Graz – Landeshauptstadt der Steiermark – besitzt derzeit ca. 300.000 Einwohner und ist damit die zweitgrößte Stadt Österreichs (Kartenskizzen 'Bundesländer Österreich', G. Vincent 2008, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 und 'Steiermark' mit Lage von Graz dunkel markiert, NNW 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).
Ein erster urkundlicher Beleg für eine jüdische Ansiedlung in Graz stammt aus dem Jahre 1260 (eine 'Judengasse' wird erstmals 1261 erwähnt); doch vermutlich lebten Juden bereits im 12.Jahrhundert in der Stadt. Ob es eine Verbindung mit den Bewohnern von Judendorf - nördlich von Graz gelegen - gegeben hat, ist fraglich; eine Erwähnung fand Judendorf („villa ad judeos”) bereits 1147. Gegen Mitte des 13.Jahrhunderts schienen dort aber keine Juden mehr gelebt zu haben. Mit dem aufstrebenden Handel wuchs Graz und ebenfalls die Zahl der jüdischen Familien, die in einem bestimmten Stadtviertel (südlich des heutigen Grazer Hauptplatzes, in der Verlängerung der südlichen Herrengasse), wohnten; es waren kaum mehr als 150 Personen. Zentrum des mittelalterlichen Judenviertels war die Synagoge („Templerhaus“); die kleine jüdische Gemeinschaft verfügte auch über einen eigenen Friedhof (im Bereich des heutigen Jakominiplatzes) - erstmals 1304 sicher belegt. Der Unmut gegenüber den Juden in Graz erreichte gegen Ende des 14.Jahrhunderts einen vorläufigen Höhepunkt: Als Geldverleiher waren sie zu Reichtum gelangt und bedrohten die Existenz mancher Bürger, die ihre Stadthäuser an die jüdischen Gläubiger verpfänden mussten. Dies führte zu antijüdischen Ausschreitungen und 1339 auch zu vorübergehenden Vertreibungen.
1437/1438 verwies der Tiroler Herzog Friedrich V. auf Betreiben der Stände die Grazer Juden aus der Stadt; daraufhin riss die Bevölkerung einen Teil der „Judenstadt“ nieder; auf der Freifläche wurde eine Kapelle errichtet, später das Dominikanerkloster. Der Landesherr zog einen Teil des jüdischen Besitzes ein und verpfändete auch ehemalige Judenhäuser.
Doch bereits ein Jahrzehnt später durften sich wieder Juden in Graz niederlassen, da der Kaiser die Einkünfte aus der Judensteuer nicht missen wollte; sein Nachfolger hingegen kam erneut den Wünschen des Grazer Stadtrates nach, die Juden auszuweisen; als Begründung gab Maximilian I. an, dass „die Jüdischheit dem heiligen Sakrament zu vielen Malen schwere Unehre gezeigt, und dass sie auch junge christliche Kinder gemartert, getötet, vertilgt, ihr Blut genommen und zu ihrem verstockten verderblichen Wesen gebraucht ... Damit fortan solch Übel nicht mehr geschehe, (haben Wir) unsere Jüdischkeit aus unserem Lande Steyr in ewige Zeit beurlaubt” . 1496 unterzeichnete Kaiser Maximilian I. die Judenausweisung; damit war für viele Generationen die Steiermark „judenfrei“; wenn sich ein Jude dennoch, z.B. als Hausierer, in der Region aushielt, wurde er in den Kerker geworfen. In der Folgezeit wehrten sich die steirischen Stände erfolgreich gegen jegliche neue jüdische Zuwanderung. Erst nach 1680 wurden das Aufenthaltsverbot etwas gelockert; der Kaiser setzte eine Liberalisierung für wenige privilegierte „Hofjuden“ durch; unter der Herrschaft Maria Theresias kamen einige „Münzjuden“, aber auch Lieferanten für die kaiserliche Armee nach Graz.
Graz – Stahlstich von Georg Matthäus Fischer, um 1670 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Ihr Nachfolger, Joseph II., ging noch einen Schritt weiter: Gemäß seinem Hofdekret von 1783 durften sich Juden für 24 Stunden zu den Jahrmärkten in Graz aufhalten; dies missfiel jedoch zunehmend den Ständen der Steiermark, doch konnten sich aber nicht mit ihren Forderungen durchsetzen.
Graz - Aquarell C. Kreutzer, um 1840 (Abb. aus: wikipedia.org, CCO)
Erst um 1850/1855 durfte sich der erste Jude in Graz dauerhaft niederlassen; etwa ein Jahrzehnt später erhielten weitere 20 bis 30 jüdische Familien ein dauerhaftes Wohnrecht eingeräumt. In den folgenden zwei Jahrzehnten machten sich mehr als 1.200 Juden - vor allem aus westungarischen, später burgenländischen Gebieten - in Graz ansässig; ursächlich dafür war vor allem der rasante industrielle Aufschwung der Stadt. Bevorzugte Wohngebiete waren die Stadtteile Gries und Lend, die von der sozialen Unterschicht bewohnt wurden.
Im Jahre 1863 konstituierte sich die „Israelitische Korporation“, die die notwendigen gemeindlichen Einrichtungen wie Friedhof und Betsaal organisieren sollte. 1865 wurde ein provisorischer Betraum im „Whithalms Coliseum“ in der Zimmerplatzgasse eingeweiht, etwa zeitgleich in der nahen Gemeinde Eggenberg (nun Bezirk Wetzelsdorf) eine Begräbnisstätte angelegt. Zuvor wurden die Toten der jüdischen Gemeinde auf dem nächstgelegenen jüdischen Friedhof, im burgenländischen Güssing, gebracht worden. In den Jahren 1909/1910 ließ die Kultusgemeinde auf dem inzwischen vergrößerten Friedhofsgelände durch den Grazer Stadtbaumeister Zerkowitz eine Zeremonienhalle im neoklassizistischen Stile errichten.
Die offizielle Gründung der Grazer Synagogengemeinde war im Jahre 1869 erfolgt. Bereits ein Jahr später erfolgte der Ankauf eines Grundstückes am Grieskai für den künftigen Synagogenbau. Es sollte noch 20 Jahre dauern, ehe dann 1890 am Grieskai mit dem Bau einer großen Synagoge im neoromanisch-byzantinischen Stil begonnen wurde; das Bauwerk war nach dem Dresdener Vorbild vom Wiener Architekten Maximilian Katscher entworfen worden. Finanziert wurde sie maßgeblich durch eine „Lotterie zu Gunsten des israelitischen Tempels in Graz“; die hiesige Gemeinde erbrachte dann die noch fehlenden Mittel.
Am Vortag des jüdischen Neujahrsfestes - am 14.September 1892 - wurde der Synagogenbau unter Teilnahme der politischen Prominenz feierlich eingeweiht. Während die evangelische Kirche Vertreter gesandt hatte, waren Abgesandte der katholischen Kirche nicht erschienen. Die Festpredigt hielt Dr. Samuel Mühsam, der erste Rabbiner der neuzeitlichen Grazer Gemeinde.
Nahe der Synagoge wurde später das Schul- und Amtshaus der Kultusgemeinde errichtet, das im Parterre den „Winterbetsaal“ beherbergte.
Synagoge am Grieskai (hist. Aufn. um 1900, aus: wikipedia.org, CCO und hist. Postkarte, um 1900, aus: commons.wikimedia.org, CCO)
Synagoge von Graz im Modell (Aufn. D. 2003, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)
Im Oktober 1907 wurde Dr. David Herzog (geb. 1869) vom Rat der Israelitischen Kultusgemeinde Graz zum neuen Rabbiner für Steiermark, Kärnten und - bis 1918 - für Krain gewählt. Während seiner Amtszeit erreichte die Gemeinde ihren Zenit.
Juden in Graz:
--- um 1400 ...................... ca. 200 Juden,
--- um 1860 ...................... ca. 20 - 30 jüdische Familien,
--- 1869/70 ...................... ca. 250 Juden,
--- 1880 ......................... ca. 1.200 “ ,
--- 1910 ............................ 1.971 “ (1,3% d. Bevölk.),
--- 1923 ............................ 2.456 “ ,
--- 1934 ............................ 1.720 “ ,* * Grazer Kultusgemeinde
--- 1938 (März) .................. ca. 2.400 “ ,** ** gesamte Steiermark
--- 1939 ......................... ca. 300 “ ,
--- 1940 (Mai) ....................... keine,
--- 2000 ......................... ca. 100 “ .
Angaben aus: Wolfgang Sotill, Es gibt nur einen Gott und eine Menschheit - Graz und seine jüdischen Bürger ...
Die meisten Angehörigen der Grazer Kultusgemeinde gehörten um 1900 der sozialen Unterschicht an; nur relativ wenige Familien lebten im Wohlstand.
Gegen Ende des Ersten Weltkrieges machte sich in Graz - massiv geschürt durch die Lokalpresse - eine antisemitische Stimmung breit; das lag auch daran, dass kurz nach Kriegsbeginn knapp 2.000 jüdische Flüchtlinge in die Stadt geströmt waren; sie hatten ihre Heimat (Galizien und die Bukowina) wegen der Kriegswirren und dem in Russland herrschenden Antisemitismus verlassen. In Graz richteten diese orthodoxen Juden damals eine provisorische Synagoge aus Holz in der Gabelsberger Straße ein, da ihnen die vorhandene Synagoge zu wenig traditionell war. Überalterung, Geburtenrückgang und Auswanderung, aber auch Austritte aus der Kultusgemeinde ließen alsbald die Zahl der Gemeindemitglieder deutlich schrumpfen.
Ab 1930 nahm in der Grazer Bevölkerung der Antisemitismus deutlich zu; Grund war die sich verschärfende wirtschaftliche Situation und die Agitation nationalsozialistischer Kreise, die bei weiten Kreisen der Bevölkerung Fuß fasste. Schon Wochen vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden jüdische Geschäfte demoliert.
Nach dem sog. „Anschluss“ an das Deutsche Reich begannen umgehend Verfolgungen. In der „März-Aktion” am 13./14. März 1938 sollten auf Anordnung höchster Staats- bzw. Parteidienststellen mobile Vermögenswerte österreichischer Juden „sichergestellt“ werden; auch Grazer Juden waren betroffen. Der Vorstand der Kultusgemeinde, Oberrabbiner David Herzog und wohlhabende jüdische Geschäftsleute wurden festgenommen und im Grazer Gefängnis brutalen Verhören unterworfen; zahlreiche von ihnen wurde ins KZ Dachau bzw. Buchenwald verschleppt. Am 20.Mai 1938 wurden die „Nürnberger Gesetze“ offiziell auch auf die „Ostmark“ ausgedehnt. Die „Entjudung“ der Stadt Graz - „Hauptstadt der nationalsozialistischen Volkserhebung“ - begann in der zweiten Hälfte des Jahres 1938; federführend war hier die Gestapo(leit)stelle in Graz.
„Jüdisches Geschäft“ in Graz 1938 (Aufn. DÖW)
„Arisierung“ in Graz (Anzeige „Tagespost“, 1938)
Mit Zunahme der NS-Repressalien stieg die Zahl der Emigrationswilligen stark an; bis November 1938 waren schon mehrere hundert Grazer Juden nach Palästina ausgewandert. Zu erwähnen ist der Grazer Johann Schleich, der angeblich „einigen zehntausend Juden“ (?) den illegalen Grenzübertritt nach Slowenien ermöglichte. Vom sog. „Lisl-Transport“ ist bekannt, dass dieser mehr als 200 Personen die Emigration nach Palästina ermöglichte; so wurden unter Aufsicht der Gestapo im Frühjahr 1939 steierische Juden per Bahn von Graz nach Wien transportiert, ehe sie mittels Schiff über die Donau emigrieren konnten.
Während des Novemberpogroms erreichte der NS-Terror einen weiteren Höhepunkt: In Graz und Umgebung wurden etwa 350 Juden inhaftiert und am folgenden Tage ins KZ Dachau abtransportiert. In der Nacht zuvor waren jüdische Familien unter Gewaltandrohung aus ihren Wohnungen geholt und gezwungen worden, in die umliegenden Dörfer „auszuweichen“; zuvor war die Synagoge - unter Teilnahme zahlreicher Grazer Bürger - vom Bürgermeister Dr. Julius Kaspar eigenhändig und unterstützt von SA-Angehörigen in Brand gesteckt worden.
Zerstörte Grazer Synagoge (hist. Aufn. UMJ Graz)
Die Feierhalle auf dem jüdischen Friedhof in Wetzelsdorf wurde gesprengt und zahlreiche Grabsteine zertrümmert.
Die bis Mai 1940 noch in Graz lebenden Juden wurden schließlich nach Wien „umgesiedelt“. Als erste Großstadt der „Ostmark“ wurde Graz im Frühjahr 1940 als „judenrein” erklärt.
1944/1945 gehörte auch Graz zu den Städten, durch die Kolonnen vieler tausender ungarischer Juden getrieben wurden; auf diesen Todesmärschen kamen Tausende ums Leben. Auch auf dem jüdischen Friedhof in Graz liegen Opfer dieser Märsche.
1946/1947 fand in Graz ein Volksgerichtsprozess statt, der die Ereignisse während des Novemberpogroms strafrechtlich „aufarbeiten“ sollte. Das Verfahren endete schließlich ohne Urteil, da die Täter sich nicht eindeutig feststellen ließen.
Ende 1945 wurde in Graz der erste jüdische Gottesdienst nach Kriegsende begangen; ein britischer Militärrabbiner hielt diesen für die jüdischen Besatzungssoldaten und die ca. 2.500 aus Osteuropa stammenden jüdischen Flüchtlinge, die sich in und um Graz in Auffanglagern aufhielten. Von den ehemals steirischen Juden kehrten nur wenige in ihre Heimat zurück.
Die im Januar 1946 gegründete Kultusgemeinde Graz umfasst heute die gesamte Steiermark, Kärnten und die politischen Bezirke des Burgenlandes Oberwart, Güssing und Jennersdorf. Ein provisorisch eingerichteter Betsaal wurde im Gemeindehaus am Grieskai untergebracht; 1969 wurde das gesamte Gebäude umgebaut und „ein moderner Betsaal ... in würdiger, attraktiver Form errichtet“.
Am 50.Jahrestag des Novemberpogroms wurde am Standort der ehemaligen Synagoge eine große, schwarze Gedenkstele aufgestellt; diese trägt unter einem Davidstern die folgende Inschrift:
Zu Gedenken an die einst blühende Jüdische Gemeinde Graz und ihre 2200 Mitglieder,
die in der NS-Zeit gedemütigt, beraubt und vertrieben wurden.
Viele von ihnen wurden ermordet.
Wir gedenken ihrer Leiden und Opfer
Israelitische Kultusgemeinde Graz – 10.November 1988
Um die Erinnerung an unsere jüdischen Mitbürger und ihr Gotteshaus zu bewahren, wurde dieser Gedenkstein im November 1988 als Mahnmal gegen Gewaltherrschaft, Rassenhass und Unmenschlichkeit errichtet.
Die Stadt Graz
Eine Schlüsselstellung der jüdischen Gemeinde in der Steiermark der letzten Jahrzehnte nahm der Textilhändler und britische Konsul Kurt Brühl ein, der über zwei Jahrzehnte hinweg die IKG leitete. Nachdem im Oktober 1998 ein einstimmiger Beschluss des Stadtparlaments sich für den Neubau einer Synagoge ausgesprochen hatte, konnte dieser im November 2000 in einem feierlichen Festakt eingeweiht und der IKG Graz übergeben werden.
Synagoge in Graz (Aufn. W., 2006, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 at)
Thoraschrein mit Türen in Form der Gesetzestafeln (Aufn. D., 2003, in: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Der Grundidee „Die neue Synagoge erhebt sich aus den Ruinen der alten” konnte dadurch Rechnung getragen werden, dass fast 10.000 Ziegel der 1938 zerstörten alten Synagoge beim Neubau wiederverwendet wurden. Gleichzeitig wurde der Platz vor der wiedererrichteten Synagoge in „David-Herzog-Platz” umbenannt. Im Inneren der Synagoge wurde 2005 eine Gedenktafel mit den Namen der über 500 steirischen Opfer der Shoa angebracht.
Tafel am Gebäude (Aufn. D., 2003, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)
Gegenüber der Synagoge hat im Gebäude der ehem. jüdischen Volksschule das „Jüdische Kulturzentrum Graz“ sein Domizil gefunden. Bereits neun Jahre zuvor war eine neue Zeremonienhalle auf dem jüdischen Friedhof erbaut worden. Das großflächige Friedhofsareal (ca. 14.000 m²) ist mit fast 1.500 Grabstellen belegt; es dient auch heute noch der kleinen Gemeinde als Begräbnisstätte. Nach mehrjährigen, mit hohen Kosten verbundenen Sanierungsmaßnahmen wurde das Areal 2022 neu eröffnet, bleibt aber weiterhin nicht öffentlich zugänglich.
Neue Zeremonienhalle (Aufn. Moschitz, 2009, aus: wikipedia.org, CC BY 3.0)
2006 zählte die jüdische Gemeinde in Graz ca. 120 Angehörige; 2020 gehörten ihr etwa 150 personen an.
2015 wurde in Graz das erste Holocaust-Zentrum Österreichs eröffnet; es ist als Museum im Untergeschoss der Synagoge eingerichtet.
Künftig werden die Stadt Graz und das Land Steiermark 1,3 Mill. Euro in die Errichtung eines jüdischen Kulturzentrum investieren; damit wird es das erste permanente Kulturzentrum eines jüdischen Gemeinde in Österreich sein.
Die erste sog. „Stolperstein“-Verlegung zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus fand in Graz 2013 statt; mittlerweile sind ca. 290 Gedenktäfelchen im Stadtgebiet verlegt (Stand 2023), die nicht nur jüdischen Opfern gewidmet sind. Eine der jüngsten Verlegungen von 19 Steinquadern für ehemalige jüdische Schüler der (heutigen) Handelsakademie (HAK) Grazbachstraße fand auf Initiative von Schüler/innen und des Grazer Vereins für Gedenkkultur statt.
Aufn. Chr. Michelides, 2016, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0
Diese Personen konnten sich in die Emigration retten.
Seit 2023 erinnert vor der Synagoge die Bronzefigur eines Feuerwehrmanns an den Novemberpogrom; die von Peter Roskaric entworfene Skulptur wurde im Rahmen des Projektes „Remember Me“ geschaffen.
Jüngst fusionierten die beiden außerhalb von Wien größten jüdischen Gemeinden von Graz und Salzburg (2024), damit sind diese künftig in einer Kultusgemeinde und unter einer organisatorisch gemeinsamen Führung vereinigt. Mit einer Sprengelgröße von ca. 33.000 km² wird die neue Gemeinde damit zur größten Österreichs: sie umfasst ca. 220 Mitglieder und besitzt jeweils zwei Synagogen und Friedhöfe.
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Im ca. 20 Kilometer westlich von Graz gelegenen Voitsberg lebten nachweislich ab 1358 jüdische Familien, deren Zahl in der ersten Hälfte des 15.Jahrhunderts insgesamt etwa 20 erreichte. Die einzig bekannte Erwerbsquelle dieser Familien war der zumeist kleine Geldhandel mit Bürgern und Bauern der Region. Soweit 1496 noch Juden im Ort lebten, waren auch sie vom Vertreibungsbefehl für alle Juden der Steiermark betroffen.
In Bruck a.d. Mur – ca. 35 Kilometer nördlich von Graz – ist jüdische Ansiedlung erstmals 1352 urkundlich nachgewiesen; dabei handelte es sich allerdings um nur recht wenige Familien, die u.a.durch den Salzhandel recht vermögend wurden und mit der christlichen Mehrheitsbevölkerung in Konflikt gerieten (Konkurrenz). Die jüdischen Familien lebten bis in die 1490er Jahre in Bruck; vermutlich muss ihr Wegzug aus der Stadt mit der Vertreibung aller Juden aus der Steiermark und Kärnten durch Maximilian I. in Verbindung gebracht werden.
2022 wurden in Bruck die ersten vier sog. „Stolpersteine“ in der Herzog-Ernst-Gasse verlegt, die an Angehörige der jüdischen Familie Hofmann* erinnern.
*Bis 1938 hatte die Familie ein Möbel- u. Gemischtwarengeschäft namens „Wiener Bazar“ betrieben und zudem eine Produktionsstätte für Steppdecken und Matratzen besessen; 1938 wurde das Unternehmen ‚arisiert‘. Zahlreiche Familienangehörige überlebten die NS-Zeit nicht.
Aufn. Chr. Michelides, 2022, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0
In Wolfsberg – zwischen Graz und Klagenfurt gelegen – sollen bis 1338 Juden gelebt haben; sie wurden unter dem Vorwurf einer angeblichen Hostienschändung von hier vertrieben oder getötet. Ob in den folgenden Jahrhunderten erneut jüdische Familien in der Stadt ansässig waren, ist unbekannt. Vermutlich ließen sich wenige Juden erst gegen Ende des 19. bzw. zu Beginn des 20.Jahrhunderts in Wolfsberg nieder. Ende 1938 wurden sie aus Wolfsberg vertrieben, ihr Eigentum von den NS-Behörden wurde „arisiert“. - Im Jahre 2001 (!) wurde neben dem Rathaus eine Gedenktafel „Zur Erinnerung an die von den Nationalsozialisten ermordeten und vertriebenen Wolfsberger Juden“ enthüllt
Sechs sog. "Stolpersteine“ fanden in der Gehwegpflasterung in der Wiener Straße ihren Platz; die messingfarbenen Quader erinnern an jüdische Bewohner, die deportiert/ermordet oder in die Emigration getrieben wurden.
Aufn. Chr. Michelides, 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0
In Frohnleiten – einer Kleinstadt nördlich von Graz – wurden 2020 die ersten beiden „Stolpersteine“ verlegt, die an die Schwestern Dora und Anna Kallmus erinnern. Während Anna Kallmus via Theresienstadt nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurde, überlebte Dora den Holocaust, hielt sich danach längere Zeit zunächst in Südfrankreich auf, ehe sie Anfang der 1960er Jahre nach Frohnleiten zurückkehrte. Hier verstarb sie alsbald völlig mittellos.
In Judenburg, in einer der ältesten urkundlich belegten Städte der Steiermark, siedelten Juden bereits vor 1350 in einem für sie abgeschlossenen Bereich, der „Judengasse“. Der erste namentlich bekannte Jude war Süßmann, der in einer Schuldurkunde von 1305 genannt wurde. Lebenserwerb der hiesigen Juden war der Geld- und Pfandhandel; zu ihren Schuldnern gehörten neben den Bamberger Bischöfen auch zahlreiche Adlige. In den 1350er Jahren war Häslein von Friesach einer der bekanntesten Geldverleiher in Judenburg, der nach Ablauf des herzoglichen Privilegs den Ort wieder verließ. Die Judenburger verfügten über eine Synagoge unweit der Liechtenstein-/Kirchgasse und einen eigenen Friedhof, der südlich der Stadt nahe dem Schlosse Weyer lag. Wurden bereits 1467 die armen, nicht Steuer zahlenden Juden auf Gesuch der Stadtoberen ausgewiesen, traf dieses gleiche Los im Jahre 1496 alle, die in steiermärkischen Städten lebten.
Erst im 19.Jahrhundert durften sich Juden wieder hier ansässig machen. Bis in die 1930er Jahre lebten hier jüdische Familie, deren Zahl aber überschaubar war.
Anm.: Während der NS-Zeit gab es Bestrebungen, den Namen der Stadt, der wegen des Worts „Jude“ bzw. „Juden“ als untragbar angesehen wurde, in „Zirbenstadt“ zu ändern.
In der Messerschmiedgasse soll künftig auf Initiative von Schüler/innen ein Denkmal errichtet werden, dass „den jüdischen Opfern einen Namen geben“ will. Es soll an die 40 Menschen erinnern mosaischen Glaubens, die 1938 aus der Stadt vertrieben wurden. „Zwei Ringe im Strom der Zeit“ heißt das 2019 seiner Bestimmung übergebene Mahnmal an der Messerschmiedgasse. In beide Ringe sind Stahlplatten eingelassen, in welche die Namen der urkundlich aus dem Mittelalter überlieferten und der von den Nationalsozialisten vertriebenen und ermordeten Juden eingefräst sind.
Mahnmal (aus: derstandard vom 27.12.2019)
In Leoben – ca. 40 Kilometer nordwestlich von Graz - wurden 2021 bereits zum 4.Male sog. „Stolpersteine“ verlegt, die an (zumeist aus politischen Gründen verfolgte) Opfer der NS-Herrschaft erinnern; derzeit zählt man insgesamt mehr als 20 Steine (Stand 2022).
Sieben in Leoben verlegte "Stolpersteine" (Aufn. Chr. Michelides, 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Eine weitere Verlegung von einigen "Stolpersteinen" erfolgte 2022 am Hauptplatz und in der Nagelschmiedgasse.
In Kindberg (im Mürztal) – derzeit eine Kleinstadt mit ca. 8.000 Einwohnern nördlich von Graz bzw. südwestlich von Wiener Neustadt gelegen – lebte bis Ende der 1930er Jahre die fünfköpfige jüdische Familie Samuel u. Katharina Sensel, die hier ein Geschäft betrieb (1938 ‚arisiert‘). Während es den drei Kindern gelang, sich durch Emigration in Sicherheit zu bringen, wurden die Eltern via Wien nach Maly Trostinec/b. Minsk deportiert und dort ermordet.
Vor ihrem ehemaligen Wohn- u. Geschäftshaus erinnern seit 2021 zwei sog. „Stolpersteine“ an Samuel und Katharina Sensel.
Stolpersteine für das Ehepaar Sensel (Aufn. Chr. Michelides, 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
In der Marktgemeinde Feldkirchen – wenige Kilometer südlich von Graz - soll künftig ein Mahnmal aufgestellt werden, das an die von den Nationalsozialisten vertriebenen und ermordeten Jüdinnen und Juden erinnert.
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Maribor, südöstlich von Graz gelegen, zählte früher zur Steiermark. Es ist heute mit derzeit ca. 110.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Sloweniens. Die Stadt wurde zum ersten Mal im 13.Jahrhundert erwähnt. Obwohl sie zweimal von den Türken belagert wurde, blieb Maribor (bzw. Marburg) bis zum Ende des Ersten Weltkrieges unter der Herrschaft der Habsburger Teil des Herzogtums Steiermark. Die deutsche Bevölkerungsgruppe stellte hier bis 1918 die Mehrheit und dominierte das öffentliche Leben.
Maribor um 1680 (Abb. , aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
Erste Nachweise von jüdischer Ansässigkeit in Maribor lassen sich ab den 1270er Jahren finden. Die sich bildende Judengemeinde besaß in der 1429 erstmals erwähnten Synagoge ihr religiöses und kulturelles Zentrum. Mit Sicherheit gab es den „Tempel“ bereits im ausgehenden 14.Jahrhundert, denn der erste bekannte Rabbi Maribors, Abraham, war bereits Jahre vor seinem Tode (1379) hier tätig. Bei der Synagoge handelte sich um ein schlichtes Gebäude; es war auch zeitweilig Sitz des hohen Rabbinats für Steiermark, Kärnten und Krain. Neben der Synagoge stand das Haus des Rabbiners; an der östlichen Seite befand sich ein Garten mit Friedhof; am Brunnen unterhalb der Synagoge fanden die rituellen Waschungen statt. Um 1475/1480 wurde in Maribor auch eine Talmudschule (beth midrash) gegründet.
Die große jüdische Gemeinde trug dazu bei, dass Maribor sich zu einem Handels- und Finanzzentrum entwickelte; den jüdischen Kaufleuten war es zu verdanken, dass die Stadt über weitreichende Wirtschafts- und Handelsbeziehungen, u.a. nach Venedig, Dubrovnik, verfügte. Das mittelalterliche jüdische Viertel lag an der Südostecke der ummauerten Stadt. Die Angehörigen der Gemeinde waren ökonomisch gut situiert; eine jährlich anfallende ‚allgemeine Judensteuer’ in Höhe von 4.000 Golddinar war seit der Regierungszeit von Friedrich II. fällig. In der Regierungszeit Maximilians I. wurde der Druck auf die Juden immer größer; nach ihrer gesetzlich befohlenen Vertreibung aus Kärnten mussten 1497 auch die jüdischen Familien aus der Steiermark ihre Wohngebiete verlassen, was ein schwerer Schlag für die Wirtschaftskraft der Stadt Maribor war.
Die einstige Synagoge wurde im Jahre 1501 zur Kirche „Allerheiligen“ umfunktioniert. Als Folge der Reformen von Josef II. wurde die Kirche der Armee übergeben und bis 1811 als Lager verwendet. Mehrfache Umbauten veränderten das gotische Gewölbe fast vollständig.
Erst im 19. Jahrhundert siedelten sich wieder jüdische Familien in der Stadt an. Nach dem Ersten Weltkrieg vollzog sich in Maribor eine rasche Entwicklung zu einer Industriestadt; beträchtlichen Anteil daran hatten auch die dort lebenden jüdischen Familien: Jüdischen Fabrikanten aus der Tschechoslowakei verdankte die Stadt z.T., ihren Wirtschaftsaufschwung innerhalb Jugoslawiens. Einige Juden verließen die Stadt noch vor dem Zweiten Weltkrieg; fast alle, die blieben, fielen der deutschen Besatzungsmacht zum Opfer, wurden deportiert und ermordet.
Judentum u. jüdisches Viertel (D. Modrinjak 2011, aus: commons.wikimedia.org CCO)
Das heute im Besitz der Stadt befindliche Bauwerk - eines der ältesten baulich erhaltenen Synagogengebäude Europas - dient seit 2001 als Ort verschiedenster Kulturveranstaltungen, nachdem es seit Beginn der 1990er Jahre einer Restaurierung unterworfen worden war. Eine besondere Sehenswürdigkeit der Stadt ist heute das alte Judenviertel am sog. Judenturm.
Ehem. Synagoge (Aufn. Stadt Maribor, 2000 und Tony Bowden, 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Ehem. Synagoge mit Schmierereien (Aufn. Slovenian Press Agency, 2009)
Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten in Slowenien ca. 2.000 Juden, nur 150 von ihnen überlebten den Holocaust. Nach Schätzungen gibt es heute in Slowenien noch ca. 200 Juden, von denen die meisten in Ljubljana leben und hier die einzige jüdische Gemeinde des Landes bilden
Um das jüdische Leben in der Steiermark und Slowenien wiederzubeleben und zu stärken, haben die Jüdische Gemeinde von Graz und die Jüdische Gemeinde Sloweniens 2021 den „Verband der Jüdischen Gemeinden Graz und Llubljana“ gegründet. Damit wurde eine in dieser Form einzigartige supranationale Föderation ins Leben gerufen; begründet wird dies wie folgt. „...Die Zusammenarbeit der jüdischen Gemeinden Ljubljana und Graz kann dabei auch auf ein gemeinsames historisches Erbe zurückblicken. Von den 1880er Jahren bis zum Zusammenbruch der Donaumonarchie gehörten die Juden der Krain, zu der auch Laibach zählte, offiziell zur Jüdischen Gemeinde Graz. Der Oberrabbiner versah auch die rabbinischen Funktionen in der heutigen slowenischen Hauptstadt. Die Standesregister der Juden Ljubljanas werden bis heute im Archiv der Jüdischen Gemeinde Graz aufbewahrt“ (Verband der jüdischen Gemeinden Graz und Llubljana)
Jüngst (Nov. 2021) wurde in einem Wohnhaus im Stadtzentrum von Ljubljana (Laibach) ein Bethaus eröffnet, das nach traditionellem Ritus geführt wird
Im Stadtgebiet von Ljubljana sind in den vergangenen Jahren zahlreiche „Stolpersteine“ verlegt worden, die dem Angedenken ehemaliger jüdischer Einwohner gewidmet sind und die Erinnerung an sie wachhalten sollen
alle Aufn. Chr. Michelides, 2022, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0
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Weitere Informationen:
Emanuel Baumgarten, Die Juden in der Steiermark. Eine historische Skizze, Wien 1903
Moshe Karl Schwarz, The Jews of Styria, in: The Jews of Austria: Essays on their Life, History and Destruction, London 1967
Germania Judaica, Band II/1, Tübingen 1968, S. 300 – 302 (Graz), Band III/1, S. 175 – 177 (Bruck a.d.Mur), S. 461 – 469 (Graz), S. 592 – 596 (Judenburg) und Band III/2, S. 832 – 846 (Maribor) und S. 1545/1546 (Voitsberg), Tübingen 1987 bzw. 1995
G.W. Salzer-Eibenstein (Bearb.), Geschichte der Juden in Graz, in: Hugo Gold (Hrg.), Geschichte der Juden in Österreich. Ein Gedenkbuch, Olemanu-Verlag, Tel Aviv 1971, S. 9 - 20
Studia Judaica Austriaca - Band V, Der gelbe Stern in Österreich - Katalog und Einführung zu einer Dokumentation, Bearb. Kurt Schubert/Jonny Moser, Eisenstadt 1977
Herbert Rosenkranz, Verfolgung und Selbstbehauptung. Die Juden in Österreich 1938 - 1945, Herold-Verlag, Wien 1978
Widerstand und Verfolgung in Oberösterreich 1934 - 1945 - Eine Dokumentation, Bd. 2, Hrg. Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien/München/Linz 1982
Wilhelm Wadl, Die israelitischen Kultusgemeinden Graz und Klagenfurt, in: Klaus Lohrmann (Hrg.), 1000 Jahre österreichisches Judentum (Ausstellungskatalog), Edition Roetzer, Eisenstadt 1982, S. 133 ff.
Wolfgang Rettl, Antisemitismus in der Steiermark am Beginn der Ersten Republik, Diplomarbeit Geschichtswissenschaften, Graz 1987
Israelitische Kultusgemeinde Graz (Hrg.), Geschichte der Juden in Südost-Österreich, Gedenkschrift, Graz 1988 (verschiedene Aufsätze)
Dieter A. Binder, Das Schicksal der Grazer Juden 1938, in: "Historisches Jahrbuch der Stadt Graz", Band 18/19, Graz 1987/1988
Eduard Staudinger, Die Pogromnacht vom 9./10.November 1938 in Graz, in: K.Schmidt/R.Streibel (Hrg.), Der Pogrom 1938 in Österreich und Deutschland, Wien 1990, S. 42 f.
Die Zeremonienhalle der Israelitischen Kultusgemeinde in Graz, hrg. vom Kuratorium zur Wiedererrichtung der Zeremonienhalle, Graz 1991
Pierre Genée, Synagogen in Österreich, Löcker Verlag, Wien 1992, S. 34/35, S. 100 - 103 und S. 115 f.
Erika Weinzierl, Zu wenig Gerechte, Styria-Verlag, Neuauflage 1997
Ludwig Biró, Die erste Hälfte meines Lebens. Erinnerungen eines Grazer jüdischen Rechtsanwaltes 1900 - 1940, hrg. von Christian Fleck, Graz/Wien 1998
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Nina Schemmerl (Red.), Zehn Jahre Stolpersteinverlegung – Eine sich ändernde Erinnerungskultur, in: "Meinbezirk.at" vom 29.1.2024
OTS (Red.), Flächenmäßig größte Israelitische Kultusgemeinde entstanden. Jüdische Gemeinden von Graz und Salzburg gehen gemeinsame Wege, in: OTS.at vom 19.3.2024
N.N. (Red.), Mittelalterlicher jüdischer Grabstein aus 1387 in Graz restituiert – Land Steiermark übergibt Denkmal an jüdische Gemeinde Graz, in: OTS.at vom 19.11.2024